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3 Methodik der Elektronendichteanalyse

3.1 Theoretische Grundlagen der Röntgenstrukturanalyse

3.1.1 Röntgenbeugung an Einkristallen

Die Methode der Röntgenbeugung an Einkristallen wurde erstmals im Jahre 1912 von dem Physiker Max von LAUE an Kupfersulfatkristallen durchgeführt.123,124 Hierbei wurden die Interferenzerscheinungen genutzt, die aus der Wechselwirkung zwischen Röntgenstrahlen und dem Kristallgitter resultieren.125,126 Kristalle sind Festkörper von kleinsten Bausteinen (Atomen, Ionen oder Molekülen) mit dreidimensionaler-periodischer Anordnung von kleinsten Bausteinen in Raumgittern. Deren interatomare Abstände in den Größenbereich der Wellenlänge von Röntgenstrahlen fallen.127–129 Wird ein solches Gitter mit dem Gitterabstand d mit monochromatischer Strahlung der Wellenlänge  bestrahlt, so können Interferenzerscheinungen, im speziellen Beugung, beobachtet werden. Ihr Zustandekommen kann gedeutet werden, wenn von jedem Punkt des Gitters kohärente kugelförmige HUYGENS-Sekundärwellen als Streuwelle derselben Wellenlänge emittiert werden. Je nach Einfallswinkel , Ausfallswinkel  und dem Gitterabstand d wird ein sogenannter Gangunterschied  hervorgerufen. Für eine konstruktive Interferenz muss der Gangunterschied ein ganzzahliges Vielfaches (n) der Wellenlänge sein. In diesem Fall wird im Beugungsbild ein Reflex beobachtet. Insgesamt ergeben sich nun drei Atomreihen im dreidimensionalen Raum, an welchen Röntgenstrahlen gebeugt werden können. Für eine konstruktive Interferenz gelten die LAUE-Gleichungen:

𝑎 cos 𝜇 + 𝑎 cos = 𝑛 

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Anhand der drei Punkte im Gitter kann eine Netzebene definiert werden, an welcher eine solche Beugung stattfindet. Die Netzebene wird mittels der Miller-Indizes (hkl) definiert.

Eine Netzebene schneidet nach der Definition die a-, b- und c- Achse der Elementarzelle mit den Achsenabschnitten 1/h, 1/k, und 1/l. Der von ihr ausgehende Reflex wird mit den hkl-Indizes benannt. Bei der Betrachtung der Beugung an den Netzebenen kann mittels der BRAGG-Reflexion und der dazugehörigen BRAGG-Gleichung eine gleichwertige Erklärung für das Entstehen eines Reflexes gefunden werden. Ein Teil der Röntgenwelle wird auf der obersten Netzebene gebeugt und ein weiterer Teil auf der nächsten tieferliegenden Ebene. Auch hier gilt die allgemeine Bedingung für Interfenz, sodass die LAUE-Gleichungen durch die BRAGG-Gleichung ersetzt werden können.128,130

Abbildung 3-1 BRAGG-Reflexion einer ebenen Röntgenwelle an einer Netzebenenschar.

Das reziproke Gitter und die E

WALD

-Konstruktion

Für eine einfache mathematische Darstellung der Netzebenenscharen der resultierenden Reflexe wird sich der Darstellung eines reziproken Raumes bedient. Die Netzebenenschar wird als Punkt abgebildet, welcher aus dem Vektor, der mit der Richtung der Flächennormale und der Länge des Netzebenenabstandes, konstruiert wird. Die Basisvektoren der reziproken Achsen sind wie folgt definiert:

𝒂⃑ = 𝒃⃑ × 𝒄⃑

𝑽

𝒃⃑ = 𝒂⃑ × 𝒄⃑

𝑽

𝒄⃑ = 𝒄⃑ × 𝒃⃑

𝑽

3-4

3-5

3-6

- 79 - Hierbei ist V das Volumen der Elementarzelle. Der reziproke Netzebenenabstandsvektor d*, auch Streuvektor genannt, lässt sich durch die Koordinaten h,k,l darstellen. Das reziproke Gitter ist nicht nur für die übersichtliche Darstellung der Netzebenenschar nützlich, sondern in Kombination mit der sogenannten Ewald-Konstruktion auch für die Auswertung von Beugungsexperimenten von Nutzen. In Abbildung 3-2 ist die Ewald-Konstruktion dargestellt. Dabei sind die Vorgänge im realen Raum in schwarz und die Vorgänge im reziproken Raum grün abgebildet. Gezeigt wird, dass ein Röntgenstrahl im Punkt K unter dem Winkel  auf eine Netzebene mit dem Abstand d trifft und nach BRAGG

gebeugt wird. Wenn die BRAGG-Gleichung in Form von 3-7 umformuliert wird, lassen sich ein Kreis mit dem Radius 1/ und ein rechtwinkliges Dreieck gemäß der geometrischen Sinus-Definition konstruieren.

𝑠𝑖𝑛𝜃 = 𝑑 2

Die Gültigkeit der BRAGG-Gleichung für eine bestimmte Netzebene mit dem Abstand d bedeutet, dass der zugehörige Streuvektor d* auf dem EWALD-Kreis liegt. Alle auf der EWALD-Sphäre liegenden Punkte erfüllen die LAUE-Gleichungen und führen zu beobachtbaren Reflexen auf dem Detektor.

Abbildung 3-2 Die EWALD-Konstruktion. Schwarz: Vorgänge im realen Raum; grün: Vorgänge im reziproken Raum.

Strukturfaktor und Strukturlösung

Sowohl die LAUE- als auch die BRAGG-Gleichung beschreiben lediglich die Richtungen, in denen die im räumlich periodischen Gitter gebeugten Röntgenstrahlen konstruktiv interferieren. Die relative gemessene Intensität der verschiedenen Reflexe hängt von allen

3-7

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Atomen mit ihrem elementspezifischen Streuvermögen ab. Dieser physikalische Zusammenhang ist Gleichung 3-8 beschrieben.

𝐼(ℎ𝑘𝑙) = 𝐾 𝐼 𝐿 𝑃 𝐴 𝐸 |𝐹(ℎ𝑘𝑙)|

Dabei ist K der Skalierungsfaktor, I0 die Intensität des Röntgenstrahls, L der Lorentzfaktor, P der Polarisationsfaktor, A der Absorptionsparameter und E der Extinktionsfaktor. Der winkelabhängige Polarisationsfaktor P verrechnet die eventuelle Abnahme der Reflexintensität durch Polarisationseffekte.127 Die unterschiedlichen Zeiten, in welchen die Netzebenenscharen in einzelnen Reflexionsstellungen verbleiben, werden durch den Lorentzfaktor beschrieben.

Auf ihrem Weg durch den Kristall verlieren primäre und gebeugte Röntgenstrahlen durch unterschiedliche Absorptionseffekte an Intensität. Diese werden im Absorptionsparameter zusammengefasst. Durch die Erzeugung der gebeugten Sekundärstrahlen im Kristall erleidet der Röntgenstrahl ebenfalls einen Intensitätsverlust, welcher durch den Extinktionsfaktor verrechnet werden kann. Die für die gesamte Struktur resultierende Streuwelle wird Strukturfaktor F genannt. Der Strukturfaktor kann für jeden Reflex i mit dem Index hkl berechnet werden:

𝑭(𝐴𝑡𝑜𝑚 𝑖) = 𝑓 𝑒

Dabei ist fi der Atomformfaktor und  die Phasenverschiebung einer von der Atomsorte i ausgehenden Streuwelle bezogen auf den Ursprung der Elementarzelle.

Die gesamte Streuwelle resultiert aus der Summation für jeden Reflex hkl. Jeder Reflex enthält somit Informationen über die gesamte Elektronendichte (ED) des Kristalls, sodass folgender Zusammenhang gilt:

(𝐫) =1

𝑉 𝐹 ∙ 𝑒 ( )9

Gleichung 3-10 beschreibt den Zusammenhang zwischen der ED in der Elementarzelle und dem Strukturfaktor Fhkl. Der Ausdruck im Exponenten gibt die Phasenverschiebung der Atome relativ zum Ursprung der Elementarzelle an. Aus der gemessenen Intensität lässt sich die Amplitude |Fhkl2| der gestreuten Welle direkt ablesen, jedoch nicht die

9 r repräsentiert den Ortsvektor in der Elementarzelle.

3-8

3-10 3-9

- 81 - Phasenverschiebung des Strukturfaktors, da es sich hierbei um eine komplexe Größe handelt. Dieser Umstand wird oftmals als das Phasenproblem der Röntgenbeugung bezeichnet, welches mittels verschiedener Strukturlösungsmethoden gelöst werden kann.

Der Strukturfaktor selbst kann allerdings mittels einiger Näherungen berechnet werden.

Eine mögliche Näherung besteht in dem Independent Atom Model (IAM). Bei diesem Modell sind Atome unabhängig, neutral und sphärisch. Hierbei ist der sogenannte Atomformfaktor f0 eine spezifische Kenngröße für das jeweilige Atom und dessen Elektronendichteverteilung, welche einen direkten Einfluss auf das Streuvermögen der gebeugten Welle hat. Die Werte des Atomformfaktors ist für fast alle Atome und Ionen in den International Tables of Crystallography131,132 tabelliert. Der Strukturfaktor ist temperaturabhängig, weil die thermische Schwingung der Atome temperaturabhängig ist.

Die thermische Bewegung der Atome zur hat Folge, dass sich die Atome in der Realität nicht auf fixierten Positionen auf der Netzebene befinden, sondern mehr oder weniger starke thermische Schwingungen um die Nullpunktslage ausführen. Dieser Effekt wird durch einen zusätzlichen Faktor, den Auslenkungsparameter, beschrieben. Hierbei wird angenommen, dass jedes Atom isotrop schwingt, dass es also gaußförmig in alle Richtung gleich ausgedehnt ist. Allerdings kann eine Auslenkung nicht nur durch thermische Schwingungen verursacht werden, weshalb im Allgemeinen der anisotrope Auslenkungsfaktor Uij verwendet wird. Insgesamt wird die anisotrope Auslenkung der Atome mittels sechs Uij-Parameter beschrieben. Diese bilden ein für jedes Atom spezifisches Auslenkungsellipsoid (ADP) (engl.: anisotropic displacement parameter).127 Es wird nun jeweils auf Basis verschiedener Algorithmen aus den gemessenen Intensitäten |Fo(hkl)|2 eine Strukturlösung mit berechneten Strukturfaktoren |Fc(hkl)|

erstellt, die näherungsweise ermittelte Phaseninformationen enthalten. Diese Phaseninformationen werden dann jeweils auf die zugehörigen gemessenen Strukturfaktoren übertragen. Durch Fouriersynthese wird für jeden Punkt die entsprechende Elektronendichte durch die Funktion (r) beschrieben:

(𝒓) =1

𝑉 𝐹 𝑒 ( )

Den Maxima dieser Elektronendichteverteilung werden die entsprechenden Atompositionen der betreffenden Atome zugeordnet. Auf Grundlage dieser Werte wird dann eine Differenzfouriersynthese durchgeführt. Hieraus resultiert eine dreidimensionale Differenzelektronendichtefunktion, in welcher die Differenzelektronendichte zwischen Modelldaten und Messdaten sichtbar wird. Mit der Methode der kleinsten-Fehlerquadrate (engl.: least-squares-method) wird die Struktur schrittweise vervollständigt und optimiert.

3-11

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