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2.1 Fibromyalgie

2.1.6 Risikomerkmale

Heute weiß man, dass die Erkrankung nicht entzündlich bedingt ist. Trotz unzähliger Untersuchungen und Versuche bleibt die Ursache jedoch weiterhin ungeklärt. Es lassen sich keine zugrundeliegenden körperlichen Veränderungen bei den Betroffenen nachweisen.

Somit lassen sich bis heute nur Vermutungen über die Entstehung und Ursachen der Fibromyalgie anstellen. Eine Einschätzung der Erkrankungsschwere ist aufgrund

mangeln-17 der Beweise kaum möglich [Cathey et al. 1988]. Bezüglich der Ätiologie der Erkrankung existieren sehr unterschiedliche Ansätze. Deshalb werden im Folgenden nur die am häufigsten in der Literatur diskutierten möglichen Risikomerkmale vorgestellt.

Da das Fibromyalgiesyndrom familiär gehäuft auftritt, wird über einen genetischen Aspekt als Auslöser diskutiert [Pöyhiä et al. 2001; Arnold et al. 2004a]. Auch Polymorphismen des Serotoninrezeptorgens (5-HT2A-Rezeptor) sind mit dem Fibromyalgiesyndrom assoziiert [Lee et al. 2012].

In mehreren Studien wird über die Assoziation von Serotonin und dem Fibromyalgie-syndrom diskutiert. Das biogene Amin Serotonin kommt als Neurotransmitter im peripheren und zentralen Nervensystem vor und ist vor allem an der Schlafregulation und dem Schmerzempfinden beteiligt [Stratz et al. 1993]. Serotonin ist aber auch in enterochrom-affinen Zellen der Darmmukosa [Rassow et al. 2012] und Thrombozyten gespeichert und wird bei Entzündungen freigesetzt [Stratz et al. 1993]. Bei Fibromyalgiepatienten wurde zum einen eine Erniedrigung von Serotonin im Liquor [Russell et al. 1992a] und im Serum [Russell et al. 1992b; Stratz et al. 1993; Wolfe et al. 1997a] gefunden. Zum anderen fanden Stratz et al. (1993) in einer Studie heraus, dass eine statistisch signifikante negative Korrelation zwischen der Serotoninkonzentration im Serum und der Anzahl positiver Druck-schmerzpunkte sowie eine signifikante positive Korrelation zwischen dem Serumserotonin-spiegel und der dolorimetrisch gemessenen Druckempfindlichkeit besteht. Ein anderer Neurotransmitter, der bei Fibromyalgiepatienten im Liquor vermehrt nachgewiesen werden kann, ist die Substanz P, die bei der Schmerzübertragung von der Peripherie zum zentralen Nervensystem, aber auch bei Entzündungsprozessen eine Rolle spielt [Russell et al. 1994;

Vaerøy et al. 1988]. Ebenfalls in erhöhten Konzentrationen wurde der erregende Neuro-transmitter Glutamat im Liquor bei Fibromyalgiepatienten nachgewiesen. Eine Erhöhung von Substanz P und Glutamat wird mit einer Verstärkung zentraler Schmerzen assoziiert, eine Veränderung, die vermutlich auch dem FMS zugrunde liegt [Sarchielli et al. 2007].

Auch ein verändertes Zytokinmuster kann im Zusammenhang mit dem Fibromyalgiesyndrom stehen. Dieser Ansatz wird jedoch noch kontrovers diskutiert, da unterschiedliche Zytokin-veränderungen in verschiedenen Studien publiziert wurden [Üçeyler et al. 2011]. So berichteten beispielsweise Gur et al. (2002) in einer Studie über eine Erhöhung des pro-inflammatorischen Interleukin-8 und des Interleukin-2-Rezeptors bei Fibromyalgie-patienten. Eine Reduktion der antiinflammatorischen Zytokine Interleukin-4 und Inter-leukin-10 wurde von Üçeyler et al. (2006) gezeigt.

Im Zusammenhang mit chronischen generalisierten Schmerzen bzw. dem Fibromyalgie-syndrom wird eine Dysfunktion der

Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-18 Achse (HPA-Achse) diskutiert. In einer Studie mit Probanden, die ein erhöhtes psycho-soziales Risikoprofil für die Entstehung von chronischen generalisierten Schmerzen hatten, zeigte sich, dass Probanden mit einer Funktionsstörung der HPA-Achse chronische Schmerzen im Verlauf entwickelten. Zu Störungen der Funktion der HPA-Achse gehören, entgegengesetzt zum normalen zirkadianen Rhythmus, niedrige Cortisolwerte morgens und hohe Cortisolwerte abends im Speichel sowie eine mangelnde Suppression im Dexa-methasonhemmtest [McBeth et al. 2007].

Häufig scheint auch die psychische Komponente eine Rolle bei der Entstehung der Erkrankung zu spielen. So berichteten Egle et al. (2004) als Faktoren zur Entwicklung einer Fibromyalgie von einem Zusammenhang zwischen Traumatisierung und psychosozialem Stress. Vor allem körperliche Gewalt, sexueller Missbrauch und emotionale Vernach-lässigung in der Kindheit werden genannt. Weiterhin wurde herausgefunden, dass Fibro-myalgiepatientinnen oft körperlich traumatische Ereignisse erfuhren und in ihrer Kindheit in einer Umgebung geprägt von chronischem Schmerz lebten [Pöyhiä et al. 2001]. In einer Studie mit 88 Fibromyalgiepatientinnen im Rahmen von Renten- oder Schwerbehinderten-verfahren wiesen 44 % der Patientinnen eine psychische Störung in der Vorgeschichte und 32 % biographische Belastungsfaktoren wie schweren sexuellen Missbrauch oder schwere körperliche Gewalterfahrung in der Kindheit bzw. im Erwachsenenalter auf. 12 % hatten keine psychosozialen Risikofaktoren [Häuser 2005]. Van Houdenhove et al. (2002) konnten nachweisen, dass Fibromyalgie- und Chronic-Fatigue-Syndrome-Patienten ein größeres Maß an Depression und Angst aufwiesen als Patienten mit Multipler Sklerose und rheuma-toider Arthritis. Außerdem erfuhren sie mehr Stress im Privat- und Berufsleben. In der gleichen Studie wurde auch darüber berichtet, dass viele Fibromyalgiepatienten an dem Gefühl, nicht ernst genommen zu werden, litten, was oft durch das Unverständnis und die ablehnende Haltung von anderen Personen verstärkt wurde [van Houdenhove et al. 2002].

Auch Faktoren wie Armut, Tabakrauchen, Übergewicht, geringe körperliche Aktivität und eine hohe Zahl an körperlichen Komorbiditäten spielen bei der Entstehung der Fibromyalgie eine Rolle [Choi et al. 2010; Wolfe et al. 2011a].

Im Gegensatz zu Patientinnen mit inflammatorischer Arthritis und gesunden Kontroll-gruppenpersonen litten Fibromyalgiepatientinnen häufiger am Reizdarmsyndrom, an Migrä-nekopfschmerzen und an starken Menstruationsschmerzen [Pöyhiä et al. 2001].

Tabelle 4 dient der übersichtlichen Zusammenfassung der oben beschriebenen möglichen Risikomerkmale, die mit dem FMS assoziiert werden. Eine Einteilung erfolgt dabei nach genetischen, pathophysiologischen, psychischen und Lebensstilfaktoren.

19 Faktoren mögliche, mit dem FMS assoziierte Risikomerkmale

genetische Faktoren  familiäre Häufung

 Genpolymorphismen des Serotoninrezeptors pathophysiologische

Faktoren

 Erniedrigung von Serotonin im Liquor und Serum

 Erhöhung von Substanz P im Liquor

 Erhöhung von Glutamat im Liquor

 veränderte Zytokinmuster: Erhöhung des

proinflammatorischen Interleukin-8 und des Interleukin-2-Rezeptors; Reduktion der antiinflammatorischen Zytokine Interleukin-4 und Interleukin-10

 Dysfunktion der

Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (morgens niedrige und abends hohe Cortisolwerte im Speichel, mangelnde Suppression im Dexamethasonhemmtest)

psychische Faktoren  Traumatisierung und psychosozialer Stress (vor allem körperliche Gewalt, sexueller Missbrauch, emotionale Vernachlässigung in der Kindheit)

 Depression und Angst Lebensstilfaktoren  Armut

 Tabakrauchen

 Übergewicht

 geringe körperliche Aktivität

 hohe Zahl an körperlichen Komorbiditäten

Tabelle 5: Mögliche, mit dem FMS assoziierte Risikomerkmale