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Rechtsvergleichende Betrachtung a. Allgemeine Entwicklungen

Im Dokument Writ - Claim form - Klage (Seite 79-83)

C. Rechtsvergleichende Betrachtung zum deutschen Recht

III. Die Adaption des römisch-kanonischen Verfahrens in Deutschland und die Entwicklungen des gemeinrechtlichen Prozesses

5. Rechtsvergleichende Betrachtung a. Allgemeine Entwicklungen

Sowohl das Verfahren in England als auch dasjenige in Deutschland entwickelte sich von den germanischen Grundsätzen weiter. Diese Entwicklungen waren aber weder zeitlich noch inhaltlich parallel. Beide Verfahren wurden allerdings durch eine übergeordnete königliche Rechtsprechung, die ihren eigenen Prozessgrund­

sätzen folgte, beeinflusst.

Erste Verfahrensänderungen durch die königliche Rechtsprechung finden sich in Deutschland zwar schon zu fränkischer Zeit586, ein tiefgreifender Wandel weg vom germanischen Verfahren ist aber erst im 14. Jahrhundert zu beobachten und beruht auf dem Einfluss des römisch-kanonischen Verfahrens. Seinen vorläufigen Höhepunkt erfuhr diese Entwicklung mit der Reichskammergerichtsordnung von 1555, die nur noch wenige deutschrechtliche Grundsätze enthielt.

In England entwickelte sich der Zivilprozess bereits im 12. und 13. Jahrhundert weiter und ließ die germanischen Prinzipien hinter sich. Dabei kam es aber nicht wie in Deutschland zu einer Adaption römischer Rechtsideen. Vielmehr entwi­

ckelte sich mit dem Writ-System ein eigenständiges Verfahren, das in seiner Grundstruktur speziellen Teilen des römischen Aktionenwesens erstaunlich äh­

nelt, ohne dass es gelungen wäre, tatsächliche Einflüsse des römischen auf das englische Recht nachzuweisen. Das Writ-System entstand durch die Zentralisierung der Gerichtsgewalt am Königshof in London.

Sowohl in Deutschland als auch in England kam es aber im Laufe der Zeit zu einer starken Modifikation des Verfahrens.

In Deutschland geschah dies durch den starken Einfluss des sächsischen Zivilpro­

zesses, welcher erheblich mehr deutschrechtliche Prinzipien bewahrt hatte, als die Kammergerichtsordnung. Beide Verfahren verschmolzen im Folgenden zum ge­

meinrechtlichen Prozess, der als Mischform aus römisch-kanonischem und säch­

sischem Verfahren im Reich587 und in den Territorien galt.

In England entwickelte sich das Verfahren nach Common Law weitgehend unbe­

rührt von äußeren Einflüssen. Schon ab dem 13. Jahrhundert entstand als Folge der Ungerechtigkeiten, die sich aus dem starren Common Law-Verfahren ergaben, die Equity als eigenständige Billigkeitsrechtsprechung des Königs, bzw. der Chancery mit eigenständigem Verfahren. Common Law und Equity existierten in der Folgezeit parallel, ohne einander erheblich zu beeinflussen. Das Verfahren in Equity wurde allerdings bis ins 17. Jahrhundert vom römisch-kanonischen Pro­

zess, der über den Court of Admiralty im englischen Recht Einzug gehalten hatte, beeinflusst. Zur gegenseitigen Beeinflussung der Verfahren kam es hingegen erst im 19. Jahrhundert, was in der Zusammenlegung der Gerichtszweige gipfelte.

b. Entwicklungen im Common Law-Verfahren

Im deutschen Recht wurde das Verfahren im 15. Jahrhundert dem römisch-ka­

nonischen Prozess angepasst. Die Klage wurde per Klaglibell erhoben und der Be­

klagte im Anschluss geladen. Das Klaglibell musste anfänglich den Anspruch in tatsächlicher Hinsicht nur individualisieren, später substantiiert darstellen, dies

586 Z.B. der Übergang bei der Ladung von der mannitio zur bannitio.

587 Gem. dem Jüngsten Reichsabschied von 1654.

zum Teil sogar in artikulierter Form. Erst unter sächsischem Einfluss wurde im gemeinrechtlichen Prozess die extreme Artikulierungspflicht wieder abgeschafft.

Allerdings musste die Klageschrift weiterhin alle klagebegründenden Tatsachen schlüssig und vollständig enthalten.

Anders gestaltete sich die Entwicklung im Common Law. Dort erfolgte die Ein­

leitung des Verfahrens mittels eines Writs, eines königlichen Befehls, den An­

spruch zu begleichen oder vor Gericht zu erscheinen. Insoweit stellte das Writ gleichzeitig Klage und Ladung dar. Die entscheidende Besonderheit lag in der Tatsache, dass das Writ nicht die prozessuale Geltendmachung eines materiell­

rechtlichen Anspruchs darstellte, wie in Deutschland das Klaglibell. Im Common Law folgte der materiellrechtliche Anspruch der prozessualen Geltendmachung.

D.h., ein Anspruch konnte nur eingeklagt werden, wenn es ein passendes Writ gab, unter dessen abstrakte Voraussetzungen sich die Tatsachen des konkreten Falles subsumieren ließen. Insofern enthielt das Writ zwar einen Tatsachenvor­

trag, aus diesem ergab sich aber nicht der Anspruch. Die Klage hatte nur Aussicht auf Erfolg, wenn die Tatsachen zum abstrakten Wortlaut des Writs passten. Dies führte verstärkt zu Problemen, als die Möglichkeit, neue Writs auszustellen, 1258 erheblich beschränkt wurde.

Der Tatsachenvortrag im Writ hatte somit nur für die prozessuale Durchsetzung des Anspruchs Bedeutung und informierte den Gegner darüber, um welchen Streit es ging. Die eigentliche Sachverhaltserörterung fand erst mit den Pleadings statt.

Die Pleadings waren hochformalisierte und präzise Parteivorträge, die äußerlich in ihren Anforderungen an die artikulierten Vorträge im deutschen Prozess er­

innern.

Diese Ähnlichkeit beschränkt sich jedoch auf Äußerlichkeiten, da Pleadings und Artikel unterschiedliche Ziele verfolgten. In den Pleadings klärten die Parteien untereinander, welche Tatsachen streitig waren und im Hauptverfahren einer Ent­

scheidung zugeführt werden sollten. Insoweit war der Inhalt der Pleadings nicht Entscheidungsgrundlage für das Gericht, sondern allenfalls ihr Ergebnis. Die Artikel im deutschen Verfahren hingegen dienten der Entscheidung durch das Gericht, über welche Tatsachen Beweis erhoben werden musste, indem nach Ab­

schluss der Parteivorträge festgestellt wurde, welche Punkte bestritten waren. So konnte das Vorbringen einer Partei im deutschen Verfahren auch gegen sie verwendet werden, da die Vorträge schon zur gerichtlichen Entscheidungsgrund­

lage wurden, wohingegen die Pleadings inhaltlich vom Gericht nicht zur Kenntnis genommen wurden; sie dienten ausschließlich der Information der Parteien.

Auf unterschiedliche Weise waren somit die Parteien Herren des Verfahrens. Sie entschieden, welche Tatsachen vorgetragen oder bestritten wurden. Für die Rechtsfindung hingegen war in beiden Ländern das Gericht zuständig. Die Be­

weiswürdigung hingegen nahmen im deutschen Verfahren Berufsrichter, im Com­

mon Law-Verfahren Geschworene vor. Die Verhandlungsmaxime galt genauso wie der Dispositionsgrundsatz in beiden Systemen. Allerdings blieb der englische Kläger an das Writ und das daraus folgende Verfahren gebunden. Stellte sich im Prozess heraus, dass der Anspruch mit Hilfe eines anderen Writs hätte geltend ge­

macht werden müssen, scheiterte die Klage unter dem erworbenen Writ.

Beide Verfahren neigten zu jener Zeit zu verstärkter Schriftlichkeit. Die Klageein­

leitung geschah durch ein Schriftstück, wobei das Klaglibell schon den ersten Sachvortrag darstellte, das Writ hingegen lediglich bedingter Ladungsbefehl war.

Der weitere Verfahrensablauf bewegte sich im Folgenden immer weiter vom Mündlichkeitsprinzip weg und zur Schriftlichkeit hin. Dies geschah in England

insbesondere durch die Protokollierung des Parteivorbringens und die Einführung der schriftlichen Pleadings. Auch in Deutschland wurde die Einreichung von Schriftsätzen und die Protokollierung der mündlichen Vorträge die Regel. Im ge­

meinrechtlichen Prozess des 17. Jahrhunderts wurde das mündliche Verhandeln praktisch abgeschafft.

c. Entwicklungen im Equity-Verfahren

Die Entwicklung des Equity-Prozesses verlief nicht so isoliert von äußeren Einflüssen wie die des Common Law-Verfahrens. Vielmehr öffneten sich im Equity-Prozess Einfalltore, durch die kontinentale und insbesondere römisch-ka­

nonische Einflüsse das Verfahren veränderten und prägten. Daher weist der Equi­

ty-Prozess auch größere Gemeinsamkeiten mit den deutschen Verfahren des 15.-17. Jahrhunderts auf.

Beide Verfahren wurden mit Hilfe eines Schriftsatzes (Bill of complaint und Klaglibell) begonnen, in dem der klägerische Tatsachenvortrag in (relativ) freier Geschichtserzählung dargestellt wurde. Der Tatsachenvortrag war auch nicht wie beim Writ in genaue Worte zu fassen oder einem bestimmten Formular anzu­

passen. Die Geltendmachung eines Anspruches in equity entsprach somit eher dem kontinentaljuristischen, materiellrechtlich geprägtem System als dem ak­

tionenrechtlichen Common Law. Worüber Beweis erhoben werden sollte, ent­

schied die Reaktion des Beklagten. Nur über die bestrittenen Tatsachen wurde Be­

weis erhoben. Im 17. Jahrhundert kam es zu teils erheblichen Verfahrens­

änderungen. So hatte der Kläger die Beweismittel bereits in der Bill of complaint anzugeben. Weiterhin musste er konkrete Fragen (Interrogatories) an den Beklag­

ten stellen, damit dieser zu qualifizierten Antworten auf konkrete Fragen ge­

zwungen wurde. Diese Interrogatories hatten die gleichen Wurzeln wie die Artikel im deutschen Verfahren, da sie von den Positionen des römisch-ka­

nonischen Verfahrens abgeleitet waren. Sie dienten dem Zweck, die streitigen Punkte schneller zu identifizieren.

Das Equity-Verfahren war dem deutschen Verfahren somit wesentlich ähnlicher als der Common Law-Prozess, zum einen, da es nicht aktionenrechtlich geprägt war, sondern einem Billigkeitsgedanken folgte, mithin dem materiellrechtlichen Verständnis ähnlicher war, zum anderen, da es wie das deutsche Recht römisch-kanonischen Einflüssen ausgesetzt war.

d. Gesellschaftspolitische Gründe für die zivilprozessualen Reformen

Gegen Ende des Mittelalters nahm der Humanismus starken Einfluss auf Europas Entwicklung. Ausgehend von den italienischen Universitäten entwickelten sich neue Vorstellungen von Wissenschaft, Gesellschaft und Staat.

Im Rahmen dieser Strömung schwappte auch der römisch-kanonische Prozess von Italien nach Deutschland über. Das Recht, Recht zu sprechen, gewann zunehmend an Bedeutung, was dazu führte, dass die verschiedenen Gerichte zu konkurrieren begannen. Dies geschah zum einen durch das Bereitstellen eines fairen Verfah­

rens, zum anderen, indem man versuchte, die Zuständigkeit anderer Gerichte zu beschneiden.

Je weiter sich Europa auf den Absolutismus zubewegte, desto stärker bemächtigte sich der Staat auch des Zivilprozesses. In Deutschland geschah dies durch zunehmende Schriftlichkeit und Mittelbarkeit des Verfahrens. Auch wurde das ge­

samte Verfahren in berufsrichterliche Hände gegeben und die Urteiler abge­

schafft.588 Damit wurde das Recht aus den Händen des Volkes (in Person der Ur­

teiler) genommen und zum Monopol des Staates gemacht. Ferner wurde mit den Urteilern eine Garantie gegen staatliche Willkür abgeschafft.589

Diese Entwicklung zeigte sich im gemeinrechtlichen wie im sächsischen Prozess.

Die extreme Schriftlichkeit590 führte zu faktischer Nicht-Öffentlichkeit, sogar was die Parteiöffentlichkeit anbelangte, wodurch das Verfahren der Parteiherrschaft zunehmend entzogen wurde.

Diese Entwicklung hatte freilich nicht nur negative Folgen. Insbesondere Artiku­

lierungszwang und die Aufgliederung in Positionen, die sich als zu schwerfällig erwiesen, führten zu einer Umstellung des Rechtsdenkens von der Rechtsfindung hin zur Rechtsanwendung durch eine neue rationale und differenzierte Methodik der Rechtswissenschaft. 591

Die Entwicklung in England war dazu eher gegenläufig. Es kam zu keinem Kon­

kurrenzkampf zwischen einzelnen Gerichten. Statt dessen nahm die Chancery die einheitliche Rechtspflege in die Hand, indem sie versuchte, die Mängel des Com­

mon Law zu korrigieren. Das Recht blieb jedoch im Wesentlichen in der Hand der Common Law-Gerichte, die keinen paternalistischen Anspruch entwickelten, son­

dern sich auf eine Art Schiedsrichterfunktion beschränkten. Die Urteilsfindung blieb in der Hand von Geschworenen. Verstärkte Schriftlichkeit betraf in erster Linie das Pleading-Verfahren, das ausschließlich von den Parteien betrieben wurde. Der Zugang zu den Gerichten und damit zum Recht hing davon ab, dass der Kläger selbst das richtige Writ auswählte. Die Verantwortung lag also aus­

schließlich bei den Parteien.

Etwas anderes gilt für die Equity. Diese war ja gerade aus einem Fürsorgege­

danken entstanden, nämlich, dass der König für Gerechtigkeit zu sorgen habe. In­

sofern nahm sich der Staat dieses Verfahrens auch stärker an. Das erklärt auch, warum sich insoweit größere Ähnlichkeiten zum deutschen Verfahren finden.

588 Vgl. Wieacker, S. 183

589 a.a.O.

590 Im gemeinrechtlichen Prozess handelte es sich sogar um einen Aktenprozess, bei dem der Rich­

ter nur den Akteninhalt wahrzunehmen hatte (quod non est in actis, non est in mundo).

591 Vgl. dazu ausführlich Wieacker, S. 187 ff.

Im Dokument Writ - Claim form - Klage (Seite 79-83)