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Die parteiinterne Heterogenität

4. Innerparteiliche Demokratie im Kreisverband Gießen der Republikaner

4.4 Die parteiinterne Heterogenität

Wie bereits an vorangegangener Stelle dargestellt, ist bei den Republikanern von einer ausgeprägten Heterogenität politischer Interessen und ideologischer Orientierungen auszugehen. Der Kreisverband fungierte als Sammelbecken höchst divergenter Vorstellungen, Schichten, Konfessionen, Werteorientierungen und Altersgruppen. Diese verschiedenen Interessenstrukturen müssten sich bei den Republikanern in einer Vielzahl von parteiinternen Konfliktlinien widerspiegeln.

Weiter kann gesagt werden, dass neben den formalen Gremien der Partei und deren Beziehungen untereinander im Kreisverband auch politisch-inhaltlich begründete innerparteiliche Gruppierungen, die als „Faktionen“ zu bezeichnen sind, existierten. So äußerte sich der damalige Fraktionsvorsitzende Bernhard Gattwinkel in einem Gespräch: „ ...

dass aufgrund der vorhergehenden Parteizugehörigkeiten oder Sympathien der Fraktionsmitglieder, es einen gemäßigteren Teil und einen etwas konservativeren gibt“188. Die informellen Kontakte spielten sich allem Anschein nach insbesondere innerhalb und zwischen den verschiedenen Faktionen ab, die um die Beeinflussung bzw. Beherrschung der

185 Als Beispiel das Protokoll der Mitgliederversammlung des Kreisverbandes Gießen der Republikaner vom 10.9.1993. Privatarchiv Bernhard Gattwinkel. Gießener Anzeiger vom 9.9.1994.

186 Norbert Lammert, „Die Bedeutung regionaler und nichtregionaler Organisationsstrukturen im Willensbildungsprozeß politischer Parteien auf unterer Organisationsebene, dargestellt am Beispiel eines CDU-Kreises im Ruhrgebiet“, Bochum 1974, S. 142.

187 Interview mit Bernhard Gattwinkel am 15.7.1994. Interview mit Helmut Zimmermann am 22.3.1994.

188 Interview mit Bernhard Gattwinkel am 15.7.1994.

formalen innerparteilichen Entscheidungsorgane wetteiferten und auf dichten direkten kommunikativen Strukturen basierten.189

Um ihrem politischen Gestaltungsanspruch nachzukommen, bestand auch gleichzeitig ein Zwang zur Kooperation über die Interessengegensätze hinweg. War dies nicht mehr möglich, entstand ein parteiinterner Konflikt, der meiner Meinung nach in der Partei unausweichlich zu sein schien. Sie konnte deshalb nur als Konfliktsystem existieren. Die Intensität und Dauer dieses parteiinternen Konfliktes hing letztendlich von der tatsächlichen Intensität der Gegensätze zwischen den in der Partei vertretenen unterschiedlichen Interessen ab.

Bei den parteiinternen Auseinandersetzungen können neben Richtungskämpfen, Zerwürfnissen, gezielten Verleumdungen und enttäuschten Erwartungen einzelner Personen oder Interessengruppen sowohl autoritäre wie auch ideologische Formen ausgemacht werden, die sich in einer unterschiedlichen Intensität manifestierten, verdichteten und in einem unterschiedlichen Umfang miteinander rivalisierten. Hieraus erwuchsen innerparteiliche Konflikte, vor allem dann, wenn sich Politikinnovationen an den Grenzen der gemeinsamen Wertvorstellungen bewegten.190

Eine präzise Darstellung der parteiinternen Machtverteilung wird durch eine Überlagerung von Funktionen, Konfliktlinien, Komplexität und Ambivalenz der Mechanismen für außenstehende Beobachter erschwert. Festgestellt werden konnte, dass sich die verschiedenen Interessengruppen verselbständigten und es dadurch vermehrt zu faktionellen, konfliktreichen Einzelaktionen kam, die den Charakter von Grabenkämpfen hatten.191 Bei diesen Auseinandersetzungen wurde der Anschein erweckt, dass es sich bei den innerparteilichen Konflikten in erster Linie nicht um Posten, sondern um persönliche Eitelkeiten ging.

Im Widerspruch hierzu stand und steht die Forderung nach einem geschlossenen Erscheinungsbild.

Das geschlossene Erscheinungsbild scheint meiner Vermutung nach vor allem der Funktion eines Disziplinierungsmittels zuzukommen, mit dessen Hilfe versucht wurde,

189 So sind Faktionen innerhalb des Kreisverbandes auszumachen, die für einen transparenteren Kurs der Partei eintraten.

190 Gießener Anzeiger vom 21.7.2000.

191 Innerhalb des Kreisverbandes Gießen konnte ein konservativer Flügel ausgemacht werden, dem vor allem Personen von der „ersten Stunde“ angehörten, beispielsweise waren das, das Ehepaar Kolan, Horst Öhl, Helmut Pätzold und Björn Clemens. Zur gemäßigteren Faktion, hierzu gehörten vor allem Mitglieder die zwischen 1992/93 der Partei beigetreten waren. Sie riefen zu mehr Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit auf und wehrten sich gegen das „Katakombendenken“ (Zimmermann, 22.3.1994) ihres Kreisverbandsvorsitzenden. Dieser Gruppe können unter anderen Bernhard Gattwinkel, Helmut Zimmermann, Rainer Schuster und Christine Kunze zugerechnet werden. Als klassisches Beispiel zu den parteiinternen Grabenkämpfen war die „Troika“, bestehend aus Bernhard Gattwinkel, Rainer Schuster und Helmut Zimmermann, bei der Anfechtung der Delegiertenwahl zu nennen.

Dem ausgetretenen Herrn Koch „störten auch die innerparteilichen Machtkämpfe“, Gießener Allgemeine Zeitung vom 26.1.1990.

bestimmte, in der jeweils gegebenen innerparteilichen Situation besonders konfliktträchtige politische Ansprüche von Parteimitgliedern aus dem Willensbildungsprozess auszuschließen.

Zu beobachten war, dass allzu kritischen Parteimitgliedern, die durchaus berechtigte Missstände aufdeckten und diese sogar öffentlich äußerten, diffamiert und mit Disziplinarverfahren isoliert wurden.192 Dabei wirkte die inhaltliche Auseinandersetzung des Kritikers unangebracht und wurde als Einzelmeinung abgetan. Wenn Kritiker nicht im vornherein eine gefestigte Mehrheit hinter sich hatten, liefen sie Gefahr, mit ansehen zu müssen, wie die vermeintlichen Mitstreiter von dem angeblich parteischädigenden Kurs abgebracht wurden.193 Später wurden diese Kritiker aus der Partei gedrängt oder verließen sie mit einem vorzeitigen Austritt freiwillig.194

Die Existenz von Faktionen wurde in der Gießener Öffentlichkeit geleugnet, parteiintern als störend, sogar als entbehrlich empfunden.195 Um dennoch Konflikte lösen und dem Anspruch eines geschlossenes Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit nach wie vor zu entsprechen, wurden Versuche unternommen, die dem Anschein von Parteisäuberungen gleichkamen und gleichzeitig einen Mangel an parteiinterner Demokratie zeigten.196

4.4.1 Die Intensität der innerparteilichen Interessengegensätze

Je größer die Intensität der Interessengegensätze zwischen den Mitgliedern, umso prekärer wird vermutlich die innerparteiliche Kooperation, der innerparteiliche Willensbildungsprozess und letztendlich die Stabilität der Partei.197 Das Ausmaß der Interessengegensätze wird dann nicht auf programmatische Fragen oder sonstige Ansatzpunkte grundsätzlich politischer Erwägungen bezogen, sondern auf das Verhältnis der Parteimitglieder zu der tatsächlich praktizierten Politik der Partei. Eine gemeinsame Parteiidentifikation und Politikausrichtung wäre dann erst recht nicht mehr möglich. Die

192 Als Beispiele dienen hierzu die angeblichen Unregelmäßigkeiten bei den Delegiertenlisten zur Bundestagswahl 1994 und der hessischen Landtagswahl 1995, oder folgende Äußerungen in der Gießener Allgemeinen Zeitung vom 6.10.1994: „Mit solchen Querulanten sind wir immer fertig geworden“, „U-Boot“, oder „ein Maulwurf“. Gießener Allgemeine Zeitung vom 6.10.1994.

193 Anders sah es beim Austritt von Gerhard Keil aus, der eine breite Mehrheit hinter sich hatte.

194 So konnte sich der Mitstreiter von Bernhard Gattwinkel und Helmut Zimmermann, der Mandatsträger Rainer Schuster, in der Frage der „Delegiertenwahl“ plötzlich wieder daran erinnern, dass er als Delegierter gewählt worden ist. Dann bedurfte es nur noch einer Demütigung oder einer temperamentvoll ausgesprochenen öffentlichen kritischen Bemerkung, um die Einleitung eines Parteiausschlussverfahrens mit sofortiger Aberkennung der Fähigkeit zur Bekleidung von Parteiämtern auszulösen. Interview mit Bernhard Gattwinkel am 10.10.1994.

195 Interview mit Helmut Zimmermann am 19.9.1994.

196 Hierunter fallen Ordnungsmaßnahmen, die vor allem durch die Ausrichtung des § 8 der Bundessatzung der Republikaner begünstigt werden, nämlich Abmahnungen und Parteiausschlussverfahren. Vgl. Bundessatzung, op.cit.

197 Ähnlich Hans-Gerd Jaschke, (1990), op.cit., S. 86 ff.

Partei würde letztendlich an ihrer parteiinternen Krisenhaftigkeit zerbrechen, was sich in den Jahren 2000 und 2001 gezeigt hat.198

4.4.2 Die „parteiinterne Kultur“ der Republikaner

Meiner Meinung nach verfügte die Partei über eine Art „parteiinterner Kultur“, die in einem

„Kodex“ das Verhalten der Mitglieder auf ein geschlossenes Erscheinungsbild der Partei festgelegte.

Parteiintern richtet sich diese Forderung gegen die Faktionsbildung und -extern auf die Forderung, ein möglichst geschlossenes Erscheinungsbild abzugeben. Diese angemahnte

„Geschlossenheit“ steht teilweise in erheblichem Gegensatz zur Realität und scheint heute vielfach darauf reduziert zu sein, die parteiinternen Konflikte gewissermaßen durch einen Harmonisierungsdruck zu verschleiern. Wenn auch diese Forderung für eine erhebliche Zahl der Mitglieder immer noch verbindlichen Charakter hat, so bin ich doch der Ansicht, dass ihre Hauptfunktion (Geschlossenheit) darin liegt, die Akteure dazu zu zwingen, den „Schein nach außen zu wahren“.