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Partizipation als Befähigung

1  Politische Partizipation Jugendlicher im Web 2.0.  Eine Einführung

2.5  Facetten internetbezogener Partizipation

2.5.3  Partizipation als Befähigung

2.5.3 Partizipation als Befähigung 

Die dritte Facette von internetbasierter Partizipation fokussiert auf die notwendigen Vorausset-zungen, die Jugendliche erst befähigen, im, mit dem oder am Internet partizipieren zu kön-nen. Dazu gehören zum ersten Partizipations- und Medienkompetenzen, die sich jeweils wei-ter differenzieren lassen. Partizipationskompetenzen umfassen grundlegende staatsbürgerli-che Kenntnisse und Kompetenzen, die sich beispielsweise in politisstaatsbürgerli-che Urteilsfähigkeit (die Kompetenz, politische Ereignisse, Probleme und Fragen analysieren, reflektieren und beurtei-len zu können) sowie politische Handlungsfähigkeit (die Kompetenz, die eigenen Überzeu-gungen und Meinungen ausdrücken, gegenüber anderen vertreten und in Auseinanderset-zung mit anderen Positionen gewichten zu können) unterteilen lassen (vgl. Weißeno 2005).

Hinzu kommen methodische Fähigkeiten, die all diejenigen Kompetenzen umfassen, sich ei-genständig zu gesellschaftlichen Fragen informieren, entsprechende Themen bearbeiten und das eigene Lernen organisieren zu können. Krammer (2008) fügt der Urteils, Handlungs- und Methodenkompetenz noch die Sachkompetenz hinzu, mit der er (über reines Faktenwis-sen hinaus) die Fertigkeit bezeichnet, „politische Begriffe, Kategorien und Konzepte zu ver-stehen und über sie zu verfügen“ (ebd., S. 6).

In dem Maße, wie das Erlernen und Ausüben dieser Fähigkeiten medienvermittelte Kommu-nikation einschließt, treten noch spezifische Medienkompetenzen an die Seite der politischen Kompetenzen. Auch zu diesem Konstrukt gibt es zahlreiche Differenzierungsvorschläge (vgl.

Gapski 2006), von denen drei exemplarisch in Tabelle 2.3 aufgeführt sind. Baacke (1998) nennt beispielsweise vier übergeordnete Dimensionen der Medienkunde, der Medienkritik, der Mediennutzung und der Mediengestaltung, während Tulodziecki (1998) fünf Medien-kompetenzen als Aufgaben für die medienpädagogische Praxis herleitet, darunter die sinnvolle Auswahl von Medien oder das Erkennen und Verarbeiten von Medieneinflüssen. Das Mo-dell von Jenkins (2009) mit insgesamt 11 “New Media Literacies“ hingegen ist stark auf die Anforderungen und Praktiken der konvergierenden Medienwelt ausgerichtet und knüpft an sei-ne Arbeiten zur „Convergence Culture“ (vgl. Jenkins 2006) an. Er zählt Fertigkeiten wie „Jud-gement“ (die Evaluation der Richtigkeit und Glaubwürdigkeit von Informationen), „Simulation“

(die Fähigkeit, computerbasierte dynamische Modelle von realweltlichen Prozessen interpre-tieren und konstruieren zu können) oder „transmedia navigation“ (die Fähigkeit, dem Strom von Themen oder Informationen auch über unterschiedliche Quellen hinweg folgen zu kön-nen) zu den Schlüsselkompetenzen der konvergierenden, auf digitalen Medien beruhenden Informationswelt der Gegenwart.

 

 

Tabelle 2.3: Elemente ausgewählter Medienkomepetenzdefinitionen 

Baacke (1998)  Tulodziecki (1998) Jenkins et al. (2006)

Medienkunde 

 

Medienangebote sinnvoll auswählen und  nutzen  

Play 

Medienkritik 

 

Eigene Medienbeiträge gestalten und  verbreiten 

Performance 

Mediennutzung 

 

Mediengestaltungen verstehen und bewer‐

ten 

Simulation 

 Mediengestaltung  Medieneinflüsse erkennen und aufarbeiten Appropriation 

     

 

Bedingungen der Medienproduktion und  

‐verbreitung analysierend erfassen 

Multitasking 

      Distributed Cognition 

      Collective Intelligence 

      Judgement 

      Transmedia Navigation 

    Networking 

    Negotiation 

Damit Partizipation als Praxis tatsächlich realisiert werden kann, sind zum zweiten bestimm-te Wissensbestände notwendig, denn erst eine Kombination von explizierbarem Aussagenwis-sen („knowing that“) und implizitem Handlungs- oder RoutinewisAussagenwis-sen („knowing how“) befähigt Menschen zum praktischen Handeln. Das Aussagenwissen umfasst im Zusammenhang mit internetbezogener Partizipation Wissen über politische Akteure, Strukturen und Zusammen-hänge. Das Handlungs- oder Routinewissen lässt sich in Anlehnung an Höflich (2003) weiter unterscheiden, je nachdem ob es sich auf die Auswahl oder den Gebrauch der digitalen Medi-en bezieht. Ersteres wird durch AdäquanzwissMedi-en gedeckt und bezieht sich auf die Frage, wel-che Kommunikationsräume für die Erfüllung bestimmter Kommunikations- oder Partizipations-ziele überhaupt adäquat sind. Erreiche ich mit Meinungsäußerungen zu einem lokalpolitischen Thema in einem Hobby-Forum die Entscheidungsträger oder ist dazu eine E-Mail an den Ge-meinderat notwendig? Ist eine Facebook-Gruppe das geeignete Mittel, um eine Petition gegen eine geplante Umgehungsstraße zu starten oder sollte eine eigenständige Kampag-nenplattform, wie Avaaz.org oder gar der offizielle Petitionsserver des Bundestags, genutzt werden? Das prozedurale Wissen hingegen bezieht sich auf den „korrekten“ Gebrauch einer Anwendung: Welche impliziten wie expliziten Normen regulieren die Diskussion zu politischen

 

Themen im Diskussionsforum einer Onlinenachrichtenseite, auf der Facebookgruppe eines/r Politikers/in oder im internen Forum von Aktivist(inn)en? Welche Konfigurationen an den tech-nischen Settings einer Blog-Software sind vorzunehmen, damit bestimmte Bereiche passwort-geschützt sind oder Kommentare von Nutzern zunächst geprüft werden müssen, bevor sie veröffentlicht werden?

Neben Kompetenzen und Wissen setzt Partizipation zum dritten immer auch Ressourcen und Gelegenheitsstrukturen voraus, die den Einzelnen in die Lage versetzen, Teilhabe aus-üben zu können. Diese Einsicht drückt sich zum Beispiel im „Ressourcen-Modell politischer Partizipation“ (vgl. Brady et al. 1995; Verba et al. 1995) aus, das in der politikwissenschaftli-chen Forschung verbreitet ist und politisches Handeln durch verschiedene Variablen erklärt.

Neben Wissen und Fertigkeiten spielen auch Ressourcen und Gelegenheitsstrukturen wie Einkommen, Bildung, verfügbare Zeit oder das verfügbare Sozialkapital eine wesentliche Rolle:

Hoher Bildungsgrad und verfügbares Einkommen beeinflussen demnach das politische Inte-resse und die politische Wirksamkeitsüberzeugung genauso positiv (bzw. bei niedriger Bildung und Einkommen negativ) wie die Mitgliedschaft in politischen Organisationen und Vereini-gungen. Weil diese Prädiktoren für Partizipation unterschiedlich verteilt sind, besteht eine enge Verbindung zwischen der politikwissenschaftlichen Partizipationsforschung und der For-schung zu sozialer Ungleichheit (vgl. Bödeker 2012).

Im Bereich der digitalen Medien hingegen werden entsprechende Debatten meist unter dem Stichwort „Digitale Spaltung“ geführt (vgl. Norris 2001). Nachdem in der Frühphase der gesell-schaftlichen Verbreitung des Internets noch die ungleich verteilten Zugangsmöglichkeiten im Vordergrund standen, geraten insbesondere beim Blick auf Jugendliche inzwischen die Unter-schiede in den Nutzungspraktiken sowie die Verflechtung von internetbasierten Kommunikati-onsräumen und umfassender sozialräumlicher Einbettung in den Vordergrund (vgl. Kut-scher/Otto 2010; Wagner 2011, S. 171 ff.). Entsprechende Studien bestätigen, dass offene Beteiligungsangebote vorrangig von denjenigen Jugendlichen genutzt werden, die auch außer-halb des Netzes eher nicht benachteiligt sind. Neben (durch die soziale Herkunft geprägt) un-terschiedlichen Vorbedingungen für Teilhabe bestärken offenbar auch innerhalb bzw. zwi-schen den internetbasierten Kommunikationsräumen stattfindende Distinktionsprozesse die ungleichen Partizipationsniveaus, zum Beispiel wenn „tendenziell ‚bildungsbürgerliche‘ Prob-lematisierungen, die mit den Alltagsproblemen und -relevanzen sozial benachteiligter Jugend-licher wenig zu tun haben“ (Kutscher und Otto 2010, S. 80) in den Beteiligungsangeboten dominieren. So können entsprechende Projekte, selbst wenn sie sich offen für alle Jugendliche verstehen, durch Missachtung bestehender Kompetenz- und Ressourcen-Ungleichheiten diese ungewollt reproduzieren.