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Das Problem des Wertepluralismus im Umgang mit menschlichen Überresten

Die Sammlung und Präsentation von menschlichen Überresten mit kultureller, reli­

giöser und spiritueller Bedeutung aus einer Vielzahl verschiedener Kulturen stellt die Verantwortlichen vor das schwer zu lösende Problem, einen akzeptablen Ausgleich zwischen den Zielen und Aufgaben von Museen und Sammlungen sowie den Weltan­

schauungen der Herkunftsgesellschaften zu finden.

Zugleich ist klar, dass eine Lösung nach Art des kleinsten gemeinsamen Nenners in diesem Bereich weitere Probleme birgt und nicht den Interessen aller Akteur*innen ge­

recht werden kann. Insbesondere ist hierbei zu bedenken, dass die westlichen Vorstel­

lungen von Eigentum, Person, Individualität, Tradition und Kollektiv häufig nicht mit indigenen Konzepten übereinstimmen181 und nach der Zeit des Kolonialismus in Bezug auf menschliche Überreste im internationalen Kontext nicht als verbindlich angesehen werden sollten. Angesichts der vorhandenen Probleme sollten jedoch auch mögliche Übereinstimmungen nicht vergessen werden:

Erstens existiert im 21. Jahrhundert ein interkulturell verbreiteter Konsens darüber, dass menschliche Überreste mit Respekt und Würde zu behandeln sind und sich eine entwürdigende Behandlung in Forschung, Sammlung und Präsentation verbietet182. An­

haltspunkte zum gegenwärtigen Stand der deutschen Diskussion zum Umgang mit dem menschlichen Körper gibt in diesem Bereich z. B. die gerichtliche Auseinandersetzung zur Körperwelten­Ausstellung von Gunther von Hagens183.

Zweitens gibt es starke Übereinstimmungen in der internationalen Diskussion dahin­

gehend, dass indigene Gruppen einen Anspruch auf Rückgabe menschlicher Überreste im Besitz von Sammlungen haben184, sofern tatsächlich ein enger kultureller Bezug zu diesen Überresten besteht. Wie der Internationale Museumsrat in Abschnitt (6) seines Ethikkodex hervorhebt, muss bei internationalen Sammlungsbeständen den Wertvor­

stellungen und Bedürfnissen anderer Ethnien unter allen Umständen mit Respekt be­

gegnet werden und „Museen sollten bereit sein, in einen Dialog bezüglich der Rückgabe von Kulturgütern an ihre Herkunftsländer oder völker zu treten“185.

181 Vgl. Squires et al. 2020.

182 Arbeitskreis Menschliche Präparate in Sammlungen 2003, S. 379.

183 Siehe auch den Beitrag „Rechtliche Grundlagen“, S. 121.

184 Vgl. Generalversammlung der Vereinten Nationen, Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker, Art. 12, Abs. 2.

185 ICOM 2017, S. 32 ff.

Drittens erscheint es empfehlenswert, neben einem deutlichen Pro für die Rückgabe menschlicher Überreste – insbesondere im kolonialen Kontext – auch die wichtige Auf­

gabe der Sammlungen als bewahrende und kompetente kulturelle Einrichtungen zu berücksichtigen und möglichst verbindliche, sachbezogene Kriterien für eine mögliche Rückgabe zu entwickeln. Hier kann etwa auf die Leitlinien des Swedish National Herita­

ge Board186 sowie des britischen Department for Culture, Media and Sport187 verwiesen werden.

Quellen und weiterführende Literatur

Arbeitskreis Menschliche Präparate in Sammlungen, Empfehlungen zum Um­

gang mit Präparaten aus menschlichem Gewebe in Sammlungen, Museen und öffentlichen Räumen, in: Deutsches Ärzteblatt, Heft 8, August 2003, S. 378–383.

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186 Swedish National Heritage Board 2020, S. 13.

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DIE BEDEUTUNG VON MENSCHLICHEN ÜBERRESTEN DER