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EuGVÜ/EuGV-VO

Im Dokument Writ - Claim form - Klage (Seite 127-131)

D. Aktuelle Entwürfe für ein neues Zivilprozessrecht im Rechtsvergleich Die steigende Zahl transnationaler Geschäftsbeziehungen und daraus folgend auch

III. EuGVÜ/EuGV-VO

Einen dritten Weg stellen. Konventionen dar, die die Zuständigkeit, Zustellung sowie Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile regeln.

Dabei bleibt es bei den nationalen Zivilprozessordnungen. Diese werden nur in in­

ternationalen Fällen, wie immer diese auch definiert werden, von den einschlä­

gigen Konventionen modifiziert. Bekannteste und erfolgreichste Beispiele hierfür sind das EuGVÜ, sowie sein Nachfolger EuGV-VO, LugÜ, und HZustÜ. Ein dem EuGVÜ weitgehend entsprechendes Projekt treibt die Haager Konferenz für in­

ternationales Privatrecht voran.

Hier soll das EGVÜ/ die EuGV-VO betrachtet werden.

1. Verfahrenseinleitung in EuGVÜ/EuGV-VO

Die Verfahrenseinleitung berührt das EuGVÜ/die EuGV-VO nur an zwei Stellen:

Zum einen bei der Rechtshängigkeit und im Zusammenhang stehenden Verfahren (lis alibi pendens),844 zum anderen bei der Anerkennung ausländischer Urteile, da das verfahrenseinleitende Schriftstück dem Beklagten „ordnungsgemäß und [...]

so rechtzeitig“845 bzw. „so rechtzeitig und in einer Art und Weise“846 zugestellt worden sein muss, dass er sich verteidigen kann.847

Obwohl beide Vorschriften die Verfahrenseinleitung nur streifen, sind sie von großer instruktiver Bedeutung für die Diskussion um eine einheitliche Verfah­

renseinleitung.

a. Das verfahrenseinleitende Schriftstück, Art. 27 Nr.2 EuGVÜ und Art. 34 Nr. 2 EuGV-VO

Nach Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ; Art. 34 Nr. 2 EuGV-VO muss dem Beklagten das einleitende Schriftstück zugestellt worden sein. Eine Definition des einleitenden Schriftstücks findet sich nur insoweit in der EuGH-Diktion, als dass es sich um das Schriftstück handelt, dessen rechtzeitige Zustellung den Beklagten in die Lage versetzt, seine Rechte vor Erlass einer vollstreckbaren Entscheidung im Urteils­

staat geltend zu machen.848 Eine genaue Definition ist auch nicht gewollt, bzw. nur insoweit, als sie dem Ziel der Vorschrift genügt. Die ratio legis ist der Schutz des Beklagten vor Urteilen, die in einem Verfahren ergangen sind, in dem er sich nicht verteidigen konnte.849 Daher muss das Schriftstück ein Verfahren einleiten, das zu einem Titel führen kann, der im Rahmen des EuGVÜ/der EuGV-VO an­

erkennungs- und vollstreckungsfähig ist,850 und es muss den Beklagten über „die Elemente des Rechtsstreits in Kenntnis“851 setzen.852

844 Art. 21 ff. EuGVÜ; 27 ff. EuGV-VO

845 Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ

846 34 Nr. 2 EuGV-VO

847 „Ordnungsgemäß“ wurde in der EuGV-VO gestrichen, so dass es nun nicht mehr darauf an­

kommt, ob die Zustellung ordnungsgemäß erfolgt ist, sondern ob sich der Beklagte in Folge des Zeitpunkts oder der Art und Weise der Zustellung nicht verteidigen konnte. Kropholler, Art. 34 Rn. 33

848 EuGH Hengst Import/Campese Slg. 1993 I, S. 2113 Nr. 19

849 Frank, S. 212

850 EuGH Klomps/Michel Slg. 1981, S. 1593

851 EuGH Sonntag/Waidmann Slg. 1993 I, S. 1963 Nr. 39

852 Frank, S. 213

Damit erfasst das EuGVÜ/die EuGV-VO alle Schriftstücke, die Verfahren nach nationalem Recht einleiten können, insbesondere auch deutsche Mahnbe­

scheide.853

Inhaltlich muss das Schriftstück einen Antrag enthalten, dem der Beklagte ent­

nehmen kann, was für eine Verurteilung ihm droht. Bei unbezifferten Anträgen ist es demnach erforderlich, dass der Beklagte die Größenordnung abschätzen kann.854 Des Weiteren muss das einleitende Schriftstück auch den Lebenssachver­

halt anführen, auf den sich der Anspruch stützt. Andernfalls könnte der Beklagte den Rechtsstreit nicht identifizieren.

Bei diesen Kriterien handelt es sich um die Bestimmung des Streitgegenstandes, der aufgrund des Regelungszweckes des EuGVÜ/der EuGV-VO autonom zu be­

stimmen ist. Dies entspricht auch weitgehend der Definition des EuGH855 zum Streitgegenstand im Sinne des Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGV-VO, wobei zu be­

achten ist, dass beide Normen unterschiedliche Regelungsziele verfolgen und da­

her nur bedingt vergleichbar sind. Der EuGH ist zu Art. 21 EuGVÜ der Ansicht,

„derselbe Anspruch“856 beinhalte bei autonomer Auslegung den gleichen Klage­

grund. Dieser umfasse den Lebenssachverhalt und die Rechtsvorschrift, auf die die Klage gestützt wird.857 Für den Streitgegenstand im Sinne des Art. 21 EuGVÜ/

Art. 27 EuGV-VO kommt es demnach nicht primär auf den Antrag an. Vielmehr muss beurteilt werden, ob zwei Verfahren bei wertender Betrachtung denselben Anspruch betreffen. Dabei soll es keinen Unterschied machen, ob Zahlung, oder negative Feststellung verlangt wird.858 Dies kann natürlich nicht für den Streit­

gegenstand im Sinne des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ/ Art. 34 Nr. 2 EuGV-VO gelten, da dabei gerade auch der Antrag von entscheidender Bedeutung ist.

Für den Inhalt des einleitenden Schriftstücks, wie ihn Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ/

Art. 34 Nr. 2 EuGV-VO bestimmen, kommt es demnach auf den Streitgegenstand an, der sich aus Antrag und dazugehörigem Lebenssachverhalt zusammensetzt, da es dem Beklagten nur dann möglich ist, seine Verteidigung vorzubereiten. Mehr als die Individualisierung des Streitgegenstandes ist jedoch nicht erforderlich.859 b. Entgegenstehende Rechtshängigkeit

Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGV-VO bestimmt die Wirkungen der Rechtshängigkeit für Klagen wegen desselben Anspruchs. Wie bereits ausgeführt, ist „derselbe An­

spruch“ autonom und weit auszulegen.860 Der Zeitpunkt, auf den abzustellen ist, war für Art. 21 EuGVÜ nach der jeweiligen lex fori des Gerichts zu bestimmen, bei dem die Klage anhängig gemacht wurde.861 Diesen Zeitpunkt regelt Art. 30 EuGV-VO nun positiv: Für die Frage der Rechtshängigkeit kommt es auf den Zeitpunkt der Einreichung der Klage an, soweit der Kläger alle Maßnahmen getroffen hat, damit das Schriftstück dem Beklagten unverzüglich zugestellt werden kann. In Systemen, in denen das Schriftstück erst dem Beklagten zuge­

853 EuGH Klomps/Michel Slg. 1981, S. 1593

854 Kropholler, Art. 27 Rn. 25

855 EuGH Gubisch Maschinenfabrik/Palumbo Slg. 1987, S. 4861, 4875; EuGH Tatry/Maciej Rataj Slg. 1994 I, S. 4275, Nr. 30; umfassend dazu Stafyla, S. 17 ff.

856 Art. 21 ff. EuGVÜ; 27 ff. EuGV-VO

857 EuGH Gubisch Maschinenfabrik/Palumbo Slg. 1987, S. 4861, 4875; EuGH Tatry/Maciej Rataj Slg. 1994 I, S. 4275, Nr. 30

858 EuGH Tatry/Maciej Rataj Slg. 1994 I, S. 4275, Nr. 30

859 Dies ergibt sich aus der Tatsache, dass der Mahnbescheid ein verfahrenseinleitendes Schrift­

stück im Sinne des EuGVÜ/der EuGV-VO ist. Vgl. EuGH Klomps/Michel Slg. 1981, S. 1593

860 Kritisch aus englischer Sicht: Cheshire and North, S. 252

861 EuGH Zelger/Salinitri Slg. 1984, S. 2397

stellt werden muss, kommt es jetzt auf den Zeitpunkt an, an dem die Klage der zu­

stellenden Behörde übergeben wurde, vorausgesetzt, der Kläger hat alles getan, damit das Schriftstück auch bei Gericht eingeht. Diese Neuregelung hat nicht nur für das englische, sondern auch für das deutsche Verfahren Bedeutung, da nach der bisherigen Rechtslage in beiden Ländern für das lis alibi pendens auf den Zeit­

punkt der Zustellung an den Beklagten abgestellt wurde. Die Regel der EuGV-VO hat den Vorteil, dass der jeweils frühstmögliche Zeitpunkt über die Rechtshängig­

keit entscheidet und es nicht darauf ankommt, wie lange die Weiterleitung des Schriftstücks dauert, solange der Kläger nur seinen Pflichten nachgekommen ist.862 Werden konkurrierende Verfahren an zwei Gerichte gebracht, muss das zweitangerufene Gericht sein Verfahren bis zu einer Entscheidung des erstange­

rufenen Gerichts über seine Zuständigkeit aussetzen, Art. 21 I EuGVÜ/

Art. 27 I GV-VO. Steht die Zuständigkeit des erstangerufenen Gerichts fest, er­

klärt sich das andere Gericht für unzuständig, Art. 21 II EuGVÜ/

Art. 27 II EuGV-VO.

2. Rechtsvergleichende Betrachtung

Das EuGVÜ/die EuGV-VO unterscheidet sich von den anderen dargestellten Pro­

zessordnungen und Entwürfen vor allem durch die Tatsache, dass es keine Pro­

zessordnung darstellt, die das gesamte Verfahren regelt, sondern ausschließlich in seinem Anwendungsbereich andere Prozessordnungen modifiziert. Daher kann und muss sich ein Rechtsvergleich hier auf die zwei Punkte beschränken, an denen das EuGVÜ/die EuGV-VO die Verfahrenseinleitung berührt.

Das einleitende Schriftstück im Sinne des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ/

Art. 34 Nr. 2 EuGV-VO muss ein Verfahren einleiten, das zum Erlass eines voll­

streckbaren Titels führen kann. Insofern deckt sich die Definition mit der deut­

schen Rechtslage bzw. ist notgedrungen weiter, als die ZPO es vorsieht, da das EuGVÜ/die EuGV-VO alle einleitenden Schriftstücke aus allen möglichen Rechtsordnungen erfassen will.

Inhaltlich ist es für das EuGVÜ/die EuGV-VO entscheidend, dass sich der Be­

klagte aufgrund des Schriftstückes verteidigen kann. Daher kommt es insoweit nur auf die Interessen des Beklagten an. Die inhaltlichen Anforderungen beschränken sich dementsprechend neben der immer erforderlichen Parteinäm­

lichkeit auf den Streitgegenstand. Dieser muss aus Antrag und Lebenssachverhalt bestehen, wobei es beim Antrag darauf ankommt, dass der Beklagte erkennen kann, in welcher Höhe ihm eine Verurteilung droht. Daher muss die ungefähre Angabe der Klagesumme erfolgen. Dies deckt sich im Ergebnis mit der deutschen und englischen Regelung. Allerdings liegen andere Regelungszwecke zu Grunde.

Im deutschen Recht ist die Angabe einer ungefähren Summe für die Streitwertbe­

stimmung863 unerläßlich. In England erfolgt danach die Einteilung in die verschie­

denen Tracks.864 Dabei handelt es sich jeweils um Vorschriften, die den Verfah­

rensablauf garantieren. Die zusätzliche Funktion des Beklagtenschutzes tritt dabei in den Hintergrund, zumal sich der Beklagte nicht darauf verlassen kann, dass das Gericht nicht über die Klägervorstellungen hinausgeht.865

862 Kropholler, Art. 30 Rn. 2

863 Die Angabe ist gleichermaßen für den Zuständigkeits-, Kosten- und Rechtsmittelstreitwert von Bedeutung.

864 S.o. B.III.2.a.aa.

865 Im deutschen Verfahren gilt das nur für den nach oben nicht begrenzten unbezifferten Klagean­

trag, im neuen englischen Recht ist das Gericht grundsätzlich nicht mehr absolut an den Antrag ge­

bunden. S.o. B.III.2.a.aa.

Bezüglich des Sachvortrages reicht für das EuGVÜ/die EuGV-VO die Angabe von Tatsachen zur Individualisierung des Streitgegenstandes aus. Auf substanti­

ierten umfassenden Vortrag kommt es nicht an. Es wäre auch kontraproduktiv, im Rahmen des EuGVÜ/der EuGV-VO engere Voraussetzungen zu schaffen, als dies nach den nationalen Rechten der Fall ist, da das EuGVÜ/die EuGV-VO alle ein­

leitenden Schriftstücke erfassen möchte.

Im Hinblick auf die Klagekonkurrenz ist einmal die weite Fassung des Streit­

gegenstandsbegriffes auffällig. Die autonome europäische Definition geht von einem sehr pragmatischen Standpunkt aus und lässt es demnach auf den Antrag im Einzelnen nicht ankommen. Dies ist vor dem Ziel, widersprüchliche Urteile zu vermeiden, verständlich. Sowohl die materielle Gerechtigkeit als auch die Pro­

zessökonomie sprechen für diesen weiten Begriff. Das deutsche Recht hingegen wählt einen sehr formalen Standpunkt. Nur soweit sich auch die Anträge decken oder zumindest einer der Anträge im anderen als Minus enthalten ist,866 greift

§ 261 III Nr. 1 ZPO. Das englische Recht wählt einen gänzlich anderen Weg und stellt die Entscheidung, ob eine anderweitige Rechtshängigkeit dem Verfahren entgegensteht, nach Forum-non-conveniens-Gesichtspunkten in das Ermessen des Gerichts.

Der pragmatische Ansatz des EuGH scheint der zu formalistischen deutschen Lö­

sung überlegen zu sein. Ein Vergleich mit dem englischen Recht ist ohne eine um­

fassende Betrachtung des Instituts Forum-non-conveniens nicht möglich.867

In Bezug auf den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit stellt Art. 30 EuGV-VO einen Fortschritt gegenüber dem EuGVÜ dar. Die Entscheidung der lex fori des ange­

rufenen Gerichts zu überlassen, wirkte eher hemmend auf die Vereinheitlichungs­

bestrebungen. Die nun gewählte Form verdient Beifall. Der frühstmögliche Zeit­

punkt wurde gewählt und die Fortdauer der Wirkungen hängt ausschließlich vom Verhalten des Klägers ab. Versäumnisse des Gerichts oder von Behörden können dem Kläger nicht zum Nachteil gereichen. Der Beklagte wird dabei auch nicht un­

angemessen benachteiligt. Die englische Regel zur Rechtshängigkeit ab Zustel­

lung im Rahmen des EuGVÜ ist damit hinfällig. Die Regelung der EuGV-VO ist dem deutschen Recht überlegen, da Versäumnisse des Gerichts nicht zu Nachtei­

len für den Kläger führen. Sofern die EuGV-VO anwendbar ist, ändert sich damit die deutsche Rechtslage. Es wäre wünschenswert, wenn auch die anderen Wirkungen der Rechtshängigkeit, insbesondere die Hemmung der Verjährung auf diesen frühen Zeitpunkt verlagert werden könnten. § 167 n.F. ZPO ist insoweit unbefriedigend, da auch ohne Verschulden des Klägers eine Klage möglicher­

weise nicht mehr „demnächst“ zugestellt wird. Art. 30 EuGV-VO scheint vor diesem Hintergrund auch sinnvoller als Art. 2.2.2.1 des Storme-Entwurfs, der eine absolute Drei-Monats-Frist festlegt.

866 Wie der Feststellungsantrag im Verhältnis zum Leistungsantrag.

867 Dies würde den Rahmen der Arbeit sprengen.

Im Dokument Writ - Claim form - Klage (Seite 127-131)