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Politische Partizipation Jugendlicher im Web 2.0 aus Sicht der Jugendforschung

1  Politische Partizipation Jugendlicher im Web 2.0.  Eine Einführung

1.1  Politische Partizipation Jugendlicher im Web 2.0 aus Sicht der Jugendforschung

 

Erich Sass, Mirja Lange 

1 Politische Partizipation Jugendlicher im Web 2.0.  

Eine Einführung 

1.1 Politische Partizipation Jugendlicher im Web 2.0 aus Sicht  der Jugendforschung 

Eine der offensichtlichsten Veränderungen der Jugendphase in den letzten Jahren besteht da-rin, dass sich für das Aufwachsen bedeutsame Aktivitäten Jugendlicher zu wichtigen Teilen in digital erzeugte Räume verschoben haben. Das Internet ist als Medium der Information, Kom-munikation und Unterhaltung selbstverständlicher Bestandteil der Lebenswelt von Jugendlichen und jungen Erwachsenen geworden (vgl. Lange/Wehmeyer 2014; Ertelt/Röll 2008). Sie nutzen die digital vernetzten Medien und zwar insbesondere soziale Medien, um sich auszutauschen und zu informieren, sich ablenken und unterhalten zu lassen, sich kreativ auszudrücken und in Debatten einzubringen. Darin unterscheiden sich Jugendliche zunächst einmal nicht von Er-wachsenen. Allerdings hält das Netz aufgrund seiner Schnelligkeit, seiner Anonymität, seiner Möglichkeiten der Verknüpfung unterschiedlichster Medien und Datenquellen sowie seiner Po-tenziale der Vermischung öffentlicher und privater Räume, Chancen und Risiken für Jugendli-chen bereit, die gegenüber bisherigen – immer auch medial begleiteten – Sozialisationsprozes-sen von neuer Qualität sind.

Viel stärker als in den adoleszenten Gruppen und Jugendkulturen der Vor-Internet-Zeit haben Heranwachsende heute die Möglichkeit, nicht nur Rezipient(inn)en der Medien, sondern auch Produzent(inn)en zu sein. Das Web 2.0 hat die technischen Voraussetzungen, selbst zum

„Sender“ zu werden, radikal vereinfacht und erweitert. Eigene Videos, Musik oder Textformate zu produzieren und zu verbreiten, erfordert keine großen technischen und handwerklichen Kenntnisse mehr. Mit der Digitalisierung entsteht ein neuer Handlungsraum, eine neue Bühne, auf der Jugendliche tun können, was ihnen an anderen Orten häufig verwehrt bleibt: Sich in einer neuen Identität erproben, eine eigene virtuelle Existenz aufbauen, auch abweichendes Verhalten zelebrieren, Experimentierräume auftun und so den – ihnen in anderen Lebensberei-chen verwehrten – Erwachsenenstatus in Anspruch nehmen (vgl. Böhnisch 2009). Alle diese Verhaltensweisen sind nicht eigentlich neu, bekommen aber durch das Netz eine neue Qualität.

Dieses fungiert als Universaltechnologie und übernimmt und integriert als „Hybridmedium“

(vgl. Höflich 2003) Leistungen, die bislang auf unterschiedliche Mediengattungen wie Rund-funk- oder Printmedien, entfielen. Das Internet erlaubt Kommunikationsformen in dem gesam-ten Spektrum von interpersonaler über gruppenbezogener bis hin zu massenmedialer Kom-munikation (inklusive entsprechender Mischformen), und ermöglicht darüber hinaus neuartige Formen der Mensch-Maschine-Interaktion, der Transaktion und der Simulation (vgl. Schmidt 2011).

Dieser neue Raum des Aufwachsens stellt nicht nur Heranwachsende vor neue Probleme und bis dahin unbekannte Handlungsalternativen, auch die Jugendforschung sieht sich hier vor neue Herausforderungen gestellt. Neue Formen des Beobachtens und Bewertens jugendlichen

 

Handelns scheinen notwendig zu werden und auch der Vergleich mit den Ergebnissen der früheren Sozialisations- und Jugendkulturforschung steht noch aus. So zählten – um nur ein Beispiel zu nennen – unbegrenzte Kommunikation und offener persönlicher Austausch zu wich-tigen Idealen der Hippiebewegung der 60er Jahre, die sich nach vielen Enttäuschungen und Rückschlägen erst jetzt zu verwirklichen scheinen. Solche Entwicklungslinien nachzuverfolgen und dabei den Einfluss gesellschaftlicher und technischer Entwicklungen einzubeziehen, könn-te die Aufgabe einer zukünftigen Jugend(kultur)forschung sein.

Eine andere wichtige Frage, mit der sich die Jugendforschung beschäftigt, ist die Frage nach der politischen Sozialisation und Beteiligung von Heranwachsenden. In dieser Debatte wird an die Verbreitung des Web 2.0 als Medium zur Kommunikation mit und über die Umwelt (vgl.

Theunert 2006) bzw. als „interaktives Mitmachmedium“ (Sarcinelli 2012, S. 305) die Erwartung geknüpft, „dass durch die Onlinekommunikation die politische Diskussionskultur und Partizipa-tion gefördert sowie das bürgerliche Engagement gestärkt wird“ (Wolling 2009, S. 448, vgl.

auch Gaiser et al. 2013).

Dass solche Erwartungen nicht ganz unberechtigt sind, zeigen die Befunde verschiedener ak-tueller empirischer Studien: So können Wagner, Brüggen und Gebel in ihrer Studie „Web 2.0 als Rahmen für Selbstdarstellung und Vernetzung Jugendlicher“ (2009) mit Blick auf die Parti-zipation Heranwachsender anhand von Interviews zeigen, dass sich zwar fast alle Befragten im Netz positionieren und sich eine ganze Reihe Jugendlicher dort auch mit eigenen Beiträgen einbringt, dabei allerdings nur selten der Versuch unternommen wird, auch andere zu aktivieren (ebd., S. 75 ff.). Hensel et al. zeigen in einer qualitativen Studie mit Blick auf das Engagement, dass die Generation der „Digital Natives“ von der Aktivität im Internet, welche zunächst ihre wesentliche Form des politischen Engagements bildet, schrittweise auch den Weg zu konventi-onellen Formen des Engagements finden (vgl. Hensel et al. 2013). Für diejenigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die bereits freiwillig aktiv sind, verweist der Freiwilligensurvey darauf, dass 60% der 14- bis 19-Jährigen und 70% der 20- bis 24-Jährigen das Internet für ihr freiwilli-ges Engagement nutzen (vgl. Gensicke et al. 2010). Die Befürchtung, dass durch eine zuneh-mende Internetnutzung die Bereitschaft Jugendlicher zum traditionellen freiwilligen Engage-ment sinken könnte, kann nach Befunden der vom Forschungsverbund DJI/TU Dortmund durchgeführten Studie „Jugendliche Aktivitäten im Wandel. Gesellschaftliche Beteiligung und Engagement in Zeiten des Web 2.0“, als unbegründet abgewiesen werden. Die Autoren der Studie resümieren: Die verstärkte Internetnutzung Jugendlicher [hat] keinen negativen Einfluss auf ihre Bereitschaft zum freiwilligen Engagement (vgl. Begemann et al. 2011). Und sie konsta-tieren zugleich, dass das Internet für die Partizipation junger Menschen an gesellschaftlichen Prozessen jetzt schon Möglichkeiten bietet, „wie sie in traditionellen Formen der Partizipation nur schwer umzusetzen waren“ (ebd., S. 141). Die in der Studie verfolgten Fragestellungen, ob und wie sich die Internet-Nutzung auf traditionelle Beteiligungs- und Engagementformen Her-anwachsender auswirkt und ob durch die dialogischen Nutzungsmöglichkeiten des Web 2.0 neue Partizipations- und Engagementformen entstehen, werden damit zwar teilweise beantwor-tet, zugleich weisen die Studienergebnisse aber auch auf neue Formen internetgestützten En-gagements hin und werfen damit neue Fragen nach der Nutzung sozialer Medien für die soziale und politische Partizipation Jugendlicher und junger Erwachsener auf.

Zudem stellt sich die Frage, ob und wie überhaupt zwischen sozialer und politischer Partizipati-on zu trennen ist. Hier sind Überschneidungen durchaus erkennbar. Dennoch wird im 14. Kin-der- und Jugendbericht vorgeschlagen, diese beiden Beteiligungsformen voneinander zu unter-scheiden, da ihnen unterschiedliche Motivlagen, Rahmenbedingungen und Zielsetzungen

zu- 

 

grunde liegen (vgl. BMFSFJ 2013, S.227). Die soziale Partizipation schließt alle Beteiligungs-formen ein, „die in der Zivilgesellschaft lokalisiert sind und sich z.B. auf Aktivitäten im sportli-chen und kulturellen Bereich, im Bereich der Wohlfahrtspflege, des Rettungswesens, des Um-weltschutzes etc. beziehen und überwiegend in Vereinen, Verbänden, Initiativen und bürger-schaftlichen Netzwerken ausgeübt werden“ (vgl. van Deth 2004). Unter politischer Partizipation werden dabei im Anschluss an Kaase 2002 „jene Verhaltensweisen von Bürgern verstanden, die sie alleine oder mit anderen freiwillig zu dem Ziel unternehmen, Einfluss auf politische Ent-scheidungen zu nehmen (ebd. 2002, S. 350, siehe auch Gaiser et al. 2013, S. 149). Die Bedeu-tung politischer Partizipation junger Menschen wurde aktuell im 14. Kinder- und Jugendbericht wie folgt hervorgehoben:

„Durch politische Partizipation nehmen junge Menschen Einfluss auf die Entwicklung des Ge‐

meinwesens und erwerben darüber hinaus politische und soziale Kompetenzen, die eine grund‐

legende Voraussetzung für die vollständige Teilhabe an modernen Gesellschaften, nicht nur im  politischen Bereich, darstellen. Fehlende Kompetenzen zur politischen Partizipation, eine gering  ausgeprägte Motivation zur Partizipation sowie blockierte Zugänge zum politischen System sind  daher als Ausdrucksformen sozialer Ungleichheit und als Hinweise auf eingeschränkte Teilha‐

bechancen für junge Menschen insgesamt bzw. für bestimmte Gruppen junger Erwachsener zu  verstehen“ (BMFSFJ 2013, S. 227). 

Neben dem Votum für einen eingeschränkten Politikbegriff findet sich hier auch der Hinweis darauf, dass politische Partizipation junger Menschen nach wie vor ungleich verteilt ist. Laut 14.

Kinder- und Jugendbericht gilt: „Je niedriger das Bildungsniveau, desto niedriger fallen auch die politischen Handlungsbereitschaften sowie das tatsächliche Partizipationsverhalten aus“

(BMFSFJ 2013, S. 227). Es finden sich bislang keine empirischen Hinweise dafür, dass diese Ungleichheit im Internet nicht vorhanden ist (vgl. BMFSFJ 2013, S. 235).