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Politisch-rechtliche Ebene

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Teil III: Ergebnisse

5 Kommunikation und Informationsbereitstellung

7.1 Politisch-rechtliche Ebene

Die zentrale Forderung an politische Ebenen kann zunächst nur die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes sein (P6, A65). Die aufgebaute, inadäquate Parallelversorgung (P2, A66) Asylsuchender unterliegt seit ihrer Einführung konsequenter Kritik. Die Unterversorgung Geflüchteter mit Behinderung illustriert beispielhaft, welche individuellen und weitreichenden Konsequenzen die Gesetzeslage strukturell für die Betroffenen hat. Mit der Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes könnten viele Aspekte, insbesondere der medizinisch-therapeutischen Unterversorgung behoben werden. Solange das Asylbewerberleistungsgesetz noch besteht, bedarf es der Einführung von Ausführungsverordnungen zu §6, die den Ermessenspielraum von Behörden auf Null reduziert. Relevanten internationalen Dokumenten wie der UN-Behindertenrechtskonvention und UN-Kinderrechtskonvention könnte dadurch (mehr) Rechnung getragen werden (ebd.: 27). Für eine Verbesserung der Versorgung ist es zudem dringend notwendig, Ressourcen aufzubringen, welche die bisher langwierigen Beantragungsverfahren beschleunigen und Menschen zu den Zeitpunkten Unterstützung zu bewilligen, zu denen diese notwendig ist (ebd.).

Andernfalls ist eine Sicherstellung von Teilhabe und selbstbestimmten Lebens eine unrealistische Perspektive.

Weiterhin bleibt an dieser Stelle einzufordern, die Konsequenzen politischer Entscheidungen für Menschen mit Behinderungen im Kontext Asyl strukturell mitzudenken. Inwiefern die aktuellen Praktiken zu weiteren negativen Folgen führen, verdeutlicht Julia Kraft (2015). Sie macht klar, dass der eingeschränkte Zugang zu medizinischer Versorgung auch Einfluss auf das asyl- oder aufenthaltsrechtliche Verfahren haben kann, „[d]enn wenn eine Kostenübernahme für Behandlungen und Untersuchungen fehlt, können keine Atteste über eine bestehende Krankheit oder Behinderung vorgelegt werden, wie sie zum Nachweis erforderlich wären.“ (21). Eine Überlegung, ob ein Instrument bzw.

Konzept wie Disability Mainstreaming in diesem Zusammenhang die erwünschten Effekte haben könnte, kann hier allerdings nur angeregt und nicht weiter diskutiert werden (Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft 2007). Jedoch könnten in diesem Zusammenhang beispielhaft Schulungen für Mitarbeiter*innen der leistungsbewilligenden Behörden empfohlen werden, die eine sensiblere Sichtweise auf die Bedarfe von Geflüchteten mit Behinderungen fördern könnte. Dazu gehört neben einer interkulturellen Sensibilisierung ebenso die Auseinandersetzung mit besonderer Schutzbedürftigkeit (P3, A60). Auch die Art und Weise der Informationsbereitstellung über Unterstützungsmöglichkeiten müsste in diesem Kontext noch einmal neu diskutiert werden. Wege müssen gefunden werden, wie Geflüchtete besser über Fragen von Teilhabe und Gesundheitsversorgung informiert werden können.

In den Interviews wurde häufig das „Bremer Modell“ als Alternative zur derzeitigen Gesundheitsversorgung angeregt (P6, A23). Dabei handelt es sich um eine freiwillige medizinische Erstversorgung Asylsuchender, auch mit dem Ziel notwendige Weiterleitungen an Fachärzt*innen festzustellen und durchzuführen.

Weitere Facetten des Modells sind die Beratung der Unterkunftsträger zu gesundheitsrelevanten Fragestellungen und die Bereitstellung eines Gesundheitswegweisers für Migrantinnen und Migranten. Zudem beinhaltet das Modell seit 01.10.2005 die Bereitstellung einer Krankenversicherten-Chipkarte.

Damit können Geflüchtete in Bremen auch spontan notwendige Arztbesuche, ohne die sonst notwendige Einholung eines Krankenscheins durchführen. Auch wenn dieses Modell keine absolut gleichwertige Versorgung sicherstellt und verschiedene Maßnahmen ausschließt (beispielsweise Reha-Sport), bedeutet es doch eine maßgebliche Verbesserung der aktuellen Versorgungslage.

7.2 Unterstützungssysteme

Wie weiter oben beschrieben existieren wenige Fachstellen, die explizit den Nexus Flucht und Behinderung bedienen. Um das fehlende Know How bei Organisationen aus dem Bereich Behinderung zu Fragen von Flucht und Asyl und umgekehrt auszugleichen, ist der Aufbau umfangreicher Netzwerke notwendig. Dies darf allerdings nicht nur die professionell Tätigen umfassen, sondern muss auch migrantische Selbstorganisationen, sowie informelle und ehrenamtliche Unterstützer*innennetzwerke einbeziehen. Ebenso darf die Einbindung der Betroffenen selbst hier nicht vergessen werden. Im Rahmen solcher Vernetzungen könnten umfassender Erfahrungsaustausch, sowie Strategieentwicklung stattfinden.

Weitere Arbeit sollte in zuverlässige, niederschwellige Wege der Informationsbereitstellung investiert werden. Parallel scheint es notwendig, sich zumindest grundlegendes Wissen über das jeweils andere Tätigkeitsfeld anzueignen und insbesondere Fragestellungen zu besonderer Schutzbedürftigkeit zu vertiefen (P4, A17). Vor allem in einem Feld wie dem Asylrecht, das in den letzten Jahren von vielen Veränderungen geprägt wurde ist dies unerlässlich (Ottosdottir/Evans 2014: 66). In den Interviews wurde trotzdem deutlich, dass teilweise Migrations- und behinderungsspezifische Beratungsstellen nicht einmal über die Existenz des anderen Bereiches beim gleichen Wohlfahrtsverband informiert waren (P4, A3).

Ottosdottir und Evans (2014) haben Interaktionen zwischen Geflüchteten mit Behinderungen, Pflegenden und Sozialarbeiter*innen in Großbritannien untersucht.

Dabei haben die Autor*innen auch die Rolle bedeutsamer Beziehungen und Engagements von sozialarbeiterisch Tätigen im Feld herausgearbeitet und stellen in diesem Zusammenhang eine Reihe von Schlüsselqualifikationen und Charakteristika der Beziehung von Betroffenen und Tätigen dar. Dazu gehören Empathie, die Übernahme von Anwaltschaft, respektvoller Umgang, die Bereitschaft nach alternativen Lösungen zu suchen und Vertrauen zu schaffen. In einem Arbeitsfeld, dass von rechtlich legitimierten Versorgungslücken geprägt ist und Betroffene häufig wenig wertschätzenden Umgang erfahren, scheint der Aufbau solidarischer und engagierter Beziehungen daher dringend notwendig (ebd.: 62).

Neben dem Aufbau individueller Beziehung und der Linderung individueller Notlagen muss die Problematisierung und Veröffentlichung struktureller Versorgungslücken weiterhin Aufgabe von Unterstützungssystemen sein.

Straimer (2011) fasst dies deutlich zusammen: "It is time for advocacy organisations within Europe to rise to the legal challenges and effect the conceptual shift

necessary to create a disability-sensitive asylum system." (S.548). Notwendige Öffentlichkeitsarbeit, Lobbyarbeit, Recherche und Dokumentation zu betreiben ist demnach auch Aufgabe der Unterstützungsnetzwerke. Ein Versuch sich dabei mit entsprechenden Forderungen an politische Entscheidungsträger*innen zu richten, wurde mit der Veröffentlichung der Dokumentation zur Situation von Kindern Geflüchteter mit Behinderungen in Berlin unternommen.

Diese verdeutlicht gleichzeitig inwieweit eine Wahrnehmung intersektionaler Verschränkungen notwendig ist. Die*der Geflüchtete mit Behinderung per se existiert nicht. Vielmehr unterscheiden sich Geflüchtete mit Behinderung und ihre Versorgungslage anhand vielfältiger weiterer Kategorien (Gender, Alter, Herkunftsland, Behinderungsform, Aufenthaltsstatus, Unterbringungsregion, etc.).

Wie Straimer (2010: 9) bereits für das Asylverfahren darlegt, sind auch hier individuelle Betrachtungen notwendig, anstatt generalisierende Rückschlüsse und Maßnahmen anzustoßen.

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