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Pjlichtversichertenkreis und Bemessungsgrundlage

4 Die Reformoptionen im Überblick

4.2 Pjlichtversichertenkreis und Bemessungsgrundlage

Wie bei der Kritik am geltenden System dargelegt, teilt die Versicherungs-pflichtgrenze, die derzeit (2007) bei einem Arbeitsentgelt von monatlich 3.975 Euro liegt, die Bürger auf zwei unterschiedliche Versicherungsmärkte auf. Für Arbeitnehmer mit einem Arbeitsentgelt unterhalb dieser Grenze besteht eine Versicherungspflicht in der GKV, während Arbeitnehmer mit einem höheren Arbeitsentgelt die Wahl zwischen einer freiwilligen Mitgliedschaft in der GKV und der PKV besitzen. An Stelle der geltenden Regelung bieten sich daher die folgenden Refonnoptionen an:

• Absenkung der Pflichtversicherungsgrenze,

• diskretionäre Anhebung der Pflichtversicherungsgrenze, z. B. auf das Niveau der Beitragsbemessungsgrenze in der GRV (2007 bei 5250 Eu-ro pEu-ro Monat),

• Aufhebung der Pflichtversicherungsgrenze (noch ohne Selbständige und Beamte) und

• Einbeziehung der gesamten Bevölkerung {,,Bürgerversicherung").

Der Begriff „Bürgerversicherung" bezieht sich somit nur auf den Versicherten-kreis einer sozialen Krankenversicherung und erlaubt generell keinerlei Aussa-gen über die anderen potentiellen Reformelemente, wie Bemessungsgrundlage, Tarifform, die Deckung der Ausgaben, die (Mit-) Versicherung von Familienan-gehörigen oder die Beteiligung des Arbeitgebers. Detailliertere Einblicke bietet erst die zusätzliche Heranziehung der Bemessungsgrundlage mit den folgenden Optionen:

• risikoäquivalente Prämien,

• kassenspezifische Pauschalbeiträge,

• geltende Regelung, d.h. im wesentlichen Arbeitsentgelte und Renten,

• alle Einkünfte mit Freigrenzen oder Freibeträgen bei Kapitaleinkünften und

• alle Einkünfte.

Kombinationen aus den Alternativen Pflichtversichertenkreis und Bemessungs-grundlage, die Tabelle 3 synoptisch aufzeigt, kennzeichnen dann schon in

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kreter Fonn mehrere Refonnoptionen, die derzeit in Wissenschaft und Politik diskutiert werden. Dabei konzentriert sich das Interesse vor allem auf sechs Refonnoptionen. Das Votum fllr risikoäquivalente Prämien geht konsequenter-weise mit einer allgemeinen Pflicht zur Krankenversicherung bzw. der Einbe-ziehung der gesamten Bevölkerung einher (vgl. Oberender, P. und Fleischmann, J. 2002, S. 128ff.; Oberender, P. und Zerth, J. 2003, S. 36ff.; Kronberger Kreis 2002; Zweifel, P. und Breuer, M. 2002). Alle heutigen Krankenkassen und -versicherungen besitzen in diesem System (Feld 1) die Chance, unter gleichen Rahmenbedingungen in den Wettbewerb zu treten. Übersteigt die Prämie einen bestimmten Prozentsatz des Haushaltseinkommens, erhalten die Versicherten die jeweilige Differenz aus Steuennitteln.

Kassenspezifische Pauschalbeiträge harmonieren im Prinzip sowohl mit der geltenden Pflichtversicherungsgrenze (Feld 2)u, als auch mit einer Bürgerversi-cherung (Feld

3)2

5• Beide Varianten der kassenspezifischen Pauschalbeiträge benötigen fllr Versicherte, bei denen die Gesundheitspauschale einen bestimm-ten Prozentsatz ihres Haushaltseinkommens übersteigt (zumeist zwischen 12,5%

und 15%), ebenfalls einen sozialen Ausgleich vor. Seine Finanzierung kann

• aus dem Beitragssystem (vgl. Fritzsche, B. 2003/04),

• mit Beitragszuschüssen von außen bzw. aus dem Steuer- und Transfer-system,

• durch eine Integration in das Steuer- und Transfersystem (siehe Brey-er, F. et al. 2004) oder

• mittels Kombinationen aus diesen Alternativen (vgl. Rürup, B. und Wille, E. 2004 sowie in anderer Zusammensetzung Union in Deutsch-land, UID 2004; siehe hierzu auch Gaßner, M., Habennann, K., und Forster, R. 2005)

erfolgen.

24 Hierfür votieren z.B. Sachverständigenrat fllr die Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 2002, Ziffer 519ff. und 2003, Ziffer 306ff., ein Teil der Kommission fllr die Nachhaltigkeit in der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme 2003, S.161ff., die Kommission „Soziale Sicherheit" 2003, S. 22ff., der Wissenschaftliche Beirat beim Bun-desministerium der Finanzen 2004, Rürup, B. und Wille, E. 2004 sowie Bundesvereini-gung der Deutschen Arbeitgeberverbände BDA 2004.

25 Für eine solche ,,Bürgerpauschale" bzw. ,,pauschale Bürgerversicherung" (Farhauer, 0.

und Borchardt, K. 2004, S. 86ff.) plädieren u.a. Knappe, E. und Arnold, R. 2002, Henke, K-D., Grabka, M. und Borchardt, K. 2002, Poensgen, A. 2003, S. 150ff., Wagner, G., 2003, Breyer, F. et al. 2004 sowie Farhauer, 0., Borchardt, K. und Stargardt, T. 2004, S.

I 9f. und zuletzt auch Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 2004, Ziffer 510ff.

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Tabelle 3: Kombinationen aus Pjlichtversichertenkreis und Bemessungs-grundlage

~

rulkolqalvaleate lwle1pezlflscbe &elteade alle

Prlmiea PalllCbalbeltrlce lle&elH& Ebakßafte, aUe

(im mit Elakßafte

&elteade lle&elnl (75%

der BBG in der GRV) X 2 Statusquo 4

Eine Ausdehnung der Beitragsbemessungsgrundlage auf alle Einkunftsarten, d.h. eine Erweiterung um Zinsen, Mieten, Pachten usw., bei geltender Pflicht-versicherungsgrenze (Feld 4) empfehlen die Kommission „Soziale Sicherheit"

(2003, S. 19) und eine Mehrheit des Sachverständigenrates fllr die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen (2003, Ziffer 203ff.; ebenso Beske, F. 2002, S.

65). Eine Minderheit dieses Rates möchte dabei die Pflichtversicherungsgrenze auf das Niveau der Beitragsbemessungsgrenze in der GRV anheben (Feld 5).

Die Verbreiterung der Beitragsbemessungsgrundlage lässt sich schließlich auch mit einer Bürgerversicherung verbinden, wofllr ein Teil der Kommission fllr die Nachhaltigkeit in der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme (2003, S.149ff.) und Bündnis 90/Die Grürien (vgl. Sehlen, S., Sehräder, W. und Schiff-horst, G. 2004, S. 2lff.) plädieren (Feld 6). Diese Reformvariante erfasst aber nicht alle Einkünfte aus Kapitalvermögen (Feld 7), sondern sieht bei dieser Ein-kunftsart einen Freibetrag vor, den die geltende Regelung bei freiwillig Versi-cherten allerdings nicht beinhaltet.

Um die offensichtlich distributiven Verwerfungen der geltenden beitragsfreien Mitversicherung von Familienangehörigen zu beseitigen oder zumindest abzu-mildern, bieten sich folgende Reformalternativen an:

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• Splitting-Verfahren für Ehegatten, Kinder beitragsfrei,

• Mindestbeitrag flir nicht-berufstätige Ehegatten,

• Option einer Wahl zwischen Splitting-Verfahren und Mindestbeitrag,

• Pauschalbeitrag für jeden Ehepartner, Kinder beitragsfrei,

• Pauschalbeitrag für jeden Ehepartner, gruppenäquivalenter Beitrag flir Kinder aus Steuermitteln sowie

• Pauschalbeitrag für jeden Ehepartner, Kinder im Bedarfsfall ausgegli-chen.

Da die oben aufgelisteten Reformalternativen bei der späteren Vorstellung eines Reformvorschlages zur Diskussion stehen, beschränken sich die Ausführungen hier zunächst auf die drei Varianten, die mit einer einkommensabhängigen Be-messungsgrundlage einhergehen. Wie Tabelle 4 synoptisch aufzeigt, lassen sich die obigen drei Varianten der Mitversicherung von Familienangehörigen mit alternativen Abgrenzungen der beitragspflichtigen Einkunftsarten zu verschie-denen Reformoptionen verknüpfen. Unter verteilungspolitischen und fiskali-schen Aspekten stellt die Berücksichtigung aller Einkunftsarten in Verbindung mit dem Splitting-Verfahren (Feld 1) in diesem Kontext die konsequenteste Lösung dar, gefolgt von der Alternative, die Freibeträge oder -grenzen bei den Kapitaleinkünften (Feld 2) in Abzug bringt. Das Splitting-Verfahren teilt das gemeinsame Haushaltseinkommen hälftig auf und unterwirft dann beide Ehe-partner der Beitragspflicht. Es belastet auch Einverdienerfamilien, deren Haus-haltseinkommen unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze liegt, nicht stärker als das geltende System. Die Reformalternative, die Nicht-Arbeitseinkommen nur zur Hälfte26 und mit Freibeträgen berücksichtigt und eine Wahl zwischen Split-ting-Verfahren und Mindestbeitrag gestattet (Feld 3) schneidet zwar unter Ziel-aspekten am schlechtesten ab, besitzt aber möglicherweise im Hinblick auf seine politische Implementierung komparative Vorzüge. Für ein Splitting-Verfahren spricht sich grundsätzlich (Feld l oder 2), d.h. bei Ehegatten, die keine Kinder (mehr) erziehen und keine Pflegedienste verrichten, der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen (2003, Ziffer 204) und die Kom-mission „Soziale Sicherheit" (2003, S. 19f.) aus {ähnlich Sehlen, S., Sehräder, W. F., Schiffhorst, G. 2004, S.65ff.).

26 Die Belastung anderer Einkunftsarten mit dem halben Beitragssatz muss mit Blick auf die jüngsten Reformen, die Versorgungsbezüge dem vollen Beitragssatz unterwerfen, umso kritischer beurteilt werden.

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Tabelle 4: Einkommensabhängige Bemessungsgrundlage: Kombination aus Einkunftsarten und Mitversicherung von Familienangehörigen

::::?::::

fllr nicht berufstllti- Wahl zwischen Split-

Splitting-Verfahren gen Ehepartner Min- ting-V erfahren und

Einkunftsarten destbeitrag Mindestbeitrag

alle Einkunftsarten in voller Höhe 1 Nicht-Arbeitseinkommen zu

50v.H.

Freibetrag bzw. -grenze bei 2 KaoitaleinkOnften Nicht-Arbeitseinkommen zu

50 v.H. und Freibetrag bzw. - 3

izrenze bei Kapitaleinkünften

4.3 Exkurs: Auswertungen

zu

den f,skalischen Effekten einer Einbeziehung