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Mitgliederpartizipation an der Personalrekrutierung

4. Innerparteiliche Demokratie im Kreisverband Gießen der Republikaner

4.2 Mitgliederpartizipation an der Personalrekrutierung

Die Beurteilung des Bewusstseins zur innerparteilichen Demokratie ist ein vielschichtiges und schwieriges Unterfangen.

Als indirekter Maßstab für eine parteiinterne mangelhaften Demokratie dienen in der Parteienforschung, u.a. nach Niedermayer, Indikatoren wie eine lange Amtsdauer von Parteifunktionären, mangelnde personelle Alternativen bei Personalentscheidungen und Beeinflussung der Personalentscheidung durch eine Führungsgruppe.176

175 Siehe Landessatzung der Republikaner Hessen, op.cit..

176 Oskar Niedermayer, (1989), op.cit.

Aufgrund des unterschiedlichen Partizipationsverhaltens der Parteimitglieder konnte nur ein kleiner Teil der Mitglieder des Kreisverbandes zur Gruppe der „aktiv“ Mitwirkenden gezählt werden. Das Binnenleben der Partei war deshalb weitestgehend von einer Minderheit getragen. Aus dieser Gruppe der „Aktiven“ mussten dann die Vorstandsmitglieder, Delegierte und Mandatsträger für das Kreis- und Stadtparlament gewählt werden.

Erschwerend kam noch hinzu, dass das Aktivenreservoir der Partei als äußerst strapaziert und zum Ende der beiden Legislaturperioden 1993 bis 1997 und 1997 bis 2001 auch als ausgeschöpft gelten konnte.177 Aufgrund dieser einschränkenden Selektionsmöglichkeiten waren u.a. Ämterkumulationen, mangelnde personelle Alternativen bei Personalentscheidungen, eine lange Amtsdauer von Parteifunktionären, sowie Beeinflussung der Personalentscheidung durch eine Führungsgruppe unausweichlich.178 Ein Vergleich mit den, von Heino Kaack für einen fiktiven Ortsverein Anfang der siebziger Jahre gemachten Aussagen ergibt, dass sich bezogen auf die Republikaner in Gießen kaum Unterschiede feststellen ließen. Kaack konnte beobachten, dass eine relativ kleine Gruppe von Parteimitgliedern eine relativ große Zahl von Mandatsträgern und Amtsinhabern stellen musste und dass das Rekrutierungspotenzial der Ortsvereine in zahlreichen Fällen so gering war, dass für die zu besetzenden Ämter nicht genügend qualifizierte Bewerber gefunden werden konnten. Dies erleichterte die Bildung von Oligarchien.179 Nach der Überlegung von Herzog, bezogen auf alle kommunalen Parteien, werden die Personalentscheidungen durch die Funktionäre vorbereitet und damit weitgehend vorbestimmt.180

Aus den geführten Gesprächen geht hervor, dass die Nachfrage der Parteimitglieder für ein Parteiamt sich in Grenzen hielt. Letztendlich war man froh, halbwegs qualifizierte und verfügbare Personen gefunden zu haben. Das galt ebenfalls für die Wahl der Kommunalabgeordneten und die Delegierten.

Bei der Untersuchung der Kontaktintensität innerparteilicher Gruppen kam ich zum Ergebnis, dass ein regelmäßiger parteiinterner Informationsaustausch zwischen den „aktiven“

Parteimitgliedern existierte, jedoch kaum zu den „passiven“. Die Parteiorganisation besaß ein Geflecht von Kommunikationsräumen, in denen ein erhebliches Aktivitäts- und Kommunikationsgefälle zwischen Aktiven und dem Rest der Parteimitglieder bestand.

Darüber hinaus war die Informationsbeschaffung bei den aktiven Mitgliedern aufgrund

177 Deutlich erkennbar wird diese Situation, dass vakante Mandatsstellen nicht ohne weiteres neu besetzt werden konnten. Viele Parteiaktive über 20 Stunden die Woche, teilweise neben ihrem Beruf und somit an der Grenze der eigenen Belastbarkeit, arbeiteten. Siehe Auswertung des Fragebogens vom März 1994.

178 Als Beispiel einer langen Amtsdauer ist Ulrich Kolan zu nennen, der das Amt des ersten Kreisverbandsvorsitzenden in Gießen von 1989 bis 1997 innehatte.

179 Heino Kaack, „Die Basis der Parteien. Struktur und Funktionen der Ortsvereine“, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 1 (1971), S. 36.

180 Dietrich Herzog, „Politische Führungsgruppen: Probleme und Ergebnisse der modernen Elitenforschung“, Darmstadt 1982, S. 88.

unterschiedlichen Zugangs vielfältiger als bei den passiven. Für die tägliche politische Praxis bedeutete das, dass sowohl die Verbreitung eigener Ideen als auch die intensive informelle Kommunikation gerade innerhalb dieser kleinen Gruppe stattfand. Langfristig würde sich das parteiinterne Kräfteparallelogramm zu ihren Gunsten verschieben.

Zur Frage, wie die Parteimitglieder ihren innerparteilichen Einfluss generell einschätzten, antworteten die Gesprächsteilnehmer, dass die Mandats- und Funktionsträger/“Aktive“ ihren Einfluss als groß, „passive“ Parteimitglieder hingegen als gering einordneten. Demnach hielt sich in der Partei nur der „aktive“ Teil der Mitglieder für einflussreich.

Zur weiteren Analyse des Mitgliedereinflusses wurden den Befragungsteilnehmern drei Fragen zur Bewertung des Mitgliedereinflusses auf wichtige Personalentscheidungen, politische bzw. kommunalpolitische Grundsatzfragen gestellt.

Bei der Bewertung, wie sie die Einflussmöglichkeiten eines „einfachen“ Parteimitglieds beurteilten, lassen sich die Ergebnisse im Einzelnen wie folgt zusammenfassen. Die Befragungsteilnehmer antworteten, dass bei kommunalpolitischen Grundsatzfragen die Einflussmöglichkeiten eines „einfachen“ Parteimitgliedes groß, bei politischen Grundsatzfragen und wichtiger Personalentscheidungen hingegen gering waren. Bei der Beurteilung der Einflussmöglichkeiten in politische Grundsatzfragen und wichtige Personalentscheidungen wurde somit das Bild vermittelt, dass die Einflussmöglichkeiten auf Wenige verlagert waren. Deutlich aus der Reihe fiel der Wert bei der Beurteilung des Mitgliedereinflusses bei kommunalpolitischen Grundsatzfragen. Dieses Ergebnis verleitet zur Interpretation, dass eine größere Basisnähe in der Kommunalpolitik gleichzeitig eine direktere Demokratie ermögliche. Alle Beteiligten des Kreisverbandes Gießen der Republikaner („aktive“ und „passive“) strebten keinen höheren Einfluss an und waren mit ihrer gegenwärtigen Situation zufrieden. Das unterstreicht die bereits festgestellte unterschiedliche Partizipationswilligkeit unter den Parteimitgliedern.

Eine adäquate Beurteilung der Führungsproblematik im Kreisverband Gießen kann wegen mangelnder Informationen zwar nicht abgegeben werden, aber es kann gesagt werden, dass der Kreisverbandsvorsitzende durch seine eigenen, individuellen Vorstellungen die parteiinterne Willensbildung des Kreisverbandes prägte. Er entwickelte sich zum alleinigen Ansprechpartner für alle Angelegenheiten. Aufgaben wurden, nach Aussagen verschiedener Parteirepräsentanten, in der Regel nicht delegiert, sondern von ihm alleine gelöst wenn es sein musste, auch über die Vorstandsmitglieder hinweg.181 Immer öfters wurde aus den

181 Gießener Allgemeine Zeitung vom 6.10.1994. Bemängelt wurde auch, dass sogar der Schriftführer keinen Einblick in seine eigene Mappe erhielt. Bei Rechenschaftsberichten könne man nicht nachvollziehen, ob sie korrekt geführt seien, denn es lägen keine vor. Sämtliche Protokolle seien im Besitz des Kreisverbandsvorsitzenden. Alle Punkte aus einem Interview mit Bernhard Gattwinkel am

parteiinternen Reihen der aktiven Mitglieder Kritik laut, die sich vor allem gegen die

„Allkompetenz“ und „Vetternwirtschaft“ des damaligen Kreisverbandsvorsitzenden Kolan richtete. Darüber hinaus warfen ihm verschiedene Funktionäre „eigenmächtiges Handeln“

und unzureichendes „Demokratieverständnis“ vor. In einem Gespräch bezeichnete der damalige Fraktionsvorsitzende Bernhard Gattwinkel ihn sogar als „kleinen Schönhuber“182. Deutlich wurde diese Situation, als Bernhard Gattwinkel sich z.B. öffentlich zu Unregelmäßigkeiten bei einer Delegiertenwahl für den Listenparteitag zur Bundestagswahl 1994 und der hessischen Landtagswahl 1995 in der Gießener Presse äußerte. Bei diesen Unregelmäßigkeiten sollen die Delegierten seiner Meinung nach nicht gewählt, sondern vom Kreisverbandsvorsitzenden Ulrich Kolan nur benannt worden sein. Verstärkend wirkte sich dieser Situation aus, dass seine Frau Ursula zum damaligen Zeitpunkt ebenfalls dem geschäftsführenden Vorstand angehörte.183

Unverkennbar war, dass der Kreisverbandsvorsitzende nach seinem persönlichen Bedarf ohne weiteres Mitglieder protegieren, präsentieren und einsetzen konnte. Diese Situation zeigte sehr deutliche Anzeichen eines autoritären Führungsstils, verbunden mit einem

„eigenen“ Verständnis des parteiinternen Willensbildungsprozesses. Diese Zentrierung auf eine Person erweckt den Eindruck mangelnder Transparenz und unzureichender demokratischer Kontrolle.

Im Kreisverband war klar eine Personifizierung der Macht eines leitenden Parteifunktionärs zu erkennen.184 Im konkreten Fall heißt das, dass ein Führungsverantwortlicher in Abhängigkeit von seiner Position unterschiedliche Auffassungen darüber entwickelt, wem gegenüber er verantwortlich und rechtfertigungspflichtig ist.

Deutlich zu erkennen war, dass es sich in Gießen um eine demokratisch legitimierte Autokratie handelte, die ihren Ursprung in der Partizipationsunwilligkeit der Parteimitglieder hatte. Dieser Parteispitze ihre Verantwortlichkeit in einer Mitgliederversammlung abzuverlangen, darin läge das eigentliche demokratische Element. Im November 1996 wurde 10.10.1994. Interview mit Helmut Zimmermann am 22.3.1994. „Ein-Mann-Partei“. Gießener Anzeiger vom 21.7.2000.

Informationen würden bewusst zurückgehalten, um etwaigen unangenehmen Gesprächen aus dem Weg zu gehen. In einem Brief der Mandatsträgerin, Christine Kunze, vom 28.2.1994 an den Kreisverbandsvorsitzenden Ulrich Kolan heißt es: „Hier drängt sich mir [Christine Kunze; B.W.] der Verdacht auf, daß Sie [Ulrich Kolan; B.W.] evtl. unangenehmen Verhandlungen aus dem Weg gehen wollen“. Privatarchiv Bernhard Gattwinkel.

Nach Meinung einiger Parteimitglieder würden aktuelle Mitgliederlisten an Mitglieder des Kreisverbandsvorstandes nicht weitergegeben. In einem Brief von Christine Kunze an den Kreisverbandsvorsitzenden Ulrich Kolan vom 2.3.1994 ist dort zu entnehmen: „mir [Christine Kunze;

B.W.] die Mitgliederliste (...) noch immer nicht zugegangen ist ...“. Privatarchiv Bernhard Gattwinkel.

182 Interview mit Bernhard Gattwinkel am 10.10.1994.

183 Das geht aus den geführten Interviews mit Bernhard Gattwinkel am 10.10.1994 und Helmut Zimmermann am 22.3.1994, hervor. Zum Selbstschutz seiner Person und Handlungen entfaltete Ulrich Kolan eine Wehrhaftigkeit gegen angebliche Verleumdungen und Nachstellungen durch so genannte

„U-Boote“, „Abweichler“, Gießener Allgemeine Zeitung vom 6.10.1994. Der Gießener Presse warf er

„Undemokratisches Verhalten gegenüber den Republikanern“ vor, Gießener Anzeiger vom 8.3.1993.

„Böswillige Lügen“, Gießener Allgemeine Zeitung vom 21.7.2000.

184 Maurice Duverger, „Die politischen Parteien“, Tübingen 1959, op.cit., S. 174.

Ulrich Kolan, weil er sich für das Amt des Vorsitzenden nicht mehr zur Verfügung stellte, durch den Philosophiestudenten Daniel Schäfer in einer Mitgliederversammlung durch Wahl ersetzt. Im Mai 2000 wurde Eva Pfeffer-Schmidt Kreisverbandsvorsitzende.

Die oben skizzierten Probleme wiesen auf kommunaler Ebene nicht auf mangelnde Partizipationschancen und in einer partizipationsrestringierenden Strategie einer Führungsgruppe oder -person hin, sondern auf eine allgemein vorherrschende mangelnde Partizipationsbereitschaft eines Großteils der Mitgliederbasis, am inhaltlichen und personellen Willensbildungsprozess aktiv und regelmäßig teilzunehmen, eine Funktion zu übernehmen oder Alternativkandidaten zu benennen. Die Defizite im Kreisverband Gießen sind demnach ausschließlich bei den Mitgliedern und deren Leistungsmotivation zu suchen.

Die Parteimitglieder in Gießen förderten mit ihrem mangelnden Partizipationsverhalten Strukturen einer demokratisch legitimierten Autokratie. Die innerparteiliche Demokratie im Kreisverband ist als ein Partizipationsproblem zu definieren.

Die erwähnten Probleme müssten theoretisch aufgrund der starken Mitgliederfluktuation und des geringen Mitgliederpotenzials zu einer größeren Aktivitäts- und Leistungsbereitschaft innerhalb des Kreisverbandes Gießen führen. Ob sich nun die Teilnahmeintensität der gesamten Mitgliedschaft in dem Untersuchungszeitraum von 1989 bis 2001 verändert hatte, kann aufgrund fehlender Informationen nicht gesagt werden. Sicher ist, dass eine aktive Mitgliedschaft nicht mit einer längerfristig bestehenden Mitgliedschaft gleichzusetzen ist.