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QUALITATIVE EIGENSCHAFTEN VON NS-GERMANISTIK – RELIGIÖSE LITERATURWISSENSCHAFT

LEITWISSENSCHAFT IN ERZIEHUNGSFRAGEN DES DEUTSCHEN VOLKES Bereits in ihren Anfängen in der WR stilisierte sich die deutsche Germanistik als

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deutschen Volksschicksale und Wesenskämpfe.“347 An anderer Stelle schrieb er, bezo-gen auf die ‚überwundene‘ Zeit der WR: „Das Eheleben der Fidschiinsulaner und die großen deutschen Volksschicksale standen grundsätzlich auf gleicher Stufe. An die Stelle dieser falschen Gleichberechtigung hat schärfste Wertung zu treten.“348

Für Fricke war es selbstverständlich, daß das „Bildungsziel der Universität“ nicht mehr „wesentlich in der Übermittlung von theoretischem Wissen“ bestehe, sondern

„vielmehr die Gesamterziehung aus der erlebten Wirklichkeit der Volksgemeinschaft zum künftigen verantwortlichen Dienst an der Volksgemeinschaft“ zu bewerkstelligen habe. Damit kam aber auch der reine Fachwissenschaftler, „der Nichts-Als-Gelehrte, der theoretische Mensch […] als Führer, Bildner und Erzieher des politisch-soldatisch-kameradschaftlichen Studenten zur Form des deutschen Menschen“ nicht mehr in Frage.349 Gefragt waren ab 1933 eben neue Praeceptores Germaniæ nationalsozialistischer Façon.

Bezüglich ihres Wertes für die ‚Volksbildung‘ sollte natürlich auch die Literatur bewertet werden. Mulot bspw. sprach sich 1934 für eine „Literaturgeschichte gemäß den Bedürfnissen und Notwendigkeiten einer nationalpolitischen Bildung“ aus. Sturm referiert das in der folgenden Weise:

1. „Nur die Dichtung hat einen Platz in der Schule, die den Charakter des Verpflichtenden in sich trägt.“

2. „Verpflichtenden Charakter hat eine Dichtung nur dann, wenn sie unmittelbar als Wertträger erscheint.“

3. Diese Werte erscheinen dann „als völkische Wertzusammenhänge“.

4. „Diese völkischen Wertzusammenhänge“ bestimmen völkisches Wesen, kurz: „Volk, Führer, Gott“.

5. „Alle völkischen Wirklichkeit aber ist schließlich gebunden an das Vorhanden sein eines völ-kischen Lebensraums.“

6. „Das politische Schrifttum muß mit Notwendigkeit zur eigentlich literaturgeschichtlichen Betrachtung führen […].“350

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Eng damit verwandt, sich als neue Führungswissenschaft zu gerieren, ist der pseudore-ligiöse Impetus der völkischen und nationalsozialistischen Germanistik. „Die Germani-stik im deutschen Reich hatte über das Volkstum eine deutsche ‚Ersatzreligion‘ im Sinn“,351 so Sturm, freilich keine mit den gängigen christlichen Denominationen in Einklang zu bringende und schon gar keine klar gefaßte. So beschrieb Langenbucher sie denn auch als „Durchbruch eines arteigenen religiösen Lebensgefühls außerhalb der Kirche und außerhalb der christlichen Lehre.“352

347 LINDEN 1933a: 59.

348 LINDEN 1933c: 340.

349 FRICKE 1933c: 29 (nach HOPSTER 1985: 121).

350 MULOT 1934: 476 (nach STURM 1995: 51sq.).

351 STURM 1995: 223.

352 LANGENBUCHER 1939: 186.

Volkstums- und Germanenmythos — Was bleibet aber, stiften die Dichter … — Dichtung. Volkstum und ‚Volksbildung‘

In diesen Kontext gehören auch die Germanenmythen und der nicht endende Verweis auf Opfer und Opfertod. Speziell WK I wurde in einer Weise gedeutet, daß die Niederlage als ‚Gewinn der Nation vom Schicksal gewollt‘ war: „Die Gefallenen wurden zu Märtyrern für das große Ziel, ihr Sterben sinnvoller Opfertod und inner-weltliche Erlösungstat.“353 Die Kategorien für dieses aus ‚Vorsehung‘ und ‚deutscher Wiedergeburt‘ bestehende Weltbild wurden dabei direkt aus dem nationalsozialisti-schen Inventar abgeleitet, die deutsche Germanistik verstand sich dabei oftmals als Erbverwalterin der deutschen und germanischen Tradition.

Den ‚Dichtern‘ kam in diesem Verständnis die Vermittlung zwischen Gemeinde und Göttlichem zu. Kraft ihres „priesterliche[n] Beruf[s]“ kommunizierten sie zwi-schen „Gottheit und Volkheit“.354 Koch bspw. führte in Dichtung und Glaube aus, wie der Dichter das „Bewußtsein seiner göttlichen Sendung“ erlange.355 Und wenn Mulot in überschwenglichem Lob auf Weinheber verwies, dann deshalb, weil es dessen Lei-stung sei, „den neuen Menschen zu bilden und zu verheißen, der den göttlichen Willen wiederum als Auftrag empfängt, die eigen Ordnungen aufs neue dem Dasein einge-prägt und in sich der Zukunft ein erneuertes, fortwirkendes Beispiel heroischen, volk-haft gerichteten Adels übermittelt. Damit erst ist der Mensch wieder endgültig einge-setzt als Ebenbild Gottes in den Herzraum des Volkes […].“356 Eine ähnliche ‚Dich-terzeugenschaft‘ hatte wohl auch Cysarz im Kriegsjahr 1941 im Sinn, als er seinen Auf-satz ‚Die deutsche Einheit im deutschen Schrifttum‘ mit dem Kapitel ‚Der Gang zur Erfüllung‘ abschloß und feststellte:

Geschlossen steht jederlei Schrifttum in der einen Gesamtfront. Wir Heutigen meiden den Wettlauf der Generationen, die Sonderung nach Ständen, die Betonung des Stamms als Stamms [sic], geschweige die Pflegung nur großstädtischer Verfeinerungen. […] In immer weiteren Be-reichen unserer Natur und Geschichte entdecken wir dieses unteilbare Gesamt. Viele beschwö-ren es lieber im winzigsten Endchen seiner wirklichen Wirklichkeit als in Würfen der freien Er-findung – diese können sich neben dem deutschen Geschehen seit 1914, 1933, 1938, 1939 nicht mehr wie zuvor behaupten.

Alles Schaffende sucht, alles Schaffende bezeugt die deutsche Einheit. Aus ihr haben unsere Besten gelebt; nun sind unsere Besten für sie zu sterben bereit. So besteht sie nunmehr ihre äu-ßerste Probe.357

Der ‚Dichtung‘ stand man ähnliche Fähigkeiten zu. Von Kindermann wurde in Des deutschen Dichters Sendung in der Gegenwart vorgebracht, die deutsche Dichtung sei ein

‚Führer‘ zu einer deutschen Kulturgemeinschaft, zur ‚deutschen Volksgemeinschaft‘.358 Für Wolfgang Herles ist daher „der zentrale Mythos nationalsozialistischer Germani-stik der vom Volkstum. Auf ihn beziehen sich die mythischen Subsysteme, in ihm ma-nifestiert sich die Aussage vom deutschen Wesen.“359 Auch die Literaturwissenschaft sollte anhand dieser Vorgaben neu ausgerichtet werden. Linden forderte eine „religiös gerichtete Literaturwissenschaft“, welche die „religiöse Idee des Nationalen“ berück-sichtigen sollte.360 Ähnliche Vorschläge finden sich bei Viëtor.361

353 VONDUNG 1973: 124.

354 KINDERMANN 1939b: 12.

355 KOCH 1940a: 43.

356 MULOT 1942b: 99sq. (nach STURM 1995: 82).

357 CYSARZ 1941: 443.

358 Cf. KINDERMANN (ed.) 1933: 123 und Abb. 8.

359 HERLES 1985: 401.

360 LINDEN 1933a: 8sq.

Volkstums- und Germanenmythos — Was bleibet aber, stiften die Dichter … — Dichtung. Volkstum und ‚Volksbildung‘

Abb. 8 Verlagsanzeige des Philipp Reclam jun. Verlags, Leipzig – Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Leipzig, 2. Juni 1933

(aus HAARMANN, HUDER & SIEBENHAAR [eds.] 1983: 238).

361 VIËTOR 1933.

Dichtung. Volkstum und ‚Volksbildung‘ — Schwarz oder weiß, nur nit grau … — Gute und schlechte Literatur(wissenschaften)

Letzten Endes war es der Nationalsozialismus selbst, der sich hinter der Maske dieser immer wieder geforderten Gottheit verbarg. Vondung assoziiert diese theistischen An-klänge mit magischem Denken:

Der Versuch, das imaginierte Realitätsbild zu verifizieren, zielt darauf ab, Macht über die Reali-tät zu erringen; er war getragen von dem magischen Glauben, absolute Macht über die Wirk-lichkeit sei möglich. Da jedoch die Realität dem magischen Bewußtsein nicht entsprach, wurde Gewalt angewendet, um das Ziel zu erreichen. Dichtung und Literaturwissenschaften, die sich als Instrumente der magischen Transformation verstanden, wurden so, wenn sie dieser Konse-quenz folgten, zu bloßen Vehikeln der Machtentfaltung mittels Gewalt.362

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