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A. A LLGEMEINER T EIL

2.1 Pflanzenschutzmittel

Die ersten eingesetzten chemischen Pflanzenschutzmittel waren hauptsächlich anorganischen Ursprungs und oftmals auch für den Menschen und Nutzinsekten äußerst toxisch (vgl.

Abbildung 1). Aufgrund ihrer in der Regel recht unselektiven Wirkung mussten sie außerdem in großen Mengen ausgebracht werden.

Abbildung 1: Historische Pflanzenschutzmittel nach Stetter et al.2

Durch die Erschließung synthetisch leicht zugänglicher und breit anwendbarer organisch-chemischer Wirkstoffe im 20. Jahrhundert wurde die Grundlage für den modernen Pflanzenschutz geschaffen. Vor allem Organophosphor- (z. B. Parathion (1)3), Organochlor- (z. B. DDT (2),4 2,4-D (3)5) und Carbaminsäurederivate (z. B. TMDT (4)6) erwiesen sich als sehr effektive Mittel der prosperierenden agrochemischen Industrie. Neben dem Einsatz zur Produktivitätssteigerung im Agrarbereich werden Insektizide wie DDT (2) ebenfalls im Gesundheitssektor bei der Bekämpfung von Moskitos und der einhergehenden Malaria-prävention in tropischen und subtropischen Gebieten eingesetzt.

Trotz der spezifischeren Wirkweise der organischen Substanzklassen birgt eine dauerhafte Anwendung in großem Maßstab auch Risiken und Gefahren. Organophosphorverbindungen werden beispielsweise wegen ihrer unspezifischen, irreversiblen Phosphorylierung der Acetylcholinesterase heutzutage mit der Entstehung von Tumoren in Zusammenhang gebracht.7 Carbamate sind hingegen in der Regel spezifischere, reversible Acetylcholin-esterasehemmer, die von Säugetieren rasch detoxifiziert werden. Allerdings sind Nutzinsekten wie Bienen nicht in der Lage, Carbaminsäurederivate zu metabolisieren und werden somit zum ungewollten Target dieser Wirkstoffklasse.8

Aufgrund ihrer hohen Persistenz lagern sich Organochlorinsektizide wie DDT (2) im Wasser bzw. Erdreich an und gelangen so in die Nahrungskette des Menschen. Durch die Einlagerung der POPs (Persistant Organic Pollutants) im Fettgewebe von Menschen und Tieren kann es zu Schädigungen im Nervensystem,9 schnellerem Altern10 und Brustkrebserkrankungen11 kommen. Durch die gesteigerte öffentliche Aufmerksamkeit gegenüber teratogenen Pflanzenschutzmitteln fand das Zeitalter der POPs schließlich durch das Inkrafttreten der Stockholmer Konvention ein Ende. Unter Einbeziehung dieser Aspekte wird deutlich, weshalb eine stetige Weiterentwicklung der Pflanzenschutzmittel unabdingbar ist.

2.1.1 Anforderungen an neue Wirkstoffe12

Während frühere Pflanzenschutzmittelgesetze sich lediglich mit dem Schutz der Nutzpflanze beschäftigten, sind die heutigen Anforderungen an Pflanzenschutzmittel wesentlich höher und vielseitiger. Durch die Zulassungspflicht und hohen Auflagen für neue Wirkstoffe in der Agrochemie hat sich die Forschung zu einer High-Tech-Industrie entwickelt. In den hohen Qualitätsansprüchen an Pflanzenschutzmittel unterscheidet sich das Forschungsgebiet nur noch marginal von der Arzneimittelentwicklung. Neben einer selektiven Wirkung auf Schadorganismen müssen die Hersteller auch die toxikologische Unbedenklichkeit für den Anwender, den Konsumenten und Nutzorganismen wie Bienen sowie eine hervorragende Umweltverträglichkeit gewährleisten. Unter diesen Gesichtspunkten gehören

Pflanzenschutz-mittel schon heute zu den am besten untersuchten Chemikalien, mit denen Mensch und Umwelt in Kontakt kommen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Wirtschaftlichkeit des Produktes. Die Bereitstellung des Wirkstoffs, sei es durch Gewinnung oder Herstellung, sollte möglichst unkompliziert und mit einem geringen Kostenaufwand verbunden sein. Darüber hinaus gilt es, für die benötigte Wirkung eine nach Möglichkeit geringe Substanzmenge aufzuwenden. Um Kreuzresistenzen mit anderen Pflanzenschutzmitteln zu vermeiden, sollte ein potentieller Wirkstoff zudem idealerweise einen neuartigen Wirkmechanismus aufweisen. All diese Vorgaben führen dazu, dass der durchschnittliche Entwicklungszeitraum von neuen Pflanzenschutzmitteln in der Agrochemie mittlerweile eine Zeitspanne von acht bis zwölf Jahren umfasst.

Das Konzept des integrierten Pflanzenschutzes sieht vor, dass die ökologischen und wirtschaftlichen Aspekte auf Basis einer nachhaltigen Entwicklung miteinander verknüpft werden, um somit eine Maximierung der biologischen und mechanischen Schutz-mechanismen bei gleichzeitiger Minimierung der eingesetzten Wirkstoffmenge zu erreichen.13 Um dies zu gewährleisten, wurde der integrative Pflanzenschutz im August 2011 gesetzlich verankert und ist seit 1. Januar 2014 für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union verpflichtend.

2.1.2 Fungizide14

Fungizide sind Pflanzenschutzmittel, die die Entwicklung pathogener Pilze an Kulturpflanzen hemmen oder den Pilzbefall direkt mortifizieren. Neben Ernteausfällen sind pathogene Pilze auch für die Ausbildung toxischer Verbindungen wie beispielsweise der Mutterkornalkaloide verantwortlich. Allein in Deutschland wurden 2012 etwa 9 066 t Fungizide abgesetzt.15

Da Pilze sowohl in Form von Sporen auf der Oberfläche als auch als Organismus im Inneren der Nutzpflanze zu finden sind, gibt es für Fungizide verschiedene Wirkorte und Wirkmechanismen. Strukturell betrachtet weisen Fungizide infolgedessen eine hohe Vielfältigkeit in den Leitmotiven der Wirkstoffe auf (Abbildung 2).

Abbildung 2: Beispiele für moderne organische Fungizide.

Der Großteil der Fungizide wirkt inhibitorisch auf die mitochondriale Atmungskette der pathogenen Pilze. Ein namhaftes Beispiel aus dieser Substanzklasse ist das Strobilurin A (5), welches eine ausgezeichnete fungizide Wirkung aufweist und als Namensgeber sowie Leitstruktur der Wirkstoffklasse der Strobilurine fungiert. Strobilurine bilden innerhalb des Gewebes ein Wirkstoffdepot, welches über einen längeren Zeitraum den Wirkstoff an die Nutzpflanze abgibt und somit einen permanenten Schutz bietet. Der große Vorteil dieser Substanzklasse ist, dass sie infolgedessen nicht so frequentiert auf die Agrarfläche aufgetragen werden muss und der Wirkstoff nicht durch Regen ausgewaschen wird.

Demethylierungsinhibitoren (DMIs) sind in der Lage, in die Steroidbiosynthese der pathogenen Pilze einzugreifen und so deren Wachstum und die Sporenbildung zu unterdrücken. Dabei sind die Wirkstoffe meist innerhalb der Pflanze mobil und können eine kurative und protektive Wirkung entfalten. Als wichtiger Vertreter der DMIs gilt das Triazol Epoxiconazol (6), welches von der BASF vertrieben wird. Ein weiterer potenter Wirkstoff mit anderem Strukturmotiv ist das Benthiavalicarb (7), welches effektiv den Zellwandaufbau des Schadorganismus inhibiert.

2.1.3 Herbizide16

Die zweite und wirtschaftlich wichtigste Klasse der Pflanzenschutzmittel sind die Herbizide.

Herbizide zeichnen sich durch ihre Aktivität gegen die unerwünschte Begleitflora der Kulturpflanzen aus und stellen mit 19 907 t und 43% einen enormen Anteil der 2012 in Deutschland ausgetragenen Pflanzenschutzmittel dar.15

Eine Klassifizierung der Herbizide kann anhand ihres Wirkmechanismus erfolgen. Ähnlich den Fungiziden gibt es auch hier eine Vielzahl von Wirkorten. Von den 30 experimentell bestätigten Targets, die sich hauptsächlich in den Chloroplasten befinden, sind ca. 19 wirtschaftlich interessant. Zwei der bekanntesten Herbizide, die Bipyridiniumsalze Paraquat (8) und Diquat (9) (Abbildung 3) wirken beispielsweise am Photosystem I. Aufgrund ihrer unselektiven Wirkung und der dadurch hervorgerufenen toxikologischen Bedenken werden sie jedoch in vielen Ländern nur noch eingeschränkt eingesetzt oder wurden komplett verboten.

Abbildung 3: Beispiele für kommerzielle Herbizide.

Während die Bipyridiniumsalze am Photosystem I wirken, beeinflusst der Großteil der Herbizide das Photosystem II. Ein wichtiger, weil sehr selektiver, Wirkstoff ist das Bromoxynil (10), das zusätzlich zu der Photosyntheseinhibition in die Atmungskette eingreift und den für die ATP-Synthese essentiellen Aufbau eines Protonengradienten an der Mitochondrienmembran verhindert.

Eines der kommerziell erfolgreichsten Pflanzenschutzmittel ist das Glyphosat (11), welches ein zentrales Enzym im Shikimisäureweg hemmt und somit die Biosynthese der aromatischen Aminosäuren Tyrosin, Phenylalanin und Tryptophan inhibiert. Glyphosat (11) wird besonders auf dem amerikanischen Kontinent und in Kombination mit gentechnisch verändertem Saatgut eingesetzt. Die Nutzpflanzen diese Saatguts – vor allem Mais, Soja, Raps und Baumwolle – besitzen ein Resistenzgen, welches eine Immunität gegen den Wirkstoff hervorruft.

Auf eine ähnliche Weise funktionieren die sogenannten Safener.17 Safener sind Zusatzstoffe, die selektiv die Nutzpflanze gegen die schädigende Wirkung des applizierten Herbizids schützen, ohne dabei ihr Erbgut zu verändern. Sie aktivieren spezifisch die Abbauenzyme der Kulturpflanze, die für die Metabolisierung des Herbizids verantwortlich sind. Der Wirkstoff wird so schneller abgebaut und das Wachstum der Nutzpflanze weniger gehemmt. Ein Beispiel eines solchen Antidots ist das Oxabetrinil (12), das den Abbau des Herbizids Metolachlor (13) durch Stimulation der Glutathion-S-Transferase beschleunigt (Abbildung 4).

Abbildung 4: Oxabetrinil (12), ein Safener des Herbizids Metolachlor (13).

2.1.4 Insektizide18

Die dritte große Klasse der Pflanzenschutzmittel sind die Insektizide. Seit 2011 werden in Deutschland erstmals mehr Insektizide als Fungizide abgesetzt und die Tendenz ist weiter steigend.15 Im Jahr 2012 wurden deutschlandweit etwa 13 359 t Insektizide ausgebracht, was einem Marktanteil von 29% entspricht. Etwa 80% der Insektizide sind Neurotoxine und haben Neurotransmitter wie das Acetylcholin und deren Rezeptoren als Target. Nur etwa 5% der Wirkstoffe, unter ihnen Hormonmimetika und Inhibitoren der Chitinbiosynthese, beeinflussen die Entwicklung des Schadorganismus. Bei 15% der Insektizide ist der Wirkmechanismus bis

heute nicht aufgeklärt. Viele der klassischen Insektizide, wie das bereits angesprochene DDT (2), zählen zu den POPs. Sie stehen im Verdacht kanzerogen zu wirken und sind seit der Stockholmer Konvention 2001 verboten.19 Ein weiteres Problem der Insektizide ist die Bienentoxizität. Der Wirkstoff sollte nach Möglichkeit selektiv auf Schadorganismen wirken und nur geringe oder bestenfalls keine Aktivität gegenüber Nutzorganismen zeigen.

Diflubenzuron (14) ist ein Inhibitor der Chitinbiosynthese und verhindert die Ausbildung einer neuen Cuticula (Außenhaut) des Insekts, ohne dabei eine relevante Aktivität gegenüber Bienen aufzuweisen (Abbildung 5). Die betroffenen Schadorganismen sterben im Zuge ihrer nächsten regulären Häutung ab.

Abbildung 5: Der Chitinbiosynthese-Inhibitor Diflubenzuron (14) und die Ionenkanal-Modulatoren Cypermethrin (rac-15) und Metaflumizon (16).

In der Klasse der Neurotoxine gibt es Ionenkanal-Modulatoren und Wirkstoffe, die den Abbau des Neurotransmitters Acetylcholin verhindern oder als Agonist am Acetylcholin-Rezeptor wirken. Das racemische Pyrethroid Cypermethrin (rac-15) sowie das Semicarbazon Metaflumizon (16) sind Antagonisten des Natriumionenkanals und rufen somit eine Hyper-Erregung vor, die schlussendlich in der Lähmung des Insekts endet.

Abbildung 6: Beispiele für Neurotoxine.

Weitere wichtige Vertreter der Neurotoxine sind das bereits vorgestellte Organophosphat Parathion (1) und das Carbamat Carbofuran (17) (Abbildung 6). Diese beiden irreversibel wirkenden Acetylcholinesterase-Inhibitoren zeichnen sich vor allem durch ihre strukturelle

Einfachheit und eine damit verbundene kostengünstige Herstellung aus, sind allerdings aufgrund ihrer hohen Toxizität gegen Nicht-Schadorganismen nicht mehr zulässig. Eine weitere Gruppe hochwirksamer Insektizide sind die Neonicotinoide. Diese Substanzklasse leitet sich von der Struktur des Nikotins ab und fungiert als Antagonist des Acetylcholin-Rezeptors, wodurch eine kontrollierte Reizweiterleitung im Schadorganismus verhindert wird.

Der bekannteste Vertreter dieser Wirkstoffklasse ist das 1991 eingeführte Imidacloprid (18), das eines der weltweit meistverwendeten Insektizide ist. Neonicotinoide zeichnen sich durch eine hohe systemische Wirkung bei vergleichsweise geringer Säugertoxizität aus. Auch Spinosad, eine Mischung der beiden Naturstoffe Spinosyn A (19) und Spinosyn D (20) im Verhältnis 85:15, wirkt vermutlich als Acetylcholin-Antagonist. Anders als bei anderen Antagonisten ist der genaue Wirkort von Spinosad bislang allerdings unbekannt.