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Die Problematik von autobiographischem Impuls und literarischer Konzeption des Weiblichenund literarischer Konzeption des Weiblichen

Im Dokument Pasternak - Studien II (Seite 127-134)

2. Die Sophiologie in der frühen Schaffensphase

3.2. Die Problematik von autobiographischem Impuls und literarischer Konzeption des Weiblichenund literarischer Konzeption des Weiblichen

Für die mittlere Schaffensphase Pasternaks konstatiert die Forschungsliteratur ein aus lebensweltlichen Fakten des Dichters abgeleitetes ״Doppelbild der Frau“

(Döring 1973:97). Diese Engschließung zwischen Biographischem und Ästheti- schem birgt allerdings die Gefahr von Fehleinschätzungen bei der Deutung der literarischen Konzeption des Weiblichen dieser Schaffensperiode. Daher sei zu- nächst das Problematische eines solchen Ansatzes erläutert.

Im Mittelpunkt der biographisch orientierten Ansätze stehen die Ereignisse des Jahres 1930, d.h. die Trennung Pasternaks von seiner ersten Frau, Evgenija Pasternak, und der Beginn einer neuen Beziehung zu Zinaida Nejgauz. Beide Frauen werden in der Forschung als biographische Prototypen für Pasternaks di- chotomisches Frauenbild herangezogen, das seine Verkörperung in Vioroe roždenie (Die zweite Geburt), in den paarweise auftretenden Frauengestalten der Erzählprosa und zuletzt in den beiden weiblichen Gestalten des Romans Doktor Živago finden soll (so Döring 1973:98; vgl. auch Pasternak 1989:473,482; Pa- sternale, El. 1993:101). Für J.R. Döring verkörpert sich die ״noble, nicht provo- zierende Schönheit“ (Döring 1973:98) in Vtoroe roždenie in Evgenija Pasternak, was mit solchen autobiographischen Details wie Evgenijas Beruf als Malerin (vgl. Döring 1973:101), dem Motiv des durch die Trennung an der Frau schuldig werdenden Mannes (vgl. Döring 1973:104) oder dem Aufenthalt Evgenijas bei der Familie der Schwester Pasternaks, Josephine, am Schliersee von 1931 (vgl.

Döring 1973:105) belegt wird. Überhaupt bemüht man häufig die Auflösung der ersten Ehe, die der Trennung von Tonja und Živago im Roman zugrunde liegen soll1, um die Zuordnung Evgenijas als biographischen Prototypen für die Tonja- Gestalt des Romans zu begründen. Ebenso häufig dient als Argument in diesem Zusammenhang beispielsweise die Rückenverletzung der Mutter Evgenijas, die sich diese bei einem Sturz zuzieht, als sie dem Enkel ein Spielzeug vom Schrank reichen wollte, und an deren Folgen sie stirbt, was mit den Ereignissen im Roman und im Fragment Zapiski Patrika verglichen wird (vgl. Barns 1989:376; Paster- пак 1989:456). Eine Identifizierung des zuletzt in der Tonja-Gestalt verwirklich- ten Frauentyps mit Evgenija Pasternak scheint allerdings nicht gerechtfertigt, wenn man die Einschätzung Evgenijas durch Pasternak berücksichtigt, wie sie in seinen brieflichen Äußerungen manifest wird. Pasternak selbst charakterisiert seine Frau im Brief an M. Cvetaeva vom 25. März 1926 als einen ungestümen, verwöhnten Menschen (vgl. B:176) und betont im Brief an O. Frejdenberg vom

1 Elena Pasternak bemerkt dazu: Der B rie f Tonjas an Živago aus dem Ausland weise dieselbe Stilistik a u f wie der B rie f Evgenijas an Pasternak aus Berlin, wo sie sich nach der Trennung auf- hielt (vgl. Pasternak, El. 1993:102).

21. Oktober 1926 ihre Unabhängigkeit2 ihm gegenüber, was den Eindruck eines Schuldgefühls nicht zuläßt:

Я рад, что при мне, т.е. в мою бытность в Жениной истории, у нее есть, отдельно от меня, отрывок, к которому она будет возвращаться, и не исчерпает в воспоми- наньях. (В:207)

Ich freue mich, daß es zu meiner Zeit, d.h. während ich an Schenjas Lebensgeschichte teilhabe, einen Zeitabschnitt gibt, der von m ir unabhängig ist, an den sie immer wieder zurückdenken und den sie in der Erinnerung nicht ausschöpfen wird. (A:134)

Die in den Konventionen der patriarchalischen Gesellschaft verankerte Dämoni- siening ״gebildeter Frauen“ findet auch in der Einschätzung Hvgenijas seitens Pasternak im Brief an O. Frejdenberg vom 1. Juni 1932 ihren Niederschlag:

Но, Бог ей судья, в ней есть что-то совершенно непонятное мне и глубоко чужое.

[...] то вновь и вновь единственный моей целью становится, чтобы она была весе- ла, а для этого я должен говорить не то, что думаю, потому что она не терпит пре- кословий, и все это повторяется вновь и вновь и всегда мучит тем, что то чужое, что сидит в ней, совершенно расходится с ее внешним обликом и ее внутренней сутью в другие минуты, и все это так странно, что похоже на колдовство. (B:323f.) Allerdings hat sie ־ Gott ist ihr Richter - etwas m ir vollkommen Unverständliches und zutiefst Fremdes an sich. [...] ist stets von neuem all mein Sinnen und Trachten darauf gerichtet, daß sie fröhlich ist, dazu da rf ich aber nicht sagen, was ich denke, denn sie verträgt keinen Widerspruch, und das wiederholt sich stets von neuem und ist eine Qual, weil dieses Fremde, das in ihr steckt, in Widerspruch steht zu ihrem Aussehen und ihrem 2 Von den Zeitgenossen wird die von Evgenija selbst erstrebte Selbständigkeit, die ihren Beruf im Gegensatz zur Mutter Pasternaks nach der Heirat nicht der Familie opferte, oft negativ bewertet.

Vgl. Kunina: ״ Die häuslichen Pflichten aber waren nach und nach dennoch auf sie, die junge Hausherrin, übergegangen, so wie das bei jeder anderen Frau an ihrer Stelle gewesen wäre. Doch sie war eine Künstlerin, eine begabte Portraitmalerin! Deshalb mußte es für sie alles andere als verlockend sein, ihre Berufung der Familie zu opfern, wie das seinerzeit unter vergleichbaren Umständen die Mutter von Boris getan hatte, die hervorragende Pianistin Rosalia Pasternak, als sie die Frau des berühmten Malers Leonid Ossipowitsch Pasternak wurde. Jewgenija Wladimi- rowna dagegen machte das dichterische Talent ihres Mannes nicht zum ״Angelpunkt“ ihres ge- meinsamen Lebeas. [.״ ] Womit Jewgenija Wladimirowna gerade beschäftigt war, kann ich nicht sagen, er jedenfalls saß da und stopfte die Strümpfe des Söhnchens. Er, der große Dichter! War das vielleicht seine Aufgabe? [...]“ (Kunina 1994:115-117). Ähnliche Einschätzungen sind teils auch aus Konkurrenzdenken bei Zinaida Pasternak zu finden: ״Она всегда была бездеятельна ленива, и мне казалось, что она не обладает некакими данными для такой избалованно- сти. Мы были совершенно разными натурами, и то, что казалось белым мне, то она счи- тала черным.“ (Pasternak, Z. 1990:132; ״ Sie war immer untätig faul, und m ir schien es, daß sie keinerlei Voraussetzungen für solche Verwöhntheit besaß. W ir waren völlig verschiedene Natu- ren, und das, was m ir weiß schien, das hielt sie für schwarz.“ ). Vgl. ebeaso Čukovskij: .,[...]

Borja schmollt, sie [Zinaida, A.U .] hat ihn gegen mich aufgehetzt, oh, jetzt sehe ich, daß Pfastemak] mit dieser Frau noch weniger zu lachen hat als m it der ersten. Die war auch schon ein rechtes Juwel: Borja durfte bei ihr den Laufburschen spielen, sich um den Samowar kümmern, [.״ ]“ (Tschukowski 1994:267).

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inneren Wesen in anderen Augenblicken, und das ist so merkwürdig, daß es m ir wie He- xerei vorkommt. (A :I8 5 )

Pasternak führt hier Wesenszüge Evgenijas an, deren semantische Elemente wie das Unverständliche, Fremde, die Janusköpfigkeit und die Zauberei das Bild ei- ner ״ femme fatale“ ausmachen. Die Frau wird nicht als rein gut oder rein böse wahrgenommen, sondern es mischen sich hier die Komponenten von Attraktivität und Bedrohung, was zugleich den Doppelreiz von Anziehung und Furcht hervor- ruft.3 Pasternak bescheinigt Fvgenija Attribute, die den Merkmalen des oben ge- nannten Frauentyps und seinen unverkennbaren Idealisierungstendenzen zuwi- derlaufen. Abweichungen zwischen dem realen Prototypen und seiner literari- sehen Ausformung sind auch für den zweiten Frauentyp, der ״von einer unwider- stehlichen Anziehungskraft durchtränkten“ (Döring 1973:98) und mit dem Makel der Prostitution verbundenen Schönheit (vgl. Döring 1973:98), zu beobachten, für den Zinaida Nejgauz den Inbegriff darstellt. Als Argumente fungieren in die- ser Hinsicht häufig die Kaukasusreise (vgl. Döring 1973:117), die m.E. aber alle mit dem Weiblichen in der Frühphase korrelierten Merkmale trägt, oder Zinaidas Betätigung als Hausfrau4. Berührungspunkte mit der I^ra-Gestalt im Roman er- geben sich vor allem im Motiv der ״erniedrigten und beleidigten“ Frau5: Zinaida hatte im Alter von 15 Jahren ein Verhältnis zu ihrem Cousin N. Militinskij (vgl.

Pasternak 1989:594; Pasternak, Z. 1990:133,137; Pasternak, El. 1993:102). Je- doch zeichnet sich das Bild der Zinaida Nejgauz, das Pasternak in seinen briefli­

3 Vgl. nochmals den B rie f an O. Frejdenberg vom 1. Juni 1932: ״ Плоды этого дурацкого вое- питанья сказались в виде такой опасности, что я никогда не мог избавиться от суеверного страха за нее, тем более суеверного, чем дальше меня отталкивали некоторые ее проявле- нья. Последним случаем такой нежности, основанной на осужденьи, ужасе и испуге, бы- ли зимние месяцы, когда, как я повторяю, я опять было готов был пожертвовать ей не только собственным счастьем, но и счастьем и честью близкого человека, но на этот раз уже восстала сама логика вещей, и этот бред не имел продолженья.“ (B:324f.; ״ Diese idio- tische Erziehung beschwor Gefahren herauf, so daß ich mich niemals von einer abergläubischen Angst um Schenja frcimachen konnte, und diese Angst wurde um so abergläubischer, je mehr ihre Manifestationen mich abstießen. Zum letzten Mal kam cs in den Wintermonaten zu dieser auf M ißbilligung, Entsetzen und Schrecken gegründeten Nachgiebigkeit, als ich, ich wiederhole, er- neut kurz davor war, ihr nicht nur mein eigenes Glück zu opfern, sondern auch Glück und Ehre eines nahestehenden Menschen, aber diesmal rebellierte dagegen sogar die Logik der Dinge, und mein Wahn fand ein Fnde.“ ; А: 186)

4 Elena Pasternak setzt die m it der Küchenmetaphorik verbundenen Liebesgedichte aus Vtoroe roždenie in Beziehung zum Roman, d.h. zur Darstellung Laras während ihres Treffens mit Živago am Brunnen, die Zinaidas Erscheinung während des Sommers in Irpen’ entspreche (vgl.

Pasternak, El. 1993:101).

5 Vgl. Josephine Pasternak, die folgende Aussage ihres Bruders wiedergibt: ״ Weißt du, es ist meine Pflicht gegenüber Sina ־ ich muß über sie schreiben...Ich w ill einen Roman über dieses Mädchen ..Ein wunderschönes Mädchen, das auf die schiefe Bahn gerät...Eine verschleierte Schönheit in den Séparées von Nachtlokalen. Ihr Cousin, ein Gardeofifizier, fuhrt sie dorthin. Sie hat natürlich nicht die K raft, sich zu widersetzen. Sie war so jung, so unsäglich anziehend...“

(Pasternak. J. 1994:33)

chen Äußerungen prägt, durch eine so hochgradige Idealisierung aus, daß das Merkmal ihrer Erniedrigung nicht mehr erkennbar ist. Pasternak verbindet näm- lieh Zinaidas reale Erscheinung durch solche Merkmale wie Göttlichkeit, Tod und dem durch die lexem e сестра und жизнь gegebenen Verweis auf Sestra moja ־ žizn ' mit dem Weiblichkeitsmuster der frühen Schafifensphase6:

Любушка, прелесть моя неслыханная! Я знаю, что хотя я хуже Гаррика, и даже сравнивать ни с чем не смею твоей большой и истинной жизни с ним, но что твоя встреча со мною перемещает твою судьбу в какую-то более ей сужденную и более ее выражающую обстановку не благодаря мне, а той случайности, что с детства я поглощен тем самым, из чего ты вся соткана, тем настоящим, что условно и после многих видоизменений зовут мировой поэзией и что посвящено слушанью жизни и женщины в глубочайшей их первопородности, как воздух предназначен для пе- редачи звука. [...] И я знаю, что так, как я люблю тебя, я не только никого никогда не любил, но и больше ничего любить не мог и не в состоянии, что работа, и при־

рода, и музыка настолько оказались тобою и тобой оправдались в своем проис- хожденье, что - непостижимо: что бы я мог полюбить еще такого, что снова не пришло бы от тебя и не было бы тобою. Что ты такое счастье, такое подтвержде- нье давно забытой моей, моей особенной способности любить, такая разгадка все- го моего склада и его предшествующих испытаний, такая сестра моему дарова- нью, что именно чудесность этого счастья именно ты, невероятная, бесподобная, боготворимая (сколько лет прошло, и ты все-таки оказалась на свете! и я увидел тебя и пишу тебе и буду жить этим, немыслимо золотою этой жизнью с тобою, и умру с твоим именем на губах!), - именно ты своей единственностью даешь мне впервые чувство единственности и моего существования. (D :73f.)

Geliebte, meine Anmut unerhörte! Ich weiß, obwohl ich schlechter bin als G arrik, und sogar nicht wage dein großes und wahres Leben m it ihm m it irgendetwas zu vergleichen, daß aber dein Treffen mit m ir dein Schicksal in eine ihm angemessenere und ihm mehr Ausdruck verleihende Lage versetzt nicht dank m ir, sondern dank der Zufälligkeit, daß ich von Kindheit an in dasselbe vertieft bin, aus dem du ganz gewebt bist, jenem Wahr- haften, das man konventionell und nach vielen Modifizierungen Weltpoesie nennt, und das dem Hören des Lebens und der Frau in ihrer tiefsten Ursprünglichkeit gewidmet ist, wie die Luft dazu bestimmt ist, den Ton zu übertragen. [...] Und ich weiß, daß so, wie ich dich liebe, ich nicht nur niemals niemanden liebte, sondern auch vielmehr nichts lieben konnte und nicht in der Lage dazu war, daß sich die Arbeit und die Natur und die M usik so sehr als du selbst zeigte und sich durch dich rechtfertigte in ihrer Herkunft, daß es un- faßbar ist: in was könnte ich mich noch verlieben, was nicht wieder von dir käme und du wäre. Daß du ein solches Glück bist, solche Bestätigung meiner längst vergessenen, mei-6 Vgl. auch B rie f vom 14.5.1931, wo der Verweis a u f Bliznec v tučach durch die Lexeme спут- ник und близкая (=> близнец) gegeben ist: ״ Верю в тебя и всегда знаю: ты близкая спутни- ца большого русского творчества, лирического в годы социалистического строительства, внутренне страшно на него похожая, ־ сестра его. Это знаю всегда. И иногда - кажется, почти знаю, - не смею верить: этот спутник чудной тебя ־ я; могу нм быть, буду. Но вера в тебя постоянна.“ (D:32; ״ Ich glaube an dich und weiß immer: du bist eine enge Begleiterin des großen russischen Schaffens, des lyrischen in den Jahren des sozialistischen Aufbaus, innerlich ihm schrecklich ähnlich, seine Schwester. Das weiß ich immer. Und manchmal scheint es. weiß ich fast ־ wage ich nicht zu glauben: dieser Begleiter der Wundervollen, von dir, bin ich; ich kann er sein, ich werde. Aber der Glaube an dich ist beständig.44)

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пег besonderen Fähigkeit zu lieben, solche Enträtselung meiner ganzen Beschaffenheit und ihrer vorhergehenden Prüfungen, meiner Begabung solche Schwester, daß gerade die Wunderbarkeit meines Glücks gerade du bist, Unglaubliche, Unvergleichliche, Vergöt- terte (wieviel Jahre sind vergangen, und doch erschienst du auf der Welt! Und ich sah dich und schreibe dir und werde damit leben, mit diesem undenkbar goldenen Leben mit dir, und werde sterben m it deinem Namen auf den Lippen!), gerade du gibst mir durch deine Einzigartigkeit zum ersten M al das Geföhl der Einzigartigkeit auch meiner Exi- stcnz.

Die Verknüpfung Zinaidas mit den literarischen Konzeptionen des Weiblichen aus der frühen Schaffensphase stellt Pasternak dadurch her, daß er sie mit dem Bild der Mutter7 ־ das aus dem komplizierten Mutter-/Sohn-Verhältnis erwach- sende Konfliktpotential stellt m.E. einen Grund für die Hinwendung Pasternaks zur Literatur dar ־ verschmelzen läßt:

Родная моя, удивительная, бесподобная, большая, большая! [...] Я не знал, что пе־

ред разлукой с ней буду полон чем бы то ни было подобным тебе, ־ буду перепол- нен тобою, буду разливать тебя, упрощающую все до полного счастья, - все, чего касается твое влиянье, все, на что падает твоя волна. [...] Скоро я отсюда уеду. Да- вай запомним утро и обстановку и тишину дома в отсутствие О.С. и Е.И., которые наполняют его свой отлучкой в город так, точно наполняют его моими мыслями о них, моей благодарностью им и удивленьем перед ними, перед этими замеча- тельными женщинами, ставшими мне, если бы даже они этого не приняли, - ма- терью и сестрой. И все это ты, все это ты, все это ты! (D:23f. )

Meine Liebe, Bewundernswerte, Unvergleichliche, Große, Große! [...] Ich wußte nicht, daß ich vor der Trennung von ihr m it was auch immer dir Ähnlichem gefällt sein werde, überfüllt sein werde durch dich, ich dich verschütten werde, die du alles bis zum völligen Glück vereinfachst, - alles, was unter deinem Einfluß steht, alles, worauf deine Welle fallt. [...] Bald gehe ich weg von hier. Laß uns den Morgen und die Situation und die Stille des Hauses in Abwesenheit von O.S. und E.L nicht vergessen, die es erfüllten durch ihre Abwesenheit in der Stadt so, als ob sie es durch meine Gedanken an sie erfüllten, durch meine Dankbarkeit ihnen gegenüber und Erstaunen vor ihnen, vor diesen bemer- kenswerten Frauen, die m ir, wenn sie es sogar nicht bestätigen würden, Mutter und Schwester waren. Und das alles bist du. das alles bist du. das alles bist du!

Es scheint also durchaus gerechtfertigt, die lebensweltlichen Fakten und die künstlerische Konzeption des Weiblichen im damaligen Schaffen Pasternaks als zwei separate Strukturen zu betrachten, die nicht nur kaum Parallelität, sondern sogar entgegengesetzte Tendenzen aufzeigen. Das aus den biographischen Details fiir das Werk abgeleitete ,*Doppelbild der Frau44 entspricht nicht der künstleri- sehen Struktur zweier gegensätzlicher Merkmalskomplexe innerhalb eines an sich homogenen Bedeutungskomplexes des Weiblichen. Nicht zu leugnen ist eine Verstärkung des autobiographischen Impulses als Folge einer Anreicherung der Texte mit biographischen Daten. Doch werden diese im Werk zu einem Element

7 Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auf die Häufigkeit der Anrede Zinaidas in den Brie- fen Pasternaks m it мамочка oder родная.

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der künstlerischen Struktur , so daß es wohl eher zwingend ist, nach der poetolo- gischen Funktion des autobiographischen Impulses zu fragen.

Die Anspielungen auf die biographischen Details, die sich ja tatsächlich in den Texten finden, lassen sich m.F״ als eine Art intertextuelle Relation inter- pretieren, so daß dem Verfahren derartigen Zitierens eine Funktion zukommt, die mit den neuen poetischen Intentionen, mit dem. in den folgenden Kapiteln noch zu umreißenden Begriff des ״ Realismus“ Pasternakscher Prägung in Einklang steht. Verschwimmen doch etwa die Grenzen zwischen ästhetischem und außerästhetischem Bereich, wenn Pasternak in seinen Briefen an Zinaida Nejgauz auf die literarische Konzeption des Weiblichen in der frühen Schaf- fensphase Bezug nimmt (s.o.). Aber schon im Brief Pasternaks an A. Štich vom 18. Juni 1912, den er nach der Abreise Ida Vysockajas aus Marburg verfaßt, ma- chen sich derartige Tendenzen bemerkbar. Pasternak verknüpft seine Vorstellun- gen von Ida Vysockaja hier mit den traditionellen Weiblichkeitsmustem des 18.

Jahrhunderts, wenn er beispielsweise auf den Sturm und Drang verweist. Das Merkmal der jugendlichen Schwärmerei, das auch die naive, vergöttlichende Sicht auf die Frau im 18. Jahrhundert kennzeichnet, impliziert dabei die ironische Wendung ״ liebe Gymnasiasten“. Die Erwähnung des Sturm und Drang fungiert hinsichtlich der Motive больные und мечтатели als Intertextualitätssignal und weckt Assoziationen an weitere literarische Epochen im 19. und 20. Jahrhundert wie Romantik oder Symbolismus:

И она все та же, все та, которую знали вы, милые гимназисты, и потом Stūrmer’ bi и Dränger’ bi, и потом больные, и потом мечтатели, а потом и сами такие же, как и я. Это не открытка - что непринужденность горюющего в публичном саду. Я не могу сейчас отвечать тебе. Pereat mundus, fiat tristitia . Она была здесь, в замке.

Знаешь ли ты, что она как царевна. И из замка заметили ее появление. Meine Da- те , сказали ей там, Sie kamen in die Stadt, w ir sahen sie. Это не открытка для любо- пытных. это - бродяга в городском саду. (В:44)

Und sie ist immer noch dieselbe, dieselbe, die Ihr kanntet. Ihr lieben Gymnasiasten, dann auch Stürmer und Dränger und noch später Fiebernde und dann Träumer und schließlich die m ir selbst gleichen. Das ist keine Ansichtskarte - es ist die Nonchalance eines Trau- emden im Botanischen Garten. Ich kann D ir im Augenblick nicht antworten. Pereat ти п - dus fiat tristitia . Sie war hier, im Schloß. Weißt Du, daß sie wie eine Märchenprinzessin ist. Und aus dem Schloß heraus bemerkte man ihr Erscheinen. ״ Meine Dame“ , sagte man

Л

Vgl. in diesem Zusammenhang auch APfonsov 1990:160fl: ״ Среди книг Пастернака ,Второе рождение’ и вслед 1а тем ,На ранних поездах’ (1943) содержат больше всего стихов, со- хранивших очевидную связь с конкретными биографическими фактами. Но тем очевид- нее и процесс поэтического преображения: факты, реальные, бытовые, претворяются в ,лирическую истину’ непреходящего содержания, утверждают свое родство с ,вековым прототипом’ .“ (״ Von den Büchern Pasternaks enthalten ,Vtoroe roždenie’ und unmittelbar nach diesem ,Na rannich poezdach’ (1943) am meisten Gedichte, die eine offenkundige Verbindung zu konkreten biographischen Fakten bewahrten. Aber desto klarer ist auch der Prozeß der poetischen Umgestaltung: Reale, alltägliche Fakten werden in eine ,lyrische Wahrheit* eines unvergänglichen Inhalts umgebildet, bekräftigen ihre Verwandtschaft m it einem ,jahrhundertealten Prototypen’.“ ).

״ Sophiavs. ״gefallene Frau ” w </er mittleren Schaffensphase 133

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zu ihr, ״ Sie kamen gestern in die Stadt. W ir sahen Sie. Dies ist keine Ansichtskarte für Neugierige, sondern ein Vagabund im Stadtgarten, (nach E:77)

Auch Marina Cvetaeva wird im Brief Pasternaks vom 25. 3. 1926 durch die Refe- renz aus Sestra moja - žizn ״ sowie die Merkmale des Göttlichen und unbewußten Seelenlebens mit dem sophiologischen Grundmuster des Frühwerks in eins ge- setzt. Dies bestätigt sich zusätzlich noch durch den Verweis auf A. Bloks Stichi о Prekrasnoj Dame, den das Attribut прекрасная zusammen mit den genannten Merkmalen herstellt:

Ты такая прекрасная, такая сестра, такая сестра моя жизнь, ты прямо с неба спу- щена ко мне; ты впору последним крайностям души. Ты моя и всегда была моею, и вся моя жизнь - тебе. (В: 173)

Du bist so wunderbar, eine solche Schwester; eine solche >Schwester - mein Leben<, Du bist m ir geradewegs vom Himmel geschenkt, entsprichst den äußersten Extremen meiner Seele. Du bist fü r immer mein, und mein ganzes Leben gehört D ir. (nach С :64)

Zahlreiche Bezüge auf die Sophiologie wie die Göttlichkeit, das Musikalische, das Elementar-Dionysische finden sich auch im Brief Pasternaks an Marina Cvetaeva vom 20. April 1926:

Мне снилось начало лета в городе, светлая, безгрешная гостиница без клопов и быта, а может быть, и подобье особняка, где я служил. Там внизу были как раз та- кие коридоры. Мне сказали, что меня спрашивают. С чувством, что это ты, я лег- ко пробежал по взволнованным светом пролетам и скатился по лестнице. Дейст- вительно, в чем-то дорожном, в дымке решительности, но не внезапной, а крыла- той, планирующей, стояла ты точь-в-точь так, как я к тебе бежал. Кем ты была?

Беглым обликом всего, что в переломное мгновенье чувства доводит женщину на твоей руке до размеров физической несовместимости с человеческим ростом, точ- но это не человек, а небо в прелести всех плывших когда-либо над тобой облаков.

Но это было рудиментом твоего обаянья. Твоя красота, переданная на фотогра- фии, - красота в твоем особом случае - т. е. явленность большого духа в женщине, ударяла в твое окруженье прежде, чем я попадал в эти волны блаженствующего света и звучности. [...] Ты была громадным поэтом в поле большого влюбленного обожанья, т. е. предельной человечностью стихии, не среди людей или в челове- ческом словоупотребленье (״стихийность4‘), а у себя на месте. [...] Но ведь даже и если бы Э <льза> Ю <рьевна> была полною себе противоположностью, то и тогда требовалось бы нечто исключительное, возвращающее от отдельных лет и лиц к первооснове жизни, ко входу, к началу - иными словами, требовалась бы ты - чтобы вывести меня из линии и довести до чего-нибудь достойного имено-

ванья. (В: 187Г.)

Ich träumte den Sommerbeginn in einem hellen, sündlosen Gasthaus ohne Wanzen und alltäglichen Problemen, vielleicht ähnlich der Stadtvilla, in der ich vor Jahren angestellt war, und wo unten gerade solche Korridore vorhanden waren. Man sagte m ir, jemand wolle mich sprechen. M it dem Gefühl, Du seist es, lie f ich beschwingt durch das unruhige Licht der Gänge die Treppe hinab. W irklich, in irgendeinem Reiseanzug, im Hauch der

Entschiedenheit, keiner plötzlichen, sondern beflügelten, planenden, standest Du da, als ich auf Dich zu eilte. Was warst Du? Die flüchtige Gestalt alles dessen, was im gebro*

chenen Augenblick des Gefühls eine Frau bis zur physischen Unvereinbarkeit mit menschlicher Gestalt führt, kein Mensch mehr, sondern der Himmel in der Pracht über D ir ziehender Wolken. Doch das war nur ein Rudiment Deines Zaubers. Deine Schönheit auf der Fotografie wiedergegeben - Schönheit in Deinem besonderen Fall - das heißt die Erscheinung großen Geistes in einer Frau zog in Deinen Umkreis ein, ehe ich in diese Wogen von beseligendem Licht und Klang fiel. [...] Du warst ein grandioser Dichter im Felde großer liebender Anbetung, d.h. der äußersten Menschlichkeit des Elements, nicht unter Menschen oder im menschlichen Wortgebrauch (״ Elementargewalt“ ), sondern bei D ir an Deinem Ort. [״ .] Selbst wenn E.J. ihr absolutes Gegenteil wäre, hätte sogar da- mals schon etwas ganz Außerordentliches geschehen müssen, etwas von einzelnen Jahren und Personen zum Urgrund des Lebens, zum Eingang, zum Anfang Zurückkehrendes - mit anderen Worten, es hätte einer Begegnung mit D ir bedurft, um mich von der Linie meines gewohnten Lebens abzuziehen und einer Existenz zuzufiihren, die einer Benen- nung würdig wäre, (nach C:89f.)

Noch im Brief an Nina Tabidze vom 15, Oktober 1949 verfährt Pasternak nach demselben Prinzip und assoziiert die reale Erscheinung einer Frau, hier O l’ga Ivinskaja, mit einem literarischen Muster, dem Gretchen aus Goethes Faust:

Жизнь в полной буквальности повторила последнюю сцену ״ Фауста“ , ״ Марга- риту в темнице1‘. Бедная моя О. последовала за дорогим нашим Т. (В:479)

Das Leben wiederholte in voller Buchstäblichkeit die letzte Szene aus ״Faust“ , ״Gretchen im Kerker“ . Meine arme O. folgte unserem lieben T.

Die Vermischung des Fiktionalen und Nichtfiktionalen zeichnet also die briefli- chen Äußerungen Pasternaks vom Beginn seiner künstlerischen Tätigkeit bis zum Ende hin aus, so daß auch umgekehrt von einer ästhetischen Funktionalisierung ausgegangen werden kann, wenn Pasternak in der mittleren Schaffensphase in seinen künstlerischen Texten biographisches Material anhäuft.

3.3. Die Funktion des Motivs der ״gefallenen Frau44

Im Dokument Pasternak - Studien II (Seite 127-134)