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DIE VERBINDUNG VON ‚AHNENPFLEGE‘ UND ‚AUSWECHSLUNG‘

3.9 DIE BÜCHERVERBRENNUNGEN

3.9 DIE BÜCHERVERBRENNUNGEN

Als am 10. Mai 1933 nach langer Vorplanung in so gut wie allen deutschen Universi-tätsstädten die Bücher von Alfred Adler bis Stefan Zweig ‚den Flammen übergeben wurden‘,238 waren daran auch Germanistikprofessoren und -dozenten beteiligt. Zu-mindest durch ihr Erscheinen bei den Verbrennungen legitimierten sie die Aktion, im Falle von Frank Schulz in Frankfurt sogar im Talar. Für Fricke (damals noch in Göt-tingen) und Naumann in Bonn ist verbürgt, daß sie eigens Brandreden verfaßten und hielten.239 Auch Nadler, Oppel, Viëtor, Panzer und Cysarz sollen als Redner aufgetre-ten sein.240 Der Bonner Ordinarius Rothacker war 1933 kurzweilig Leiter der Abteilung Volksbildung im Propagandaministerium und fungierte dabei als Goebbels Verbin-dungsmann bei der studentischen Aktion „Wider den undeutschen Geist“. Naumanns Äußerungen bilden dabei so genau den Geist der ‚neuen‘ Literaturwissenschaft ab, daß es sich lohnt, sie ausgiebig heranzuziehen:

Wir schütteln eine Fremdherrschaft ab, wir heben eine Besetzung auf. Von einer Besetzung des deutschen Geistes wollen wir uns befreien. […] Wir wollen die Bindung und die Reinheit den Edelmut der Gesinnung, die Unterordnung und Gliederung. So wollen wir es für unsere Herzen uns so wollen wir es auch für unser Schrifttum. […] Wir wollen ein Schrifttum, dem Familie, und Heimat, Volk und Blut, das ganze Dasein der frommen Bindungen wieder heilig ist. Das uns zum sozialen Gefühl und zum Gemeinschaftlichen erzieht, sei es in er Sippe, sei es im Be-ruf, sei es in der Gefolgschaft oder in Stamm und Nation. Das zum Staat erzieht und zum Füh-rertum und zur Wehrhaftigkeit, ein Schrifttum, das also im besten und edelsten Sinne politisch ist. Der Dichterbegriff muß sich wieder ändern.

Wir wollen den Literaten nicht mehr, wir wollen den verantwortlichen [sic], den Dichter. […]

So hatten wir früher Walther von der Vogelweide und seine Schüler, so hatten wir später Klop-stock und Hölderlin, Schiller und Kleist. Sie waren das lebendige Gewissen der Nation. Gott sei Dank: so haben wir heute Stefan George und Ernst Bertram. Einer oder einige können dieses Ziel nur immer erreichen, aber die andern mögen sich in Graden und Stufen hin zu ihnen ord-nen. Das Heilige wollen wir und das Heroische. Kühnheit wollen wir und Geist, so ist es ger-manische, so ist es deutsche Art. […]

Es wuchs auch schon ein neues Schrifttum heran, man möchte fast sagen: heimlich getragen von der neuen Bewegung. Die letzten Kapitel unserer akademischen Literaturgeschichten, wenn sie kühn und unvorsichtig genug waren, handeln bereits seit drei bis vier Jahren davon. Nicht immer waren die Gelehrten so instinktlos und rückständig wie man meist glaubt. […] Heil denn also dem neuen deutschen Schrifttum! Heil dem obersten Führer! Heil Deutschland!241

Zumindest bewies der Gelehrte Naumann im Mai 1933 den richtigen Machtinstinkt.242 Fricke sprach gar von einer „kopernikanische[n] Wende und Umprägung des Fühlens, Wollens und Denkens des sozialen, politischen und kulturellen Wertens.“243 Aber auch

238 Cf. BARBIAN 1993: 54–60.

239 Dazu HERMAND 1994: 99. Ausführlich FAUST 1983, SAUDER 1983 und VONDUNG 1985.

SAUDER 1985 thematisiert Goebbels’ Rolle als ‚Brandredner‘ in Berlin. Eine für Erlangen interessante Zusammenfassung stellt Verweyens reichlich verspätete Vorlesungsveröffentlichung (VERWEYEN 2000) dar, die u.a. von Wieses Rolle bei der Aktion „Wider den undeutschen Geist“ noch einmal an-reißt.

240 Klaus Briegleb (1990): Unmittelbar zur Epoche des NS-Faschismus. Frankfurt a.M., p. 131 (nach STURM 1995: 185sq.). Brieglebs Studie lag zur Erstellung vorliegender Arbeit nicht vor, Sturm schreibt, daß

„22 Redner von Bücherverbrennungen […] namentlich erwähnt“ werden.

241 NAUMANN 1933c (nach HAARMANN, HUDER & SIEBENHAAR [eds.] 1983: 202-204).

242 Cf. die Widmung in NAUMANN 1993b (Abb. 5).

243 FRICKE 1933d: 2 (nach VOSSKAMP 1985: 141).

Germanisten als Redner

Abb. 5 Verlagsanzeige der Metzlerschen Verlagsbuchhandlung, Stuttgart für Naumanns Aufsatzsammlung Wandlung und Erfüllung, 1933 (NAUMANN 1933b) (aus KETELSEN 1992: 83).

Germanisten als Redner — Wider den undeutschen Geist – Die Deutsche Studentenschaft — Seltener Widerstand

für die Mehrheit der weniger offensichtlich und aktiv Beteiligten darf man ein Einver-ständnis mit der von SA und Studenten durchgeführten Aktion ‚Wider den undeut-schen Geist‘ annehmen.

So verwundert es auch nicht, daß der von der Deutschen Studentenschaft in Ber-lin bereits am 13. April 1933 plakatierte Aufruf Wider den undeutschen Geist! sich wie ein Programm der Germanistik der kommenden Jahre liest.244 Diese Zwölf Thesen wurden bis Ende April in nahezu allen deutschen Universitätsstädten angeschlagen und in den Lokalzeitungen veröffentlicht. Bereitwillig druckte die Presse auch Artikel, die das Un-ternehmen rechtfertigen sollten. Die zur Durchführung der Aktion kursierenden provi-sorischen ‚Schwarzen Listen‘ wurden unter Führung von KfDK und Börsenverein überarbeitet,245 um als Leitfaden für öffentliche Bibliotheken zu dienen. Als Ergebnis konnte im Juli 1933 eine Liste der unerwünschten Literatur vorgelegt werden, die an vier Grundsätzen ausgerichtet war, wie Jan-Pieter Barbian schreibt:

Indiziert wurden erstens alle Schriften, die „Nation und Staat und ihre Einrichtungen verhöh-nen, verächtlich machen oder ihre sittlichen Grundlagen angreifen oder in Zweifel stellen“, zweitens alle Schriften, die „die Volksordnung und Volksgemeinschaft und ihre sittlichen Grundlagen angreifen und aufzulösen geeignet sind, die sich also im Besonderen auch gegen die rassisch-biologischen Voraussetzungen eines gesunden Volkstums richten“; drittens alle Schrif-ten, die die „christliche Religion und ihre Einrichtungen, den Gottesglauben und andere einem gesunden Volksempfinden heiligen Dinge verhöhnen, verunglimpfen oder verächtlich machen“;

und viertens das „Schrifttum der sogenannten Asphaltliteratur, deren Kennzeichen eine geistrei-chelnde bewegliche Intellektualität ist, die mit virtuoser Technik vorgetragen sein kann, aber in ihrer Standpunktlosigkeit ohne Bindungen an die Werte ist, auf denen das völkische, sittliche und religiöse Gemeinschaftsleben beruht, die auch um solche Werte nicht ringt, sich vielmehr in ihrer freischwebenden Intellektualität gefällt und so zur Verneinung aller Bindungen und Werte führt (Literatur des intellektuellen Nihilismus)“.246

Diese ‚Schwarze Liste‘ wurde im November 1933 von der Geschäftstelle des Börsen-vereins allen Verlegern der Belletristik mit dem Vermerk zugesandt, daß das „Angebot und der Vertrieb der unten genannten Werke aus nationalen und kulturellen Gründen nicht erwünscht ist und deshalb unterbleiben muß“.247 Im Gegenzug dazu wurden ab Dezember 1933 – zunächst unter dem Titel ‚Goldene Liste‘ – Empfehlungslisten mit völkischer und nationalsozialistischer Literatur zusammengestellt, an denen sich die Bibliothekare bei der Erneuerung der Bestände zu orientieren hatten.248

Bekannt wurde seinerzeit lediglich ein Fall von philologischem Widerstand gegen die Aktion „Wider den undeutschen Geist“ von seiten des jüdischen Theaterwissen-schaftlers Max Herrmann (1865–1944). Dieser erbat sich in einem Brief vom 01. Mai 1933 an das Preußische Kultusministerium eine einstweilige Beurlaubung bis zur Ent-fernung der Zwölf Thesen. Fricke erhielt am 11. September 1933 Hermanns Lehrstuhl,

244 Cf. Abb. 6. Zur tragenden Rolle der Deutschen Studentenschaft auch HARTSHORNE 21982: 56–68 und STRÄTZ 1983.

245 Beteiligt waren an dem zu diesem Zweck gebildeten ‚Arbeitssausschuß‘ auch die Deutsche Bibliothek in Leipzig, Vertreter des ‚Reichsverbands Deutscher Schriftsteller‘ sowie Repräsentanten des Verlags-, Sortiments- und Leihbuchhandels (cf. BARBIAN 1993: 63).

246 Vorbemerkung zu Schwarze Liste für öffentliche Büchereien und gewerbliche Leihbüchereien. Erzählende Literatur, Bundesarchiv Koblenz, R 56 V/70, fol. 9 (nach BARBIAN 1993: 64). Dazu auch BARBIAN 1993:

222–302.

247 Aus dem Schreiben vom 12. Januar 1934 an die Firma ‚Deutsches Leben und Sieben-Stäbe Verlag‘, Hamburg, Bundesarchiv Koblenz, R 55 /684, fol. 53 (nach BARBIAN 1993: 64).

248 Cf. BARBIAN 1993: 63.

Wider den undeutschen Geist – Die Deutsche Studentenschaft

Abb. 6 Wider den undeutschen Geist! – Plakat, 13. April 1933

(aus HAARMANN, HUDER & SIEBENHAAR [eds.] 1983: 241).

Seltener Widerstand — Der Frankfurter Goethepreis — Nationale und Volksdeutsche Schrifttumspreise

dieser wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo er starb.249 Die wenigen bekann-ten Beispiele von Widerstand und Ablehnung machen aber nur um so deutlicher be-wußt, wie groß die Zahl derer war, die das Vorgehen billigten: „Vertreter einer Buch-wissenschaft, Literaturhistoriker und Interpreten haben sich 1933 bereit erklärt, bei der Verbrennung von Büchern mitzuwirken. Ihre Beiträge waren nicht nur Reden. Auch bei den vorbereitenden Phasen der Aktion waren sie beteiligt.“250