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C. Einstellungen der Bevölkerung zu migrationsbedingter Vielfalt

C.2 Einstellungen zu kultureller Vielfalt in der Einwanderungsgesellschaft

C.2.1 Kulturelle Bereicherung durch Zuwanderung

Will man die Einstellungen der Deutschen zur zunehmen-den kulturellen Diversität (s. Kap. A.1) untersuchen, lässt sich dies auf eine Frage zuspitzen: Wird Zuwanderung eher als Bereicherung oder als Herausforderung der Ge-sellschaft gesehen? Danach fragt – in unterschiedlichen Formulierungen – sowohl der ALLBUS (s. Info-Box 22 in Kap. C.1) als auch der ESS (s. Info-Box 15 in Kap. A.2.3).

Deutsche sehen Ausländerinnen und Ausländer zunehmend als kulturelle Bereicherung

Der Anteil der Befragten, die Ausländerinnen und Aus-länder225 als kulturelle Bereicherung226 empfinden, ist von 1996 über 2006 bis 2016 stetig gestiegen: Im ALL-BUS stimmten dieser Aussage 1996 nur 36,3 Prozent zu, im Jahr 2006 waren es bereits 42,8 Prozent und im Jahr 2016 47,0 Prozent. Eine ähnliche Fragestellung im ESS be-stätigt diesen Befund: Dort gaben 2006 rund 49 Prozent der befragten Deutschen an, dass Zuwanderinnen und Zuwanderer das kulturelle Leben bereichern. Seit 2012 ist eine klare Mehrheit dieser Meinung (Abb. C.11).227

Zugleich machen die Daten des ESS deutlich, dass der aus den ALLBUS-Daten ableitbare Trend nicht unbedingt als lineare Entwicklung zu interpretieren ist: Der ESS wird im zweijährlichen Rhythmus erhoben; die häufige Mes-sung macht eine Auf- und Ab-Bewegung sichtbar, die wahrscheinlich von aktuellen politischen Entwicklungen oder Debatten beeinflusst ist. Die ESS-Daten zeigen aber auch, dass sich im Nachgang der Flüchtlingszuwande-rung ab 2015 die Stimmung nicht nachhaltig (negativ) verändert hat (vgl. SVR 2019a: 131–141). Vielmehr ist seit der Jahrtausendwende und insbesondere in den 2010er Jahren die Mehrheit der Bevölkerung der Ansicht, dass Zugewanderte bzw. Ausländerinnen und

225 Der ALLBUS verwendet seit 1994 den Begriff „Ausländer“. Ausländerinnen und Ausländer stellen nur einen Teil der Bevölkerung mit Zuwanderungsgeschichte – knapp über die Hälfte der Personen mit Migrationshintergrund besitzt die deutsche Staatsan-gehörigkeit (s. Kap. A.1.1). Dennoch ist anzunehmen, dass zumindest ein Teil der Befragten die Bezeichnung als Synonym für Zuwanderinnen und Zuwanderer oder Menschen mit Migrationshintergrund insgesamt versteht, zumindest sofern diese als zugewandert bzw. ‚fremd‘ identifiziert werden (s. Kühnel/Leibold/Mays 2013: 205).

226 Wie die Befragten hier den Begriff der Kultur interpretieren und an was sie dabei denken, bleibt offen.

227 Die durchgängig etwas höheren Zustimmungswerte im ESS dürften darauf zurückgehen, dass die Frage dort etwas anders formuliert ist: Im ALLBUS wurden die Teilnehmenden gefragt, inwieweit sie einer vorgegebenen Aussage zustimmen („Die in Deutschland lebenden Ausländer […] sind eine Bereicherung für die Kultur in Deutschland“). Im ESS sollten sie sich dagegen zwischen zwei gegensätzlichen Aussagen entscheiden („Würden Sie sagen, dass das kulturelle Leben in Deutschland im Allge-meinen durch Zuwanderer untergraben oder bereichert wird?“).

228 Dieser hohe Wert dürfte damit zusammenhängen, dass der Hinführungstext zu der betreffenden Frage im SVR-Integrationsbaro-meter den Blick auf die „seit einigen Jahrzehnten in Deutschland lebenden Migranten und ihre Nachfahren“ lenkt (s. SVR 2018a:

13–14). Demgegenüber fragt der ALLBUS nach „in Deutschland lebenden Ausländern“, womit sich möglicherweise andere Vorstellungen verknüpfen. Zudem steht im SVR-Integrationsbarometer keine neutrale Mittelkategorie zur Auswahl; die Befrag-ten müssen sich also zwischen Zustimmung und Ablehnung entscheiden. Eine ablehnende Antwort geben rund 31 Prozent der Befragten im ALLBUS und 22 Prozent der Befragten im SVR-Integrationsbarometer.

Ausländer eine kulturelle Bereicherung bedeuten (vgl.

Ademmer/Stöhr 2018: 7–8). Noch positiver sind die Ein-schätzungen im SVR-Integrationsbarometer 2018: Hier stimmen knapp 80 Prozent „voll und ganz“ oder „eher“

der Aussage zu, die Migrantinnen und Migranten hätten Deutschland kulturell bereichert (SVR 2018a: 15).228

Betrachtet man die Ergebnisse nach soziodemografi-schen Gruppen, zeigt sich das bekannte Muster: Jüngere Befragte und Befragte mit höheren Bildungsabschlüs-sen sehen Zuwanderinnen und Zuwanderer tendenziell positiver als ältere und niedrig gebildete. Von den Be-fragten mit Abitur meinten 2016 63,1 Prozent (ALLBUS) bzw. 74,6 Prozent (ESS), Zuwanderinnen und Zuwanderer seien eine kulturelle Bereicherung. Diese Auffassung ver-traten von den Personen mit Volks- oder Hauptschulab-schluss nur 31,0 (ALLBUS) bzw. 44,0 Prozent (ESS), das sind rund 30 Prozentpunkte weniger. Allerdings ist gera-de bei gera-den beigera-den Gruppen, die generell eher skeptisch eingestellt sind, die Zustimmung im Zeitverlauf deutlich gestiegen (GESIS 2020; Czymara 2020).

Auch in den ostdeutschen Bundesländern lagen die Zustimmungswerte bei dieser Frage unter dem Durch-schnitt und sind in den letzten Jahren gestiegen. Eine Ursache dafür könnte die Kontakthäufigkeit sein: Der Zuwandereranteil in der Bevölkerung war in Ostdeutsch-land lange Zeit sehr klein, entsprechend hatten viele Menschen im Alltag kaum mit Zuwanderinnen und Zu-wanderern zu tun. Die Meinungen über Zugewanderte und die Einstellungen zu ihnen beruhen in einer solchen Situation vorwiegend auf Medienberichten, Informatio-nen aus zweiter Hand und ‚Hörensagen‘ (s. zum Bild von Musliminnen und Muslimen Pickel/Yendell 2016). Dies kann negative Vorurteile und Stereotype begünstigen.

In den letzten Jahren ist die Zahl der Einwanderinnen und Einwanderer in den ostdeutschen Bundesländern gestiegen (auch wenn ihr Anteil immer noch deutlich unter dem Niveau der westlichen Länder liegt); damit

Einstellungen zu migra- tionsbedingter Vielfalt haben auch die sozialen Kontakte zugenommen (s. u.).

Positive Alltagskontakte können helfen, Vorurteile abzubauen und Vielfalt zu normalisieren (Info-Box 23).

Kontakte zu Ausländerinnen und Ausländern im Alltag gestiegen

Im ALLBUS wird erhoben, ob die Befragten in den Be-reichen Familie, Arbeitsplatz, Nachbarschaft und Freun-deskreis Kontakt229 zu Ausländerinnen und Ausländern haben. Der Anteil der Befragten, die dies bestätigen, hat sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland in den letz-ten Jahrzehnletz-ten deutlich zugenommen (Abb. C.12). Bei-spielsweise gaben 1996 deutschlandweit rund 39 Pro-zent an, dass sie an ihrem Arbeitsplatz Kontakt zu in Deutschland lebenden Ausländerinnen und Ausländern haben; 2016 war es über die Hälfte. In der

Kontakthäu-229 Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht klar gesagt werden kann, was die Befragten darunter genau verstehen und welche Formen von Interaktion für sie als Kontakt gelten. Zudem fragt der ALLBUS explizit nach Kontakten zu Ausländerinnen und Aus-ländern, das SVR-Integrationsbarometer nach Kontakten zu Menschen mit Migrationshintergrund. In beiden Fällen ist denkbar, dass die Befragten Personen nicht richtig zuordnen, weil sie z. B. die Staatsangehörigkeit oder eine eventuelle Zuwanderungs-geschichte ihrer Nachbarinnen und Nachbarn nicht kennen.

figkeit bestehen aber weiterhin deutliche Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland: Über die Hälfte der westdeutschen Befragten hatte nach eigenen Angaben in der Nachbarschaft Kontakt mit Ausländerinnen und Ausländern, bei den ostdeutschen Befragten war es le-diglich ein Fünftel. Im Freundeskreis hatten zwei Drittel der Befragten in Westdeutschland Kontakt zu Auslände-rinnen und Ausländern, aber nur ein Drittel der Befragten in Ostdeutschland. Diese Unterschiede dürften vor allem damit zusammenhängen, dass der Ausländeranteil in der Bevölkerung in den ostdeutschen Bundesländern erheb-lich kleiner ist. Allerdings haben gerade in Ostdeutsch-land die Kontakte seit 1996 deutlich zugenommen. Bei-spielsweise hat sich der Anteil derer, die am Arbeitsplatz Kontakt mit Ausländerinnen und Ausländern haben, von knapp 14 auf rund 35 Prozent mehr als verdoppelt.

1996 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018

20%

40%

60%

80%

100%

0%

Abb. C.11 Wahrnehmung von Zuwanderinnen und Zuwanderern als kulturelle Bereicherung 1996–2018 (Zustimmung in Prozent)

Anmerkung: Die Fragestellung im ESS lautete: „Würden Sie sagen, dass das kulturelle Leben in Deutschland im Allgemeinen durch Zuwanderer untergraben oder bereichert wird?“ Ausgewiesen ist der Anteil der Befragten, die auf einer Skala von 0 (kulturelles Leben wird untergraben) bis 10 (kulturelles Leben wird bereichert) die Werte 6 bis 10 ausgewählt haben. Die Fragestellung im ALLBUS lautete: „Wie ist es mit den folgenden Aussagen über die in Deutschland lebenden Ausländer? Sie sind eine Bereicherung für die Kultur in Deutschland.“ Ausgewiesen ist der Anteil der Befragten, die auf einer Skala von 1 („stimme überhaupt nicht zu“) bis 7 („stimme voll und ganz zu“) die Werte 5 bis 7 ausgewählt haben. Abgebildet sind nur deutsche Staatsangehörige ab 18 Jahren.

Quelle: ESS, Czymara 2020; ALLBUS, GESIS 2020; eigene Darstellung European Social Survey (ESS)

Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS)

Der Arbeitsplatz ist ein wichtiger Ort für interkul-turelle Interaktion: Dort ergeben sich Kontakte oft von selbst; die Betroffenen haben meist wenig Einfluss dar-auf, mit wem sie zusammenarbeiten. Eine Betrachtung der verschiedenen Altersgruppen unterstreicht diese Be-deutung: Rund 70 Prozent der Befragten zwischen 18 und 60 Jahren hatten 2016 am Arbeitsplatz Kontakt zu Ausländerinnen und Ausländern. Bei älteren Menschen, die schon aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind, fällt dieser Begegnungsort weg: Von den über 60-Jäh-rigen hat nur rund ein Viertel am Arbeitsplatz Kontakt

230 Zudem machen relativ viele Befragte in dieser Altersgruppe hier keine Angaben, vermutlich, weil sie nicht mehr erwerbstätig sind.

231 Auch im eigenen Freundes- und Bekanntenkreis haben Jüngere deutlich häufiger persönliche Kontakte zu Menschen mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit: In der Gruppe der 18- bis 29-Jährigen gilt das für über 80 Prozent; bei den über 60-Jährigen dagegen sind es gerade einmal 40 Prozent.

zu Ausländerinnen und Ausländern (GESIS 2020).230 Dies könnte eine Ursache dafür sein, dass ältere Befragte kultureller Vielfalt häufig skeptischer gegenüberstehen, wie oben deutlich wurde (s. auch Kap. C.1).231 Ebenso zeigen sich Unterschiede nach Bildungsgrad: Höher Ge-bildete pflegen häufiger freundschaftliche Kontakte mit Ausländerinnen und Ausländern als jene mit niedriger Bildung. Diese Tendenz zeigt sich, wenngleich weniger ausgeprägt, auch bei den anderen Kontaktbereichen (GESIS 2020).

„Haben Sie persönlich Kontakte zu in Deutschland lebenden Ausländern? ... in Ihrer eigenen Familie oder näheren Verwandtschaft?; ... an Ihrem Arbeitsplatz?; ... in Ihrer Nachbarschaft?; ... in Ihrem sonstigen Freundes- oder Bekanntenkreis?“

Familie Nachbarschaft Arbeit Freundeskreis

0%

20%

40%

60%

80%

100%

West Ost West Ost West Ost West Ost

19,3 29,5 31,5

6,0 12,1 14,0

37,2 44,5

52,7

7,111,9 20,0

45,548,9 60,9

13,9 21,6

35,1

50,954,8 65,0

15,7 24,3

33,8

Anmerkung: Ausgewiesen ist der Anteil der Befragten, die die o. g. Frage für den jeweiligen Bereich mit „ja“ beantwortet haben. Abgebildet sind nur deutsche Staatsangehörige ab 18 Jahren.

Quelle: ALLBUS, GESIS 2020; eigene Darstellung 1996 2006 2016

Abb. C.12 Kontakte zu Ausländerinnen und Ausländern in verschiedenen Bereichen in West- und Ostdeutschland 1996–2016 (in Prozent)

Einstellungen zu migra- tionsbedingter Vielfalt

Info-Box 23 Die Kontakthypothese: Abbau von Vorurteilen durch Kontakt zwischen den Gruppen

232 Die Frage nach der Anpassung des Lebensstils wurde in zwei unterschiedlichen Zusammenhängen gestellt: einmal als Voraus-setzung für eine Einbürgerung (s. Abb. C.1 in Kap. C.1) und einmal als generelle Forderung an „die in Deutschland lebenden Ausländer“. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die letztgenannte Frage (Abb. C.13).

Persönliche Kontakte mit Zuwanderinnen und Zuwan-derern im Alltag sind ein zentraler Faktor für die Ein-stellungen zu dieser Bevölkerungsgruppe und die all-gemeine Einschätzung des Integrationsgeschehens.

So beurteilen in Deutschland ansässige Personen, die in ihrem Bekanntenkreis keinerlei Berührungspunkte mit Zugewanderten haben, das Integrationsgesche-hen deutlich negativer als Personen, die regelmäßig Kontakt zu Personen mit Migrationshintergrund ha-ben (SVR 2018a: 11–12).

Die sog. Kontakthypothese bezeichnet die Annahme, dass die Einstellung zu anderen Gruppen mit den sozialen Kontakten zu Angehörigen dieser Gruppen zusammenhängt. Sie geht zurück auf den Psycho-logen Gordon Allport (1954). Danach können Unsi-cherheiten in Bezug auf Einwanderung und Vorurteile gegen Menschen anderer Herkunft tendenziell durch Begegnungen abgebaut werden, in denen Menschen kulturelle Diversität persönlich erfahren (vgl. Pet-tigrew et al. 2011; PetPet-tigrew/Tropp 2006). Allerdings gibt es dazu auch widersprüchliche Befunde (s. z. B.

Jonas 1998). Tatsächlich führen Kontakte nicht auto-matisch zum Abbau von Vorurteilen. Damit sie dies tun (und nicht etwa Vorurteile verstärken), müssen verschiedene Voraussetzungen erfüllt sein. Beispiels-weise müssen sich die Beteiligten in einem gleich-berechtigten Austausch begegnen, etwa als

Kollegin-nen und Kollegen. Studien zur Wirkung persönlicher Kontakte sollten daher die tatsächlichen Kontakte erheben und diese nicht anhand von Zuzugszahlen schätzen. Zudem sollten sie auch die Qualität der Kontakte berücksichtigen.

Eine aktuelle Metastudie hat ergeben, dass die po-sitiven Effekte von sozialen Kontakten überwiegen (Pettigrew/Hewstone 2017). Auch das SVR-Integra-tionsbarometer zeigt, dass die Befragten das Integ-rationsklima deutlich positiver einschätzen, wenn sie häufig Kontakt zur jeweils anderen Gruppe haben (SVR 2018a). Die Kontakthypothese – im oben ge-nannten Sinn – kann somit als ein empirisch abgesi-cherter Befund der Forschung gelten. Entsprechend wird die Tatsache, dass Befragte in ostdeutschen Bundesländern zu migrations- und integrationspoliti-schen Themen tendenziell negativer eingestellt sind als Befragte in Westdeutschland, auch damit erklärt, dass sie im persönlichen Umfeld seltener Kontakt mit Zuwanderinnen und Zuwanderern haben (und entsprechend auch weniger Kontakt mit kultureller Vielfalt) (Weins 2011; in Bezug auf den Islam Pickel 2019: 86). Wenn Befragte in Ostdeutschland häufig persönlichen Kontakt haben, sehen sie das Integra-tionsklima dagegen ähnlich positiv wie vergleichbare Befragte in Westdeutschland (SVR 2018a: 11–12).

C.2.2 Wahrnehmung von