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Revolution und Napoleons

Im Dokument DIE UMDEUTUNG DER NEUTRALITÄT (Seite 116-172)

4.1 Ist die Eidgenossenschaft eine Republik? Diskussion am Vorabend der französischen Besetzung

Die Französische Revolution musste auf die Schweiz mit ihren vielfältigen Verbindungen zum Nachbarstaat aus Solddienst, Handelsprivilegien und persönlichen Bindungen spürbare Auswirkungen zeitigen. Gerade das Mas-saker am Schweizer Garderegiment310 im Tuileriensturm vom 10. August 1792 rief heftige Empörung in der Eidgenossenschaft hervor, die bis hin zu Kriegsdrohungen seitens der Orte und zum Abbruch der offiziellen Bezie-hungen mit der französischen Regierung reichten. Gerade in Bern gab es eine starke Gruppe im regierenden Patriziat, welche nicht davor zurückschreckte, für die Abwehr der revolutionären Ideen mit der Anwendung militärischer Gewalt zu liebäugeln. Demgegenüber beharrten vor allem die handeltreiben-den Städte der Eidgenossenschaft, allen voran Zürich, auf einer abwartenhandeltreiben-den und sich mit den neuen Verhältnissen arrangierenden Politik. Dieser Mei-nungsstreit zeigte seine lähmende Wirkung vorerst nur innenpolitisch, solan-ge Frankreich durch den 1. Koalitionskrieg an anderen Fronten beschäftigt war. 1798 führte er aber auch zur völligen Handlungsunfähigkeit der alten Regierungen. In den Untertanengebieten der Eidgenossen weckten die

Vor-310 Von einer «Vernichtung» kannim Gegensatz zur älteren Forschungkeine Rede sein. Man weiss aufgrund des Berichts des letzten Kommandanten an die Tagsatzung, dass 300 Männer fielen, d.h. weniger als in die französische Armee übertraten oder den Dienst quittierten. Die Zahlen bei Gonzenbach, Der 10. August 1792, 307, sowie bei Müli-nen, Schweizer-Garderegiment, 98. Für den Hinweis danke ich André Holenstein.

gänge im Nachbarland hingegen die Hoffnung auf eine politische Besserstel-lung. Vor allem die gebildeten ländlichen und landstädtischen Eliten forder-ten mehr Freiheit, 1790 im Unterwallis, ein Jahr später in der Waadt, 1793– 95 in der Fürstabtei St. Gallen und 1794/95 auf der Zürcher Landschaft.

Während der St. Galler Fürstabt gegenüber seinen Untertanen Konzessionen machte, reagierten die übrigen Obrigkeiten mit scharfen, militärischen Straf-aktionen. Die politische Situation der Eidgenossenschaft veränderte sich schlagartig, als das revolutionäre Frankreich 1797 siegreich aus dem 1. Koali-tionskrieg hervorging. Bis dahin hatte der neutrale Nachbar für die junge Republik den Vorteil gehabt, dass er auf einem grossen Teil der französi-schen Ostgrenze den Flankenschutz sicherstellte und die wirtschaftlich abge-schnürte Republik mit lebenswichtigen Gütern versorgte. Nach dem Frie-densschluss mit seinen Kriegsgegnern waren diese Vorteile für Frankreich allerdings verzichtbar geworden. Es konnte sich nun darauf konzentrieren, seine geopolitischen Interessen im Alpenraum durchzusetzen.311

In der aufgeheizten Stimmung der 1790er-Jahre entwickelte sich in der Schweiz ein regelrechter Meinungskrieg, der sich nicht zuletzt in der Produk-tion unzähliger Pamphlete manifestierte, welche für oder gegen das revolu-tionäre Frankreich Partei ergriffen, Reformvorschläge für die Schweiz propa-gierten, sich für den status quo stark machten oder zum Krieg gegen den Dämon der Revolution rieten. Dieser Federkrieg intensivierte sich am Vor-abend des französischen Einmarsches in die Eidgenossenschaft zusätzlich.

Trotz Mandaten und Zensur war die Flut an politischen Schriften für die Obrigkeiten letztlich nicht zu kontrollieren. Obwohl die tatsächliche Reich-weite dieser politischen Schriften schwierig zu bestimmen ist, so zeigt ihre geradezu explodierende Menge doch das steigende Bedürfnis nach Neuigkei-ten und Informationen und das wachsende Bewusstsein für die Kraft der öffentlichen Meinung, auch auf dem Lande und in Bevölkerungsschichten, welche sonst von literarischen Erzeugnissen nicht erreicht wurden.312

In den Pamphleten musste mit der Diskussion des Verhältnisses zum revolutionären Frankreich schliesslich auch die Neutralität der Schweiz zum

311 Holenstein, Das Ancien Régime am Ende, Bolzern, Diplomatie und Aussenbezie-hungen, 498–500, Bonjour, Neutralität, 121–146.

312 Tosato-Rigo, Ouvre les yeux.

Thema werden. Diese hatte die Tagsatzung nach dem Ausbruch der Feindse-ligkeiten erklärt, wie sie das in anderen Kriegssituationen bis dahin auch zu tun gepflegt hatte. Diese publizistische Auseinandersetzung mit der Neutrali-tät soll im Folgenden nachgezeichnet werden. Dazu wurden drei Pamphlete ausgewählt, welche kurz vor dem Einmarsch der französischen Armee in die Eidgenossenschaft publiziert wurden. In ihnen kamen die verschiedenen Argumente zusammen, welche in den 1790er-Jahren die Diskussion um die Stellung gegenüber dem revolutionären Frankreich geprägt hatten. Die Frage der Neutralität der Kantone erhielt dabei eine neue Dimension, wurde sie doch nun auch mit der Frage der politischen Partizipationsrechte verknüpft.

Frédéric-César de Laharpe vertrat in seiner 1797 publizierten SchriftDe la neutralité des gouvernans de la Suisse depuis l’année 1789eine revolutions-und frankreichfrerevolutions-undliche Position. Darauf antwortete einerseits Karl Lud-wig von Haller mit einer offiziösen Stellungnahme unter dem Titel Exposé Historique des faits concernants la Neutralité de la Suisse envers la France und andererseits die im Fürstentum Neuenburg lebende, aus Holland stam-mende Femme de Lettres Isabelle de Charrière mit ihrerRéponse à l’écrit du Colonel De Laharpe; intitulé: De la Neutralité des Gouvernans de la Suisse depuis l’année 1789.

Die Neutralität diente in den Pamphleten als Brille, der eigentliche Gegenstand, der dadurch betrachtet wurde, war die Frage, ob die Schweiz zu Recht eine Republik genannt zu werden verdiene. Laharpe versuchte in sei-nem Pamphlet klarzumachen, dass die Schweiz Frankreich gegenüber keines-wegs neutral sei. Er knüpfte Neutralität an die Bedingung der politischen Partizipation aller. Diese war in seinen Augen nicht gegeben, da insbesonde-re die Waadtländer von den Berner Patriziern unterdrückt würden. Gerade Bern sei daher keine Republik, sondern eine Oligarchie. Als solche könne es gegenüber der französischen Republik nicht neutral sein, sondern müsse stets zu den despotischen Mächten der antifranzösischen Koalition tendieren.

Demgegenüber argumentierte Isabelle de Charrière durchaus traditio-nell, indem sie die Anciennität der schweizerischen Republiken gegenüber der französischen betonte und die Glückseligkeit der Eidgenossen als

hinrei-chende Grundlage für ein rechtmässiges Regiment anführte.313 Karl Ludwig von Haller seinerseits bestritt, dass Laharpe die richtige Brille aufgesetzt hat-te, indem er betonhat-te, dass die Neutralität der Schweiz im Prinzip einem Ver-trag entsprach, welchen die eidgenössischen Regierungen gegenüber Frank-reich sehr wohl erfüllt hätten.

4.1.1 Frédéric-César de La Harpe: politische Partizipation als Bedingung für Neutralität

Das Ziel seiner Schrift machte Laharpe314 gerade am Anfang seines Pam-phlets deutlich: Es ging ihm darum aufzuzeigen, dass die schweizerischen

‹Oligarchen›, wie er sie nannte – gemeint sind damit in erster Linie die in den Stadtorten regierenden Patrizier und die in den Landsgemeindedemo-kratien herrschenden Geschlechter – nicht die von ihnen selbst deklarierten

«bons amis et fidelles alliés de la France» seien. Zudem seien die tatsächli-chen schweizeristatsächli-chen Verhältnisse und insbesondere die Vorstellungen der Kantonsregierungen ausserhalb der Eidgenossenschaft und vor allem in Frankreich nur ungenügend bekannt.315

In einem ersten Schritt zeichnete Laharpe diese deshalb nach seiner Wahrnehmung nach. Dazu zog er eine scharfe Trennlinie zwischen den Regierenden und ihren Untertanen. Den Oligarchen konnte er so sämtliche Verfehlungen anlasten, während daneben die Untertanen – allen voran in der Waadt –als die wahren Freunde und treuen Verbündeten des revolutio-nären Frankreichs dastehen sollten, denen der Schutz und die Unterstützung des grossen Nachbarn gebührte. Nach ihm bestand die schweizerische Gesellschaft aus zwei Kasten, welche fast gleich strikt getrennt waren wie die-jenigen des indischen Subkontinents. Diese Trennung brachte einen markan-ten Unterschied im Charakter und den Interessen der beiden Gruppen mit sich. Im Ausland sei allerdings nur die Kaste der Regierenden bekannt.

Des-313 Der Verweis auf die Anciennität der schweizerischen vor der französischen Freiheit war im Umfeld von 1798 gängig. Lau, Stiefbrüder, 475–476.

314 Laharpes Name wird in diesem Kapitel zusammengeschrieben, so wie er es selbst in der Zeit der Revolution zu tun pflegte. Jequier, La Harpe, 9.

315 Laharpe, Neutralité, 5.

halb hätten die Franzosen, in der Überzeugung, die Schweiz sei die Heimat der Freiheit, nicht gezögert, die helvetischen Regierungen als ihre wahrsten Freunde zu betrachten. Die Gewohnheiten der alten Beziehungen hätten sie in dieser Meinung zusätzlich gestärkt, wobei übersehen wurde, dass die regierende Kaste nur ihr eigenes Interesse vertrat, nicht aber das sämtlicher Einwohner.316

In der Folge baute Laharpe seine Schrift in drei grossen Teilen auf. Im ersten Teil ging es ihm darum aufzuzeigen, wie nachsichtig sich Frankreich gegenüber der Schweiz bisher verhalten hatte. Vor diesem Hintergrund wogen dann die im zweiten Teil aufgelisteten Verfehlungen der schweizeri-schen Regierungen gegenüber Frankreich umso schwerer und konterkarier-ten damit die von den Kantonsregierungen immer wieder propagierte eidge-nössische Neutralität. Daran schloss Laharpe fliessend den dritten Teil seiner Schrift an, in welchem er Frankreich die zu ziehenden Schlüsse und Mass-nahmen vorschlug.

Mit dem ersten Teil seiner Schrift versuchte Laharpe, seinen französi-schen Lesern vor Augen zu führen, wie grosszügig und nachsichtig ihre Republik bis anhin mit ihren Nachbarrepubliken umgegangen war, wofür sie aber einen schlechten Lohn erhalten habe. So hatte Frankreich mit einem Dekret vom November 1790 die Fortführung der Pensionen und des Diens-tes der Soldtruppen beschlossen, sogar die Beibehaltung der Schweizergarde war mit einem Dekret vom 15. September 1791 festgelegt worden, bis über eine andere Verwendung befunden wurde. Dazu sollte der König demcorps législatifseine Vorschläge unterbreiten, was er aber in Rücksprache mit den privilegierten Schweizer Familien, welche den Stab dieser Kompanien stell-ten, unterliess. Nach der Abdankung der Soldtruppen wurden dann nicht nur alle Gratifikationen und Pensionen für die Offiziere und Soldaten aner-kannt, sondern auch der Ambassador beauftragt, den schweizerischen Kan-tonen die Weiterführung der freundschaftlichen Beziehungen anzubieten.

Den Schweizer Offizieren wurde sogar angeboten, dass sie unter Beibehal-tung ihres Ranges in die republikanischen Truppen eintreten konnten. Sogar den in Holland nach der Revolution entlassenen Truppen wurde erlaubt, durch Frankreich nach Hause zurückzukehren, obwohl offensichtlich war,

316 Laharpe, Neutralité, 5–6, 68f.

dass diese dann auf der Seite der Revolutionsgegner wieder in den Krieg zie-hen würden. Weiter wurde am 29. August 1793 die Weiterführung des Salz-exportes an die Schweiz erlaubt. Abschliessend bemerkte Laharpe, dass die Schweizer die Franzosen zwar mit kriegswichtigen Gütern versorgten, aller-dings zum doppelten oder dreifachen Preis. Dazu fragte er rhetorisch, ob die Franzosen den Schweizern noch Anerkennung schuldeten, nachdem sie sie so gut bezahlt hätten. Mit den aufgeführten französischen Wohltaten wollte Laharpe den Vorwurf der Propaganda entkräften, welchen die eidgenössi-schen Regierungen der französieidgenössi-schen gegenüber erhoben. Diesen Vorwurf tat er mit der Bemerkung ab, dass dies der Vorwurf aller privilegierten Stände gegenüber den freiheitsliebenden Revolutionären sei, da sie keine anderen vorzubringen hätten.317Dass Frankreich nach dem Tuilleriensturm die ver-bliebenen Schweizertruppen vertragswidrig abdankte und den vereinbarten Sold schuldig blieb, auf der anderen Seite dank der Versorgung durch die Schweiz während des Krieges auch grossen wirtschaftlichen Gewinn zog und sich dank der neutralen Schweiz eines günstigen Flankenschutzes auf weiter Strecke erfreute,318verschwieg Laharpe.

Das war auch irrelevant. Ihm ging es in erster Linie darum, Frankreichs Wohltaten als Kontrastfolie zu benutzen, vor der die Verfehlungen der schweizerischen Oligarchen und ihre Versündigung gegen die von ihnen propagierte Neutralität umso schwerer wogen. Denn hatten sie nicht Frank-reich von einer Invasion des Landes abgehalten, indem sie vorgaben, eine strikte Neutralität zu beobachten?319 Es ging Laharpe in der Folge darum, diese Frage zu untersuchen und dadurch die obrigkeitlichen Neutralitätsbe-zeugungen als Augenwischerei zu enttarnen.

Dazu schrieb er zunächst einen kurzen historischen Überblick über die Entstehung der schweizerischen Freiheit und deren langsame Unterhöhlung durch die führenden Familien. Die Schweizer erreichten nach seiner Darstel-lung ihre Freiheit durch die heilige Erhebung vom 1. Januar 1308. Sie vertei-digten sie in zweihundert Jahren Krieg gegen Österreich und rechtfertigten sie durch zahlreiche Siege. Angetrieben durch ambitionierte Familien (hier

317 Laharpe, Neutralité, 8–16.

318 Bonjour, Neutralität, 127–133.

319 Laharpe, Neutralité, 16.

zählt er etliche führende Familien auf, welche im Solddienst engagiert waren) mischten sie sich dann in die Kriege in Norditalien ein. Nach den verheeren-den Rückschlägen in Bicocca und Marignano zogen sie sich weise in ihre Berge zurück und mischten sich nicht mehr in die Streitereien ihrer Nach-barn ein. Dafür bereicherten sich die Patrizier fortan am kriegerischen Geist der Schweizer, indem sie ihre Landsleute als Söldner verkauften. Seit den Rückschlägen in Norditalien schickten sich die Regierenden zudem an, die Unantastbarkeit des helvetischen Territoriums zu erhalten, indem sie die absolute Neutralität zur Basis ihrer Politik machten. Damit erreichten sie für die Schweiz, den Vorteil vergessen zu werden, und sicherten ihr einen zwei-hundertjährigen Frieden. Durch die Französische Revolution seien sie nun allerdings so aufgeschreckt worden, dass sie sich von dieser nützlichen Poli-tik verabschiedeten. Nun sah man diejenigen, deren Väter einst die Standarte der Freiheit auf den Gipfeln des Juras und der Alpen gehisst hatten, gemein-same Sache mit den Fürsten und den Privilegierten machen, um die Freiheit zu zerstören. Diese Behauptungen versuchte er mit verschiedenen Beispielen zu untermauern.320

Besonders interessant ist dabei sein Versuch, die während des Tuilerien-sturms gefallenen Schweizergardisten zu rehabilitieren. Dazu greift er impli-zit auf sein Kastenschema zurück, indem er behauptet, die gefallenen Solda-ten seien nichts anderes gewesen als tapfere Ausländer, welche durch ihre antirevolutionären Kommandanten getäuscht und fehlgeleitet worden sei-en.321Damit versuchte er die Scheidelinie zwischen (frankreichfeindlichen, freiheitsverachtenden, sich an der Neutralität versündigenden) führenden Familien und (freiheitsliebenden und frankreichfreundlichen) Untertanen schärfer zu konturieren.

Dazu dienten auch die weiteren Vorwürfe der parteiischen Neutralität, so etwa mit Blick auf das stets umstrittene Asylrecht. So schrieb er, die fran-zösische Schweiz, welche zum grossen Teil von den Oligarchen in Freiburg, Bern, von der oligarchischen Demokratie des Oberwallis und vom Basler Bischof abhängig sei, biete den Gegenrevolutionären Asyl, ohne dass die Bewohner dieser Gebiete jemals Gelegenheit hatten, sich zum Aufenthalt

die-320 Laharpe, Neutralité, 17–19.

321 Laharpe, Neutralité, 21.

ser gefährlichen Gäste zu äussern. Zwar streite den schweizerischen Regie-rungen niemand das Asylrecht für Unglückliche ab. Aber, so fragte Laharpe rhetorisch, mussten sie diejenigen aufnehmen, welche immerzu gegen die französische Regierung intrigierten? Die schweizerischen Regierungen wür-den sich nie vom Vorwurf reinwaschen können, während des französischen Bürgerkrieges die Unterstützung des Prince de Condé von ihrem Gebiet aus toleriert zu haben. Diese sei die Voraussetzung für den Krieg gewesen, wel-cher mehrere Departemente Frankreichs verwüstet und so viel Leid über die Bevölkerung gebracht habe. Unter den Augen der Patrizier von Bern, Solo-thurn und Freiburg sei die gegenrevolutionäre Propaganda produziert und verteilt worden, welche den Bürgerkrieg weiter anheizte, dort wurden die Pässe ausgestellt für die tausenden von Gegenrevolutionären, welche Frank-reich infiltrierten. Auf den starken Druck der Gesandten der französischen Armee beschlossen die Kantone zwar die Ausweisung der Emigranten. Sie liessen den Worten aber keine Taten folgen.322

Laharpe versuchte, die schweizerischen Regierungen als illegitim zu dis-kreditieren, da sie die Meinung ihrer Untertanen ausser Acht liessen. Beson-ders schön zeigt sich seine Stossrichtung in seiner abschliessenden Bemer-kung zum Umgang der Regierungen mit den Emigranten:

Cette conduite machiavélique qui contraste tant avec l’antique loyauté nationale, n‘eût certainement pas été celle des vrais représentans du peuple suisse, et sans être un grand politique, on demeurera convaincu que si des principes et des intérêts communs entraînoient impérieusement les patriciens vers les contre-révolution-naires, d’autres principes et d’autres intérêts auroient du amener depuis long-temps les représentans du peuple français, à s’unir plus étroitement à ceux du peuple suisse, contre des ennemis communs; mais les avis donnés par les vrais amis de la liberté et des deux peuples, ont eu le sort des prophéties de Cassandre.323

Die tiefe Spaltung zwischen Regierungen und Regierten manifestierte sich in Laharpes Augen am augenfälligsten in einem ganzen Bündel von Neutrali-tätsverletzungen der Eidgenossenschaft gegenüber Frankreich, welche er den

322 Laharpe, Neutralité, 22–23, 35–42.

323 Laharpe, Neutralité, 42f.

Patriziern anlastete, insbesondere den Bernern.324 Auch beschrieb Laharpe einen Fall von 1793, als die französischen Minister Sémonville und Maret in Graubünden von bewaffneten Österreichern festgenommen worden seien.

Dieser dem Völkerrecht spottende Vorgang sei nicht allein auf die isolierten bündnerischen Patrizier zurückzuführen, sondern sei das Resultat einer kon-zertierten Aktion zwischen den schweizerischen Patriziern und der Koalition gewesen gegen Franzosen, welche sich mit Feuer für die Sache der Freiheit eingesetzt hätten.325Solche Aktionen seien allerdings immer dann ausgesetzt worden, wenn die Franzosen siegten, um dann wieder aufgenommen zu wer-den, wenn sich das Blatt wendete.326Das richtige Schweizer Volk hätte solche Umtriebe nie zugelassen, wenn es sich wie früher hätte äussern können. Es leide aber durch exzessive Unterdrückung, von der man in Frankreich und im Rest Europas keine Vorstellung habe.327

In den Augen Laharpes aber trieb der Lausanner Landvogt von Erlach die Frankreich-feindliche Haltung auf die Spitze. 1793 wollte er heimlich den gegenrevolutionären Kräften in Nordsavoyen dringend benötigte Kavallerie-einheiten zukommen lassen. Mit seinen Versprechungen habe er einen Lau-sanner Kavallerieoffizier dazu verführt, seine Schwadron nach Martigny zu führen. Erst als dieser seinen Soldaten eröffnet habe, dass sie den Piemont-esen beistehen sollten, weigerten sich diese und kehrten wieder um. Darin

324 So etwa indem sie 1790 den Durchmarsch österreichischer Truppen über eidgenös-sisches Territorium ins Fürstbistum Basel ermöglicht hätten. Darüber hinaus gestatteten die Berner und Walliser einem piemontesischen Bataillon auf der Flucht vor den Franzo-sen die Evakuation über Schweizer Territorium. Die Walliser liesFranzo-sen als Pilger und Händ-ler verkleidete piemontesische Truppen über den Col-de-Balme passieren, oder die Berner erlaubten einem ihrer Bürger, an der französischen Grenze Deserteure für den österreichi-schen Dienst zu werben. Aber auch hinter den Neutralitätsverletzungen durch österrei-chische Truppen im Tessin erblickte Laharpe die bernischen Patrizier, nur dass sie in die-sem Fall die Vertreter der Urkantone vorgeschickt hätten, um nicht aufzufallen. Laharpe, Neutralité, 27–33, 47–55.

325 Der Überfall war allerdings auch dem provozierenden Auftreten der beiden Gesand-ten zuzuschreiben, der selbst dem französischen GesandGesand-ten in der Schweiz Barthélemy ins Auge stach. Vgl. dazu Feller, Geschichte Berns, 132–133.

326 Laharpe, Neutralité, 43–45.

327 Laharpe, Neutralité, 31–32.

erblickt Laharpe den Beweis für seine These, dass das unterdrückte Volk der wahre Freund des republikanischen Frankreichs sei:

Mais qui parle donc en France en faveur de cevrai peuple suisse ? Ses oppresseurs seuls y sont écoutés, excusés, loués, protégés? Pourqoui? Parce que la fatalité a toujours voulu que la France républicaine mal informée, favorisât sesennemis jurés, au préjudice de sesvrais amis[Hervorhebungen Laharpe].

In dieses Bild passte für ihn, dass der Landvogt die Machenschaften seines Offiziers unter den Teppich kehrte und selber von seinen Standesgenossen gedeckt wurde,«afin que ses collégues pussent continuer à faire bruit de leur neutralité, au moment même où ils la violoient».328

Tatsächlich hatte der Lausanner Aidemajor Bergier, ein erklärter Fran-zosenfeind, unter Mithilfe des Yverdoner Majors Rusillon eigenmächtig zehn Dragoner im Land herum aufgeboten und nach Martigny geführt, wo diese umkehrten, als sie das Ziel der Aktion vernahmen. Die darauf angeordnete Untersuchung des Berner Rates ergab das Vergehen der beiden Waadtländer Offiziere eindeutig, ein Mitverschulden des ebenfalls als Franzosenfeind

Tatsächlich hatte der Lausanner Aidemajor Bergier, ein erklärter Fran-zosenfeind, unter Mithilfe des Yverdoner Majors Rusillon eigenmächtig zehn Dragoner im Land herum aufgeboten und nach Martigny geführt, wo diese umkehrten, als sie das Ziel der Aktion vernahmen. Die darauf angeordnete Untersuchung des Berner Rates ergab das Vergehen der beiden Waadtländer Offiziere eindeutig, ein Mitverschulden des ebenfalls als Franzosenfeind

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