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Das primäre Studienergebnis im Kontext 1. Mögliche physiologische Mechanismen

Wir erklären uns die Studienergebnisse sowohl durch Mechanismen des physikalischen Wärmeaustausches über die Haut als auch durch Mechanismen der Hautdurchblutungsregulation, insbesondere nicht-thermischer Einflussfaktoren (vgl.

Kapitel 1.4.).

Wärmeaustausch über die Haut: Die Bewegungsübungen unserer Studie wurden in einem (luftgefüllten) windstillen Raum durgeführt. Während der Bewegungen berührten sich relevante Körperareale nie.

Unter diesen Bedingungen wird Wärme hauptsächlich, etwa in gleichen Teilen, in Form von Konvektion und Radiation über die Haut abgegeben63-65. Der konvektiv abgegebene Teil der Wärme steigt dabei an, wenn sich eine Körperpartie durch den Raum bzw. die Luft bewegt. Wenn sich relevante Körperpartien während der Bewegung in räumlicher Nähe befinden, ist zudem denkbar, dass sie sich mittels der radiativ abgegebenen Wärme gegenseitig erwärmen (vgl. Kapitel 1.4.2.).

Wie stark sich die Haut durch Konvektion abkühlt und wie stark sie sich durch Radiation erwärmt, ist also abhängig von Faktoren der Bewegung, d.h. der geometrischen und zeitlichen Charakteristika der Bewegung im Raum. Bei der Eurythmie Therapie-Übung

"B" dominieren zentripetal-rundende, beugende Bewegungsformen, wodurch die langsame Bewegung wenig raumgreifend wird: Aus dem Stand erfolgt eine leichte Beugung des Rumpfes und eine rundende, „umarmende“ Bewegung der Arme um den Rumpf sowie des freien Beines um das Standbein.

Bei "L" dominieren dagegen eher zentrifugale, streckende Bewegungen, wodurch die rasche Bewegung im Vergleich zu "B" deutlich raumgreifender wird: Die Arme bewegen sich über den Kopf in die Peripherie, während sich der Rumpf in die Aufrechte streckt.

Bei "B" dürfte demnach die Abkühlung der Haut durch Konvektion im Vergleich zu

"L" geringer sein, während eine Erwärmung gegenüberliegender Hautpartien durch Radiation denkbar ist.

Kongruent mit diesen Annahmen zeigen unsere Studienergebnisse bei der Eurythmie Therapie-Übung "B" eine geringere Abkühlung der Haut als bei "L".

Wir schlagen die physikalischen Gesetzmäßigkeiten der Wärmeabgabe daher als mögliche Erklärung unserer Studienergebnisse vor.

Nicht-thermische Einflussfaktoren der Hauttemperaturregulation: Während unserer Studienexperimente bewegten sich die Probanden bei moderater bis geringer Intensität 6 Minuten lang bei thermoneutralen Raumtemperaturen. Wie in Kapitel 1.4.4. ausgeführt, beeinflussen unter diesen Bedingungen insbesondere nicht-thermische Einflussfaktoren die Durchblutungsregulation der Haut. Diese nicht-thermischen Einflussfaktoren sind vorwiegend vasokonstriktive Reflexe – u.a. aus Baro-, Mechano-, Metaborezeptoren, aber auch aus der mentalen Intention zur Bewegung –, welche die Hautdurchblutung verringern und dadurch bei Bewegung die Hauttemperatur senken.

Unser Studiendesign lässt keine Differenzierung des Einflusses einzelner nicht-thermischer Reflexe auf die Hauttemperatur zu. Jedoch sind unsere Ergebnisse kongruent mit den in Kapitel 1.4.4 ausgeführten Überlegungen und bringen neue Evidenz hinsichtlich Fragen, die in Studien der Physiologie-Forschung in Bezug auf die Hautdurchblutungsregulation bis dato gestellt worden sind, wie im Folgenden ausführlicher dargestellt.

4.2.2. Vergleich mit Studien zu nicht-thermischen Einflussfaktoren

Die Ergebnisse unserer Studie stimmen mit den Ergebnissen vergleichbarer Studien der Physiologie-Forschung und Sportmedizin überein. Bei dynamischer Aktivität von

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moderater bis geringer Intensität fiel in unserer Studie die Hauttemperatur während der ersten 6 Minuten im Mittel zwischen 0,37°C (Referenzbewegung) und 0,8°C ("R").

Schon Torii48 fand infrarotthermographisch 1992 in vergleichbarem Setting der bereits erwähnten Studie Ergebnisse, welche mit den unseren kongruent sind. Bei 50W auf dem Fahrradergometer zeigte sich an untrainierten Probanden ein Abfall der mittleren Hauttemperatur von ca. 1°C. Dieser Effekt zeigt sich relativ konstant über einen breiten Umgebungstemperaturbereich hinweg. Die Daten von Merla72 zeigten 2010 nach 6-minütiger Aktivität auf dem Laufband bei 24°C Umgebungstemperatur ebenfalls einen ungefähren Temperaturabfall von 1°C. Obwohl hier gestaffelte Intensitäten ausgeführt wurden, dürfte die Bewegungsintensität während der ersten 6 Minuten derjenigen unserer Eurythmie Therapie-Übungen vergleichbar, wenn auch eher höher gewesen sein (3 – 7 km/h bei 10% Steigung, Herzfrequenz nicht angegeben). Auch Fernandes stellte 201644 in detaillierten Temperaturkurven für verschiedene Körperbereiche einzeln den Abfall der Hauttemperatur bei Fahrradergometertraining von ebenfalls eher höherer Intensität bei 24.9°C Umgebungstemperatur dar. Nach 5 Minuten zeigt sich auch hier ein mittlerer Abfall der Hauttemperatur von ca. 1°C.

Schon früh konnte in der Forschung zu nicht-thermischen Effekten gezeigt werden, dass der Temperaturabfall zu Beginn körperlicher Aktivität von der Bewegungsintensität abhängig ist48, 73. Äquivalenz der Bewegungsintensität war in unserer Studie daher eine Vorbedingung, um verschiedene Übungen miteinander vergleichen zu können.

Unsere Studienergebnisse sind also zum einen kongruent mit den Ergebnissen bestehender Studien, deren Interventionen im weitesten Sinne den unseren vergleichbar sind (dynamische Bewegung, eher geringe Intensität).

Sie erbringen jedoch auch mögliche Evidenz dafür, dass das Absinken der Hauttemperatur zu Beginn dynamischer Bewegung nur teilweise von der Bewegungsintensität abhängig ist. Zumindest bei Übungen von insgesamt geringer Intensität und innerhalb der ersten 6 Minuten scheinen auch andere, mit der Bewegungsqualität verbundene Faktoren die Hauttemperatur relevant mit zu beeinflussen. Unsere Ergebnisse relativieren damit das bestehende Dogma vom Zusammenhang von Bewegungsintensität und Hauttemperaturabfall zu Beginn der Aktivität. Sie postulieren, dass auch qualitative Bewegungsaspekte in Zukunft mitberücksichtigt werden sollten, da sie einen relevanten Einfluss haben können.

Damit erweitern unsere Studienergebnisse die bestehende Forschung zum Zusammenhang von Bewegungsintensität und Temperaturabfall zu Beginn körperlicher Aktivität. Dies wird gerade dadurch möglich, dass in unserer Studie verschiedene Bewegungsübungen äquivalenter Bewegungsintensität untereinander verglichen werden – und nicht eine Bewegungsübung bei unterschiedlicher Bewegungsintensität untersucht wird.

4.2.3. Vergleich mit empirischer Grundlagenforschung zur Eurythmie Therapie

Unsere Studie knüpft an die bestehende Grundlagenforschung zur Eurythmie Therapie an. Gemeinsames Ziel bisheriger Studien der empirischen Grundlagenforschung zur Euryhtmie Therapie ist es, Einblick in die Mechanismen der Eurythmie Therapie zu gewinnen. Die bestehenden Studien von Seifert35, 36 und Edelhäuser37 untersuchten dazu jedoch nicht die Hauttemperatur, sondern die Herzratenvariabilität. Für diesen Parameter konnte eine Assoziation mit der kardiovaskulären Mortalität gezeigt werden (vgl. Kapitel 1.3.2.), was klinisch von Relevanz ist.

Die erste Studie von Seifert35 weist einige Parallelen zu unserer Studie auf. 2009 untersuchten die Autoren in einer Crossover-Studie an 20 Probanden beider Geschlechter die Eurythmie Therapie-Übungen „B“ und „L“, jeweils kontrolliert durch konventionelles Fahrradergometertraining. Die Reihenfolge der Eurythmie Therapie-Übungen wurde dabei randomisiert, während das Ergometertraining jeweils im Anschluss an die entsprechenden Eurythmie Therapie-Übung durchgeführt wurde. Die Interventionen wurden jeweils für 30 Minuten im Abstand von einer Woche untersucht.

Dabei zeigten sich während der Eurythmie Therapie-Übungen statistisch signifikante Verbesserungen der Herzratenvariabilität in verschiedenen Frequenzbändern, jeweils verschieden für „B“ und „L“. Während des Fahrradergometertrainings zeigte sich eine Abschwächung der Herzratenvariabilität in verschiedenen Frequenzbändern. Seifert schlussfolgert, die beiden Eurythmie Therapie-Übungen hätten einen „eindrucksvollen Effekt auf die Herzratenvariabilität im Vergleich zu konventionellem Ergometertraining“35 und zeigt damit allgemeine Verbesserungen der Herzratenvariabilität durch Eurythmie Therapie.

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An dieser Studie Seiferts35 zeigt sich die Problematik, dass die Bewegungsintensität äquivalent sein muss, wenn qualitative Unterschiede von Bewegungsübungen untersucht werden sollen. Um qualitative Auswirkungen der Übungen – wie hier auf das Gleichgewicht des vegetativen Nervensystems – vergleichen zu können, ist es notwendig, die Bewegungsintensität in engen Grenzen zu kontrollieren, da sonst Effekte dieser quantitativen Unterschiede etwaige qualitative Unterschiede zwischen den Interventionen überlagern. Hier wurde Fahrradergometertraining nach der jeweiligen Eurythmie Therapie-Übung bei „grob vergleichbarer Bewegungsintensität (wie anhand der ähnlichen Herzfrequenz ersichtlich)“35 durchgeführt. In den Daten unterscheidet sich die mittlere Herzfrequenz zwischen Eurythmie Therapie und Ergometertraining jedoch jeweils hochsignifikant um 14/min. bei „B“ (B: 97.8 ± 13.1, Ergometer: 111.7 ± 23.7/min.) bzw.

8/min. bei „L“ (L: 98.8 ± 12.6, Ergometer: 107.5 ± 15.9/min). Effektstärken sind nicht mit angegeben. Es ist bekannt, dass auch für die Herzratenvariabilität die Bewegungsintensität eine Rolle spielt, insofern als bei höherer Herzfrequenz die Herzratenvariabilität abnimmt74. Zwar wurden mittlerweile Methoden entwickelt, diese Abhängigkeit zu verringern75, eine Anwendung dieser Methoden ist bei Seifert jedoch nicht erwähnt. Ein systematischer Einfluss der Bewegungsintensität auf die Ergebnisse ist also nicht auszuschließen, trotzdem er in der Studie nicht diskutiert ist.

In Seiferts Folgestudie zu den Langzeitwirkungen von Eurythmie Therapie auf die Herzratenvariabilität36 spielte das Problem der Vergleichbarkeit keine Rolle mehr, da Ruhesequenzen aus 24h-Elektrokardiogrammen vor- und nach einer Interventionsperiode von 6 Wochen verglichen wurden. Auch Edelhäuser37 umging das Problem in seiner Studie, indem er Herzratenvariabilitätsmuster mit den Charakteristika der jeweiligen Eurythmie Therapie-Übungen verglich und nicht mit anderen Übungen.

Während Seifert 200935 erstmals allgemeine Verbesserungen der Herzratenvariabilität durch Eurythmie Therapie-Übungen beschrieb, untersuchte Edelhäuser37 2015 Auswirkungen von Charakteristika der einzelnen Bewegungen selbst. Die Autoren untersuchten erstmals Assoziationen der Herzratenvariabilität mit spezifischen Sequenzen der Körperbewegungen, bestimmten Körperhaltungen, sowie Armhaltungen.

Die Ergebnisse zeigen diesbezüglich zwar v.a. Effekte der Wiederholungsfrequenz der Eurythmie Therapie-Übungen. Sie zeigen aber erstmals direkte Auswirkungen von Charakteristika der Körperbewegungen auf das vegetative Nervensystem.

Unsere Studie knüpft an diese Ergebnisse an, indem sie Auswirkungen der Bewegungscharakteristika von Eurythmie Therapie-Übungen auf die Hauttemperatur untersucht, welche u.a. von der vegetativ regulierten Hautdurchblutung abhängt.