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Pastor F. Nerling

Im Dokument »'^» Theologie und Kirche. (Seite 83-102)

III.

Die Efthländische Provinzial-Synode (vom 28. August bis 2. September 1869).

Von

Pastor F. Nerling

zu St. Wlltthäi.

^ n erster Reihe unserer Berathungen auf der von 4 0 Mitgliedern und 7 Gästen besuchten Provinzial-Synode stand diesmal der ma-terielle N o t h s t a n d unseres L a n d e s . M i t Dank gegen Gott konnten wir den eigentlichen Nothstand als überwunden bezeichnen;

denn wenn wir auch seine Nachwehcn noch schmerzlich und schwer genug empfinden, so ist doch die eigentliche Noth durch die diesjährige gute Crndte gehoben. V o n ganzem Herzen sprach die Synode auch diesmal wieder den Männern ihren tief, gefühlten Dank aus, welche sich durch ihre Arbeit im Nothstands-Camite so vielfacher Mühwal-tung zum Besten unseres Landes und Volkes unterzogen haben.

Dem Leiter des CentralNothstands-Comite'« in S t . Petersburg. Herrn Gen. Adjutanten Mcyendorff, sprach sie diesen Dank schriftlich in einer Dank-Adresse aus; dem Vice-Präscs des Revalschen Nothstand«-Lomite's Herrn Syndicus Riesemann, mündlich durch 2 Delegirte, und unserm verehrten Gen. Superintendenten auf der Synode selbst.

Wohl haben diese beiden Jahre der Noth schwer auf unser», Lande und Volke gelastet, den bittersten Mangel mit all seinem Elende über Tausende gebracht; aber dennoch dürfen wir des großen Segens nicht vergessen, den wir durch sie empfangen haben. Haben sie doch all die mannigfachen Opfer helfender Liebe wachgerufen, durch welche

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allein so viel Aime vor dem Hungertode bewahrt worden find. Der also gespendete Segen wurde nicht bloß den Armen zu Theil, sondern üble seine geistlich rückwirkende Kraft besonders auf die Geber aus, sinte-mal Geben seliger ist denn Nehmen. Vor allen Dingen aber hat die erfahrene Hülfe uns gezeigt, daß der alte Gott noch lebt, der Gebete erhört und mit seiner gnadenreichen Hülfe zur Stelle ist, wo man ihm traut nnd im Vertrauen auf ihn den darbenden Brüdern Handreichung thut. M i t welch schwerem, ja verzagtem Herzen gingen wir der Noth entgegen, als es sich im Herbst und Winter 1867 mit jedem Tage immer deutlicher und bestimmter herausstellte: die Hun»

gersnoth steht vor der Thür. — sie ist da. Wohl vernahmen wir freudigen Herzens die Nachricht von der Bildung des Nothstands»

Comite's; aber doch hat gewiß so mancher unter uns damals in sei»

nem Herzen geseufzt: was ist das unter so viele? Und nun gar, als die Hoffnung auf eine genügende Erndte im Sommer 1868 wiederum vernichtet ward und wir uns sagen mußten, daß die Noth nur noch viel drohender vor uns stehe! Die Magazine zum großen Theil leer, die Kräfte derer, welche helfen können und wollen, über Gebühr an-gestrengt, kein Brot, keine Arbeit, keine Saat! Da kam die Hülfe, nicht bloß aus dem Inlande, sondern' auch aus Deutschland.

Und jetzt, nachdem wir die Hülfe erlebt haben und die ganze Thätigkeit des Nothstand's Comite's überschauen können, müssen wir bekennen, daß Gott der Herr an uns Wunder gethan hat mit seiner treuen und gewaltigen Aushülfe. Er hat geholfen über Bitten und Verstehen. 125.820 Rbl. S , - M . sind dem Revaler Comite zuge-flössen, und da es seine Thätigkeit als Nothstands-Comite schließen sonnte, verblieb noch ein Saldo^von 18,338 Rbl. — Werden wir es zu Herzen nehmen? Werden wir freudig und getrost unsere Sorgen für Gegenwart und Zukunft auf ihn werfen? Die auf den Herrn hoffen werden nicht z» Schanden! Das durch die Noth gewirkte Ge-bet und Flehen, der durch die erfahrene Gnadcnhülfe gestärkte Glaube, der dafür dargebrachte Dank: — das sind die schönsten Segens-flüchte dieser schweren Jahre. Doch freilich — diese Früchte liegen

über d. Esthländische Provinzial-Synode. 7 ? nicht auf der Oberfläche, für jedermann sichtbar. Sie sind gewach-sen im tiefsten, verborgensten Grunde des Herzens, Gott dem Herrn allein bewußt. Sieht man bloß auf das, was an die Oberfläche getreten und von sich reden gemacht hat, so muß man freilich schier verzagen und meinen, daß durch diese Jahre der Noth nur Schlimmes gereift ist, und nichts Gutes unter denen, welche die Hülfsleistung empfangen haben, insbesondere unter unserm Volke auf dem Lande. Es hat doch meistentheils mit Undank allen denen gelohnt, die sich für dasselbe abgemüht, mit Mißtrauen, Lug und Trug, mit frecher Verleumdung.

Es ist wohl keinem unter den Männern, die inmitten des Volkes gearbeitet haben, diese schmerzliche Erfahrung erspart wor-den. I m Stillen sind wir allesammt zu Dieben gestempelt worden und mitunter haben wir es wohl auch zu hören bekommen. Gleich»

wohl fehlte es nicht an Worten der Erkenntlichkeit; ja Thränen des Dankes sind uns nicht selten entgegengetreten.

Zu den schmerzlichsten Erfahrungen in dieser Hinsicht gehört wohl das Mißtrauen, mit dem das Volk alle Abmahnungen seiner Prediger in Betreff der Auswanderung aufnahm und unbeachtet ließ; freilich zu seinem eigenen Verderben, Tausende haben sich so selbst ins Elend gestürzt. Hunderte sind unterwegs und in Peters-bürg gestorben. Tausende als Bettler in ihre Heimath zurückgekehrt, sich und der Gemeinde zur Last. Aber alles Reden half nichts; es erregte nur Aergcr und Verdruß ja Zorn und Grimm. Gewiß war dieses Mißtrauen, diese Taubheit und Unzugänglichkeit des Volkes für alle noch so treugemeinten Rathschläge, die doch begleitet waren von treuer Arbeit zur Abhülfe seiner leiblichen Noth, eine Erscheinung, welche uns Prediger zur ernstesten Selbstprüfung mahnen mußte.

S o hatte denn auch der Herr Gen.-Sup. bereits den Kreissynodalen die Frage zur Berathung empfohlen: „Wie weit die Kirche und ihre Diener das Mißtrauen verschuldet hätten, mit welchem das Volk alle Belehrungen und Ermahnungen seiner Prediger in Beziehung auf die Auswanderung von sich gewiesen?" Alle Kreisvota lauteten dahin, daß wir Prediger eine allgemeine, offen daliegende Schuld der Kirche

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und Prediger nicht ausfindig machen könnten. Was das Volk ge-gen die Rathschläge seines Pastors taub machte, sei auch gar nicht immer ein Mißtrauen gegen die Gesinnung des Predigers gewesen, vielmehr Mißtrauen in seine Kenntniß hinsichtlich dessen, was das Volk durch seine Auswanderung zu erlangen hoffte. Wenngleich manche der Brüder wohl einen Grund für dieses Mißtrauen darin sehen wollten, daß wir Prediger dem Volke gegenüber in einer ge-wissen „Hcrrenstellung" uns befänden, so wurde denn doch von andern wieder aufs entschiedenste dem widersprochen. Dieselben Prediger, welche sonst die entschiedensten Beweise großen Vertrauens empfangen hatten, dieselben von einem T h e i l e der Gemeinde auch inmitten dieser Be-wegung empfingen, begegneten dennoch bei den A u s w a n d e r n d e n dem größten Mißtrauen, Andere Amtsbrüder mußten erleben, daß gerade diejenigen Glieder ihrer Gemeinden, welche ihnen früher am nächsten gestanden hatten, jetzt ihre erbittertsten Gegner wurden, weil die Prediger sie vor der Auswanderung warnten, Anfangs waren sogar dieselben Personen zu den Pastore gekommen und hatten sie aufge-fordert mit ihnen zu ziehen, eben weil sie sie so lieb hätten und sich nicht von ihnen trennen wollten. AIs aber die Prediger dem Aus-Wanderungsschwindel entgegentraten, wandelte sich die Liebe in Bit-terkeit und Feindschaft. Psychologisch gewiß sehr erklärlich, aber auch ein sprechender Beweis dafür, wie sehr der Auswanderungsschwindel die Herzen der armen Leute fo ganz bethört hatte! Es war einmal die Menge erfüllt, nicht bloß von dem Drange, auf jeden Fall der der Noth und dem Kreuze zu entfliehen, sondern von der fast dämu-nischen Sucht reich zu werden, im warmen Lande goldne Berge zu finden. Wo ein Herz aber sich in solche Hoffnungen einwiegen läßt, da wird es blind und taub gegen alle Vorstellungen und Abmah-nungen und mit Grimm und Haß gegen alle erfüllt, welche ihm diese Vorspiegelungen zerstören wollen. S o erfaßte denn auch unser Landvolk mit großer Zähigkeit jedes Gerücht, welches dieser Sehnsucht Nahrung gab und verschloß das Herz gegen jede Einsprache, mochte sie kommen, von woher sie wollte. Es war ein grassirendes Uebel,

übn b. Esthländische Provinzial-Nynode. 7 9 eine sociale Epidemie, der der einzelne Pastor mit seinem seelenärzt-lichen Rathe nicht gewachsen war. Ein esthnischer Schulmeister meines Kirchspiels entging nur mit genauer Noth thätlichen Miß-Handlungen, weil er den Leuten abriech. — Doch lassen wir uns durch all die schwelen und bösen Erfahrungen nicht irre machen. Troß alle dem hat die treue Aushülfe, welche das Volk in dieser Zeit der Noth von uns Deutschen erfahren, nicht nur uns Prediger mit unsern Gemeinden enger verbunden, sondern auch ein Band der Liebe um beide Nationalitäten geschlungen. Und das ist wieder eine Segcnsfrucht dieser schweren Jahre gewesen und wahrscheinlich keine kleine. Diese Frucht tritt freilich nicht so zu Tage und macht nicht so viel von sich reden als all das Mißtrauen, all die Ungeduld und Unzufrie-denheit. Unkraut reift eben rascher als Weizen, Aber dieser gute Same ist gesäet und wird seine Frucht bringen. W i r haben ja auch gerade in diesem Jahre ein Fest erleben dürfen, welches so manche Frucht bisheriger treuer Arbeit hat schauen lassen. Ich meine das 50jährige Jubiläum der Freilassung, wie es in Dorpat festlich begangen wurde. Pastor Knüpfer refeiirte über dieses Fest. Es habe auf ihn durchaus einen erhebenden Eindruck gemacht und in ihm die Ueberzeugung nur noch mehr befestigt, daß das Esthnische Volk wirk

lich ein lutherisches Volk sei, von der lutherischen Kirche groß gezogen und ihr von ganzem Herzen anhängend. Darum sollen wir nur getrost und freudigen Muthes mit dem theuren Gottesworte an dem Herzen unseres Volkes weiter arbeiten. Solche Arbeit an dem Her-zen des Volkes ist nicht vergebens gewesen und wird auch in Zukunft nicht vergebens sein.

Zu den ficht- und greifbaren segensreichen Folgen dieser Noth-jähre wird hoffentlich eine geordnetere und sorgsamere A r m e n p f l e g e gehören. Die Nothwendigkeit einer solchen ist in diesen Jahren drin-gendei und gebieterischer denn je an uns Prediger herangetreten.

Somit beschäftigten wir uns denn auch auf der Synode eingehend mit dieser Frage. Es wurden 2 Arbeiten über diesen Gegenstand verlesen: von Pastor Hunnius und P. Walther. Ersterer erging sich mehr

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im Allgemeinen über die Principien einer richtigen Armenpflege, beson-ders hervorhebend, daß man der Armuth, weil ihr meistens sittliche Schäden zu Grunde liegen, nicht bloß mit Geschenken, sondern viel mehr noch mit Rath, Zucht und Gewöhnung zu regelmäßiger Arbeit begegnen müsse. Daher müßten auf dem Lande die Kirchspiele in Armenbezirke getheilt und diese Bezirke besonderen bäuerlichen Armen-pflegein anvertraut werden, die von einer Instruktion geleitet, die Nothleidcnden theils zur Arbeit anzuhalten, theils wohlhabenden Per-sönlichkeiten zur Unterstützung zu empfehlen, theils mit den in den einzelnen Bezirken gesammelten Liebesgaben zu versorgen hätten. — Wal-ther hatte diesen Gegenstand bereits auf der uorigjährigen Synode in einer Arbeit behandelt, welche hernach auch in den „Mittheilungen und Nachrichten" (MärzHeft 1869) erschienen ist. Ich wiederhole hier nochmals die 4 Schluß-Thcscn: 1) die kirchliche Armenpflege, wo noch nicht vorhanden, müsse sich bilden, wo aber vorhanden, sich in Ansehung des außergewöhnlichen Nothstandes weiter regeln und befestigen. 2) Was bisher fast ausschließlich von den Pastoren, dem Vorstande der Armenpflege geschehen mußte: Vertheilung des Mate»

rials zm Arbeit, Empfang derselben, Verabfolgung von Mehl und Brot in kleineren Partien, specielle Verbuchung «. solle anderen, entsprechenden Kräften zugewiesen werden, 3) Die Betheiligung der Höfe solle bei der allgemeinen kirchlichen Armenpflege nicht in Dar»

reichung einzelner Gaben aufgehen, sondern durch Ausübung ihrer Kräfte und unmittelbares Eingreifen in organisch geregelte Wirksam-leit noch mehr angeregt weiden, um auch die geringeren Mittel dem Einen, mit dem Vorstande gemeinsam zu erstrebenden Ziele dienst-bar zu machen. 4) Dies zu erreichen, müsse der Vorstand Zweigan-stalten errichten, die organisch in einander greifen. — Derselbe Amts-bruder trat nun in diesem Jahre mit einer Reihe weiterer Vorschläge auf. die besonders zweierlei im Auge hatten- Aufhebung des Bettels und Herstellung einer geordneten Krankenpflege, Die SchlußThesen lauteten:

I . Zur Aufhebung des Bettels ist erforderlich, daß die örtliche Armenpflege

übll die Esthländische Plovinzial'Shnobe. 8 1 1) die Arbeitsunfähigen, die weder selbst Mittel zur Existenz haben, noch solche durch Loumiunalmittel erhalten können, mit erfor-derlichcr Nahrung uud Kleidung versorge;

2) die sich herumtreibenden Bettler durch Darbietung von Arbeit in ihre Zucht und Pflege nehme;

3) beiden Vorgenannte» Almosen verweigere (ihnen nur durch die resp. Armcnpfleger die etwa nöthige Unterstützung zukommen lasse);

4) das Betteln in ihrer Parochie verbiete, erforderlichenfalls zeit-weilig aufhöre mit ihren Gaben zu unterstützen;

5) bei ihrer Pfarrkirche einen Bettelvogt g?gen besonderen Lohn anstelle;

6 zur Verhütung des Mißbrauchs in Cartelverhältniß trete mit der benachbarten kirchlichen Armenpflege, welche die etwa dort bettelnden Subjecte auffängt, anmeldet oder zusendet, jedenfalls ihnen die Almosen verweigert,

I I , Zur Herstellung der Krankenpflege ist erforderlich:

1) Anstellung von Krankenpflegerinnen, Diakonissinnen bäuerlichen Standes, Weiber höheren Alters, resp. Wittwen, die keinen Hausstand haben, selbst aber mit Brot und Kleidung versorgt werden müssen. Aufgabe solcher Diakonissinnen wäre: Anzeige besonderer Krankheiten. Darreichung von Lebensbrot, Sorge für gute Unterbringung der Kranken und erforderliche Temperatur der Krankenstube. Referate über den Zustand der Kranken, Aus-führung und Überwachung der Verordnungen des Arztes;

2) Errichtung besonderer Kiankenhäuscr. in welchen besondere Kranke unter Aufsicht und Behandlung eines Arztes untergebracht und gepflegt werden.

Diese Vorschläge, sowie die ganze wichtige Angelegenheit ward zunächst den Kreissynodcn zur Berathung zugewiesen, mit dem aus-diücklichen Wunsche, daß alle Brüder ihre Erfahrungen, erfreuliche sowohl als betrübende, mittheilcn möchten, welche Nachrichten dann von einem Referenten zusammen zu stellen seien und so an die Provinziell»

synode gelangen möchten.

TH«°Io«isch° Zeitschiilt 1870, Heft I, L

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Es kamen feiner auf der Synode die L o c a l v i s i t a t i o n c n zur Sprache. Es sind das die Dorfsfahrten, welche wir im Laufe des Winters zum Zweck der Kinderprüfung veranstalten. Seit dem Entstehen der Schulen haben diese Fahrten zum Theil aufgehört oder sich vielmehr in Schulfahrten und SchulprüfungZn verwandelt. Da diese Institution theilweise im Verlöschen begriffen ist, liegt es uns Predigern am Heizen uns darüber klar zu werden, ob dieselbe neu belebt werden soll, oder ob dieselbe durch die veränderten Verhältnisse unnöthig geworden ist. Cs lagen bereits den Kreissynoden zwei einschlägige Fragen vor: 1) Welche Bedeutung haben die Localvisi-tationen, seitdem fast in allen Gebieten Dorfschulen eingerichtet sind?

und wäre ihre Abschaffung nicht gerade ein Fördcrungsmittel für diese? und 2) Wie sind die Hausbesuche in der Gemeinde zu halten, damit sie geistliche Frucht schaffen? Die Ansicht der Kreissynode war in dieser Sache nicht übereinstimmend. Theils meinte man, daß die Localvisitationen vollständig durch Schillprüfungen ersetzt und damit nur aus der Raiichstubc des Vormündcis in die Schulstube versetzt seien; theils sah man den Hauptsegen gerade darin, daß der Prediger Gelegenheit habe dem Volke nahe zu treten und also einen vertrau-lichen seelsorgerischen Verkehr zuwege zu bringen. Letztere Ansicht vertrat auch die Arbeit Pastor Rinne's aus Hannehl. Seiner Ansicht nach sind die Localvisitationen aus dem Bedürfniß hervorgegangen, der Gemeinde in ihrem häuslichen Leben nach allen Richtungen hin näher zu treten, indem sie dein Pastor Gelegenheit bieten, sich nach den häuslichen Verhältnissen in der Ehe, in der Kindererziehung, im Verhalten der Dienstboten u. s. w. zu erkundigen. Sie sind da-her zu scheiden von den Kinderprüfungen, die füglich nach Einführung der Dorfschulen in dieselbe zu verlege» sind, während die Localvisi-tationen ihrer ursprünglichen Idee gemäß zu rcstituiren wären. Sie müssen mit der Erklärung einer Bibclstclle beginnen, an welche sich eine Ansprache anschließt, welche speciell vorliegende Gemeindezustände bespricht. Hieran schließt sich die Prüfung der versammelten Jugend, Gespräch mit den Eltern und den übrigen Anwesenden, je nach

Be-übn die Lsthländische Piovinzial-Shnobe. 8 3 dülfniß, Crtheilung des Abendmahls an die Kranken des Dorfes, Verrichtung von Taufhandlungcn und was sonst noch vorliegen sollte, und den Schluß bilden Gesang und Gebet. Sie können demnach als wesentliches Annäherungsmittel zwischen Pastor und Gemeinde nicht wegfallen, sondern sind beizubehalten. Auch weist Ref. darauf hin, daß es zu diesem Zwecke vielleicht heilsam sei, dieselben nicht, wie bisher, in einige N5ochcn der Wintennonate zusammen zu dran-gen, sondern sie auf das ganze Jahr zu vertheilen. I n der Dis-küssion traten beide bisher dargelegten Anschauungen der Sache her-vor, ohne daß es zu einem klaren und bestimmten Abschluß gekom-mcn wäre. I m Allgemeinen überwog aber wohl die Ansicht, der zu Folge die Localvisitationcn dem Ziel entgegen zu führen seien, daß durch sie sich das Vertrcmensuerhältniß zwischen Pastor und Ge>

mcinde fester knüpfe.

Es folgte nun die Besprechung der Schulsache. Wie schon aus den zuletzt angeführten Verhandlungen sich ergab, hat die Schule bei uns erfreuliche Fortschritte gemacht. Das bestätigte denn auch der Schulbeiicht des Herrn Gcn,-S»perintcndcnten. Ungeachtet mancher lähmenden Einflüsse, als Hunger, Krankheit, Auswandemugsfieber und des noch immer nicht überwundenen Widerstandes der Gemein-den, sei das Schulwesen nicht zurückgegangen, sondern habe unter viel Arbeit und Kampf sogar manchen Schritt vorwärts ge-than. Sehr dankenswert!) sei die Unterstützung des Nothstands C°-mite's gewesen, durch die auch den bedürftigen Kindern der Schulbe-such ermöglicht worden sei. Die Unterrichtsgegenstän^e hätten sich vermehrt. Außer Lesen. Schreiben. Rechnen, Katechismus, biblischer Geschichte und Gesang, werde in manchen Schulen auch im Deut-schen und RussiDeut-schen, in der Geographie und Geschichte unterrichtet;

fast überall werde 4.stimiuiger Gesang gepflegt; die Zahl der Schulen sei bis auf 400 — 6 Eintagsschulen mitgerechnet — gestiegen, Lei-der sei das Verhältniß Lei-der gut situirten Schulen zu den unzureichend situiiten ein sehr ungünstiges. AIs Minimalnorm einer hinreichend dotirten Stelle 80 Rbl. S . - M . angenommen, stelle sich heraus, daß

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von 394 Schulen 184 hinreichend dot,rt seien. Der Zustand der Schulgebäude sei im ganzen ein befriedigender zu nennen. Es seien von den 394 Schulhäiisem 327 als in gutem Zustande befindlich zu bezeichnen, also 67 schlecht. Weniger befriedigend stehe es mit den Schulmeistern selbst. Nach den Berichten seien 299 von ihnen brauchbar, also 101 eigentlich nur geduldet, was zum Theil ge-miß in der schlechten Besoldung seinen Grund habe. Einen Einblick in den allgemeinen Vildungsstand des Volkes gebe folgende Zahlen-zusammenstellung: von 52,451 Kindern besuchen die Schule 24,704, lesen fließend 23,884, mit Verständniß 11,085, kennen den Kate-chismuß 29.911. mit Verständniß 10,210. Zum Schliche seines Berichtes empfahl der Herr Gen.-Silp. noch folgende 5 Punkte, die er den Berichten entnommen, unserer Beachtung:

1j Die von mehreren Seiten ausgesprochene Erfahrung, daß die Vereinigung der Funktion eines Gemeinde» und Magazin-Schrei»

bers mit der eines Schulmeisters durchaus von großem Nachtheil für die Schule sei;

2) Die von einigen Amtsbrüdern gemachte Erfahrung, daß sich das Institut der Schulältesten als von großem Segen erwie-sen habe;

3) Die Meinung des Pastor Rinne von Hannehl, daß un-sere Schulen zum wohlgeordneten Fortgänge und Bestände der Re-Vision und Controle einer uns leider fehlenden Schulbehörde, wie sie Livland in seiner Kreis- Land-Schulbehördc habe, bedürfe;

4) Den Vorschlag von Pastor Eberhard, es möge eine Ver-ordnung erlassen werden, daß kein Schulmeister in einer andern Ge-meinde angestellt werden dürfe, bevor er ein Zeugniß über seine Ent-lassung von seiner frühern Amtsstellung beigebracht habe.

Daran schloß sich dann dieDiskussion über diese Punkte. Betreffend die Vereinigung des Schiilmeister^Amtes mit dem Posten eines

Daran schloß sich dann dieDiskussion über diese Punkte. Betreffend die Vereinigung des Schiilmeister^Amtes mit dem Posten eines

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