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Angesichts der gewaltigen Umweltzerstörungen in westlichen Ländern und mit westlicher Technologie liegt der Blick nach Asien nahe. Hier scheint es gedank­

liche Traditionen zu geben, die das Miteinander von Mensch und natürlicher

Umwelt eher als das Gegeneinander in das Zentrum ihrer Gedankenwelt stellen.

Allerdings läßt die empirische Bestätigung solcher Hypothesen auf sich warten - ganz gleich ob man sich die Quecksilbervergiftungen in Japan, die Verunreini­

gung des heiligen Ganges in Indien oder die weiträumigen Lößverwehungen in China betrachtet. Folglich ist zumindest eine der beiden gängigen Annahmen unwahr, daß entweder asiatische Denktraditionen den Ausgleich, den Frieden zwischen Mensch und Natur betonen, oder daß das Denken der Menschen ihr Handeln bestimmt.

Alle Lebensformen, Pflanzen wie Tiere, modifizieren ihre Um- und Mitwelt.

Hier ist der Mensch keine Ausnahme. Das Spezifische an ihm ist jedoch, daß er - in weiter Auslegung der aristotelischen Definition des zöon logon echon - ein kulturelles, vor allem sprachbegabtes Lebewesen ist. Kraft kulturell vermittelter Anpassungskraft wurde der Mensch das einzige Tier, das keine Umwelt hat, son­

dern sich Umwelt schafft. Somit sind Umwelt und Kultur aufeinander bezogen, menschliche Umwelt ist weitgehend Kulturleistung.

So bleibt die schwer entscheidbare kultursoziologische Frage, ob dominantes westliches und dominantes östliches Umweltverhalten kulturell distinkt sind oder ob Umweltdestruktion zu den anthropologischen Konstanten zählt. In folgenden Kemaussagen ziehe ich das Fazit der gerafften Darstellung von vier Jahrzehnten chinesischer Umweltpolitik im Rahmen sozioökonomischer Entwicklung und im Kontext kultureller Überlieferungen:

1. China hat mit schweren Umweltproblemen zu kämpfen, sowohl in städtisch­

industriellen als auch in ländlich-agrarischen Gebieten. Die Zentralregierun­

gen haben seit 1949 konzeptionelle Umweltpolitik mit einer Stetigkeit be­

trieben, die in Anbetracht des beträchtlichen politischen und sozialen Wan­

dels erstaunlich ist. Zugleich allerdings war der Vollzug dieser Umweltpoli­

tik, ebenfalls durchgängig, nicht allzu erfolgreich. Die zwischen diesen bei­

den Festellungen verbliebene Spannung konnte und sollte nicht aufgelöst werden.

2. China hat zum planungstheoretischen Ansatz des ecodevelopment entschei­

dend beigetragen, das heißt, zur Einsicht, daß die Lösung von Umweltpro­

blemen an diejenigen der Entwicklung und umgekehrt gekoppelt ist. Es scheint jedoch, daß der Schwerpunkt zwischen Umwelt und Entwicklung sich derzeit in Richtung Entwicklung verlagert.

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3. So wie die Entwicklungspolitik seit 1949 zwischen Wachstum und Vertei­

lung oszilliert und beide Pole ihre Legitimation in der chinesischen Tradition finden, so besteht auch eine doppelte Tradition der sanften Anpassung und der gigantischen Transformation im Verhalten gegenüber Natur und Umwelt.

4 Die Prognosen zu Erfolg und Dauer der gegenwärtigen repressiven Moder­

nisierungspolitik und infolgedessen über die Richtung gesellschaftlicher Transformation widersprechen einander. Umweltbewegungen als Kristalli­

sationspunkte gesellschaftlicher Opposition und Veränderung erscheinen nicht ausgeschlossen.

5. Modemisierungserfordemisse sind nicht allein wirtschaftlich bestimmbar.

Ergänzende soziokulturelle und ökologische Faktoren sind nicht nur in der gesellschaftlichen Praxis zu beachten, sondern könnten auch zu einem theo­

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