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5. Darstellung wissenschaftlicher Daten zum Mammographie-Screening

5.4 S 3 Leitlinie Fraueninformation

Als eine relevante Initiative kann die Entwicklung der S 3 Stufe- Leitlinie (nach Vorgaben der AWMF) zur Brustkrebsfrüherkennung benannt werden.

Hier wurde eine, im Sinne der Qualitätssicherung, systematische Leitlinie

entwickelt. Sie hat den Anspruch alle Teilbereiche der Diagnosekette zu um-fassen. Das abgestimmte Gesamtkonzept soll die Handlungsgrundlage für die Durchführung des Mammographie-Screenings der nächsten Jahre dar-stellen. Leitbild der Leitlinie Fraueninformation ist die sogenannte „partner-schaftliche Entscheidungsfindung“. (vgl. Höldke, B. 2002 S. 44ff)

An der Entwicklung der Leitlinien Deutschland sind medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaften, sowie Berufsverbände (z.B. Gesell-schaft für Senologie) beteiligt gewesen. Ebenso wurde die Entwicklung der Leitlinie durch nichtärztliche Organisationen aus dem Selbsthilfebereich un-terstützt. In diesem Zuge sollte auch eine Leitlinie Fraueninformation erarbei-tet werden. Hierzu sollten die physichen, psychischen und sozialen Teilas-pekte der Lebensqualität einbezogen werden. Hauptintention war die „part-nerschaftliche Entscheidungsfindung“ zwischen medizinischen Experten und PatientInnnen zu unterstützen. (vgl. Albert, U.S. et al 2003, S.484).

(Abbildung 9: Stufe 3 Leitlinie 2008)

Die Leitlinie Fraueninformation enthält neun Punkte als Qualitätsanforderun-gen zur allgemeinen Entwicklung von geschlechtsspezifischen Informations- und Aufklärungsmaterial und elf Qualitätsanforderungen, die sich aus der

systematisch entwickelten Leitlinie für die Brustkrebs-Früherkennung erge-ben. Insgesamt 30 Organisationen unterstützten nach Begutachtung das Gesamtkonzept. Die Leitlinie Fraueninformation wurde als ein Element für Anforderungen an die spezielle Qualitätssicherung im Informationsbereich der Stufe-3-Leitlinie Brustkrebs-Früherkennung in Deutschland genutzt. (vgl.

Albert, U.S. et al 2003, S.485).

(Abbildung 10: Albert et al 2003)

Die inhaltlichen Qualitätsanforderungen umfassen die Punkte:

1. Zielgruppe

2. Früherkennung, Warum?

3. Informationen über die Physiologie und Pathologie 4. Eigenverantwortung der Frau

5. Patientenrechte

6. Psychische Belastungen: Ungewissheit und Diagnosestellung Brust-krebs

7. Früherkennungsmethode: Wirksamkeit, Vor- und Nachteile

8. Qualität der Diagnostik 9. Strahlenexposition 10. Kosten für die Frau

11. Konkrete Fragen und praktische Information (vgl. Albert, U.S. et al 2003, S.488ff)

Für inhaltlich vielversprechend hinsichtlich einer verstärkten PatientInnenori-entierung in der Sekundärprävention, schienen die inhaltlichen Qualitätsan-forderungen der Leitlinie zur Brustkrebsfrüherkennung „Eigenverantwortung der Frau“, „Psychische Belastungen“ und „konkrete Fragen und praktische Information“ zu sein.

Unter „Eigenverantwortung der Frau“ wurde betont, dass innerhalb der Soli-dargemeinschaft ein „auf sich achten“ unerlässlich sei. In diesem Zusam-menhang ist hier zu lesen, dass jede Frau ihre Eigenverantwortung hinsicht-lich gesundheitserhaltender Lebensführung übernehmen sollte, sowie sich gegen oder für eine Früherkennungsmethode zu entscheiden. Im weiteren Verlauf ist auch zu lesen:

„IV. Eigenverantwortung der Frau“

„Wird bei einer Frau Brustkrebs diagnostiziert, so sollte sie ihre Verantwor-tung nicht abgeben. Idealerweise bleibt sie Handelnde und lässt sich nicht auf die Rolle der Behandelten reduzieren (zit. N. Albert, U.S. et al 2003, S.489).“

Diese Formulierung impliziert, dass die Patientin auch dafür verantwortlich ist, sich nicht einer medizinischen „Maschinerie“ hinzugeben, sondern die partnerschaftliche Entscheidung im Behandlungsprozess einzufordern. Es bleibt die Frage, ob die Umsetzung dieses Grundgedanken von den medizi-nischen Experten im System und in den Institutionen ebenfalls angestrebt wird, bzw. ob Frauen an dieser Schnittstelle mit Wiederständen zu kämpfen haben.

„VI. Psychische Belastungen“

„Früherkennungsmaßnahmen im Rahmen der Diagnosekette sind eine psy-chische Belastung für Frauen. Je nach Symptomen und Befunden sind mit-unter weitere Untersuchungen notwendig (…) Fraueninformationen müssen insbesondere, praktische Informationen und Hilfen beinhalten, die Frauen psychisch unterstützen und konkrete Hilfe anbieten. Wichtig ist der Hinweis darauf, dass nach einer Diagnosestellung keine übertriebene Eile geboten ist, sondern dass immer ausreichend Zeit ist, sich umfassend zu informieren, sich über Behandlungsmethoden zu beraten und sich zusätzliche Meinungen einzuholen. Brustkrebs ist kein Notfall! (zit. N. Albert, U.S. et al 2003, S.489).“

Wie Petra Richter eindrucksvoll anhand der Darstellung biographischer Inter-views mit Brustkrebspatientinnen zeigt, ist in der medizinischen Praxis die Umsetzung der inhaltlichen Qualitätsanforderungen oft nicht die Realität.

(vgl. Richter, P. 2009 S. 115ff sowie 168ff)

Über die Erfahrungsberichte der Frauen wird deutlich, dass eine eigenver-antwortliche Haltung hinsichtlich der Gesundheit oft von medizinischen Ex-perten als „unpassend“ empfunden wird. So werden Symptome, die aus Per-spektive der Patientin als Hinweis auf Brustkrebs gedeutet und Medizinern geschildert werden, als Angststörung aufgrund familiärer Disposition durch die behandelnden Ärzte „abgetan“. (vgl. Richter, P. 2009, S.114)

Gleichzeitig wird den Frauen nicht selten bei einem wirklichen Brustkrebs-verdacht indirekt ein Vorwurf gemacht, dass sie „jetzt erst kommen“, also ihrer gesundheitlichen Eigenverantwortung nicht gerecht werden. Brustkrebs wird in diesem Zusammenhang als ein akuter Zustand vermittelt, bei dem es keine Zeit gilt zu vergeuden. Diese Erfahrungsberichte stehen im absoluten Kontrast zu den Qualitätsinhalten der Leitlinie Fraueninformation.

„XI. konkrete Fragen und praktische Information“

„Die Informationen sollen konkrete „Fragen an meine Arzt/meine Ärztin“ ent-halten, um Frauen überhaupt dazu zu ermutigen, sich fragend zu informie-ren. Dazu gehören Fragen nach dem persönlichen Risikoprofil, Fragen nach der Qualität der Untersuchung und Befundung etc. Hinweise darauf, wie eine Frau sich auf das Arztgespräch vorbereiten kann, sind ebenfalls hilfreich z.B.: Fragen vorher aufschreiben, sich im Vorfeld ausführlich informieren, Informationen aus verschiedenen Quellen ziehen, eine Vertrauensperson zur Untersuchung mitnehmen, nachfragen, bis man alles verstanden hat. (zit. N.

Albert, U.S. et al 2003, S.489).“

Hier begegnen sich biographische Erfahrungen und medizinische Wissens-ordnungen. Auch Machtgefälle werden sichtbar. Es ist an dieser Stelle oft entscheidend ob sich eine Frau selbstverständlich in die Struktur fügt und die Patientenrolle annimmt. Petra Richter beschreibt diese Begegnung anhand von Erfahrungsberichten als „Dekontextualisierung“ der Krebserkrankung von der betreffenden Patientin. So beschreibt z.B. eine Patientin, dass sie im Arztgespräch nicht mehr wie im kulturüblichen Übergangsritual begrüßt wurde, sondern es wurde ihr durch den Arzt sofort die mögliche Diagnose offenbart. Die Wirkung ist subtil und hintergründig: eigene biographische Satzungen und Einstellungen werden dem Medizinsystem untergeordnet.

Aus Perspektive des medizinischen Experten muss die Krankheit sogleich

„organisiert“ werden. (vgl. Richter, P. 2009, S. 168)

Es ist anzunehmen, dass sich dieses Beispiel eines Patient- Arzt Kontaktes ebenso auf Screening- Situationen übertragen lässt. Es liegt selten der An-spruch der Mediziner vor in Austausch, Kooperation und Annahme der bio-graphischen Perspektive der Frauen zu gehen. Es scheint im Sinne des Me-dizinsystems zu sein, das beschriebene Machtgefälle aufrechtzuerhalten.

Die Erfahrungsberichte von BrustkrebspatientInnen zeigen ebenso, dass im Entscheidungsprozess die Mediziner nicht selten eher die Quelle von Unsi-cherheiten darstellen. Ein vertrauensvolles, partnerschaftliches Verhältnis

als Grundlage wie es in der Leitlinie beschrieben wird, findet in so einem Um-feld keinen Nährboden. (vgl. Richter, P. 2009 S. 154)