• Keine Ergebnisse gefunden

Produktion der Mikrowellenkochgeräte in den USA (Statistical Abstract of the United States, US Department of Commerce Bureau of the Census)

Trotz dieses geringen Einflusses auf die Produktion von Mikrowellenkochgeräten war die Industrie nicht sonderlich glücklich über die steigende Besorgnis der Bevölkerung in den USA. Es war im Interesse der Industrie, Klagen und unsachliche Berichterstattungen unbedingt zu vermeiden. Als Ursache dieser Besorgnis sah die Industrie die unsachliche, aber amüsierende Berichterstattung in den Medien, die laut Industrie die naturwissenschaftlich ungebildete Masse unruhiger machte. Wenn die Masse „richtig aufgeklärt“ werden würde, so die Industrie, würde die Besorgnis über Mikrowellen verschwinden.166 Um mit dieser Aufklärungsarbeit zu beginnen, richtete das Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE) im Jahr 1972 das Committee on Man and Radiation (COMAR) ein. Die COMAR stellte Informationen über Mikrowellen der Öffentlichkeit zur Verfügung, insbesondere über den Einfluss dieser Wellen auf Menschen. Beispielsweise veröffentlichte die COMAR Stellungnahmen der Industrie zu bestimmten Themen, an denen die Öffentlichkeit interessiert war. Darüber hinaus korrigierte die COMAR unsachliche Berichterstattungen, indem sie entsprechende Veranstaltungen durchführte bzw. Drucksachen veröffentlichen ließ.167

Garantie gäbe, dass durch die Nutzung des Geräts kein Risiko entstehe. Ein Artikel in der Mai Ausgabe von 1983 der Organzeitschrift „Consumer Report“ widmete sich dem Thema Mikrowellenkochgerät und gab den Lesern Kauftipps. Siehe CR June 1976, S. 314 und 321; CR March 1981, S.132-133; CR May1983.

166 Osepchuk 1984, S.1220 und Osepchuk 1982, S.112. Damals gab es in jeder Ausgabe der Fachzeitschrift

„Microwave World“ eine Informationsecke „Education“ genannt. Daher lässt sich schließen, dass Aufklärungsarbeit damals als wichtig angesehen wurde.

167 Osepchuk 1996, S.120 und Osepchuk 1984, S.1215-1216. Neben der COMAR wurde im Jahr 1984 die Electromagnetic Energy Policy Alliance (Abk. EEPA, die heutige Electromagnetic Energy Association (EEA)) gegründet. Hierbei handelt es sich um einen Verein von Herstellern und Nutzern von Systemen und Produkten, die elektromagnetische Energie verwenden. Die Aufgabe der EEPA bestand darin, die strittigen Fragen zu beantworten, die im Zusammenhang von Missverständnissen und Ängsten vor nicht-ionisierenden Strahlungen entstehen können. Osepchuk 2001 und Osepchuk 1998, S.485.

6. Weltweite Verbreitung japanischer Mikrowellenkochgeräte 167

Die Stellungnahmen der COMAR basierten auf folgender Grundüberzeugung: Für nicht-ionisierende Strahlungen wie Mikrowellen existiert ein absoluter Schwellenwert168. Strahlungen unterhalb dieses Schwellenwerts stellen keine Gefahr für den Menschen dar. Zur Einschätzung des eventuellen Risikos durch Strahlen solle man die `harte´ Wissenschaft als Basis verwenden, und unbekannte Faktoren nicht berücksichtigen. Es sei Zeit- und Geldverschwendung, dass die Regierung Forschungen über den Einfluss schwacher Mikrowellen auf Menschen fördert, da sich früher oder später ohnehin mit hoher Wahrscheinlichkeit herausstellen würde, dass Mikrowellen harmlos seien.169

Seit Ende der 1970er Jahre weitete sich die Besorgnis der Bevölkerung von Hochfrequenzwellen auf Niederfrequenzwellen aus: Im Jahr 1979 wiesen die U.S.

amerikanischen Wissenschaftler Wertheimer und Leeper mit einer von ihnen durchgeführten epidemiologischen Studie auf die Korrelation zwischen Kinderleukämie und Hochspannungsleiter hin.170 Mit der Veröffentlichung dieser Studie begann die Bevölkerung, Hochspannungsleiter als potentielle Gefahr für die Gesundheit wahrzunehmen.171 Darüber hinaus war zu dieser Zeit von der Korrelation zwischen der Bestrahlung aus Computerbildschirmen (video display terminal, Abk. VDT) einerseits und Fehlgeburten, Hautausschlägen bzw. grauem Star andererseits die Rede. 172

Während mehrere – elektromagnetische Wellen ausstrahlende – elektrische Geräte kritisch eingeschätzt wurden, blieben andere derartige Geräte außerhalb des Ziels der Kritik.

Ein Beispiel dafür ist die Hyperthermie, mit der man damals begann, anhand von Mikrowellenbestrahlung Krebs zu behandeln.173 Krebspatienten neigen allgemein dazu, das Risiko am Krebs zu sterben, wesentlich höher einzuschätzen als das Risiko, durch Mikrowellenbestrahlungen irgendwelche eventuellen gesundheitlichen Schäden

168 Zur Definition des Worts Schwellenwert siehe Anhang 3.

169 Osepchuk 1982, S.110-111; Osepchuk und Petersen 1994, S.99 und 101. Allerdings waren nicht alle Mitglieder der IEEE dieser Auffassung. Die Society on Social Implications of Technology, die damals gerade innerhalb der IEEE gegründet worden war und in der Tradition des whistle-blowing stand, kritisierte die Auffassung der COMAR. Whistle-blowing ist in der deutschsprachigen Unternehmensethik ein wenig behandeltes Thema. Laut Klaus M. Leisinger entsteht Whistle-blowing aus einem Dissens zwischen Handlungsweisen im Unternehmen oder des Unternehmens und deren Beurteilung hinsichtlich Legalität und Legitimität durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Somit sind Whistle-blower Menschen, die sich im Unternehmen bemerkbar machen und dafür manchmal einen hohen Preis bezahlen müssen: In vielen Fällen werden sie als Lügner, als inkompetente Wichtigtuer oder gar als geistig verwirrt verleumdet und in ihrer wirtschaftlichen und sozialen Existenz geschädigt. Osepchuk 1996, S.122;

http://www.novartisfoundation.com/de/artikel/unternehmensethik/whistleblowing.htm (Letzter Zugriff am 01.04.2006).

170 Wertheimer und Leeper 1979.

171 Aimoto 1992.

172 Anonym 1981. Obwohl im Jahr 1981 die Regulierung elektromagnetischer Wellen aus Computerbildschirmen thematisiert wurde, kam es letztendlich zu keiner solchen Regulierung. Steneck 1985, S.130.

173 Miura 2004, S.184 und Kikuchi 1994, S.430. Krebszellen sterben bei einer Temperatur von 42,5 ºC, während normale Zelle erst bei einer Temperatur von 45 ºC sterben. Diesen Unterschied nutzt die Hyperthermie, indem sie versucht, durch Mikrowellenbestrahlung eine Temperatur der erkrankten Stelle zwischen 42,5 ºC und 45 ºC zu erreichen und dadurch nur die Krebszellen zu vernichten.

6. Weltweite Verbreitung japanischer Mikrowellenkochgeräte 168

davonzutragen. Daher wurde diese Krebsbehandlung anhand von Mikrowellenbestrahlung kaum oder nicht in Frage gestellt. Außerdem richteten die Medien wenig Aufmerksamkeit auf Strahlungen von Fernsehgeräten, Walkie-Talkie als Kinderspielzeug, elektrische Schienenfahrzeuge, Amateur-Funkkommunikation und transportable Radios.174

Über diese Besorgnisse in den USA zum Thema Mikrowellen wurde die Bevölkerung in Japan kaum informiert. Da in Japan nur sporadisch und selten darüber berichtet wurde, existierte eine solche Besorgnis in Japan nicht. Japanische Wissenschaftler begannen gerade zu dieser Zeit damit, Forschungen über den Einfluss schwacher Strahlungen auf Lebewesen in Angriff zu nehmen. Erst Anfang der 1990er Jahre begannen einige Bürger in Japan damit, den möglichen negativen Einfluss elektromagnetischer Wellen zu thematisieren.175

6.3 Erneutes Wachstum (Phase IV: 1982-1986)

Im Frühjahr 1982 fand die lange Stagnation ihr Ende. Der Verkauf von Mikrowellenkochgeräten ging wieder aufwärts, und die Inlandnachfrage erlebte bis zum Jahr 1987 ein radikales Wachstum. Dieses schnelle Wachstum war insbesondere auf das so genannte Sologerät zurückzuführen, ein einfaches Mikrowellenkochgerät ohne zusätzliche Funktionen (Abbildung 38): 1

76 Bislang hatten sich die japanischen Mikrowellenkochgerätshersteller auf die Entwicklung so genannter Kombigeräte konzentriert, bei denen Funktionen anderer Kochgeräte integriert waren. Dies basierte auf der Annahme, dass mit steigender Anzahl integrierter Funktionen das Mikrowellenkochgerät über mehr Verwendungszwecke verfügt und sich daher besser verkaufen lassen würde. Doch letztlich zeigte sich, dass diese Annahme nicht der Realität entsprach und das Mikrowellenkochgerät meistens weiterhin nur zum Aufwärmen von Lebensmitteln benutzt wurde.177 Nach langer Stagnationsphase erkannten einige Hersteller bzw. Ingenieure die Nachteile dieser Kombigeräte und schlugen vor, sich auf das ganz einfache Mikrowellenkochgerät ohne zusätzliche Funktionen – das so genannte Sologerät – zu konzentrieren.178 Dies war eine bedeutsame Abkehr der bisherigen Strategie der „High-Tech“nisierung des

174 Osepchuk 1994, S.169. Wie diese Beispiele zeigen, wurden manche Strahlungsquellen als riskant wahrgenommen und andere nicht. Dieses Phänomen wird anhand der heutigen Risikokommunikation wie folgt erklärt: Das Risiko, das Menschen einerseits wahrnehmen, und das Risiko, das andererseits ein Risikowissenschafter berechnet, sind oft nicht deckungsgleich. Menschen haben die Tendenz, eine Sache als riskant wahrzunehmen, wenn Situationen des Zwangs, der ungerechten Verteilung, der Fremdheit, der Unklarheit vorliegen wie bei sich widersprechenden Informationen. Kikkawa 2000, S.79.

175 E-Mail von Ōkubo (Bürgerinitiativ: Denjiha mondai shimin kenkzū-kai) vom 13. Mai 2005; E-Mail von Kakehi (Bürgerinitiativ: Gauß-Net) vom 12. Mai 2005.

176 Sōgō-kenkyū kaihatsu-kikō 1983, S.283.

177 Higo 1987 (Hrsg.), S.93 und TM 89, Dezember 1993, S.12.

178 Sōgō-kenkyū kaihatsu-kikō 1983, S.283. Zu dieser Zeit verkaufte sich dieses Sologerät schlecht, da seit Jahren kein neues Modell auf den Markt gekommen war.

6. Weltweite Verbreitung japanischer Mikrowellenkochgeräte 169

Mikrowellenkochgeräts. Zuerst brachte im Jahr 1982 die Firma Matsushita (Panasonic) ein simples Gerät zum niedrigen Preis von 54.800 Yen (ca. 445 DM) auf den Markt, das nur über die Aufwärmfunktion verfügte und daher extrem einfach zu handhaben war.179 Bei den Verbrauchern stieß das Gerät auf großes Echo. Daher verwundert es nicht, dass anschließend verschiedene Hersteller ein Sologerät für einen Preis zwischen 40.000 und 60.000 Yen (ca.

325 und 485 DM) auf den Markt brachten.180 Die Angebotspalette der Hersteller reichte damit vom preiswerten Sologerät bis hin zum teuren Kombigerät. Vor diesem Hintergrund boomte der Verkauf von Mikrowellenkochgeräten, sowohl im Inland als auch im Ausland. Neben dem Farbfernseher und dem Videorekorder wurde damit das Mikrowellenkochgerät Mitte der 1980er Jahre zur drittgrößten Einkommensquelle der Elektrogeräthersteller.181

Der Hintergrund dieses drastischen Wachstums der Nachfrage nach Mikrowellenkochgeräten bestand in den folgenden Veränderungen des japanischen Lebensstils.

Abbildung 38 Neues Sologerät (GS März 1984, S.5).

6.3.1 Änderungen von Essgewohnheiten und Tagesabläufen

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs nahm die Anzahl traditioneller Großfamilien in Japan ab, so dass entsprechend die Anzahl der Haushalte zunahm, in denen ein oder zwei Generationen lebten. Darüber hinaus nahm die Anzahl von berufstätigen, verheirateten Frauen zu.182 Diese Veränderungen verlangten von den Menschen mehr Flexibilität im Alltag. Das Mikrowellenkochgerät stellte Ihnen diese Flexibilität zur Verfügung.

Das Mikrowellenkochgerät bot erstens die Flexibilität, den Zeitpunkt des Essens zu

179 Sōgō-kenkyū kaihatsu-kikō 1983, S.284; GS März 1984, S.6 und 12.

180 NKS 8. September 1986 und NKS 21. Mai 1986.

181 NKS 14. Dezember 1984 und NKS 11. August 1986.

182 Satō 1983, S.8-12.

6. Weltweite Verbreitung japanischer Mikrowellenkochgeräte 170

variieren: Die Hauptmahlzeit der Japaner ist das Abendessen. Doch damals passierte es immer seltener, dass alle Familienmitglieder zusammen am Abend aßen. Denn in der Regel machten Väter bis tief in die Nacht Überstunden und Kinder gingen abends zur Nachhilfeschule, um sich für ihre Aufnahmeprüfungen vorzubereiten. In dieser Situation war das Mikrowellenkochgerät sehr praktisch, da zu jeder Zeit die Mahlzeiten für die einzelnen Personen schnell wiederaufgewärmt werden konnten.

Zweitens bot das Mikrowellenkochgerät in Verbindung mit neuen Techniken der Lebensmittelkonservierung die Flexibilität, den Gehalt bzw. die Vielfältigkeit des Essens zu variieren. Durch die Verbreitung des Gefriergeräts und des Kühlschranks wurde mehr und mehr Tiefkühlkost seit Ende der 1960er Jahre produziert. Im Jahr 1985 brachte darüber hinaus zum ersten Mal einer der größten japanischen Lebensmittelhersteller Fertiggerichte für das Mikrowellenkochgerät auf den japanischen Markt.183 Diese portionsweise verpackten Fertiggerichte werden im Mikrowellenkochgerät innerhalb weniger Minuten zubereitet. So kann jeder ohne großen Aufwand warm essen, was sie bzw. er gerade essen möchte. Die Kombination aus Fertiggericht und Sologerät passte gut zum damaligen Tagesablauf japanischer Familien, und die Nachfrage nach diesen Gerichten und den Geräten nahm entsprechend zu.184 So überschritt die Verbreitungsrate des Mikrowellenkochgeräts im Jahr 1987 die 50 %-Marke. Die Verbraucher prägten die neue Redewendung „chin-suru (Kling machen)“ 185, was so viel bedeutet wie „mit dem Mikrowellenkochgerät aufwärmen“.

In den USA befanden sich die Fertiggerichte für Mikrowellenkochgeräte bereits in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre auf dem Markt.186 Diesem Beispiel folgend wendeten sich die japanischen Mikrowellenkochgerätehersteller an japanische Lebensmittelhersteller, damit diese derartigen Fertiggerichte für Mikrowellenkochgeräte für den japanischen Markt zu produzieren. Jedoch zeigten zu diesem Zeitpunkt die japanischen Lebensmittelhersteller daran noch kein besonderes Interesse.187 Das hatte mehrere Gründe: Erstens besteht die traditionelle japanische Mahlzeit aus einem Hauptgericht und mehreren verschiedenen Beilagen, die getrennt auf verschiedenen kleinen Tellern serviert werden. Daher gingen die japanischen Lebensmittelhersteller davon aus, dass ein – dem amerikanischen TV-Dinner188 ähnelndes – japanisches Fertiggericht von Japanern nicht akzeptiert würde, weil Hauptgericht

183 Sharp 2002a.

184 NKS 8. September 1986.

185 Auch in den USA wurde das neue Verb „to microwave“ geprägt. In Deutschland wurde die Mikrowelle manchmal „schnelle Welle“ oder „Zauberwelle“ genannt. Exner 1989; Exner 1990; Anonym 1988.

186 Damals gab es bereits auf dem US amerikanischen Markt Tiefkühlfertiggerichte, zum Beispiel war das berühmte „TV Dinner“ sehr verbreitet. Dieses Tiefkühlgericht wird samt Aluminiumgefäß in den Backofen geschoben und gegessen wird direkt aus diesem Gefäß, sobald es fertig aufgewärmt ist. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass auch Fertiggerichte für Mikrowellenkochgeräte schnell von den amerikanischen Verbrauchern akzeptiert wurden. Taneya 1987, S.133; Higo 1987 (Hrsg.), S.275-276; CR September 1984.

187 Higo (Hrsg.) 1987, S.142.

188 Bezüglich TV-Dinner siehe vorherige Fußnote.

6. Weltweite Verbreitung japanischer Mikrowellenkochgeräte 171

und Beilagen alle auf einem einzigen Teller serviert würden.189 Zweitens waren Ende der 1970er Jahre die Lebensmittelhersteller der Ansicht, dass sich eine separate Produktion von Fertiggerichten ausschließlich zur Verwendung in Mikrowellenkochgeräten nicht lohnen würde, da mehr als die Hälfte aller japanischen Haushalte überhaupt kein Mikrowellenkochgerät besaßen. Die ersten Fertiggerichte für Mikrowellenkochgeräte, die im Jahr 1985 auf den japanischen Markt kamen, waren daher Tiefkühlfertiggerichte, die sowohl mit dem Mikrowellenkochgerät als auch mit dem Backofen aufgewärmt werden konnten.190 Der Lebensmittelhersteller, der 23 verschiedene Fertiggerichte für das Mikrowellenkochgerät zum ersten Mal auf den japanischen Markt brachte, schätzte den Umsatz im ersten Jahr auf zwei Milliarden Yen (ca. 20 Millionen DM). Wider seiner Erwartung lag der tatsächliche Umsatz doppelt so hoch. Vor dem Hintergrund dieses überraschenden Erfolgs begannen auch andere japanische Lebensmittelhersteller mit der Herstellung der Fertiggerichte für das Mikrowellenkochgerät, und schon bald gab es ein Angebot von über einhundert verschiedenen Fertiggerichten.191 Diese Fertiggerichte kamen insbesondere bei jungen Leuten192 gut an.

Unterstützt wurden diese oben erwähnten Flexibilitäten zusätzlich durch die Verbreitung der so genannten Convenience Store seit Ende der 70er Jahre in Japan. Der Convenience Store ist ein hochmoderner Tante Emma-Laden, der im Jahr 1977 zum ersten Mal in Japan eröffnete. Er ist nicht besonders groß, bietet aber von der Zahnbürste, über Getränke bis hin zu Lebensmitteln inklusive Fertiggerichten und Dienstleistungen (Post- und Kopierservice) fast alles an, was man für das tägliche Leben benötigt. Das besondere an diesen Convenience Store ist, dass sie von früh morgens bis spät abends geöffnet haben, oft sogar 24 Stunden. Diese Läden findet man überall in den Großstädten Japans und sie bieten zu jeder Tages- und Nachtzeit die Möglichkeit, verschiedene Gerichte, verpackt oder unverpackt, vor Ort oder zu Hause zu konsumieren. Denn diese Läden bieten sogar an, das Gericht direkt vor Ort im Mikrowellenkochgerät aufzuwärmen, so dass der Kunde sofort warm essen kann. Hier entstand ein zusätzlicher Bedarf für Mikrowellenkochgeräte.193

189 Thoms 1980.

190 Higo 1987, S.40 und Higo (Hrsg.), S.131-133.

191 Santa 1987, S.60 und NKS 8. September 1986. Der Inhalt einiger solcher Tiefkühlfertiggerichte für das Mikrowellenkochgerät unterschied sich nicht von bisherigen Tiefkühlfertiggerichten. Unterschiedlich waren bloß die Verpackungen, da die neuen Verpackungen für Mikrowellenerhitzung geeignet waren.

Später wurden auch Fertiggerichte entworfen, die extra für die Mikrowellenerhitzung gedacht waren. Heute gibt es Fertiggerichte für Mikrowellenkochgeräte nicht nur in der Form von Tiefkühlkost, sondern auch in Form von verpacktem und sterilisiertem Lebensmittel (retort pouch), die bei normaler Raumtemperatur aufbewahrt werden.

192 Bei den älteren Leuten dagegen kamen diese Fertiggerichte nicht immer gut an, da sie lieber traditionelle japanische Gerichte mochten als diese Fertiggerichte. Auch wenn die Fertiggerichte nicht den Geschmack der älteren Generation trafen, war das Mikrowellenkochgerät bei Ihnen beliebt. Sie verwendeten das Mikrowellenkochgerät weniger zum Aufwärmen der Fertiggerichte, sondern vielmehr zum Aufwärmen von Sake (Reiswein) oder für einen Teilabschnitt des gesamten Kochprozesses – beispielsweise das Garen eines Gemüses. Thoms 1980.

193 Die Mikrowellenkochgerätehersteller produzierten exklusiv für die Convenience Stores mehrere

6. Weltweite Verbreitung japanischer Mikrowellenkochgeräte 172

Nicht nur im Haus, sondern auch außer Haus veränderte sich die Eßgewohnheit der Japaner. Im Jahr 1971 eröffnete in Japan das erste Fastfood-Lokal McDonald. Um das Jahr 1980 herum boomten die so genannten Family Restaurants, die von früh morgens bis spät in die Nacht preiswerte warme Gerichte anboten, die eine Bandbreite von Geschmäckern trafen, von Kleinkindern bis hin zu älteren Leuten. 1

94 Die Family Restaurants sind Filialunternehmen, deren Lebensmittel in zentralen Küchen zubereitet und anschließend eingefroren wurden. Um diese tiefgekühlten Lebensmittel in Restaurants schneller servieren zu können, wurde das Mikrowellenkochgerät genutzt. Die Hersteller von Mikrowellenkochgeräten produzierten exklusiv für die Nutzung in den Family Restaurants neue Modelle.195

Wie oben beschrieben, ist es nicht umstritten, dass die Änderungen der Eßgewohnheit und Tagesabläufe die Verbreitung des Mikrowellenkochgeräts in Japan stark beeinflussten. Jedoch ist es nicht angemessen, die Verbreitung des Mikrowellenkochgeräts allein mit der Änderung der Eßgewohnheit zu erklären, wie es beispielsweise die Technikhistorikerin Barbara Orland die Verbreitung des Mikrowellenkochgeräts in der Bundesrepublik Deutschland in den 1980er Jahren allein mit der Veränderung der Tagesabläufe erklärte.196 Die Verbreitung des Mikrowellenkochgeräts war ein Phänomen, das durch die Interaktionen zwischen verschiedenen Akteuren realisiert wurde: Verbraucher, Magnetronhersteller, Hersteller elektrischer Haushaltsgeräte, Verwaltungsorgane, die die Mikrowellenleckstrahlung kontrollieren, Lebensmittelhersteller, die die Fertiggerichte für das

Modelle. Diese Modelle verfügten über eine doppelt so starke Leistung wie die Geräte für die normalen Haushalte, damit die Kunden nicht länger als drei Minuten auf ihr Gericht warten müssen. Da das Aufwärmen in den Convenience Stores ein kostenloser Service darstellte, sollten die Modelle für den Convenience Store möglichst preiswert sein. Daher handelte es sich bei diesen Modellen um Sologeräte ohne zusätzliche Funktionen. Santa 1987, S.57; Higo (Hrsg.) 1987, S. 79, 144 und 146.

194 Sharp 2002a.

195 Siehe Santa 1987, S.57; Higo (Hrsg.) 1987, S.79; Higo 1988. Bei diesen Modellen handelte es sich – wie bei den Modellen für die Convenience Stores – um Sologeräte mit besonders starker Leistung. Im Durchschnitt besitzt jedes dieser Famliy Restaurants zwei bis fünf Mikrowellenkochgeräte. Auch siehe Santa 1987, S.59-60.

196 Barbara Orland entwickelte die These, dass die meisten Geräte den Verbrauchern individuelle Handlungsspielräume eröffnen. Diese Handlungsspielräume können sowohl für eine weitere Technisierung sprechen als auch das Gegenteil bewirken. Als ein Beispiel solcher Geräte nennt sie das Mikrowellenkochgerät. Orland schreibt: „Die Mikrowelle, die schon in den fünfziger Jahren auf dem bundesdeutschen Markt auftauchte, passte zu dieser Zeit noch nicht in einen familiären Alltagsablauf, der sich um feste Mahlzeiten aller Familienmitglieder rankte. Erst die zersplitterten Tagesabläufe der 80er Jahre verhalfen diesem Gerät zu einer nennenswerten Verbreitung.“ Wie Orland beschreibt, entwickelte bereits im Jahr 1955 die Firma Deutsche Elektronik (eine im Jahr 1952 gegründete Tochtergesellschaft der Firma Bosch, später ging diese Tochterfirma in die Robert Bosch Elektronik GmbH auf) erfolgreich ein Mikrowellenkochgerät, das jedoch von den Verbraucher nicht akzeptiert wurde. Sicherlich spielte auch die Veränderung der Alltagsabläufe eine wichtige Rolle bei der Verbreitung des Mikrowellenkochgeräts in Deutschland in den 1980er Jahren. Aber wenn das Mikrowellenkochgerät keinerlei technische Entwicklung durchgemacht hätte, und den technischen Stand der 1950er Jahre hätte, d.h. 170 cm hoch, 340 Kg schwer und teuerer als ein kleiner PKW wäre, hätte es auch im Haushalt der 1980er Jahre sicherlich keinerlei Verbreitung gefunden. Siehe Orland 1998, S.284; NKS 1. Juli 1968; Anonym 1961, S.4.

6. Weltweite Verbreitung japanischer Mikrowellenkochgeräte 173

Mikrowellenkochgerät anboten, Lebensmittelverteiler, Lebensmittelhändler, Gastronomie, Plastikhersteller, die die Gefäße für das Mikrowellenkochgerät produzierten. All diese Akteure trugen durch ihre Interaktion dazu bei, dass es zur Verbreitung des Mikrowellenkochgeräts kam.

Die Struktur der Mikrowellenkochgeräthersteller veränderte sich durch die Interaktionen zwischen Verbrauchern, Magnetronherstellern und Herstellern elektrischer Haushaltsgeräte: Ursprünglich wurde das Mikrowellenkochgerät ausschließlich vom U.S.

amerikanischen Radargerät- und Magnetronhersteller Raytheon hergestellt. Seit Mitte der 1960er Jahre jedoch wurden die Hersteller elektrischer Haushaltsgeräte, die ein besseres Know-How bezüglich der Massenproduktion besaßen, zum Hauptproduzenten von Mikrowellenkochgeräten. Eine ähnliche Veränderung erlebten auch die Magnetronhersteller:

Obwohl der japanische Magnetronhersteller NJRC ein preiswertes, kompaktes Magnetron erfolgreich für die Mikrowellenkochgeräte im normalen Haushalt entwickelt hatte, zog sich NJRC später von diesem Geschäft zurück. Denn die Magnetrone der NJRC konnten mit den noch preiswerteren Magnetronen japanischer Hersteller elektrischer Haushaltgeräte nicht konkurrieren.

Parallel dazu entstand ein neues Netzwerk innerhalb der Industrie um das Mikrowellenkochgerät, und dieses Netzwerk entwickelte sich durch die Interaktionen der beteiligten Industrien: Beispielsweise begannen die Lebensmittelhersteller mit der Produktion von Fertiggerichten für das Mikrowellenkochgerät und hatten dadurch großen Umsatz. Das Netzwerk der Lebensmittelverteiler und -händler breitete sich überall dort in Japan aus, wo diese Fertiggerichte geführt wurden. Die Plastikhersteller begannen mit der Produktion von Gefäßen, die für die Mikrowellenerhitzung geeignet waren. Insbesondere machten auch die Hersteller von Klarsichtfolien große Gewinne.197

Darüber hinaus trug auch die Leckstrahlungskrise zur Veränderung des Mikrowellenkochgeräts, seiner Funktionen und seiner Gestalt bei, genauso wie die Nachfrage der Verbraucher und die harte Konkurrenz zwischen den Herstellern. Zu Beginn der 1980er Jahre stimmte das Preis-Leistungs-Verhältnis eines Mikrowellenkochgeräts. Dies beschleunigte die Nachfrage des Mikrowellenkochgeräts dramatisch.

6.3.2 Mikrowellenkochgerät als Unterhaltungsgerät?

Durch den Vergleich mit der Verbreitung von Spülmaschinen wird ein weiteres charakteristisches Merkmal des Mikrowellenkochgeräts deutlich. Als die Spülmaschine im Jahr 1968 auf den japanischen Markt gebracht wurde, begann gerade die Verbreitung des

197 Toyama 1987; Yamaga 1987; Kaneko 1987; Tsubaki 1987, insbesondere S.106; Higo (Hrsg.) 1987, S.107-130; http://www.asahi-kasei.co.jp/saran/motto/history/history.pdf (Letzter Zugriff am 22.09.2004).

6. Weltweite Verbreitung japanischer Mikrowellenkochgeräte 174

Mikrowellenkochgeräts im normalen Haushalt. Die Nachfrage nach Mikrowellenkochgeräten und Spülmaschine im Jahr 1968 betrug jeweils 50.000. Daher erwarteten Elektrogerätehersteller, dass sich beide Haushaltsgeräte im gleichen Tempo in japanischen Haushalten verbreiten würden. Die Spülmaschine kostete damals ca. 50.000 Yen (ca. 500 DM), was ungefähr der Hälfte des Preises eines Mikrowellenkochgeräts entsprach, und verkaufte sich in ersten zwei Jahren gut. Daher produzierten die meisten großen Elektrogeräthersteller198 in Japan die Spülmaschine. Einige dieser Hersteller richtete sogar neue Fabriken ein, in denen Spülmaschinen exklusiv produziert wurden.199 Wider der Erwartung der Hersteller stagnierte jedoch der Verkauf der Spülmaschine ab dem Jahr 1970.

Erst heute, nach dem Jahrtausendwechsel, zeichnet sich allmählich ab, dass die Spülmaschine auf dem japanischen Markt einen Durchbruch erzielt: Die Verbreitungsrate von Spülmaschinen in japanischen Haushalten lag im Jahr 2002 bei ca. 10 %. Im Vergleich zu Mikrowellenkochgeräten sind Spülmaschinen eine größere Erleichterung bei der Durchführung der täglichen Hausarbeit. Warum fand die Spülmaschine dennoch – ganz anders als das Mikrowellenkochgerät – keinen Durchbruch in Japan?

Vor dem Hintergrund der Verbreitung verschiedener, elektrischer Haushaltsgeräte in der Nachkriegszeit in Japan lässt sich feststellen, dass sich Unterhaltungsgeräte schneller verbreiten als praktische Haushaltsgeräte. Zum Beispielverbreiteten sich in Japan Schwarz-Weiß-Fernseher schneller als Kühlschränke und Waschmaschinen (Schaubild 4).

Auch in Deutschland zeigt die Statistik diese Tendenz: Vergleicht man ein Unterhaltungsgerät mit einem Haushaltsgerät, die beide fast gleichzeitig auf den Markt gebracht wurden und einen ähnlichen Preis hatten, neigen die Verbraucher dazu, sich ein Unterhaltungsgerät schneller als ein Haushaltsgerät anzuschaffen. Beispielsweise verbreitete sich in Deutschland in den 1920er bis 1930er Jahren das Radio schneller als die Bratröhre. Der Grund war, so die Technikhistorikerin Barbara Orland, dass das Radio von allen Familienmitgliedern benutzt wurde, während die Bratröhre nur von der Hausfrau verwendet wurde.200 Insofern ist der Nutzen eines Geräts nicht allein entscheidend für dessen Verbreitung.201

Dies lässt sich auch am Beispiel des Unterschieds zwischen der Verbreitung des Mikrowellenkochgeräts und der Spülmaschine in Japan erläutern202: Von der Spülmaschine profitiert nur die Hausfrau, während das Mikrowellenkochgerät alle Familienmitglieder nutzen – beispielsweise der Mann zum Aufwärmen des Sake (Reiswein), die Frau zum Kochen und die Kinder zur Zubereitung von Popcorn.203 Demnach weist ein Haushalt eher

198 Dies sind Hitachi, Matsushita-denki (Panasonic), Sanyo, Sharp, Toshiba und Mitsubishi-denki.

199 NKS 20. Januar 1970.

200 Orland 1998, S.283-284.

201 Meyer und Schluze 1990.

202 Eine derartige Erläuterung verwendete auch der Vertreter der Presseabteilung eines japanischen Elektrogeräteherstellers gegenüber der Verfasserin dieser Arbeit in einem Interview, das im Mai 2002 durchgeführt wurde.

203 Darüber hinaus wurden für die zögerliche Verbreitung der Spülmaschine noch zwei weitere Gründe genannt: Erstens ist die japanische Küche eng und bietet daher keinen Platz für die Spülmaschine. Zweitens