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C. Einstellungen der Bevölkerung zu migrationsbedingter Vielfalt

C.3 Rassistische Einstellungen und rassistische Diskriminierung

C.3.1 Rassistische Einstellungen

Um rassistische Einstellungen in der Bevölkerung zu mes-sen, wird in der Regel die Zustimmung zu rassistischen Aussagen abgefragt.253 Oft ist es aber schwierig, Aussa-gen zuzuordnen und zu interpretieren, besonders wenn nicht offener biologistischer Rassismus untersucht wird, sondern subtilere Formen von Abwertung aufgrund kul-tureller Unterschiede. Denn die Formulierungen sind oft vage und erlauben verschiedene Interpretationen. In der Regel bleibt offen, wie die Befragten bestimmte Formu-lierungen verstehen oder warum sie ihnen zustimmen (oder nicht).

Das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewalt-forschung an der Universität Bielefeld führt seit 2002 jährliche Studien zu gruppenbezogener Menschenfeind-lichkeit durch, die rechtsextreme Einstellungen in der Bevölkerung erheben. Darin wird Rassismus mithilfe von zwei Aussagen operationalisiert: „Aussiedler sollten bes-sergestellt werden als Ausländer, da sie deutscher Ab-stammung sind“ und „Die Weißen sind zu Recht führend in der Welt“.254 Der zweiten Aussage stimmte 2018/19 etwa ein Zehntel der Befragten zu (Zick/Berghan/

Einstellungen zu migra- tionsbedingter Vielfalt

255 Zwar könnten z. B. religiös begründete Kleidungsstücke theoretisch abgelegt werden, aus der Sicht der Betroffenen ist dies aber ggf. nicht ohne Weiteres möglich.

256 Zudem kann Rassismus auch von Angehörigen von Minderheiten ausgehen, die selbst von Rassismus betroffen sind. Beispiels-weise gibt es in Deutschland bei muslimisch sozialisierten Migrantinnen und Migranten antisemitische Einstellungen, vor allem bei jenen aus arabischen und nordafrikanischen Ländern. Eine zentrale Rolle spielen dabei der Nahostkonflikt und aus den Herkunftsländern importierte antisemitische Diskurse (Müller 2012; BMI 2017: 75–79, 194–204).

257 Wenn sich die Befragten auf einer vierstufigen Skala positionieren sollten, stimmten 10,6 Prozent der Aussage „eher“ oder „voll und ganz“ zu. Hatten sie auch eine Mittelkategorie („teils/teils“) zur Wahl, waren es 9,7 Prozent.

Info-Box 25 ‚Sichtbare Minderheiten‘ als von Rassismus Betroffene

Zentral für die Ideologie des Rassismus ist, dass Men-schen nach angeblich ‚natürlichen‘ Kriterien in ver-schiedene, klar voneinander abgrenzbare Gruppen eingeteilt und hierarchisiert werden (s. Info-Box 3 in Kap. A.1). Um eine Person einer solchen Gruppe zuzuordnen, werden in der Regel (wenn auch nicht zwangsläufig) Merkmale genutzt, die äußerlich sicht-bar und mehr oder weniger unveränderlich sind. Ins-besondere ein ‚nicht-weißer‘ Phänotyp spielt eine Rolle. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Grup-pe lässt sich aber z. B. auch an Kleidung, Haar- oder Barttracht festmachen, etwa bei orthodoxen Jüdin-nen und Juden oder MusliminJüdin-nen und Muslimen.255 In der englischsprachigen Diskussion werden daher häufig die Begriffe „people of color“ oder „visible

minority“ verwendet, um potenziell von Rassismus Betroffene zu bezeichnen.

Dabei sind die Einteilungen weiß/nicht-weiß oder sichtbar/nicht sichtbar nicht als binäre Kategorien zu verstehen, sondern vielmehr als Kontinuen: Wer als äußerlich abweichend wahrgenommen wird, hängt vom historischen und gesellschaftlichen Kontext ab.

Der Kreis derer, die als ‚weiß‘ gelten, kann sich mit der Zeit verändern. Und Rassismus kann auch phä-notypisch ‚weiße‘ Personen treffen. Auch durch die zunehmende ethnische Pluralisierung in Einwande-rungsgesellschaften wie den USA oder dem Vereinig-ten Königreich ist es immer schwerer zu bestimmen, wer als visible minority gilt (vgl. Song 2020).256

Mokros 2019: 70–71).257 Dabei ist die Zustimmung im Laufe der letzten zwanzig Jahre gesunken: Im Jahr 2002 bejahten das noch 16,4 Prozent, 2009 und 2010 jeweils 11,3 Prozent (Zick/Küpper 2011: 66).

Befragte in Ostdeutschland und Männer äußern ten-denziell etwas häufiger rassistische Einstellungen. Solche sind zudem in der niedrigen und mittleren Einkommens-schicht weiter verbreitet als unter Besserverdienenden.

Deutliche Zusammenhänge zeigen sich zum Bildungs-stand: Bei den Befragten mit maximal einem Hauptschul-abschluss ist die Zustimmung zu rassistischen Aussagen mit knapp 19 Prozent mehr als sechsmal so hoch wie bei jenen mit (Fach-)Abitur (knapp 3 %) (Zick/Berghan/Mo-kros 2019: 79–99; vgl. die Befunde in Kap. C.1 und C.2).

Auch andere Untersuchungen enthalten Fragen, die über rassistische Einstellungen Aufschluss geben. Im ESS (s. Info-Box 15 in Kap. A.2.3) wurden die Befragten 2002 und 2014 danach gefragt, unter welchen Voraussetzun-gen „jemand, der außerhalb von Deutschland geboren und aufgewachsen ist, nach Deutschland kommen und hier leben darf“. Dafür fanden es 2014 nur 3,6 Prozent

der Befragten „äußerst“ oder „eher“ wichtig, dass die betreffende Person eine weiße Hautfarbe hat. 2002 lag dieser Anteil mit 8,7 Prozent noch mehr als doppelt so hoch (Abb. C.16). Der weit überwiegende Teil der Befrag-ten – der im Zeitverlauf nochmals deutlich gewachsen ist – findet die Hautfarbe als Kriterium für diese Frage hingegen „äußerst unwichtig“.

Die Aussage, dass „gewisse Volksgruppen oder eth-nische Gruppen von Natur aus weniger intelligent [sind]

als andere“, bestätigte 2014 knapp ein Zehntel der Be-fragten. Die weit überwiegende Mehrheit lehnte diese Aussage ab (Abb. C.17). Die Zustimmung zu einer offen rassistischen Aussage ist damit im ESS ähnlich niedrig wie in der oben genannten Studie der Universität Biele-feld. Dass „gewisse Volksgruppen oder ethnische Grup-pen von Natur aus fleißiger [sind] als andere“, bestä-tigten allerdings fast vier von zehn Befragten. Hier ist die formulierte Aussage zwar eine positive, jedoch wird ebenfalls die Natur bemüht, um Differenz zu erklären.

Insofern kann diese Aussage als zumindest latent rassis-tisch angesehen werden. Ebenso sind fast vier von zehn

Befragten der Meinung, bestimmte Kulturen seien „viel besser als andere“ (Abb. C.17).258

Klassisch rassistische Meinungen – also die Vor-stellung, dass bestimmte Menschen von Natur aus minderwertig seien – werden in Umfragen also eher selten geäußert. Wird eine vermeintliche Ungleichwer-tigkeit von Gruppen subtiler formuliert, stimmen ihr jedoch nicht unerhebliche Teile der Bevölkerung zu.

Dabei werden anstatt angeblicher biologischer Unter-schiede kulturelle Merkmale genutzt, um Exklusion zu legitimieren. Diese kulturellen Eigenschaften werden als ebenso ‚natürlich‘ determiniert und somit unveränder-bar angesehen. Dies deutet darauf hin, dass rassistische Denkmuster in der Gesellschaft verbreitet sind, auch wenn sie nicht offen geäußert werden (vgl. Zick 2010:

5–6).259 Zugleich bleibt festzuhalten, dass die Mehrheit der Bevölkerung rassistische Aussagen ablehnt – seien sie nun offen rassistisch formuliert oder indirekt über Vorstellungen von einer natürlichen oder kulturellen Überlegenheit transportiert.

258 Man kann darüber streiten, ob diese Aussage zwingend als rassistisch zu interpretieren ist. Einerseits erfolgt hier eine Bewer-tung und Hierarchisierung. Andererseits ist diese nicht eindeutig als ‚natürlich‘ oder unveränderbar konstruiert; Kultur kann auch als wandelbar verstanden werden. Zudem ist der Begriff der Kultur sehr vage und allumfassend (s. Kap. C.2). In der Literatur wird das unterschiedlich gesehen: Ramos, Pereira und Vale (2020) deuten die Frage als Indikator für „kulturellen Rassismus“, die beiden anderen Fragen hingegen als Indikator für „biologischen Rassismus“. Für Pickel und Öztürk (2018) sind alle drei Variablen Indikatoren für „Ethnozentrismus“.

259 Auch Erhebungen zu spezifischen Ausformungen von Rassismus, etwa Antiziganismus, fördern zum Teil sehr hohe Zustim-mungswerte zutage; vgl. Decker/Kiess/Schuler 2020: 66; Zick/Berghan/Mokros 2019: 72–73.

260 Die Umfrage wurde online durchgeführt. Die Stichprobe ist nicht repräsentativ für die deutsche Bevölkerung, allerdings wurde durch Quoten eine ausgewogene Verteilung hinsichtlich Alter, Geschlecht und Bildungsstand erreicht. 18 Prozent der Teilneh-menden hatten einen Migrationshintergrund.

Wenn Gruppen bestimmte Eigenschaften bzw. Ste-reotype zugeschrieben werden, kann das ebenfalls auf rassistische Denkmuster hinweisen. Um solche impliziten Einstellungen zu Personengruppen zu erforschen, zeigten Veit und Yemane (2020) über 2.300 Personen verschie-dene, zum Teil digital manipulierte Porträtfotos mit acht verschiedenen Phänotypen.260 Die Teilnehmenden sollten die Attraktivität, Kompetenz und Sympathie der abgebil-deten Personen bewerten. In den Bewertungen zeigen sich nur sehr geringe Unterschiede: Schwarze Phänoty-pen wurden in Bezug auf Attraktivität und Kompetenz ebenso positiv bewertet wie nordeuropäische, bei der Sympathie sogar etwas positiver. Asiatische Phänotypen wurden dagegen als etwas weniger sympathisch und attraktiv bewertet, jedoch als ebenso kompetent wie nordeuropäische. Diese Ergebnisse überraschen: Speziell Fotos von Menschen mit schwarzem Phänotyp wurden über alle Dimensionen positiver bewertet als erwartet.

Die Autorinnen nennen als eine denkbare Erklärung, dass negative Haltungen gegenüber Schwarzen in 2002

2014

0% 20% 40% 60% 80% 100%

5,7 7,4 19,4 64,6

12,6 80,3

3,5

„Jetzt geht es um die Entscheidung darüber, ob jemand, der außerhalb von Deutschland geboren und aufgewach-sen ist, nach Deutschland kommen und hier leben darf. Wie wichtig sollten für diese Entscheidung – Ihrer Meinung nach – die folgenden Dinge sein: Dass die Person … eine weiße Hautfarbe hat?“

Anmerkung: Die Befragten wurden gebeten, ihre Meinung zu der o. g. Aussage auf einer Skala von 0 („äußerst unwichtig“) bis 10 („äußerst wichtig“) einzuordnen. Werte bis 1 wurden zu „äußerst unwichtig“ zusammengefasst, Werte von 2 bis 4 zu

„eher unwichtig“, Werte von 6 bis 8 zu „eher wichtig“ und Werte ab 9 zu „äußerst wichtig“. Abgebildet sind nur deutsche Staatsangehörige ab 18 Jahren. Werte unter 3 Prozent sind nicht ausgewiesen. Aufgrund von Rundungen können die Gesamt-summen von 100 Prozent abweichen.

Quelle: ESS 2020c; gewichtete Daten; eigene Berechnung; eigene Darstellung

äußerst wichtig eher wichtig teils/teils eher unwichtig äußerst unwichtig Abb. C.16 Haltungen zu weißer Hautfarbe als Voraussetzung für Zuwanderung 2002 und 2014 (in Prozent)

Einstellungen zu migra- tionsbedingter Vielfalt land möglicherweise weniger ausgeprägt sind als

bei-spielsweise in den USA (vgl. Veit/Yemane 2020: 18).261 Eine methodische Herausforderung bei der Unter-suchung rassistischer Einstellungen in der Bevölkerung ist der Effekt sozialer Erwünschtheit. Dieser bezeichnet die Tendenz, Fragen in Übereinstimmung mit sozialen Normen bzw. den antizipierten Präferenzen des Gegen-übers zu beantworten. Denn die meisten Menschen wol-len sich selbst in einem möglichst guten Licht präsen-tieren, um ihr Selbstbild und das Bild, das andere von ihnen haben, zu optimieren. Bei Umfragen können die Ergebnisse also dadurch verzerrt sein, dass die Befrag-ten nicht wahrheitsgemäß antworBefrag-ten, sondern so, wie es (ihrer Meinung nach) der sozialen Norm entspricht oder wie es der Interviewer oder die Interviewerin er-wartet (Bogner/Landrock 2015: 2–3). Bei politisch und gesellschaftlich sensiblen Themen wie Rassismus ist der

261 Dies widerspricht zum Teil den anderen Befunden, die in diesem Kapitel präsentiert werden. Die Zusammensetzung der Stich-probe könnte hierbei ebenso eine Rolle spielen wie Effekte sozialer Erwünschtheit (s. u.). Weitere Forschung müsste diesen Widersprüchen nachgehen.

262 Zudem scheint der Effekt sozialer Erwünschtheit bei höher gebildeten Befragten stärker auszufallen als bei niedriger Gebildeten.

Das könnte die enormen Unterschiede im Antwortverhalten nach Bildungsstand (s. o.) zum Teil erklären (s. auch die Befunde in Kap. C.1 und C.2).

263 Die Sozialpsychologie nutzt daher Verfahren zur Messung impliziter Vorurteile, u. a. den Implicit Association Test, der Reaktions-zeiten bei der Zuordnung von Begriffen misst; s. Fazio/Olson 2003.

264 Die US-amerikanische psychologische Forschung betrachtet in diesem Kontext auch das Phänomen der sog. Mikroaggressionen;

s. Sue et al. 2007; Wong et al. 2014.

Effekt sozialer Erwünschtheit besonders stark (s. Krumpal 2013),262 denn Rassismus ist gesellschaftlich weitgehend geächtet. Eine Zustimmung zu rassistischen Aussagen wi-derspricht also der gesellschaftlichen Norm, daher wird sie von den Befragten womöglich nicht offen geäußert.

Insofern ist zu vermuten, dass die Zustimmung zu rassis-tischen Aussagen in Umfragen eher unterschätzt wird.263 Der Zusammenhang zwischen rassistischen Einstel-lungen und entsprechendem Verhalten ist nicht linear:

Rassistische Haltungen führen nicht zwangsläufig zu rassistischen Handlungen; umgekehrt können Personen ohne dezidiert rassistische Einstellungen (bewusst oder unbewusst) rassistisch handeln.264 Befunde zur Verbrei-tung rassistischer Einstellungen beleuchten also nur einen Aspekt der Verbreitung von Rassismus in einer Gesellschaft.

Abb. C.17 Vorstellungen von natürlicher und kultureller Ungleichwertigkeit 2014 (in Prozent) Gewisse Volksgruppen oder

ethnische Gruppen sind von Natur aus weniger intelligent als andere.

Gewisse Volksgruppen oder ethnische Gruppen sind von Natur aus fleißiger als andere.

Bestimmte Kulturen sind viel besser als andere.*

0% 20% 40% 60% 80% 100%

38,6 61,4

9,6 90,4

38,7 61,3

Anmerkung: Abgebildet sind nur deutsche Staatsangehörige ab 18 Jahren. *Die Frage lautete: „Wenn Sie an die Welt von heute denken, würden Sie dann sagen, dass bestimmte Kulturen viel besser sind als andere oder dass alle Kulturen gleich gut sind?“

Quelle: ESS 2020c; gewichtete Daten; eigene Berechnung; eigene Darstellung ja nein

C.3.2 Nachweis von rassistischem