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Popularmusik als Gradmesser für ‚Israelität‘

im Zeichen der Globalisierung

1.1 Popularmusik als Gradmesser für ‚Israelität‘

Während Musik keinen eigenen Sinngehalt hat und auf einerdenotativenEbene somit nicht auf einen spezifischen Ort verweisen kann, ist sie auf einerkonnotativenEbene sowohl in der Lage eine Botschaft, die in der Performanz verankert ist (Liedtexte, Bilder), oder vorherrschende Diskurse zu verstärken, als auch auf einen spezifischen Ort zu verweisen. Diese Referentialität kann sowohl vom Staat für seine Zwecke in-strumentalisiert werden, als auch von Musikern, die nationale Ideologien in ihre kreative Arbeit aufnehmen[.]5(David-Emil Wickström)

Die israelische Popularmusikforschung bekam erst jüngst und auch internatio-nal Anerkennung – wie überhaupt das anwachsende Korpus selbstreflexiver Literatur in Bezug auf Alltagskultur und Themen der Gegenwart.6 Die zwei herausragenden Wissenschaftler auf dem Gebiet der israelischen Popularmu-sikforschung sind der Soziologe Motti Regev und der Ethnomusikologe Edwin Seroussi. Zusammen veröffentlichten sie 2004 das BuchPopular Music and Na-tional Culture in Israel.Dieses verstehen sie als Antwort auf eine desolate Lite-ratursituation und eher als „Startpunkt für Reflexionen und als Basis für zu-künftige Tiefenbohrungen der Thematik“.7 Basierend auf dem Verhältnis der Musik zu ‚Nationalem‘zeichnen sie detailreich die historischen und sozialen Entwicklungen populärer Musik seit der Staatsgründung bis heute nach. Die Autoren lassen sich hier nicht von musiktheoretischen Ideen leiten sondern fokussieren die Akteure und deren Werke, die im Sinne des zentralen zionisti-schen Projekts darauf ausgerichtet waren, eine neue‚indigene‘jüdische Natio-nalkultur zu‚erfinden‘, und auch diejenigen Akteure und Werke, die sich vom Staat für diese Zwecke zu Eigen gemacht wurden.8Regev und Seroussi widmen sich unter anderem den Fragen, wie‚Nationalkultur‘im Feld der Popularmusik 5 Wickström, David-Emil: „Okna otkroi!“ – „Open the Windows! Transcultural Flows and

Identity Politics in the St. Petersburg Popular Music Scene. Stuttgart 2011. S. 212.

6 Seit etwa 2000 sind diesbezüglich vermehrt Publikationen erschienen, die ein wachsendes und selbstkritisches Interesse an der dynamischen israelischen Gegenwartskultur indizieren. Auf dem Gebiet der Musik sind folgende Titel bzw. Monografien zu nennen (unvollständig):

Popular Music and National Culture in Israel(2004, a.a.O.), Noam Ben-ZeevsMangina Israelit [An Israeli Tune] (2009, a.a.O., Hebr.), Nissim CalderonsThe Second DayOn Poetry and Rock in Israel after Yona Wallach(2009, a.a.O., Hebr.), Benjamin BrinnersPlaying Across a DivideIsraeli-Palestinian Musical Encounters(2009, a. a.O.) ferner Roni Shwekasshir cha-dash[A New SongEssays on Israeli Rock Songs] (2011, a.a.O., Hebr.). Zumindest in der Einschätzung einer Pädagogin die sich immer wieder für eine Auseinandersetzung mit ge-genwärtiger Musik einsetzt (bspw. durch Artikel zum Thema oder durch die Organisation einer Konferenz unter dem Titel Israelische Musik im digitalen Zeitalter an der Tel Aviver Bar Ilan Universität am 16.03.2011), werden innerhalb der Wissenschaft noch immer häufig, die schmaleren Bibliografien in Abschlussarbeiten, die sich mit Gegenwartsphänomenen aus-einandersetzen, kritisiert. Interview mit Amira Ehrlich am 11.04.2011, Tel Aviv.

7 Regev; Seroussi 2004, S. VIII.

8 Regev; Seroussi 2004, S. 11 bzw. Mottozitat vorliegenden Abschnitts.

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mitkonstruiert oder Probleme der nationalen Identität verhandelt wurden. Sie heben stets hervor, dass es sich hierbei um die primordialeImaginationoder den Wunsch nach einem Kern von indigener, authentischer, jüdisch-nationaler, is-raelischer Popularmusik resp. Nationalkultur handelt.9 An anderer Stelle ver-gleicht Seroussi diesen vorgestellten Kern einer Nationalkultur anschaulich mit einem Boxsack. Dieser wird von verschiedenen Seiten – und trotz des steten Rückzugs des Nationalstaates aus seiner klassischen Rolle, der ideologischen Fütterung dieses Kerns–von verschiedenen Akteuren (Bevölkerungsgruppen, politischen Lagern, Altersgruppen etc.) attackiert und gleichsam auch neu ‚ge-füttert‘.10Besonders Seroussi deutet in diesem Zusammenhang kritisierend auf den zunehmend von „Ideologien verunreinigten“ akademischen Diskurs im Bezug auf Israel insgesamt und auf das Netzwerk der beinahe ausschließlich jüdischen und emotional involvierten Musikologen im Besonderen. Er wünscht, und dies soll hiermit angestoßen werden, eine Erweiterung des Diskurses aus

„‚der Welt dort draußen‘“.11

Für ihr Vorgehen stellen die Autoren in ihrer Einleitung den auch in vorlie-gendem Buch angewendeten theoretischen Zugang bzw. den spezifischen Gel-tungsbereich ihrer Analysen wie folgt dar:

[D]as Buch hat keinen Anspruch darauf, eine enzyklopädische Quelle des Wissens in Bezug auf israelische Popularmusik zu sein. In der Tat erwähnen wir eine große Anzahl von Namen und Fakten–Lieder, Alben, Autoren, Performer und Anderes–und un-tersuchen die Karrieren und Werke ausgewählter Musiker als Paradigmen entschei-dender Phänomene. Dennoch behandelt das Buch nicht alle Persönlichkeiten die möglicherweise ein Anrecht darauf haben wichtige Beiträge zur Geschichte der Popu-larmusik in Israel geleistet zu haben.12

Der in vorliegender Arbeit behandelten Thematik von jüdischer Religion in is-raelischer Popularmusik wird somit auf vergleichbare Weise begegnet. Anhand ausgewählter Musiker(biografien) und ihrer Werke sollen die wesentlichen Phänomene aufgezeigt und interpretiert werden. Gerade weil die Verfasser ihre Auslassungen explizieren und Einschätzungen andeuten–und diese hatten 2004 unbestreitbar noch volle Gültigkeit–sollen in vorliegender Arbeit die seitdem eingetretenen Veränderungen und Neuordnungen des musikalischen Feldes plastisch werden:

[W]ir sind uns dessen wohl bewusst, dass dieses Buch sich nicht mit allen Formen, Stilen und Szenen israelischer Popularmusik beschäftigt. Unter den Ausdrucksformen von

9 Regev; Seroussi 2004, S. 2, 5, 11.

10 Seroussi, Edwin: Music in Israel at Sixty. Process and Experiences. In: Min-Ad. Israel Studies in Musicology Online 7/2, 2008. S. 6–40, 21.

11 Seroussi 2008, S. 9. Als eine solche Erweiterung ist vorliegende Arbeit zu verstehen.

12 Regev; Seroussi 2004, S. 11.

Das Feld israelischer Popularmusik und Schlaglichter auf die Wiederkehr des Religiösen 24

Popularmusik, die in diesem Text ausgespart oder nur flüchtig behandelt werden findet sich Musik, die mit den religiösen Verlautbarungen der verschiedenen ethnischen jü-dischen Gemeinschaften verbunden ist, wie Klezmermusik oder den Piutim (religiöse Dichtung) der sefardischen oder misrachischen Juden; Popularmusik der palästinen-sischen Bevölkerung Israels; die reichhaltige Szene der‚Weltmusik‘in Israel; und einige andere Mikromusiken die mit verschiedenen lokalen Gemeinschaften verbunden sind.13

Heute ist nicht nur die liturgische also„religiöse Dichtung“(Piut)–und hier sind es vor allem die Texte–der orientalischen Juden überraschend und vollgültig im Mainstream populärer Musik angekommen.14Weit darüber hinaus nehmen re-ligiöse Themen einen völlig neuen, 2004 noch unvorhersehbar großen Raum im Hauptfeld der Popularmusik („major music cultures“15) ein. Letzteres geht al-lerdings nicht primär, wie von Regev und Seroussi angedeutet, von den ethni-schen jüdiethni-schen Gemeinschaften resp. deren Mikromusiken aus.16Weiterhin, und in Übereinstimmung mit Regev und Seroussi, geht diese neue Thematisie-rung von Religion in der Tat häufig mit einer bewussten oder unbewussten Umprägung dessen einher, was als israelische Musik oder israelisch zu gelten hat.

Dabei spielt der oben genannte, säkular geprägte Zionismus freilich eine zu-nehmend geringere Rolle.17

In ihrer Zusammenfassung konstatieren Regev und Seroussi:

Ein gesamtisraelischer Sound oder eine gesamtisraelische Ausdrucksweise wurde noch nicht herauskristallisiert, aber es ist in der Tat möglich auf die Existenz eines Korpus von Liedern zu verweisen–einen Kanon–der Charakteristiken verschiedener Musikkul-turen und Zeitepochen enthält und der von Israelis dafür gehalten wird, ihre kollektive nationale Identität in der Musik zu repräsentieren.18

13 Mit dem Begriff‚Mikromusiken‘beziehen sich Regev und Seroussi auf: Slobin, Mark: Sub-cultural Sounds. Micromusics of the West. Hanover 1993. Vgl. Regev; Seroussi 2004, S. 11.

14 Die Emanzipation desPiut„aus der Synagoge auf die Straße“(Interview mit Haviva Pedayah am 28.05.2013, Beer Sheva) ist ein wichtiges und komplexes Phänomen, das in dieser Arbeit nicht erschöpfend behandelt wird (v.a. aber in Kap. 3.III, bzw. 2.2.III). Zuweilen(!) trägt die Verwendung des Begriffs Züge einer Verwendung als‚Kampf-‘oder zumindest Abgren-zungsbegriffs im Sinne von: Besonders wir orientalischen Juden bewahrten die Kultur des Piut (ebd.). Letzteres ist historisch unumstritten. Piutim sind auf den großen Bühnen an-gekommen und in Singgemeinschaften (kehilot sharot) werden sie von Laien gelernt. Als Thema wirdPiutheute in den Schule unterrichtet und hat auch im Bildungsfernsehen 23TV einen festen Platz eingenommen (vgl. bspw.: Ibn Gabirol pinat Jehuda Halevi. Auf: http://

www.23tv.co.il/1690-he/Tachi.aspx, Stand: 08.01.2014).

15 Regev; Seroussi 2004, S. 11.

16 Vgl. u.a. Kap. 3.III.

17 Vgl. Kap. 1.2 bzw. 3.I–VI. Die Termini Post-Zionismus oder Post-Post-Zionismus u.ä. sind in dieser Arbeit nicht zentral (dahinter liegende Konzepte z.T. schon), weil sie mir im Feld selten oder zumeist nur in der Rede vom Ableben des Zionismus bzw. im Beschreiben des Vakuums nach dem Zeitalter des Zionismus begegneten.

18 Regev; Seroussi 2004, S. 240.

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Das Feld der israelischen Popularmusik ist somit nach wie vor eine zentrale Arena und ein wichtiger Gradmesser für die Aushandlungsprozesse um den Begriff der Israelität. In diesem Rahmen nationaler Kultur(en) und Identität(en) ist die neue Beschäftigung mit religiösen Inhalten zu verorten.

Rock als Dominante im Feld israelischer Popularmusik

Innerhalb der israelischen Popularmusik konstatieren Regev und Seroussi die Dominanz desRock, resp. einerRockästhetikseit den 1980er Jahren.19Damit ist allerdings nicht die„Überfülle an Stilen von Popularmusik des späten Zwan-zigsten Jahrhunderts“insgesamt, sondern sind diejenigen Artefakte gemeint, die sich an den Bandformationen der„Beatles und den Rolling Stones, oder Singer-Songwritern wie Bob Dylan, Neil Young oder Joni Mitchell orientieren.“20 In diesem Sinne ist die gesamte israelische Popularmusik – und das ist nun mehrheitlich und auch von den Nicht-Rockmusikern des Feldes akzeptiert21– von genannter Rockästhetik dominiert, die folgendermaßen konnotiert ist:

[E]ine Reihe sich stets verändernder Praktiken und stilistischer Imperative für das Musikmachen und deren Hauptbestandteile: elektrische und elektronische Soundtex-turen, Verstärkung,‚nicht-ausgebildete‘undspontane Formen der vokalen Darbietung, vordergründige Präsenz von Rhythmusinstrumenten, Handwerkstechnik im Studio und eine eklektische Logik, die das Genannte auf jedweden musikalischen Stil anwendet –zudem einSchwerpunkt auf Musiker als Autoren, nicht nur Ausführenden.[Hervorh., F.P.]22

Neben den technischen Praktiken wird die spontane Vokaldarbietung und das Ideal der Deckungsgleichheit von Autor und Sänger letztlich im Sinne eines Liedermachers resp. Singer-Songwriters herausgestellt.23In der Regel wird so-wohl von den Interpreten, Kritikern wie vermutlich auch von einem Großteil des israelischen Publikums vor allem in Bezug auf israelische Künstler(!) dieser 19 Regev; Seroussi 2004, S. 45 bzw. Regev, Motti: Rock Aesthetics, Israeliness and Globalization.

In: Kemp, Adriana; Newman, David; Ram, Uri; Yiftachel, Oren (Hg.): Israelis in Conflict.

Hegemonies, Identities and Challenges. Brighton 2004. S. 188–200.

20 Regev 2004, S. 189.

21 Diesen Umstand fasst Regev dann unter dem Begriff der Pop-Rock-Ästhetik. Vgl. Regev 2007 und hier insbesondere S. 331.

22 Regev 2004, S. 189.

23 Hier wird das damit verbundene„Authentizitätsideal“(von Appen) im Sinne der Folktra-dition konnotiert. Vgl. Kap. 2.2.II bzw. von Appen, Ralf: Der Wert der Musik. Zur Ästhetik des Populären. Bielefeld 2007. S. 122. Der Begriff des Sängers wird in dieser Arbeit, mit einer Ausnahme (Chanan Yovel), synonym mit den Begriffen Frontman, (Rock-) Musiker, Singer-Songwriter verwendet. Wie bereits in der Einleitung erwähnt, konfligiert der erwähnte ide-altypische Schwerpunkt mit dem Sänger als Autor mit dem Nachsingen religiöser Texte.

Das Feld israelischer Popularmusik und Schlaglichter auf die Wiederkehr des Religiösen 26

komplexe Anspruch von Authentizität vertreten bzw. eingefordert, was i.d.R. die Personalunion von Verfasser (auteur) und Interpret impliziert, desgleichen Person des Künstlers undPersona(Bühnenpräsenz) des Künstlers, und Grund dafür ist, dass Rockmusik als Kunst und gleichermaßen als Bestandteil von po-pulärer Kultur gelten kann. Diese schwerwiegende voraussetzungsvolle Auffas-sung ist in vorliegender Studie wichtig und kann unter Vorgriff auf die empiri-schen Befunde im Wesentlichen bestätigt werden.

Selbstverständlich gibt es zahllose Überschneidungen zur Musik, die als Ma-instream oder Musik, die als„middle of the road“(MOR) bezeichnet wird.24Mit letzterer kann, so Regev, metaphorisch eine Leichtigkeit („‚light, soft and easy‘“) verbunden werden.25Es gibt weitere Überschneidungen zu zahllosen der ge-nannten Mikromusiken oder anderen Genres, wie bspw. der Weltmusik (vgl.

Kap. 2.1), sodass Regev für den global-nationalen Kontext von einer ethno-nationalen Pop-Rock-Musik mit dem Schwerpunkt auf der genannten Rockäs-thetik spricht.26

In vielerlei Hinsicht implizieren die oben genannten Ansprüche eine ‚Be-gegnung‘der Musiker mit ihrem Publikum bzw. ihren Fans auf Augenhöhe.

Dieser Umstand ist mir außerhalb Israels eher im Bezug auf Folkmusik, doch seltener in Bezug auf Rockmusik begegnet. Meines Erachtens hängt dies mit der häufig angesprochenen Größe des Landes zusammen (‚jeder kennt jeden‘), aber wichtiger, auch mit der zumindest ideell von Parität geprägten und nachwir-kenden sozialistischen Geschichte. Das bedeutet im Wesentlichen, dass es in Israel zwar Musiker gibt, die von einzelnen als Stars bezeichnet werden, aber diese Stars nicht in dem normalerweise damit konnotierten Sinne, überhöht werden und, dass es folgerichtig auch keine ausgeprägten‚Starallüren‘gibt und– so meine Einschätzung–in absehbarer Zeit auch nicht geben wird (ausführlicher dazu, vgl. Kap. 2.1, 2.2.II). Dennoch findet sich auch in Israel, im Sinne Christoph Jackes, folgende sinnvolle, wenn auch schwer eruierbare Unterscheidung zwi-schen der Bekanntheit und der Beliebtheit von Musikern:

Bekanntheit ist […] einfacher zu messen, da es um eine quantitative Größe geht, die dann auf die Ebenen des Kommunikationsprozesses übertragen werden kann, [wenn]

also danach gefragt wird, wie viele Aktanten auf der Produktions- und Rezeptionsebene bestimmter Medienangebote jemanden kennen. […] Beliebtheit stellt gegenüber der

24 „Eine andere prominente Nische von Popularmusik [popular music], die eine Anpassung an die Rockästhetik während der 1980er zeitigte, war MOR [middle of the road]. Das bezieht sich auf die Sorte von Popmusik die mit einer starken Betonung auf Unterhaltung, auf eine breites Publikum aller Alterstufen zielt.“Regev; Seroussi 2004, S. 171.

25 Regev 2007, S. 321.

26 „In den 1990ern wurde israelischer MOR-Pop zu einem Synonym für eine moderate, softe und leichte Adaption der Rockästhetik.“Regev; Seroussi 2004, S. 172.

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Bekanntheit ein von vornherein eher qualitatives Kriterium dar, welches Prominente zu Stars veredeln kann und wesentlich schwieriger zu messen ist.27

Das Ideal eines Rockmusikers im Sinne eines Singer-Songwriters führt in Israel paradoxerweise dazu, dass Musiker, die im Licht eines einzigen Scheinwerfers einen ruhigen Songabend gestalten, als Rockmusiker bezeichnet werden.28Das liegt mit Sicherheit aber auch daran, dass dieselben Musiker an einem folgenden Abend auf einer anderen Bühne dieselben Lieder mit einer vollständig anderen Besetzung oder als Gast bei einem anderen Musiker und dessen Band auf eine andere, z.B. ‚härtere‘und lautere Weise vortragen können. In diesem Zusam-menhang möchte ich abschließend auf ein weiteres Phänomen hinweisen.

War bisher von einem (Rock)Musikideal im Sinne eines Singer-Songwriters die Rede, so verwirrt der für Israel ebenfalls hervorzuhebende Umstand, dass dieselben Musiker gelegentlich dafür gefeiert werden, dass sie Texte israelischer (National-)Dichter vertonen und damit deren Lyrik popularisieren. Diese Praxis kann als eine kontinuierliche in der Geschichte israelischer Popularmusik gel-ten.29Hierbei wird, ganz im Sinne der oben ausgeführten Konnotationen zur Rock- und Pop-Rockästhetik, zwischen Gedichten (shirim) und Songtexten (pismonim) unterschieden.30Das Thema ist jüngst vom Literaturwissenschaftler Nissim Calderon in dessen BuchThe Second Day. On Poetry and Rock in Israel after Yona Wallach (2009) bearbeitet worden.31Darin argumentiert Calderon, dass durch dieses Phänomen einige Lyriker und Lyrikerinnen überhaupt erst Populariät auf breiter Ebene erlangten und lanciert die These, dass Singer-Songwriter und mithin auch Rockmusiker als die energischeren jüngeren Brüder der„bloßen“Dichter (oder Sänger) begriffen werden müssen.32Schließlich sind 27 Jacke 2009, S. 156 .

28 Dieser Umstand führte im Rahmen von Vorträgen meinerseits oder privat wiederholt zu erstaunten Reaktionen aufseiten deutscher Hörer. An dieser Stelle folgt eine Aussage an der Grenze des Normativen. Ich spielte deutschen Freunden und Bekannten des Öfteren israe-lische Musik vor. Nicht selten waren die ersten Reaktionen (wie auch häufig meine eigene):

‚Der kann ja gar nicht singen‘, oder,‚der trifft die Töne nicht‘. Konfrontierte ich Israelis mit dieser Einschätzung stieß ich auf Unverständnis, aber diejenigen, die Text und Image kurzzeitig vom Gesang zu trennen vermochten, nahmen Misstöne, zumeist aufgrund des Textes, des Lebensgefühls oder der Botschaft, gern in Kauf und interpretierten die Person als authentisch, im Sinne von: Das ist einer von uns.

29 Unter den für diese Studie ausgewählten Protagonisten ist diese Praxis vor allem bei Chanan Yovel, ferner bei Ariel Silber und Yoni Genut nachzuweisen. Es kann als gesichert gelten, dass längst nicht alle (diese) Lieder aus dem Repertoire eines Sängersz.B. aufgeführt für spezielle Anlässe wie einem Erinnerungsabend an einen Dichter o.ä.Aufnahme in dessen Alben finden.

30 Demgemäß wird ein Autor von Songtexten alspismona’jund der Autor von Gedichten als meshorerbezeichnet.

31 Calderon, Nissim: The Second Day. On Poetry and Rock in Israel after Yona Wallach.

Kinneret 2009. (Hebr.)

32 Calderon 2009, S. 12f., ferner, Papenhagen, Felix: Calderon, Nissim. The Second Day. On Das Feld israelischer Popularmusik und Schlaglichter auf die Wiederkehr des Religiösen 28

sie es, so Calderon, welche Texte schreiben bzw. von Dichtern übernehmen, diese subjektiv vertonen und öffentlich (meist zur Gitarre) vortragen. Sie übernehmen die Gesamtverantwortung für Wort, Musik und Performanz.33

In diesem Sinne würde Calderon und zahlreiche Vertreter des Feldes israeli-scher Popularmusik dem deutschen ‚Dylanologen‘ Heinrich Detering mit Si-cherheit zustimmen, der schreibt:

[…] dass Dichtung, Musik und Aufführung zusammengehören und dass sie in dieser Einheit ein Teil der täglichen Erfahrung sind: […] doch jedenfalls [in] unsere[r] me-diale[n] Gegenwart. Wer die Welt der Poesie noch immer strikt aufteilen wollte in die Gutenberg-Galaxie auf der einen und die Welt der Klänge auf der anderen Seite, wer damit gar noch Wertungen verbände, […] der müsste wohl sehr weit außerhalb dieser Gegenwart zu Hause sein.34