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Die Anforderungen für Laudans normativen Naturalismus

Im vorhergehenden Kapitel wurde der Gegenstandsbereich des normativen Naturalismus diskutiert. Es wurde argumentiert, dass Laudans netzartiges Rechtfertigungsmodell sowohl deskriptiv relativistisch, als auch normativ relativistisch ist. Trotzdem will der normative Naturalismus nicht in dem Sinn relativistisch sein, dass keine rationale Wahl zwischen divergierenden Rationalitätsstandards möglich ist. Ein soziologischer Relativismus wird also abgelehnt. Es wurden einige Einwände besprochen, die zeigen sollen, dass sich Laudan von einem soziologischen Relativismus nicht abgrenzen kann. Immer wieder wurde argumentiert, Laudan könne keine rationale Wahl zwischen unterschiedlichen Rationalitätsstandards aufrecht halten. Seine Kriterien zur Theoriewahl, Methodologie und Axiologie seien nicht hinreichend, um die Rationalität eines Konsenses festzustellen. Hierbei wurde zwischendurch ein Blick in Richtung Metamethodologie geworfen. Knowles etwa argumentierte, dass Laudan nur bestimmte Kriterien einführen dürfe. Dies liege ganz einfach an den Voraussetzungen, die der normative Naturalismus macht. Der normative Naturalist darf, so der Einwand, nicht einfach willkürlich neue (konzeptuelle) Regeln einführen, um etwa den Zielwandel zu erklären. Diese Regeln müssen irgendwoher kommen. Und diese Herkunft sollte mit den Prinzipien des normativen Naturalismus im Einklang stehen. (Vgl. Knowles, 2002: 173) Wenn der normative Naturalismus seinen eigenen Anforderungen nicht entspricht, wäre er offenkundig inkohärent. Der normative Naturalismus müsse dementsprechend mehreren Kriterien genügen:

i) Er muss mit seinem eigenen netzartigen Rechtfertigungsmodell konsistent sein.

ii) In der Geschichte der Wissenschaft müssen alle Theorien, Regeln und Ziele dem Wandel unterworfen sein. Wenn sich aber ein rotes Band von Rationalitätsregeln durch die Geschichte zieht, das konstant bleibt, dann widerspricht das der These, dass alle Regeln der Revision ausgesetzt sind.

iii) Die Rechtfertigung des normativen Naturalismus selbst muss mit Laudans Konzepten von Normativität und Naturalismus konsistent sein. Das heißt eine nicht-naturalistische Rechtfertigung für den normativen Naturalismus würde Laudans eigenes Projekt unterminieren.

Die drei aufgezählten Punkte sind nicht unbedingt als ausschließend zu verstehen. Sie sollen nur Anhaltspunkte bieten, um zu sehen, welche Anforderungen eine Rechtfertigung des

normativen Naturalismus erfüllen muss. Das Ziel dieses Kapitels ist es, die Begründung des normativen Naturalismus selbst, als Metamethodologie, zu analysieren.

Intuitionismus und Rationalität

Im vorhergehenden Kapitel wurde Groblers Einwand vorgestellt, Laudans Theorie wissenschaftlicher Rationalität entspreche nicht unserer Intuition, wie Rationalität aussehen soll.

Wenn es möglich ist, dass uns rationale Entscheidungen in einen Zirkel führen, dann stimmt damit etwas nicht. (Vgl. Grobler, 1990: 503)

Groblers Einwand basiert auf einem intuitionistischem Verständnis von Metamethodologie. Unter Intuitionismus versteht Laudan die Position, dass wissenschaftliche Erkenntnisse durch Intuitionen gerechtfertigt werden können. Intuitionen sind aber nach Laudan keine gute Quelle, um Wissenschaft und Geschichte zu verstehen. (Vgl. Laudan 1990a: 316)

Auch auf metamethodologischer Ebene scheint Laudan aber nicht bereit zu sein, eine intuitionistische Position zu vertreten. Denn das hätte verheerende Folgen für den normativen Naturalismus. Formulieren wir Groblers Argument neu, um den Punkt zu verdeutlichen:

Grobler ist bereit, das netzartige Rationalitätsmodell auf methodologischer Ebene zuzugestehen. Eine Entscheidung zu Gunsten einer Regel, wie „bevorzuge Doppelblindstudien“, ist keine Sache der Intuition, sondern hängt von der empirischen Prüfung und unseren übrigen wissenschaftlichen Überzeugungen ab. Es gibt in der Wissenschaft kein fixes Regelwerk, das sich niemals ändert. Vielmehr sind alle Regeln potentiell revidierbar. In diesem Sinn könnte der Wissenschaftler auch kontraintuitive Regeln oder Theorien akzeptieren, wenn seine Daten und Hintergrundtheorien das nahe legen.

Dennoch, so Grobler, hat Laudans Theorie ein Problem auf metamethodologischer Ebene. Der normative Naturalismus führe nämlich zu der kontraintuitiven Annahme, Fortschritt könne, auch wenn es praktisch nicht der Fall ist, im Prinzip im Zirkel laufen. Insofern evaluiert Grobler Laudans Rationalität nicht netzartig, sondern intuitionistisch. Man könnte das Argument also so verstehen: Es ist okay, dass Laudan eine netzartige Auffassung von Rationalität auf methodologischer Ebene vertritt. Auf metamethodologischer Ebene sollte Laudan jedoch Intuitionist sein. Das heißt, der normative Naturalismus soll letzten Endes daran bewertet werden, ob er unserem intuitiven Verständnis von Wissenschaft Rechnung trägt. Denn wieso sollten wir eine Theorie über Rationalität akzeptieren, die wir nicht für intuitiv einleuchtend halten?

Ich werde nun argumentieren, dass Laudan auf metamethodologischer Ebene keinen Intuitionismus vertreten kann. Wenn Laudan auf methodologischer Ebene einen netzartigen

Rationalitätsbegriff verwenden würde und auf metamethodologischer Ebene Intuitionist wäre, dann stellt sich die Frage, wieso der Intuitionismus nicht überall zulässig sein soll. Schließlich könnte man sich dann fragen, wieso nur metamethodologische Regeln intuitiv gerechtfertigt werden können, während alle anderen Überzeugungen der empirischen Revision ausgesetzt werden müssen. Das erscheint völlig inkohärent. Wenn Intuitionen erst einmal als guter Grund für die Revision von Regeln zugelassen werden, dann können Intuitionen überall eingesetzt werden.

Intuitionen werden ja von Laudan unter anderem deshalb zurück gewiesen, weil sie keine verlässlichen Quellen sind, um wissenschaftliche Ergebnisse zu rechtfertigen. Dafür seien empirische Daten, andere Theorien und unsere Ziele deutlich besser geeignet. Wieso sollten also Intuitionen auf metamethodologischer Ebene plötzlich doch geeignet sein, um Rationalitätstheorien zu rechtfertigen? Selbst wenn der Intuitionismus auf metamethodologischer Ebene vertretbar ist, stellt sich die Frage, wieso methodologische Regeln nicht durch Intuition gerechtfertigt werden dürfen.

Laudan akzeptiert den Intuitionismus auf keiner Ebene und das sollte er auch nicht.

Groblers Einwand setzt also eine Position voraus, die Laudan selbst nicht teilt.45 Nun stellt sich aber trotzdem die Frage, wie sich Laudans normativer Naturalismus selbst rechtfertigt.

Funktioniert eine netzartige Rechtfertigung auf metamethodologischer Ebene? Was ist das Ziel einer Rationalitätstheorie? Welche Mittel stehen uns zur Überprüfung offen? Kann eine Prüfung anhand der Geschichte erfolgen?

Eine naturalistische Rechtfertigung des normativen Naturalismus

Die im vorigen Abschnitt vorgebrachte Kritik von Grobler scheint Laudan nicht wirklich zu treffen. Sie basiert auf einer metamethodologischen Position, die Laudan nicht teilt. Um Laudans normativen Naturalismus also wirklich zu kritisieren, müssen wir herausfinden, wie er seine eigene metamethodologische Theorie rechtfertigt.

Interessant in diesem Zusammenhang ist ein weiterer Punkt, den Grobler macht. Er argumentiert, dass Laudan deshalb kein Relativist sei, weil er immer dasselbe Muster von Rationalität anwende. Selbst wenn sich alle einzelnen Methoden, Theorien und Ziele ändern, so

45 An dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass Laudan über seinen Instrumentalismus gegen den Intuitionismus argumentiert (vgl. Laudan, 1990a: 321). Obwohl er sich eines sehr weit gefassten Instrumentalismusbegriffs bedient, könnte der Intuitionist darauf bestehen, dass Zielwechsel nicht durch instrumentelle Rationalität erklärt werden können. Instrumentalistische Rationalität gelte nur für die Erklärung von methodologischen Regeln. Intuition sei aber für die Erklärung von Zielwechsel notwendig. Deshalb stelle ich in diesem Abschnitt Laudans netzartiges Rechtfertigungsmodell gegen den Intuitionismus. Ich meine, dass Laudans netzartiges Rechtfertigungsmodell einen passenderen Gegner für den Intuitionismus darstellt.

bleibe dennoch dieses grundsätzliche Muster erhalten. Dieses wird lediglich auf unterschiedliche Art und Weise gefüllt. (Vgl. Grobler, 1990: 501)

Metamethodologische Regeln, wie das Realisierbarkeitskriterium gelten über die Geschichte hinweg, unabhängig davon, wie die einzelnen Rationalitätstripel gefüllt werden. Diese Struktur, der die Rationalität folgt, entspricht dem normativen Naturalismus. Nun stellt sich aber die Frage, wie sich diese Struktur rechtfertigen lässt.

Ein Vorschlag kommt von Freedman. Sie versucht Laudan zu verteidigen, indem sie darauf besteht, dass Laudan durchaus eine naturalistische Rechtfertigung für seine metamethodologischen Thesen anbieten könne. Auch wenn Laudan selbst diesen Schritt nie gegangen ist, ist es das, was Laudan machen sollte, um seinen normativen Naturalismus zu verteidigen. Sehen wir uns ein Beispiel an, um zu verstehen, was Freedman meint. Das Realisierbarkeitskriterium wurde immer wieder zum Gegenstand der Kritik. Es wurde argumentiert, dass es keine naturalistische Rechtfertigung dafür gebe. Denn wo in der Welt steht geschrieben, dass wir bloß realisierbare Ziele anstreben sollen? Die Welt scheint uns diesbezüglich keine klare Handlungsanweisung zu liefern.46 (Vgl. Freedman, 2001: 126f)

Freedman argumentiert nun, dass Laudans Kritiker seinen Naturalismus zu eng fassen. Es gebe nämlich durchaus eine empirische Rechtfertigung für dieses Kriterium. Dazu müsse man lediglich den Naturalismusbegriff etwas weiter fassen. Schließlich gebe es zwei Versionen von Naturalismus, die sich durch Laudans Arbeiten ziehen. Auch wenn Laudan selbst nie zwischen diesen beiden Formen von Naturalismus unterschieden habe, sollte er nach Freedman diese Unterscheidung treffen.

N1: P is naturalistic iff P is empirically testable.

N2: P is naturalistic iff P is prevalent in science.47 (Freedman, 1999: 526; 2006: 313)

Freedman meint, dass die Argumente der Kritiker N1 als selbstverständlich voraussetzen.

Empirische Tests sind für Wissenschaftler essentiell für die Entwicklung ihrer Theorien, Regeln und Ziele. Insofern ist N1 bestimmt eine Bestimmung von Naturalismus, die auch Laudan vertritt. Allerdings sei dies nicht die ganze Geschichte. Denn nicht alles, was von Laudan vorausgesetzt wird, kann über N1 gerechtfertigt werden. So ist z.B. das Realisierbarkeitskriterium

46 Ich habe im vorherigen Abschnitt Laudans Antwort auf diesen Einwand vorgestellt. Im Wesentlichen argumentiert Laudan, dass eine Theorie der rationalen Handlung das Realisierbarkeitskriterium beinhalten muss, um sinnvolle Handlungsanweisungen geben zu können. Freedman geht einen anderen Weg.

47 Freedman definiert P nicht wirklich. Allerdings setzt sie für P Axiologie ein (vgl. Freedman, 1999: 534). Ich meine, dass es in Freedmans Sinn sein müsste, für P auch Methodologie einzusetzen zu können. Das heißt, methodologische Regeln und wissenschaftliche Ziele sind naturalistisch, genau dann wenn sie:

N1: empirisch prüfbar sind.

N2: in der Wissenschaft vorherrschend sind.

Da die Zielsetzung hier am umstrittensten ist, widmet sich Freedman vorrangig der Axiologie.

nicht in der Welt zu finden. Keine Sinneserfahrung kann uns vorschreiben nur realisierbare Ziele anzustreben. Nach Freedman bestehe aber die Möglichkeit, das Realisierbarkeitskriterium über N2 zu rechtfertigen. N2 besagt, dass das Realisierbarkeitskriterium naturalistisch gerechtfertigt ist, wenn es in der Wissenschaft weit verbreitet ist. Insofern hätten wir eine naturalistische Rechtfertigung für das Realisierbarkeitskriterium. Diese Rechtfertigung unterscheidet sich aber von der Rechtfertigung, die Laudans Kritiker im Auge haben, wenn sie über naturalistische Begründungen sprechen. Freedman meint jedoch, dass das der Weg sei, den ein guter Naturalist beschreiten müsse. Dem Naturalisten stehen keine a priori Einsichten offen. Er muss seine Position aus den vorherrschenden Theorien aufbauen. In der wissenschaftlichen Praxis werden Regeln befolgt, die uns sagen, was als rational gilt. Das Realisierbarkeitskriterium ist eine dieser Regeln. Einige Wissenschaftler wiesen gewisse Ziele zurück, weil sie ihrer Ansicht nach nicht realisierbar waren. Diese Wissenschaftler befolgten offensichtlich die Regel nur realisierbare Ziele anzustreben. Wenn wir nun die Wissenschaftsgeschichte studieren und herausfinden, dass das Realisierbarkeitskriterium häufig von Wissenschaftlern herangezogen wird, wenn es darum geht, sich von alten Zielen zu verabschieden, dann können wir die metamethodologische Regel

„verfolge nur realisierbare Ziele“ akzeptieren. Die Rechtfertigung für diese Regel stammt demnach direkt aus der wissenschaftlichen Praxis. (Vgl. Freedman, 1999: 535) An dieser Stelle könnte man sich fragen, wieso wir überhaupt N2 akzeptieren sollten. Wieso sollte die Erweiterung des Naturalismus von N1 auf N2 zulässig sein?

Freedman argumentiert, dass N2 nicht ad hoc stipuliert wird. N2 sei eine Anwendung von N1 auf unsere eigene naturalistische Wissenschaftstheorie. N1 besagt, eine Aussage sei naturalistisch, wenn sie (in einem weiten Sinn) empirisch überprüft werden kann. N2 besagt, dass nicht nur wissenschaftliche Regeln (wie etwa verfolge Doppelblindstudien), sondern auch metamethodologische Regeln (wie: Verfolge nur realisierbare Ziele) empirisch geprüft werden können. Die Prüfung erfolgt dann anhand der Wissenschaftsgeschichte. Wir können uns ansehen, ob das Realisierbarkeitskriterium häufig angewendet wurde, um Ziele zu ändern. Wenn es in der Geschichte häufig angewendet wurde, dann ist es nach Freedman auch rational dieses Kriterium zu verwenden. Insofern verlassen wir uns durch N2 auf die metamethodologische Praxis, die implizit in der Wissenschaft vorhanden ist. Deshalb müssen wir nach Freedman einen Naturalismus vertreten, wie er in N2 vorgeschlagen wird. N2 entspreche dem Geist des Naturalismus auf metamethodologischer Ebene.48 (Vgl. Freedman, 1999: 534)

Folgen wir also Freedman, dann soll Laudan seinen Naturalismus auf metamethodologischer Ebene über die Wissenschaftsgeschichte rechtfertigen. Die gegenwärtigen

48 Nun könnte man einwenden, dass sich das alles sehr nach einem naturalistischen Fehlschluss anhört. Freedman argumentiert, dass dies nicht der Fall sei. Siehe hierzu Freedman (2006: 314).

Vorschriften des normativen Naturalismus werden durch die wissenschaftliche Praxis diktiert.

Dort finden wir Normen und Regeln und sobald wir herausgefunden haben, welchen Regeln unsere besten Wissenschaftler folgen, schließen wir uns dieser Meinung auf metamethodologischer Ebene einfach an. Das hat zur Folge, dass der normative Naturalismus selbst immer wieder der Revision ausgesetzt werden kann, wenn sich die wissenschaftliche Praxis entsprechend ändert.

Nehmen wir an, die Wissenschaftler streben Großteils nach Zielen, die sie für nicht realisierbar halten. In diesem Fall müsste Laudan sein Realisierbarkeitskriterium fallen lassen und andere Regeln finden, die Entscheidungen in der gegenwärtigen Wissenschaft rational machen.

Freedman gesteht zu, dass Laudan mit dieser Lösung nicht unbedingt zufrieden sein dürfte. Auf diese Weise verfalle der normative Naturalist nämlich in einen globalen Relativismus. Wenn alle Kriterien, die die rationale Entwicklung erklären könnten, ebenfalls der Revision ausgesetzt werden können, dann werde der normative Naturalismus selbst revidierbar. Dennoch müsse Laudan diesen Weg beschreiten, da ihm als Naturalist keine andere Möglichkeit offen stehe. (Vgl.

Freedman, 2006: 310, 315)

Freedmans Vorschlag birgt einige Probleme.

i) Laudan selbst würde Freedmans metamethodologische Lösung nicht annehmen.

Freedman meint, dass Laudan nie wirklich auf das Rechtfertigungsproblem des normativen Naturalismus antwortet. Dies ist jedoch nicht der Fall. Laudan sagt ganz klar, dass eine Theorie der rationalen Handlung das Realisierbarkeitskriterium voraussetzen muss.

[...] consider what a nonsense it would make of the theory of rational action if we were to countenance, as acceptable, goals which agents believed could not possibly serve as the basis for any actions. (Laudan, 1987b: 227)

Laudan meint es mache einfach keinen Sinn, eine Theorie zu entwickeln, die uns sagen soll, wann eine Handlung als rational gilt, wenn diese Handlung kein Ziel verfolgt, das irgendwie erreichbar erscheint. Ein Beispiel könnte so aussehen: Peter würde gerne eine Kiste mit unendlichem Inhalt erfinden. In der Kiste soll man so viele Dinge verstauen können wie man nur möchte. Der Platz soll nie ausgehen.

Leider glaubt Peter nicht daran, dass es so eine Kiste geben kann. Deshalb hat er nicht die leiseste Vorstellung, was er tun muss, um eine solche Kiste zu erfinden. Aber Peter ist frohen Mutes und beginnt damit, seine Kisten mit grüner Farbe zu bestreichen. Peter glaubt zwar nicht, dass das den Platz in der Kiste irgendwie vergrößert, aber er malt trotzdem fleißig weiter. Wenn wir das

Realisierbarkeitskriterium für Rationalitätstheorien ablehnen, würde wohl nichts dagegen sprechen Peters Handeln als rational zu behandeln. Das ist allerdings absurd.

Freedman argumentiert aber, dass auch unrealisierbare Ziele rational verfolgt werden können. Um ihren Punkt zu verdeutlichen bringt sie den Realismus ins Spiel.

So, for example, Laudan claims that the goal of ‘true theories about the world’ is epistemically unrealizable, since, he argues, even if we were to meet this goal, we would not be in a position to know it (Laudan 1984, 52–53). Of course, this is open to question, but suppose we grant Laudan the point; is it thereby irrational to strive for truth? Do we think that scientific realists, for instance, are irrational?

Certainly not. (Freedman, 2006: 316)

Dieses Beispiel ist gegen Laudan nicht schlagend, weil einige Dinge durcheinander gebracht werden. Anfangs wird festgestellt, dass Laudan das Ziel, wahre Theorien zu entwickeln, für nicht verwirklichbar hält. Freedman zieht nun daraus den falschen Schluss, dass Laudan alle Realisten für irrational halten müsse. Das ist aber nicht der Fall. Der Realist glaubt schließlich an die Realisierbarkeit wahrer Theorien. Daher wählt er die Mittel, von denen er meint, dass sie ihn zu wahren Theorien führen.

Freedmans Beispiel würde einen Fall von Irrationalität zeigen, wenn Laudan selbst versuchen würde, wahre Theorien zu entwickeln, zeitgleich aber darauf bestehen würde, dass solche nie realisiert werden könnten. In diesem Fall würde er Methoden anwenden, um ihn an ein Ziel zu bringen, von dem er selbst nicht denkt, dass es verwirklichbar ist.49

Bis jetzt haben wir gesehen, dass Laudan sein Realisierbarkeitskriterium als Grundvoraussetzung für eine Theorie der rationalen Handlung versteht. Das Realisierbarkeitskriterium kommt zwar in der Wissenschaftsgeschichte immer wieder vor, allerdings entnimmt es Laudan nicht der Geschichte. Dass Laudan seinen normativen Naturalismus nicht völlig an die Wissenschaftsgeschichte kettet, wird auch bei seiner Einstellung zum wissenschaftlichen Realismus deutlich. Laudan beantwortet nämlich die Debatte zwischen Realismus und Antirealismus nicht empirisch. Der Antirealismus sei dem Realismus einfach überlegen. Laudan

49 Mein Beispiel stellt einen Fall dar, in welchem wir ohne Handlungsanweisungen zurück gelassen werden. Peter möchte eine Kiste mit unendlichem Inhalt bauen. Dieses Ziel erscheint Peter nicht realisierbar, weshalb er nicht einmal annäherungsweise eine Idee hat, wie er dieses Ziel umsetzen könnte. Ich denke solche Arten von Zielen hat Laudan im Sinn, wenn er über nicht realisierbare Ziele spricht. Nun könnte man aber trotzdem der Meinung sein, dass es rational sein kann, andere Arten von nicht realisierbaren Zielen anzustreben. Zum Beispiel: Jemand ist der Meinung, es sei nicht realisierbar ein Telefonbuch fehlerfrei abzuschreiben. Dennoch kann es diese Person versuchen. In diesem Fall hätten wir mit einem nicht realisierbaren Ziel zu tun, das uns aber trotzdem mit konkreten Handlungsanweisungen versorgt.

untersucht nicht bloß die Einstellungen gegenwärtiger Wissenschaftler und inkludiert dann die Mehrheitsmeinung in seinen normativen Naturalismus. Er entwickelt seinen Antirealismus als Gegenposition zum Realismus, weil er den letzteren für unbrauchbar hält. Das hat nichts mit einer empirischen Prüfung zu tun. (Vgl. Laudan, 1981: 47) Ein konsequenter Naturalist müsste aber nach Freedman wohl auch hier die eigenen Überzeugungen der empirischen Revision aussetzen. Dies tut Laudan aber nicht. Er würde seinen normativen Naturalismus nicht so einfach ändern, wenn ihm der Großteil der Wissenschaftler widersprechen würde. Das ist keine Mehrheitsentscheidung.

ii) Nun führt Freedmans Vorschlag auch dazu, dass der Wissenschaftstheoretiker nur mehr praktizierende Wissenschaftler rezipieren kann. Schließlich darf der Wissenschaftstheoretiker, nach Freedman, nicht einfach so neue Normen und Regeln einführen, um gute von schlechter Wissenschaft zu unterscheiden. Insofern orientiert sich ein solcher Naturalismus nur mehr an der wissenschaftlichen Praxis. Hier könnte man meinen, dass die Wissenschaftstheorie ihre normative Funktion völlig verliert.

Freedmans Naturalismus führt dazu, dass die Wissenschaftstheorie nur mehr beschreibend vorgehen kann. Sie beschreibt die vorherrschenden Normen, Regeln, Ziele und Praktiken, die in der Wissenschaft zu finden sind. Nun stellt sich aber die Frage, ob das nicht einer Elimination der Wissenschaftstheorie gleich kommt. Wird denn die Beschreibung wissenschaftlichen Vorgehens nicht bereits durch Wissenschaftsgeschichte, Wissenssoziologie und Psychologie abgedeckt? Wofür wäre in einem solchen Fall noch ein Wissenschaftstheoretiker von Bedeutung?

In einem gewissen Sinn mag das für Laudan akzeptabel sein. Schließlich ist es Laudan selbst, der darauf besteht, dass wissenschaftliche Normen, Regeln und Ziele eine innerwissenschaftliche Angelegenheit sind. Allerdings ist es für Laudan die Aufgabe der Wissenschaftstheorie den Theoriewandel, die Abwandlungen von Regeln und Zielen zu erklären. Diese Modelle werden schließlich nicht durch die Naturwissenschaftler selbst geschaffen. Außerdem ist das keine rein historische Angelegenheit. Genau darin findet sich der Aufgabenbereich des Wissenschaftstheoretikers. Er sucht Modelle über Normativität und Theoriewandel.

(Vgl. Laudan, 1989b: 10ff) Freedmans Vorschlag scheint Laudans Unternehmen zu untergraben. Wenn die Arbeit des Wissenschaftstheoretikers bloß in der Rezeption von wissenschaftlichen Normen besteht, verschwindet die Grenze zu anderen Fachgebieten, wie der Wissenschaftsgeschichte und der Wissenssoziologie.

iii) Folgen wir Freedman und akzeptieren wir N2, dann sind auch unsere metamethodologischen Regeln der Revision durch die Empirie ausgesetzt. Freedman meint, dass dies in einen globalen Relativismus führe. (Freedman, 2006: 313) Laudan könne diesen Relativismus verhindern, wenn er universelle metamethodologische Regeln einführt. Dies würde ihn aber die rein naturalistische Theorie kosten. Deshalb sei es besser, den damit verbundenen Relativismus zu akzeptieren. (Vgl. Freedman,

iii) Folgen wir Freedman und akzeptieren wir N2, dann sind auch unsere metamethodologischen Regeln der Revision durch die Empirie ausgesetzt. Freedman meint, dass dies in einen globalen Relativismus führe. (Freedman, 2006: 313) Laudan könne diesen Relativismus verhindern, wenn er universelle metamethodologische Regeln einführt. Dies würde ihn aber die rein naturalistische Theorie kosten. Deshalb sei es besser, den damit verbundenen Relativismus zu akzeptieren. (Vgl. Freedman,