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Zur Beteiligung des Arbeitgebers

4 Die Reformoptionen im Überblick

4.5 Zur Beteiligung des Arbeitgebers

Da Arbeitnehmer und Arbeitgeber die Beiträge zur GKV bisher jeweils hälftig finanzieren, führen steigende Beitragssätze auch zu einer Erhöhung der Lohn-bzw. Lohnnebenkosten und damit über eine Belastung des Faktors Arbeit

ten-32 Die Höhe des jährlichen Transferbedarfs hängt dabei von der Länge des Übergangszeit-raums und dem Alter der Kohorten ab, die noch im Umlageverfahren verbleiben. Der Ü-bergangszeitraum endet erst mit dem Tod aller Versicherten, die sich noch im Umlagever-fahren befanden (vgl. Henke, K.-D., Grabka, M.M. und Borchardt, K. 2002, S. 201ft).

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denziell zu negativen Beschäftigungswirkungen. Um die Arbeitskosten künftig von den Effekten steigender Beitragssätze abzukoppeln, existieren folgende Möglichkeiten:

• Abkehr von der paritätischen Finanzierung mit niedrigerem Beitrags-satzanteil des Arbeitgebers,

• Festschreibung des Beitragssatzanteils des Arbeitgebers und

• Auszahlung des Arbeitgeberbeitrages.

Eine Abkehr von der paritätischen Finanzierung der Beiträge sieht bereits das Gesundheitsmodernisierungsgesetz vor, das die Arbeitgeber künftig von der Finanzierung des Zahnersatzes und des Krankengeldes freistellt. Eine gewisse Aufweichung der paritätischen Finanzierung trat schon in der Vergangenheit materiell insofern ein, als die meisten Gesundheitsreformen bzw. Kostendämp-fungsgesetze den Leistungskatalog der GKV einengten und die Selbstbeteili-gung der Versicherten ausweiteten, d.h. die finanziellen Aufwendungen in Rich-tung der Versicherten verschoben. Eine Festschreibung bzw. Fixierung des Bei-tragssatzanteils des Arbeitgebers verlagert alle nachfolgenden Beitragsatzsteige-rungen auf den Arbeitnehmer bzw. Versicherten. Eine Festschreibung des Bei-tragssatzanteils des Arbeitgebers entspricht in seiner Wirkung einer steuer- und beitragsfreien Auszahlung des Arbeitgeberbeitrages, dessen Wachstum dann der allgemeinen Lohnentwicklung folgt. Dabei bleibt in beiden Varianten offen, ob und inwieweit die Arbeitnehmer etwaige Beitragssatzsteigerungen als Argumen-te in die Lohn- und Tarifverhandlungen einbringen.

Die Festschreibung des Beitragssatzanteils des Arbeitgebers und die Auszahlung des Arbeitgeberbeitrages verhindern, dass Beitragssatzsteigerungen unmittelbar und zwangsläufig die Lohnnebenkosten erhöhen. Im Rahmen einer Bemes-sungsgrundlage mit einkommensabhängigen Beiträgen können beide Varianten zum Einsatz kommen, während das Konzept kassensriezifischer Pauschalbeiträ-ge nur mit der Auszahlung des ArbeitPauschalbeiträ-geberbeitraPauschalbeiträ-ges 3 harmoniert. Im letzteren Fall sprechen fiskalische und verteilungspolitische Aspekte dafUr, den ausge-schütteten Arbeitgeberbeitrag als Bruttolohnbestandteil zu behandeln und ihn bei dem Versicherten der Einkommensteuer zu unterwerfen. Festschreibung des Beitragssatzanteils und Auszahlung des Arbeitgeberbeitrages besitzen im Sinne von Eigenverantwortung und Autonomie des Versicherten den Vorzug, dass der Arbeitgeber keinen Anreiz mehr besitzt, die Wahl der Krankenkasse zu

beein-33 Der Arbeitgeber könnte sich theoretisch betrachtet auch im Falle kassenspezifischer Pau-schalbeiträge hälftig an der Finanzierung beteiligen.

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flussen, denn diese kann sich nun ausschließlich an den Präferenzen des Versi-cherten orientieren.

Festschreibung des Beitragssatzanteils und Auszahlung des Arbeitgeberbeitrags können jeweils zum Stichtag bei:

• kassenspezifischem Beitragssatz,

• durchschnittlichem Beitragssatz,

• unterdurchschnittlichem Beitragssatz oder

• niedrigstem Beitragssatz

erfolgen. Die Wahl dieser Benchmark besitzt vor allem erhebliche wettbe-werbliche Konsequenzen. So erhält bei der Wahl des Beitragssatzes ein Versi-cherter, der sich in einer Krankenkasse mit einem hohen Beitragssatz befindet, einen dauerhaft höheren Zuschuss des Arbeitgebers, was sein Interesse mindert, vor dem Stichtag in eine Krankenkasse mit günstigerem Beitragssatz zu wech-seln. Die Wahl des durchschnittlichen Beitragssatzes verdoppelt hingegen, ver-glichen mit dem Status quo, die Beitragssatzunterschiede und induziert damit eine deutliche Verschärfung des Wettbewerbs zwischen den Krankenkassen34•

Im Sinne eines funktionsflihigen Wettbewerbs setzt dies allerdings eine faire wettbewerbliche Grundlage in Form eines adäquaten Risikostrukturausgleichs (RSA) voraus.

Die Wahl des niedrigsten Beitragssatzes dürfte den Wettbewerb zwar am stärks-ten fördern, stellt für die gesamte Versicherstärks-tengemeinschaft aber möglicherwei-se keine realistische Option dar. Sofern die Krankenkasmöglicherwei-se mit dem niedrigsten Beitragssatz eine günstige Risikostruktur aufweist, die der RSA nicht völlig ausgleicht, müsste ihr Beitragssatz bei einer Zuwanderung selbst dann steigen, wenn es sich bei den Neuzugängen nur um durchschnittliche Risiken handelt.

Die gesamte Versichertengemeinschaft könnte die Krankenkasse - abgesehen von Verwaltungsproblemen - zu diesem günstigen Beitragssatz in keinem Fall aufnehmen. Aus dieser Perspektive bietet sich ein Beitragssatz etwa in der Nähe des Durchschnitts der unteren Hälfte an, während pragmatische bzw. Implemen-tationsaspekte insofern für den durchschnittlichen Beitragssatz sprechen, als dieser zum Zeitpunkt der Umstellung insgesamt gesehen den Finanzierungsan-teil von Arbeitgebern und Arbeitnehmern nicht verändert. Er könnte gleichwohl

34 Dies bewirkt auch eine Normierung des Beitragssatzanteils des Arbeitgebers, bei der im Unterschied zur Festschreibung Beitragssatzsteigerungen in den normierten Satz eingehen und damit auch die Lohnnebenkosten erhöhen.

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bereits im Vorfeld der Umstellung beitragssatzsenkende Wettbewerbsprozesse auslösen.

Ein anteiliger Arbeitgeberbeitrag widerspricht nicht nur der Leitlinie Souveräni-tät und Eigenverantwortung des Versicherten, er lässt sich auch nicht mit dem Verteilungspostulat begründen. Bei der verteilungspolitischen Beurteilung des Arbeitgeberbeitrages gilt es zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber diesen zwar (vor-) finanziert, aber abgesehen von Friktionskosten in der Regel nicht bzw. nur zu einem geringen Teil trägt. Er versucht, seinen Beitragsanteil wie andere Produktionskosten und Kostensteuern über die Verkaufspreise auf die Konsumenten zu über- oder auf die Arbeitnehmer in Form von Lohnsenkungen und/oder Entlassungen rückzuwälzen. Da Unternehmen konkurrierende Produk-te zumeist in gleicher, zumindest ähnlicher ArbeitsinProduk-tensität erzeugen, dürfProduk-te diese Überwälzung des Beitragsanteils - mit Ausnahme des Vorliegens einer sehr elastischen Nachfrage - weitgehend gelingen. Die Beitragsinzidenz fällt damit überwiegend bei den Konsumenten an, so dass auch die Versicherten über den Kauf dienstleistungsintensiver Güter den Arbeitgeberanteil letztlich tragen.

Die Vorstellung, dass sich der Arbeitgeber in der GKV mit einem Beitragsanteil an der Finanzierungslast der Gesundheitsaufwendungen solidarisch beteiligt, beruht auf einer verteilungspolitischen Illusion.

4. 6 Gemeinsamkeiten der Reformvorschlllge

Obgleich somit eine Vielzahl von Reformoptionen existiert, die mit dem Pflichtversichertenkreis, der Bemessungsgrundlage, dem Tarif, der Ausgaben-deckung, der (Mit-) Versicherung von Familienangehörigen und der Beteiligung des Arbeitgebers an sechs verschiedenen Elementen der Finanzierung des Krankheitsrisikos ansetzen und hier jeweils unterschiedliche Varianten präsen-tieren, besteht doch ein beachtlicher Fundus an Gemeinsamkeiten. Dieser er-streckt sich nicht nur auf die Analyse der Schwachstellen des geltenden Bei-tragssystems, sondern beinhaltet zumindest in der Tendenz auch die konstrukti-ven Vorschläge. Darüber hinaus umfassen die Gemeinsamkeiten der Reformop-tionen sowohl fiskalische, als auch allokative und verteilungspolitische Aspekte.

In fiskalischer Hinsicht unterstellen - mehr oder weniger explizit - alle Reform-vorschläge, dass die derzeitige Wachstumsschwäche der Finanzierungsbasis in der GKV nicht nur auf konjunkturelle, sondern auch auf strukturelle Einfluss-faktoren zurückgeht. Dies bedeutet, dass die Finanzierungsbasis der GKV auf absehbare Zeit nicht mit dem Wachstum des BIP Schritt zu halten vermag. Da auch die Schöpfung des vorhandenen Rationalisierungspotentials, die zudem entsprechende Reformen voraussetzt, diese Finanzierungslücke bestenfalls ver-ringern, aber nicht schließen kann, drohen bei gegebener Beitragsgestaltung entweder weitere Beitragssatzsteigerungen oder empfindliche Rationierungen.

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Beide Effekte treffen Versicherte mit geringerem Einkommen und sozialem Status absolut und relativ stärker. Insofern bemühen sich alle Reformvorschläge um eine fiskalische Stärkung der Finanzierungsbasis mit dem Ziel einer besseren Nachhaltigkeit.

Da immer noch ein beachtliches Rationalisierungspotential im deutschen Ge-sundheitswesen existiert, steht dessen Realisierung unter allokativen Aspekten im Vordergrund. Die Ausschöpfung der Effizienz- und Effektivitätsreserven kann sowohl fiskalische Effekte in Form von Einsparungen als auch allokative Wirkungen durch eine Verbesserung der gesundheitlichen Outcomes erzeugen.

Die überwiegende Mehrzahl der Reformvorschläge fordert zu diesem Zweck eine Intensivierung des Wettbewerbs und zwar nicht nur zwischen den Kran-kenkassen, sondern auch auf der Ebene der Leistungserbringer. Ein funktionsfli-higer Wettbewerb der Krankenkassen innerhalb der GKV setzt zunächst einen adäquaten RSA, der die wettbewerblich relevanten Morbiditäten veranschlagt, als ordnungspolitischen Rahmen voraus. Hinsichtlich des Wettbewerbs der Leis-tungserbringer beseitigt das Gesundheitsmodernisierungsgesetz zwar einige strukturelle Hindernisse, die dadurch verbesserte Wettbewerbsintensität genügt jedoch noch nicht allokativen Kriterien. Einigkeit besteht ebenfalls bei der For-derung nach mehr und vor allem zielgerichteter Prävention.

Die Versicherungspflichtgrenze trennt den Markt in zwei Segmente mit völlig unterschiedlichen Rahmenbedingungen, wobei derzeit sowohl der Wettbewerb zwischen GKV und PKV an dieser Grenze als auch der Wettbewerb innerhalb der PKV ordnungspolitische Defizite aufweist. An diesem Befund setzen alle Reformvorschläge an. Die Konzepte, die an der Pflichtversicherungsgrenze festhalten, fordern deshalb zur Intensivierung des Wettbewerbs innerhalb der PKV die Portabilität der Altersrückstellungen. Ein funktionsflihiger Wettbewerb setzt allerdings ebenfalls voraus, dass die privaten Krankenversicherungen über Instrumente im Vertragsgeschäft mit den Leistungserbringern verfügen.

Die Reformkonzepte, die über eine Abschaffung der Pflichtversicherungsgrenze eine Bürgerversicherung vorsehen, verfolgen damit aber nicht in erster Linie allokative Zwecke, sondern Verteilungsziele. Die Pflichtversicherungsgrenze zwingt in ziemlich willkürlicher Weise einen Teil der Bevölkerung in ein Kran-kenversicherungssystem mit Solidarausgleich, während sie einem anderen Teil eine Wahl zwischen entgeltabhängigen Beiträgen und risikoäquivalenten Prä-mien eröffnet. Eine Beteiligung der PKV-Versicherten an der solidarischen Finanzierung der GKV beinhalten - auch unabhängig von der derzeitigen höhe-ren Bezahlung von Gesundheitsleistungen durch die PKV - alle Reformkonzep-te, d.h. auch jene, die an der Pflichtversicherungsgrenze festhalten. Hinsichtlich der ökonomischen Inzidenz, d.h. der tatsächlichen Belastung der Versicherten, weisen alle Reformkonzepte bis zu einer bestimmten Einkommensgrenze einen entgelt- bzw. einkommensabhängigen Bereich auf. Je nach Ausgestaltung dieses

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Bereichs können Versicherte mit einem niedrigen Einkommen bei einkommens-abhängigen Beiträgen, bei kassenspezifischen Pauschalbeiträgen und sogar bei risikoäquivalenten Prämien die gleiche Belastung tragen. Selbst bei risikoäqui-valenten Prämien besteht auch bei sehr kranken Versicherten nicht die Gefahr einer finanziellen Überforderung35• Der Unterschied besteht hier nicht in der Zahllast des Versicherten bzw. seiner solidarischen Unterstützung, sondern dar-in, ob die entsprechende Finanzierung innerhalb des Krankenversicherungssys-tems oder von außen über das Steuer- und Transfersystem erfolgt.

Nahezu alle Reformvorschläge nehmen Kinder von der Belastung aus, entweder durch unmittelbare Befreiung von der Beitragspflicht oder durch Ersatz der entsprechenden Aufwendungen. Der Unterschied liegt auch hier nicht in der finanziellen Belastung als vielmehr darin, ob dies im System oder außerhalb geschieht. Ferner rücken im Hinblick auf die Bemessungsgrundlage fast alle Konzepte von der derzeitigen schmalen und wachstumsschwachen Finanzie-rungsbasis ab und streben in irgendeiner Form nach einer Verbreiterung. Dies löst die Beiträge bzw. Prämien, wenn auch unterschiedlich stark, von den Ar-beitseinkommen und damit vom Faktor Arbeit. Parallel hierzu findet im Rahmen der Beitragsbemessung, z.B. durch die Einbeziehung von Zinseinkünften oder bei kassenspezifischen Pauschalbeiträgen, eine etwas stärkere Belastung von Rentnern statt, was zumindest mit dem intergenerativen Verteilungspostulat in Einklang steht. Schließlich versuchen mehrere Reformvorschläge, die derzeiti-gen verteilungspolitischen Verwerfunderzeiti-gen zu beseitiderzeiti-gen, die in der Bevorzugung von Einverdienerfamilien bestehen. Dies geschieht bei risikoäquivalenten Prä-mien und kassenspezifischen Pauschalbeiträgen quasi automatisch, diesem Ziel dient bei einkommensabhängigen Beiträgen das Splitting-V erfahren.

4. 7 Zwischenfazit

Neben den beiden Optionen „Bürgerversicherung mit einkommensabhängigen Beiträgen" und „Gesundheitsprämien mit steuerfinanziertem Einkommensaus-gleich" existiert eine Vielzahl von Reformalternativen. Diese können an unter-schiedlichen Elementen und Strukturen des geltenden Beitragssystems ansetzen und auch aus zahlreichen Kombinationen dieser Elemente bestehen.

Pflichtver-35 Das Konzept risikoAquivalenter Prämien sieht, ähnlich wie heute die PKV, tl1r jedes Kind eines Versicherten bzw. tl1r jeden Neugeborenen unabhlngig von dessen Krankheitsrisiko bzw. Morbidität eine Pauschalprämie vor. Es unterscheidet sich somit erst dann von dem Reformvorschlag kassenspezifischer Pauschalbeitrllge, wenn der Versicherte die Kranken-kasse bzw. -versicherung wechselt. Da es im Konzept risikolquivalenter Prilmien im Un-terschied zum System kassenspezifischer Pauschalbeiträge keinen RSA gibt, dürfte ein Versicherter mit einem hohen oder auch schon etwas höherem Krankheitsrisiko zeitlebens in der Kasse bleiben, in die er als Neugeborener eintrat.

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sichertenkreis, Bemessungsgrundlage, Beitragstarif, Mitversicherung von Fami-lienangehörigen, Deckung der Ausgaben und Beteiligung des Arbeitgebers stel-len diese grundsätzlichen Ansatzpunkte dar. Der Begriff „Bürgerversicherung"

bezieht sich somit nur auf den Versichertenkreis einer sozialen Krankenversi-cherung und erlaubt generell keinerlei Aussagen über die anderen potentiellen Reformelemente, wie Bemessungsgrundlage, Tarifform, die Deckung der Aus-gaben, die (Mit-) Versicherung von Familienangehörigen oder die Beteiligung des Arbeitgebers. Detailliertere Einblicke bietet erst die zusätzliche Heranzie-hung der Bemessungsgrundlage.

Zu Abmilderung oder Beseitigung der offensichtlichen Verwerfungen der gel-tenden beitragsfreien Mitversicherung von Familienangehörigen kann neben einem Splittingverfahren auch ein Pauschalbetrag herangezogen werden, wobei die Möglichkeit einer Kombination mit einem Mindestbeitrag ebenso gesehen wird wie die Berücksichtigung von Kindererziehung als Minderungsgrund.

Bei der umfassendsten Form der Erweiterung der Versicherungspflicht werden alle Bürger und damit auch die Beamten in die GKV einbezogen. Ein Exkurs zeigt auf, dass dadurch eine Schlechterstellung der Beihilfeberechtigten entsteht, sofern man einen einheitlichen Arbeitgeberanteil von 50% gewährt und nicht wie im derzeitigen System unterschiedliche Beihilfesätze. Erhält man den Leis-tungsumfang bzw. den Absicherungsumfang der bisherigen Beihilferegelung ergeben sich annähernd gleiche Ausgabenhöhen für Beihilfe und fiktive Arbeit-geberanteile. Die Abschaffung der existierenden Beihilfe bei gleichem Absiche-rungsumfang, bewirkt Mehrkosten im Umstellungszeitraum und damit eine Mehrbelastung der öffentlichen Haushalte.

Weiterhin orientieren sich zumindest im ambulanten Bereich die Zahlungen der Beihilfestellen an der Gebührenordnung für Ärzte. Sollte eine Absicherung der Beamten innerhalb der GKV erfolgen, dürften die damit verbundenen Einnah-menausfälle der Ärzte zumindest teilweise in die Gebührenverhandlung zum EBM eingehen und eine Kompensation nach sich ziehen. Die damit verbunde-nen Beitragssatzsteigerungen in der GKV belasten dann zusätzlich die öffentli-chen Arbeitgeber.

Die Deckung der Ausgaben erfolgt im geltenden System der GKV im Unter-schied zur PKV mit Hilfe eines reinen Umlageverfahrens, d. h. es findet keiner-lei Kapitaldeckung statt. Die Kapitaldeckung besitzt gegenüber dem Umlagever-fahren unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit und, vor dem Hintergrund des ab-sehbaren Wandels der demographischen Struktur, auch im Sinne der intergene-rativen Verteilung zweifellos komparative Vorteile. Sie weist allerdings vergli-chen mit dem Umlageverfahren geringere Vorzüge als im Rahmen der Alterssi-cherung auf. Die Kapitaldeckung vermag im Unterschied zum Umlageverfahren zwar Veränderungen der demographischen Struktur zu neutralisieren, einer

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längerten Lebenszeit kann sie aber ebenfalls nur mit Hilfe diskretionärer Anpas-sungen der Prämien Rechnung tragen.

Angesichts des beträchtlichen Transferbedarfs, den ein Übergang zu einer vollen Kapitaldeckung erfordert und der langen Übergangszeit überrascht es nicht, dass die überwiegende Zahl der Reformvorschläge von dieser Variante absieht. Dabei gilt es auch zu berücksichtigen, dass eine Kapitaldeckung nicht nur in der Kran-kenversicherung, sondern auch im Rahmen von Reformen im Bereich der Al-terssicherung und der Absicherung gegenüber dem Pflegerisiko zur Diskussion steht.

Da Arbeitnehmer und Arbeitgeber die Beiträge zur GKV bisher jeweils hälftig finanzieren, führen steigende Beitragssätze auch zu einer Erhöhung der Lohn-bzw. Lohnnebenkosten und damit über eine Belastung des Faktors Arbeit ten-denziell zu negativen Beschäftigungswirkungen. Eine Abkehr von der paritäti-schen Finanzierung der Beiträge sieht bereits das Gesundheitsmodernisierungs-gesetz vor. Die Festschreibung des Beitragssatzanteils des Arbeitgebers und die Auszahlung des Arbeitgeberbeitrages verhindern, dass Beitragssatzsteigerungen unmittelbar und zwangsläufig die Lohnnebenkosten erhöhen. Im Rahmen einer Bemessungsgrundlage mit einkommensabhängigen Beiträgen können beide Varianten zum Einsatz kommen, während das Konzept kassenspezifischer Pau-schalbeiträge nur mit der Auszahlung des Arbeitgeberbeitrages harmoniert.

Festschreibung des Beitragssatzanteils und Auszahlung des Arbeitgeberbeitrages besitzen im Sinne von Eigenverantwortung und Autonomie des Versicherten den Vorzug, dass der Arbeitgeber keinen Anreiz mehr besitzt, die Wahl der Krankenkasse zu beeinflussen, denn diese kann sich nun ausschließlich an den Präferenzen des Versicherten orientieren.

Ein anteiliger Arbeitgeberbeitrag widerspricht nicht nur der Leitlinie Souveräni-tät und Eigenverantwortung des Versicherten, er lässt sich auch nicht mit dem Verteilungspostulat begründen. Die Beitragsinzidenz flillt überwiegend bei den Konsumenten an, so dass auch die Versicherten über den Kauf dienstleistungsin-tensiver Güter den Arbeitgeberanteil letztlich tragen. Die Vorstellung, dass sich der Arbeitgeber in der GKV mit einem Beitragsanteil an der Finanzierungslast der Gesundheitsaufwendungen solidarisch beteiligt, beruht auf einer vertei-lungspolitischen Illusion.

In fiskalischer Hinsicht unterstellen - mehr oder weniger explizit - alle Reform-vorschläge, dass die derzeitige Wachstumsschwäche der Finanzierungsbasis in der GKV nicht nur auf konjunkturelle, sondern auch auf strukturelle Einfluss-faktoren zurückgeht.

Da immer noch ein beachtliches Rationalisierungspotential im deutschen Ge-sundheitswesen existiert, steht dessen Realisierung unter allokativen Aspekten im Vordergrund, wenngleich die Ausschöpfung der Effizienz- und

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reserven sowohl fiskalische Effekte in Form von Einsparungen als auch alloka-tive Wirkungen durch eine Verbesserung der gesundheitlichen Outcomes erzeu-gen kann. Die überwieerzeu-gende Mehrzahl der Reformvorschläge fordert zu diesem Zweck eine Intensivierung des Wettbewerbs und zwar nicht nur zwischen den Krankenkassen, sondern auch auf der Ebene der Leistungserbringer.

Die Versicherungspflichtgrenze trennt den Markt in zwei Segmente mit völlig unterschiedlichen Rahmenbedingungen, wobei derzeit sowohl der Wettbewerb zwischen GKV und PKV an dieser Grenze als auch der Wettbewerb innerhalb der PKV ordnungspolitische Defizite aufweist. An diesem Befund setzen alle Reformvorschläge an. Die Konzepte, die an der Pflichtversicherungsgrenze festhalten, fordern deshalb zur Intensivierung des Wettbewerbs innerhalb der PKV die Portabilität der Altersrückstellungen. Ein funktionsfllhiger Wettbewerb setzt allerdings ebenfalls voraus, dass die privaten Krankenversicherungen über Instrumente im Vertragsgeschäft mit den Leistungserbringern verfügen. Die Reformkonzepte, die über eine Abschaffung der Pflichtversicherungsgrenze eine Bürgerversicherung vorsehen, verfolgen damit aber nicht in erster Linie alloka-tive Zwecke, sondern Verteilungsziele.

Hinsichtlich der ökonomischen Inzidenz, d.h. der tatsächlichen Belastung der Versicherten, weisen alle Reformkonzepte bis zu einer bestimmten Einkom-mensgrenze einen entgelt- bzw. einkommensabhängigen Bereich auf. Je nach Ausgestaltung dieses Bereichs können Versicherte mit einem niedrigen Ein-kommen bei einEin-kommensabhängigen Beiträgen, bei kassenspezifischen Pau-schalbeiträgen und sogar bei risikoäquivalenten Prämien die gleiche Belastung tragen. Selbst bei risikoäquivalenten Prämien besteht auch bei sehr kranken Versicherten nicht die Gefahr einer finanziellen Überforderung. Der Unterschied besteht hier nicht in der Zahllast des Versicherten bzw. seiner solidarischen Unterstützung, sondern darin, ob die entsprechende Finanzierung innerhalb des Krankenversicherungssystems oder von außen über das Steuer- und Transfersys-tem erfolgt.

Nahezu alle Reformvorschläge nehmen Kinder von der Belastung aus, entweder durch unmittelbare Befreiung von der Beitragspflicht oder durch Ersatz der entsprechenden Aufwendungen. Der Unterschied liegt auch hier nicht in der finanziellen Belastung als vielmehr darin, ob dies im System oder außerhalb geschieht. Ferner rücken im Hinblick auf die Bemessungsgrundlage fast alle Konzepte von der derzeitigen schmalen und wachstumsschwachen Finanzie-rungsbasis ab und streben in irgendeiner Form nach einer Verbreiterung.

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S Varianten kassenspezifischer Gesundheitspauschalen

5.1 Gesundheitspauschalen nach dem Vorschlag von RQrup und Wille 2004'6

5.1.1 Ziel und Anlass

Die auch nach Inkrafttreten des GKV-Modemisierungsgesetzes anstehenden beschäftigungspolitischen und fiskalischen Probleme ebenso wie die absehbare Ausgabendynamik, lassen eine weitere Reform der GKV notwendig erscheinen.

Ziel des Vorschlages war es einen politisch gangbaren Weg zur

Ziel des Vorschlages war es einen politisch gangbaren Weg zur