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Asylpolitische Entwicklungen in Deutschland

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Teil I: Hinführung und theoretische Grundlagen

6 Asylrechtliche und asylpolitische Rahmenbedingungen in Deutschland

6.1 Asylpolitische Entwicklungen in Deutschland

Die Darstellung und Auseinandersetzung mit den den asylrechtlichen Änderungen in Deutschland muss etwas früher beginnen als in Großbritannien. Zentral lässt sich dabei der sogenannte Asyl“kompromiss“ von 1993 als zweifelhafter Meilenstein asylpolitischer Entwicklungen charakterisieren, der zunächst historisch kontextualisiert werden muss.

Seit den 1970er Jahren etablierte sich neben den migrationspolitischen Debatten

"Nützlichkeit von Gastarbeiter*innen" und "kulturelle Differenz" mit dem Bereich der Asylpolitik ein weiteres Spannungsfeld gesellschaftlicher Auseinandersetzungen.

Seitdem entstanden staatlicherseits Mechanismen und Strategien zur Abschreckung von Asylsuchenden, die die weitere asylpolitische Entwicklung in Deutschland charakterisieren (Kannankulam 2014: 100). Die Politisierung der Asyldebatte, insbesondere in Unions-regierten Ländern, und das bereits damals konstruierte Scheinargument eines angeblich massenhaften "Asylmissbrauchs“ ziehen sich seitdem wie ein roter Faden durch den deutschen Asyldiskurs (Müller 2010: 155–

156). Seit Anfang der 1990er Jahre steig die Zahl der Asylanträge (Martin 2014:

233). Insbesondere durch den Fall des Eisernen Vorhangs wurde die Befürchtung lauter, dass sich mehr und mehr Flüchtende aus den osteuropäischen Staaten in Richtung Westen aufmachen könnten. Tatsächlich stieg in Folge des Bürgerkrieges in Jugoslawien die Zahl Asylsuchender. Medial wurd dies mit der Darstellung von Kostenfaktoren, Belastungsgrenzen der BRD und Flutmetaphern begleitet (Wichert 1998 zitiert in Müller 2010: 160–161). Infolge dessen entstand eine politisch und medial geführte Debatte, die Herbert (2003) als eine der "schärfsten, polemischsten und folgenreichsten innenpolitischen Auseinandersetzungen der deutschen Nachkriegsgeschichte" bezeichnet (299). Wie aufgeheizt die Stimmung war, spiegelt sich in einer Warnung des damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl vor einem bevorstehenden "Staatsnotstand" wider (Nuschler 2004: 148). Auch die rassistischen und fremdenfeindlichen Übergriffe, die in den Angriffen auf Unterkünfte Asylsuchender 1991 in Hoyerswerda und 1992 in Rostock-Lichtenhangen ihre Höhepunkte fanden, lassen sich hier einordnen (Löhr 2010: 69–

70). Auch die Frage der europäischen Integration lässt sich mit der bevorstehenden Grundgesetzänderung verknüpfen (Lavenex 2002: 50). So dramatisierten insbesondere die Innenminister, die vor und während der Grundgesetzänderung im Amt waren die Befürchtung, dass Deutschland in einem Europa ohne Binnengrenzen, aufgrund vermeintlich höherer Asylstandards die meisten Asylsuchenden anziehen würde. (Müller 2010: 161)

CDU/CSU und FDP einerseits, sowie SPD als damalig stärkste Oppositionspartei andererseits, verabredeten schließlich 1993 den sogenannten Asylkompromiss.

Dieser lässt sich durchaus als eine der drastischsten asylpolitischen Änderungen der letzten Jahre charakterisieren (Kannankulam 2014: 108–109). Die Verabschiedung dieser Grundgesetzänderung am 26. Mai 1993 bedeutete grundlegende Veränderungen zum Zugang in die BRD für Asylsuchende und eine faktische Abschaffung des früheren Grundrechts auf Asyl (Artikel 16 Absatz 2 Satz 2 GG

"Politisch Verfolgte genießen Asylrecht") zu Gunsten restriktiverer Regelungen15 (Herbert 2003: 318)

15Mit der Einführung des Art 16a GG wurde der Zugang zu politischem Asyl in Deutschland erheblich eingeschränkt. Absatz 1-3 lauten im Wortlaut:

(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.

(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können

aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.

Dazu gehörten unter anderem folgende Punkte:

• Drittstaatenregelung: Kein politisches Asyl kann mehr in Anspruch genommen werden, wenn die Asylsuchenden über Staaten in das Gebiet der BRD eingereist sind, die die Regelungen der Genfer Flüchtlingskonvention anwenden und daher als sichere Drittstaaten gelten.

• Einführung sicherer Herkunftsstaaten: Menschen, die aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten stammen, haben im Regelfall die Ablehnung ihres Asylantrags zu erwarten.

• Einführung des Flughafenverfahrens: Durchführung von Asylverfahren in Transitbereichen bei Einreise auf dem Luftweg mit besonders kurzen Rechtsmittelfristen bei Ablehnung. (Cremer 2013: 7–8)

• Einführung des Asylbewerberleistungsgesetzes mit dem Vorrang von Sachleistungen gegenüber Geldleistungen und einer Kürzung der Leistungen gegenüber den bisher bestehenden Ansprüchen gemäß Bundessozialhilfegesetz (Kleger 2006: 32).

Die im Asylbewerberleistungsgesetz festgelegten Regelungen sollten Bedingungen schaffen, um Leistungsempfänger*innen zum Verlassen Deutschlands zu animieren.

Die Höhe der Leistungen lag dabei noch unter dem Sozialhilferegelsatz. Erst 2012 wurde dies vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig erklärt (Tiedemann 2015: 12).

Die, von flüchtlingspolitischen Organisationen an den Regierungswechsel 1998 geknüpften Erwartungen, die Versorgungslage für Geflüchtete zu verbessern, erfüllte die rot-grüne Regierung, insbesondere im asylrechtlichen Kontext, nicht.

Schuster (2003: 218 zitiert in Müller 2010: 171–173) formuliert dazu: "The most striking feature of asylum policy under the new government was its continuity with its predecessor." Ein migrationspolitischer Wandel lässt sich hier dennoch in der Wahrnehmung von Zuwanderung als wirtschaftliche Notwendigkeit konstatieren. Die schon länger diskursiv bestehende Unterteilung in erwünschte und unerwünschte Einwanderung wurde nun auch politisch mit der Einsetzung der Unabhängigen

(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen

Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.

Kommission Zuwanderung und der Debatte, ob Deutschland ein Einwanderungsland sei oder nicht, politisch legitimiert (ebd.). Nach langen Diskussionen sowie inner- und überparteilichen Auseinandersetzungen wurde 2005 das Zuwanderungsgesetz verabschiedet, das asylrechtlich neben einigen wenigen "[k]leinen Fortschritten [...]

eine Reihe uneingelöster Versprechen und eine Vielzahl von Verschlechterungen" mit sich brachte (ebd.: 178). Neben der von Menschenrechtsorganisationen begrüßten Anerkennung geschlechtsspezifischer Verfolgung gingen mit der gesetzlichen Novellierung auch weiter Restriktionen einher (Butterwegge 2009: 149).

Verschärfungen wurden unter anderem im Antragsverfahren vorgenommen, beispielsweise über verkürzte Fristen für Widersprüche und die Aufweichung von Schutz aufgrund "subjektiver Nachfluchtgründe"16. Als besonders problematisch stellt Müller (2010) die weiten Interpretationsspielräume der Behörden dar. Auch die vom Gesetzgeber erwartete Mitwirkung der Antragstellenden ist kritisch zu betrachten. Diese Mitwirkung kann (beispielsweise bei Passbeschaffung) schlussendlich zur eigenen Abschiebung führen (Müller 2010: 178–182). Mit dem Zuwanderungsänderungsgesetz lässt sich eine weitere Fortsetzung dieser Entwicklungen erkennen. Neben den oben genannten Verschärfungen lassen sich insbesondere diejenigen Abschnitte herausstellen, die die Versorgung hilfsbedürftiger und traumatisierter Geflüchteter, sowie die medizinische Versorgung Asylsuchender regeln. Die deutschen Regelungen unterschritten hier sogar die Mindestvorgaben, die die EU-Richtlinien machen. (Hoffmann: 2007 zititiert in ebd.:

182)

Zusammenfassend diagnostiziert Müller (2010) der deutschen Migrationspolitik weiterhin einen Wandel von Abschottungsstrategien hin zu Steuerungsperspektiven mit dem Ziel, erwünschte, für die deutsche Wirtschaft nützliche, Migrant*innen aufzunehmen (183–185). In dieser Logik werden Asylsuchende gleichzeitig als unerwünschte Migrant*innen klassifiziert, deren Aufnahme es zu vermeiden gilt.

Den vermeintlichen Erfolg dieser Vermeidungsstrategien spiegelt auch die Entwicklung der Asylantragszahlen in Deutschland bis 2008 wieder: Der kontinuierlichen Abnahme seit 1995 (166.951 Anträge) steht nun allerdings wieder eine Zunahme seit 2009 (33.033) bis 2014 (202.834) gegenüber. Bedingt wird dieser Anstieg insbesondere durch Flüchtende aus Syrien, sowie osteuropäischen Staaten. (BAMF 2015: 3–7). In diesem Zusammenhang lässt sich ein weiterer

16Subjektive Nachfluchtgründe bezeichnet die Aufnahme von Tätigkeiten nach der Einreise in Deutschland, die im Heimatland zur Verfolgung führen würden (bspw. exilpolitische Aktivität). Es wird unterschieden zwischen subjektiven (persönlich herbeigeführten) und objektiven (im Heimatland entstandenen) Nachfluchtgründen. (Müller 2011: 8–9)

aktuellerer Asylkompromiss einordnen. Unter breiter zivilgesellschaftlicher Kritik beschlossen Bundesrat und Bundestag im Jahr 2014 die Aufnahme Bosnien-Herzegowinas, Mazedoniens und Serbiens auf die Liste der sicheren Herkunftsstaaten gemäß §29a Asylverfahrensgesetz (Tiedemann 2015: 13).

Während im Rahmen dieser Entscheidung einige Anpassungen zu begrüßen sind (bspw. Lockerung der Residenzpflicht, erleichterter Zugang zum Arbeitsmarkt), verdeutlicht Lindner (2014), dass die Einstufung von Ländern als "sichere Herkunftsstaaten" das Prinzip des Asylrechts als "individuelles Menschenrecht"

generell ad absurdum führt, da individuelle Verfolgung auch in demokratischen Rechtsstaaten erfolgen kann. Zudem greift diese Entscheidung den medialen Diskurs über flüchtende Roma als „Einwanderer*innen in die Sozialsysteme“ auf und bagatellisiert damit die tatsächlich erlebte Diskriminierung dieser Menschen (36–39).

Dieser Beschluss lässt sich demnach als vorläufig aktuellstes Sinnbild deutscher Asylpolitik charakterisieren, die sich eher durch Abwehr und Abschreckung als durch Humanität auszeichnet.

6.2 Gesetzliche Leistungsansprüche

Ansprüche auf sozialrechtliche Leistungen variieren in Deutschland stark in Abhängigkeit vom spezifischen Aufenthaltsstatus (Wansing/Westphal 2014b: 27;

Ennigkeit 2009: 14-15). In der Folge bedingt dies eine Hierarchisierung verschiedener Gruppen Geflüchteter und die Konstruktion von relativer (De-)privilegiertheit (z.B. Aufenthaltsbeschränkungen, Leistungsansprüche, Arbeitserlaubnis) (Achhammer/Herbst 2014: 213). Die unterschiedlichen Leistungsansprüche in Abhängigkeit zum Aufenthaltsstatus sollen im Folgenden dargestellt werden. Hierbei ist nicht die Zielsetzung, ein umfassendes Bild über die verschiedenen rechtlichen Ansprüche zu geben. Vielmehr wird bereits hier verdeutlicht, inwieweit die Komplexität und Unterschiedlichkeit der zugrundeliegenden Rechtsprechung weitere Barrieren erzeugen, die die gleichberechtigte Teilhabe Geflüchteter mit Behinderungen verhindern.

für Asylsuchende im Verfahren

Zugang zu Sozialleistungen erhalten Menschen im Asylverfahren ausschließlich über das Asylbewerberleistungsgesetz. (Wansing/Westphal 2014b: 27) Die medizinische Versorgung Asylsuchender gemäß §4 AsylbLG ist dabei enorm eingeschränkt und auf die Behandlung akuter Schmerzzustände beschränkt. (Schroeder 2011: 247).

Darüber hinaus ist es grundlegend nach § 6 AsylbLG möglich, weitere Leistungen zu gewähren. Diese Auffangklausel soll besondere Bedarfe abdecken, wenn die Leistungen nach § 4 AsylbLG dafür nicht ausreichen. Allerdings sind diese vom Ermessen der bewilligenden Sachbearbeiter*innen abhängig (Lechner 2004: 104).

Demzufolge haben Asylsuchende mit Behinderungen zunächst beispielsweise keinen regelhaften Zugang zu Hilfen in besonderen Lebenslagen nach SGB XII (u.a.

Eingliederungshilfe für behinderte Menschen) (Frings 2008: 320). §6 Satz 1 AsylbLG umfasst die Bereitstellung von Leistungen im Einzelfall, wenn diese zur Sicherung des Lebensunterhaltes, der Gesundheit, zur Deckung der besonderen Bedürfnisse von Kindern oder zur Erfüllung einer verwaltungsrechtlichen Mitwirkungspflicht notwendig sind. Diese sind im Regelfall als Sachleistung zu erbringen. (Hailbronner 2014: 304) Der Vorrang von Sachleistungen gegenüber Geldleistungen lässt sich hier auch weiterhin im Kontrast zu anderen Entwicklungen in der deutschen Behindertenhilfe problematisieren: Während mit der Einführung des persönlichen Budgets beispielsweise unter anderem Möglichkeiten zu mehr Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderungen eröffnet werden sollten, scheint dies für Geflüchtete mit Behinderung nicht zu gelten.

Nach erfolgreichem Asylverfahren

Geflüchtete mit Behinderungen, die in Deutschland beispielsweise eine Aufenthaltserlaubnis als Asylberechtigte (§25 Abs.1 AufenthG), als Konventionsflüchtlinge (§25Abs.2 AufenthG) oder wegen Aussetzung der Abschiebung (§25 Abs.3 AufenthG.) erhalten haben, sind in vielen Bereichen deutschen Staatsbürgern rechtlich gleichgestellt. So kann dieser Personenkreis beispielsweise Leistungen wie Eingliederungshilfe und Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben beantragen. (Ennigkeit 2009: 15) Auch die Versorgung bei Krankheiten und medizinischen Fragen wird in diesen aufenthaltsrechtlichen Stadien nicht mehr über das Asylbewerberleistungsgesetz geregelt, womit sich bessere Zugänge zu Leistungen ergeben als für andere Geflüchtete.

Nach nicht-erfolgreichem Asylverfahren

Personen, die das Asylverfahren nicht erfolgreich durchlaufen haben, haben vorerst weiterhin nur Ansprüche auf Leistungen gemäß §§ 4 und 6 Asylbewerberleistungsgesetz, wie weiter oben bereits konkretisiert

(Wansing/Westphal 2014b: 27). Seit der Novellierung des AsylbLG am 01.03.2015 können Personen nun allerdings Analogleistungen in Höhe der Leistungen gemäß SGB XII gewährt werden. Dem vorgeschaltet ist allerdings eine Wartefrist, also ein Leistungsbezug nach AsylbLG von 15 Monaten (Deutscher Bundestag 2014: 3).

Die Versorgung nach SGB XII ist dabei zunächst verschlossen, da ein dauerhafter Aufenthalt in Deutschland nicht prognostiziert werden kann. Dies gilt beispielsweise für Asylsuchende, deren Aufenthalt in Deutschland gemäß §25 Absatz 5 AufenthG wegen Ausreisehindernissen nicht beendet werden kann. In diesem Zusammenhang thematisiert Frings (2008) einen Widerspruch zur Qualifikationsrichtlinie der EU, die auch auf die besondere Schutzbedürftigkeit Geflüchteter mit Behinderungen hinweist. Gemäß aktueller bundesdeutscher Gesetzgebung sind besonders schutzbedürftige Geflüchtete nach wie vor von umfassenden, Teilhabe ermöglichenden, Leistungen ausgeschlossen (Frings 2008: 232). Sie verdeutlicht zudem an einem Beispiel, inwieweit diese Regelungen konkret einschränken:

"Daraus ergibt sich die widersinnige Situation, dass ein behinderter Ausländer mit einer Duldung [...] nach Beendigung der Schule einen Anspruch auf Leistungen im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich einer Werkstatt hat, da diese Leistungen durch die Bundesagentur für Arbeit erbracht wird [...], anschließend die Werkstatt aber nicht weiter besuchen darf, da es sich dabei um Eingliederungshilfe [...] handelt." Eine Weiterführung der Leistung wäre dann nur wieder nach Ermessen möglich (ebd.: 313). Die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises ist im Normalfall daran gekoppelt, den gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland zu haben. Das Bundessozialgericht hat in diesem Zusammenhang am 29. 04. 2010 entschieden17, dass ein Ausschluss von der Schwerbehinderteneigenschaft auf unabsehbare Zeit der Zielvorstellung sozialer Gerechtigkeit entgegen spricht.

Demzufolge haben auch Menschen, die jahrelang in Duldung leben, Anspruch auf die Anerkennung einer Schwerbehinderung. (ebd.: 154)

Zusammenfassung

Ennigkeit (2009) fasst zusammen, dass das Sozialrecht für Ausländer*innen in der BRD ein enorm komplexes, kaum zu überblickendes Feld darstellt. Dass sich Asylsuchende mit Behinderungen dabei selbstständig und selbstbestimmt darin zurechtfinden können, ohne professionelle juristische Hilfe einholen zu müssen, darf angezweifelt werden (Ennigkeit 2009: 16). Es lässt sich weiter konstatieren, dass

17Urteil: B 9 SB 2/09 R

der Zugang zu Leistungen einerseits stark abhängig ist vom jeweiligen aufenthaltsrechtlichen Status, andererseits auch im Ermessen von Behörden und Sachbearbeiter*innen steht. Für Menschen mit Behinderung und unsicherem Aufenthaltsstatus ist der Zugang zu Sozialleistungen und medizinischen Leistungen, die über die Linderung von Schmerzzuständen oder die Sicherung des Überlebens hinausgehen von Unklarheiten gekennzeichnet. Schmidtke (2003) attestiert der deutschen Gesetzgebung in diesem Zusammenhang „ein erhebliches Maß an Menschenverachtung.“ (Schmidtke 2004: 65)

7 Zusammenfassung

Es ist deutlich geworden, dass vergleichbare asylpolitische Entwicklungen in Großbritannien und Deutschland in den letzten Jahren zu erkennen sind. Diese lassen sich in Managed Migration im Bereich erwünschter Migration und Vermeidungsstrategien im Bereich unerwünschter Migration aufteilen. Konkret lassen sich auf politischer Ebene beispielhaft die Einführung von Gutscheinsystemen und Reduzierung sozialstaatlicher Leistungen ausmachen, die die Lebenslage Geflüchteter konsequent erschweren. Aber auch auf gesellschaftlicher Ebene ist ein Diskurs hegemonial, der Geflüchtete vornehmlich als Belastung und Problem darstellt. Verschärfungen im Zugang zu nationalstaatlichen Territorien und die Externalisierung von Grenzen führten weiter dazu, dass die Anzahl der Asylanträge zunächst abgenommen hat. Im Rahmen gemeinsamer europäischer asylpolitischer Anstrengungen ist eine weitere Angleichung der Regelungen zu erwarten. In diesem Zusammenhang bleibt aber zu hinterfragen, ob Staaten eine humanitäre Versorgung Geflüchteter auch in vergleichbaren Rahmen sicherstellen. Dies gilt insbesondere für besonders schutzbedürftige Geflüchtete, den nach EU-Richtlinien adäquate Versorgung zur Verfügung gestellt werden muss. Die Einschränkung sozialstaatlicher Leistungen für Menschen in ohnehin prekären aufenthaltsrechtlichen Situationen ist ein Hinweise darauf, dass angemessene Versorgung eher versucht wird zu limitieren, anstatt diese auszuweiten. Untersuchungen in Großbritannien haben deutliche Versorgungslücken für Geflüchtete mit Behinderungen ausmachen können.

Insbesondere der Zugang zu Leistungen ist durch vielfältige Barrieren schwierig.

Ebenso die Unterbringung in Geflüchtetenunterkünften und fehlendes Know-How bei Unterstützungssystemen erschweren eine adäquate Versorgung. Inwieweit eine vergleichbare Situation in Deutschland vorliegt ist bisher nicht umfassend untersucht worden. Die ähnlich komplizierte rechtliche Lage lässt jedoch bereit den Rückschluss zu, dass die Versorgung ebenso problematisch sein könnte wie in Großbritannien.

Die existierende Forschungslücke versucht diese Arbeit hier aufzugreifen und zu bearbeiten. Im Folgenden wird deshalb zunächst das Forschungsdesign vorgestellt, mit dem die Versorgungslage Geflüchteter in Deutschland untersucht wurde.

Danach erfolgt die Darstellung der gemachten Erkenntnisse, sowie notwendiger Handlungsbedarfe.

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