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3 Methodisches Vorgehen

4 Der Fortbildungsbedarf: Ergebnisse aus den Workshops und Interviews

4.3 Patientennahe Arbeit: Kommunikation und Interaktion

Eine Teilnehmerin des zweiten Workshops empfand in ihrer Zeit auf Station „den Umgang mit den Patienten als irgendwie schwierig und belastend. Sie wusste nicht, wie sie mit den Patienten kommunizieren sollte. Fragte sie die Patienten bei der Abendbrotausgabe nach Schwarz- oder Weißbrot, bekam sie zur Antwort ,ein Steak‘.

Damit konnte sie nicht umgehen.

Nach der Babypause entschied sie sich für die Arbeit im OP, da sie dort zumindest nicht direkt mit den Patienten kommunizieren musste.“ (Protokoll II Zeile 73ff).

Was hier beschrieben wird, ist ein potenzielles Ausstiegsszenario aus der Pflege, noch unbeeinflusst von akademischen Optionen, das in diesem Fall mit einem Ein-stieg in eine patientenfernere, stärker von der ärztlichen Assistenz geprägte Tätigkeit verbunden ist. Da dieses Szenario zunächst den Aussagen anderer Pflegender nach dem Befriedigenden der direkten Pflege zu widersprechen scheint, bedarf es an die-ser Stelle einer genaueren Analyse.

Zum damaligen Zeitpunkt, sie hatte die Ausbildung 1984 abgeschlossen, war diese Pflegekraft durch ihre Ausbildung offensichtlich nicht ausreichend auf solche munikationssituationen vorbereitet, auch nicht darauf, sich die ihr fehlenden Kom-petenzen selbst aneignen zu können. Da vorausgesetzt werden kann, dass sich die Ausbildung in den letzten zwanzig Jahren geändert hat, scheint diese Geschichte auf den ersten Blick nur von geringer Bedeutung zu sein.

Auf den zweiten Blick zeigt sich aber, dass zur direkten Pflege die direkte Kommuni-kation mit Patienten oder genauer mit Menschen, die der professionellen Pflege vor-übergehend oder dauerhaft bedürfen, unmittelbar gehört. Es handelt sich also um einen Kernbereich pflegerischer Tätigkeit, nicht um ein Randphänomen, und muss deshalb genauer analysiert werden. Die Aufnahme einer Tätigkeit im OP mit dieser Begründung ist deshalb mit einem Ausstieg aus der direkten Pflege gleichzusetzen, auch wenn die Arbeit im OP zur Pflege hinzugehört.

Zunächst lässt sich nur festhalten, dass die Kommunikation mit Klienten oder Pati-enten und deren Angehörigen (Protokoll II Zeile 274) aus Sicht der Pflege belastend sein kann, während der „Umgang mit Menschen“ (Protokoll II Zeile 262), die „Ge-spräche mit Angehörigen“ (Protokoll II Zeile 261), der „direkte Kontakt mit Rückmel-dungen“ (Protokoll II Zeile 268), das „positive Feedback“ (Protokoll II Zeile 271) oder der „Patient“ (Protokoll II Zeile 273) selbst zu den Ressourcen, den stärkenden Ele-menten der Pflege gehören können. Aber wovon ist abhängig, ob die Interaktion mit Patienten belastend oder gesundheitsfördernd wirkt?

Dazu zunächst noch einmal zurück zur Ausgangsgeschichte: Die Teilnehmerin be-schreibt als Beispiel einen nicht erfüllbaren Wunsch bei der Abendbrotausgabe und bezeichnet dies später so, dass sie sich wie eine Stewardess behandelt gefühlt ha-be. Was ist für eine Stewardess kennzeichnend? Eine Stewardess muss jemanden bedienen, übernimmt also Service-Funktionen. Sie wird dabei als unmittelbare An-sprechpartnerin der Institution für Unannehmlichkeiten – Verspätungen, unange-messenes Essen, unbequeme Sitzgelegenheiten – zur Verantwortung gezogen, die nicht in ihrem Verantwortungsbereich liegen. Sie ist dabei gehalten, immer freundlich zu bleiben, auch wenn dies nicht ihrer inneren Stimmung entspricht. In der Interakti-on zwischen männlichem Kunden und weiblicher Stewardess (eher selten umge-kehrt) ist dabei zusätzlich auch eine erotische Komponente mit im Spiel, die von der Institution bewusst gesetzt wird: Eine Stewardess darf nicht dick, kurzbeinig oder picklig sein, sie soll attraktiv auf die – meist männlichen – Kunden wirken und wird sich dabei gegen den einen oder anderen Übergriff auch zur Wehr setzen müssen.

Eine Stewardess leistet Emotionsarbeit (HOCHSCHILD 1990) und hat darin erkennbar auch Ähnlichkeiten mit der Pflege, wie mit anderen Dienstleitungsberufen.

Um so enger und intimer die Beziehung zwischen den Dienstleistern und ihren „Kun-den“ ist, umso bedeutender ist diese Emotionsarbeit oder Gefühlsarbeit.9

Im Kontext dieser Studie ist allerdings von Belang zu fragen, ob diese Dienstleis-tungsfunktion einer angemessenen Interaktion zwischen Pflegenden und Pflege-bedürftigen entspricht. Wenn von Patientenorientierung die Rede ist, so liegt es na-he, an eine Servicefunktion den Pflegebedürftigen gegenüber zu denken. Ein solches Bild von der Pflege ließe sich auch zeichnen: Die Pflegekraft bietet einen spezifi-schen Service, sie reicht Essen an, sie macht Betten, schüttelt Kissen auf und sorgt für eine bequeme körperliche Lage, sie übernimmt Aufgaben in der Körperpflege, die grundsätzlich der eines Friseurs durchaus vergleichbar sind, allerdings häufig in inti-meren Bereichen. Wie eine Stewardess gibt sie Auskunft über die Angebote der Ein-richtung und leistet Unterstützung, Räumlichkeiten innerhalb der Klinik aufzufinden.

Sie übernimmt ebenfalls häufig auch die Funktion der Mittlerin zur Institution, insbe-sondere zur ärztlichen Versorgung, und wird für Unannehmlichkeiten zur Verantwor-tung gezogen, die sie selbst nicht zu verantworten hat. Auch die erotische Kompo-nente findet sich wieder: Zumindest die junge und attraktive Pflegekraft wird sich an der ein oder anderen Stelle auch gegen Übergriffe zur Wehr setzen müssen. Aber entspricht diese Servicefunktion eigenständigen Problemlösungsstrukturen in der Pflege, „die einer spezifischen Handlungslogik folgen und sich in ihrer Struktur von alltagspraktischen, partikular ausgerichteten Problemlösungen unterscheiden“

(SCHAEFFER 1990: 59)?

Um sich dieser Fragestellung zu nähern, sollen zunächst weitere Äußerungen zur Kommunikation und Interaktion mit Patienten betrachtet werden. Ressourcen för-dernd wird sie im Kontext von „Dankbarkeit der Patienten“ (Protokoll I Zeile 145) oder

„positive Resonanz der Patienten“ (Protokoll II Zeile 269, 272) in der Rubrik „Wert-schätzung“ (Protokoll II Zeile 266ff) erlebt. Dankbar ist man jemandem für eine nicht selbstverständliche Zuwendung oder Übernahme einer Dienstleistung. Dankbarkeit ist ein Gefühl der Verpflichtung jemandem gegenüber. Dankbarkeit ist kein grund-sätzlicher Bestandteil einer professionellen Kommunikation, kann darin aber auch vorkommen, wenn jemand z. B. Regelungen zugunsten eines Kunden auslegt und Handlungsspielräume in dessen Interesse nutzt. Die Erwartung von Dankbarkeit als generelles prägendes Element der Kommunikation in einer professionellen Interakti-on entspräche einer EntprofessiInterakti-onalisierung der Beziehungen.

Gefragt, was sie lernen möchten, um Arbeitsbelastungen besser zu bewältigen, ant-worten Pflegekräfte unter anderem mit „Distanz zum Patienten“ (Protokoll I Zeile 225), „Nein-Sagen lernen (gegenüber Patienten […])“ (Protokoll I Zeile 227), „den Ball zurückgeben (an Patienten) bei Problemen“ (Protokoll I Zeile 230). „Auch müs-sen klare Grenzen zwischen Patienten und Pflegekräften gezogen werden. Es wurde angesprochen, dass die ,liebe Schwester‘ doch für den Patienten alles erledigen sollte. Man muss auch Nein sagen können und nicht immer husch husch alles erledi-gen wollen.“ (Protokoll I Zeile 238ff). Auf die Frage, was andere lernen sollen, ant-worten Pflegekräfte u. a. mit „Patienten: Pflege sind Menschen“ (Protokoll II Zeile 431) und „Patienten: kooperativer werden“ (Protokoll I Zeile 266).

9 Eine Zusammenfassung der Diskussion über Gefühlsarbeit in Dienstleistungsberufen im Allgemeinen und in der Pflege im Speziellen würde den Rahmen dieser Studie sprengen. Verwiesen werden soll hier nur auf die Diffe-renzierung zwischen der Arbeit der Beeinflussung eigener Gefühle, wie sie für alle Dienstleistungsberufe typisch ist, und der Arbeit der Beeinflussung der Gefühle anderer, wie sie insbesondere für die Pflege diskutiert wird.

Aussagen dieser Art erinnern an das Mutter-Kind-Beziehungsgefüge, in dem die Mutter dem Kind Grenzen aufzeigt und so wird auch im Workshop selbst von der not-wendigen Erziehung der Patienten gesprochen. Sie sind kein Ausdruck eines profes-sionellen Beziehungsgefüges etwa im Sinne einer partnerschaftlichen Entscheidung.

Pflege sieht sich in der Interaktion Patienten gegenüber entweder in der hierarchisch untergeordneten Stewardess-Funktion oder in der hierarchisch übergeordneten Funktion der erziehenden Mutter. Die Mutterrolle stärkt, die Stewardess-Rolle belas-tet. Es ist der Pflege offensichtlich nicht gelungen, ein eigenständiges professionelles Interaktionsgefüge zu entwickeln, das eine gleichberechtigte Beziehung zwischen der pflegenden und der zu pflegenden Person zulässt und die notwendige Gefühls-arbeit als Teil der Interaktion umfasst. Es gelingt nicht, obwohl sich in der interna-tionalen Diskussion und allmählich auch in der deutschen Pflegewissenschaft hierfür theoretische Unterstützung finden lassen würde.

Interaktions- und Kommunikationssituationen mit Patienten wurden ganz explizit als belastende Faktoren angesprochen, die mit „Flucht“ (Protokoll II Zeile 308) aus der Pflege, Teilflucht in Form einer Arbeitszeitreduzierung oder der Vision von Flucht „es ist nicht für immer!!!“ (Protokoll II Zeile 309) in Verbindung gebracht werden. In der Praxis der Pflege lassen sich zudem die Flucht aus dem Patientenzimmer, die Flucht vor der Gefühlsarbeit in die Organisationsarbeit sowie die Flucht vor Kommunikation in eine schweigsame Pflege als Phänomene finden.

Daraus kann die Hypothese entwickelt werden, dass die Interaktion mit den Patien-ten, ein Kernbereich pflegerischer Tätigkeit, zu einer sozialen und emotionalen Bela-stung wird, weil keine professionellen Kommunikationsstrategien und keine profes-sionellen Strategien der Bewältigung der Gefühlsarbeit entwickelt worden sind. Inter-aktion mit Patienten erweist sich somit als die dritte Dimension der Schlüsselkatego-rie Professionalisierung.

Interaktion in der direkten Pflege ist zugleich der Bereich pflegerischer Tätigkeit, der nicht mehr übernommen werden kann, wenn körperliche Beschwerden der Pflegen-den dies nicht zulassen. Körperliche Belastungen und BeschwerPflegen-den wurPflegen-den in Pflegen-den Workshops nahezu nicht angesprochen – eine Karte, die auf Rückenbelastungen hinwies, war die einzige Ausnahme. Direkt auf die körperlichen Belastungen ange-sprochen, reagierten die Teilnehmenden mit der Ansicht, heute sei es in der Pflege nicht mehr notwendig, sich den Rücken kaputt zu machen. Sie verwiesen auf die Fortbildungen zu Kinästhetik oder Bobath und auf vorhandene Hilfsmittel (vgl. Proto-koll II Zeile 329ff). Es sei schon wichtig, dass solche Fortbildungen existierten, aber die müsse man nicht mehr erfinden, weil sie da sind. Die genannten Konzepte sind, anders als eine Rückenschule, nicht einfach Lernangebote zur Entlastung des Rük-kens, sondern Lernangebote über eine veränderte Form körperlicher Interaktion mit den Patienten und gehören deshalb in den hier angesprochenen thematischen Kon-text.

Allerdings wurde in diesem Zusammenhang auch thematisiert, dass die Fortbildung nutzlos bleibt, wenn auf der Station die erlernten Inhalte nicht umgesetzt werden könnten, weil die entsprechenden Voraussetzungen dafür fehlen oder die Akzeptanz nicht da sei. Fortbildung benötige darüber hinaus der Begleitung in der Praxis, damit die erlernten Inhalte Routine werden und nicht durch die Übernahme alter Muster wieder in Vergessenheit geraten.

Für den Fortbildungsbedarf folgt daraus:

1. Wiedereinsteiger/innen brauchen Fortbildung zur Entwicklung einer professionel-len Beziehung zu Patienten, die über allgemeine Kommunikationsregeln hinaus-gehen und Handlungsstrategien für die Gefühlsarbeit umfassen. Sprachliche und körperliche Kommunikations- und Interaktionsformen sollten dabei möglichst nicht von einander getrennt werden, um auch körperliche Belastungen angemes-sen entlasten zu können.

2. In diesem Bedarf unterscheiden sich Wiedereinsteigerinnen nicht von Auszubil-denden in der Pflege und nicht von in der Pflege Tätigen.

3. Für alle Pflegenden gilt, dass sie die Chance erhalten müssen, das Erlernte auch in der Praxis umzusetzen. Dies erfordert die Entwicklung geeigneter Pflege-modelle, die für die Praxis der jeweiligen Station handlungsleitend sein müssen.

Es wäre zu prüfen, inwieweit die bekannten interaktionellen Pflegemodelle oder die Theorien zur Gefühlsarbeit in der Pflege dieser Aufgabe entsprechen können oder weiterentwickelt bzw. neu entwickelt werden müssen.

4. Fortbildung muss auch hier eng an die institutionelle Praxis gebunden sein, wenn sie optimale Ergebnisse im Sinne einer gesundheitlichen Entlastung erreichen will und bedarf der Begleitung in der Praxis.

4.4 Bildung: Systematische Wissensbasis und