dächtnisses vielfältigste Methoden zur Anwendung. Dies erschwert die Integration der Be‐
funde enorm. Bei den Verfahren, die die prospektive Gedächtnisleistung direkt erfassen, variieren die eingesetzten Aufgaben zumeist auf einer Vielzahl an relevanten Dimensionen.
Während dieses Hindernis bei einer ausreichend differenzierten Betrachtung der Aufgaben und ihrer relevanten Merkmale überwunden werden kann, gibt es jedoch ein Problem, wel‐
ches viel schwerer wiegt und welches sich in den unterschiedlichen Scoring‐Prozeduren der einzelnen Studien widerspiegelt. So wird in den meisten Studien nur eine dichotome rich‐
tig/falsch Kodierung vorgenommen (Einstein & McDaniel, 1990; Ellis, Kvavilashvili & Milne, 1999; Knight et al., 2005; West & Craik, 2001). Hier wird nicht explizit getrennt zwischen retrospektiver Komponente (Inhalt der auszuführenden Intention) und prospektiver Kom‐
ponente (zum richtigen Zeitpunkt selbständig an die Handlung zu denken), sondern die Per‐
formanz als Gesamtleistung wird bewertet. Andere Autoren hingegen erfassen prospektive und retrospektive Komponente separat (Carlesimo, Casadio & Caltagirone, 2004; Cohen, Dixon, Lindsay & Masson, 2003). Schließlich gibt es auch Studien, bei denen die retrospekti‐
ve Komponente nicht nur indirekt wie bei den oben beschriebenen 0/1 Kodierungen mit in den Score einfließt, sondern noch zusätzlich bewertet wird. So wird beispielsweise in einigen Studien die Genauigkeit der Reaktionsausführung mit bewertet und in den prospektiven Gedächtnisscore aufgenommen (z.B. Hannon et al., 1995; McDonald‐Misczek et al., 1999).
Diese unterschiedlichen Scoring‐Prozeduren spiegeln nicht nur methodische Unterschiede wider, sondern in erster Linie unterschiedliche (oftmals implizite) Annahmen darüber, was als prospektive Gedächtnisleistung anzusehen ist. So lange das Konstrukt diesbezüglich kei‐
ne einheitliche Explikation erfährt, bleibt die Integration der Befunde problematisch.
deren neuroanatomische Zuordnung bereits besser erforscht ist, Hinweise auf die Beteili‐
gung der entsprechenden Hirnregionen an prospektiven Gedächtnisleistungen. Studien an Patienten, die Läsionen in bestimmten Hirnregionen haben, geben weitere Anhaltspunkte für die Rolle, die diese Hirnregionen bei prospektiven Gedächtnisleistungen spielen. Von besonderer Bedeutung sind jedoch die bildgebenden Verfahren (wie Positronen‐Emissions‐
Tomographie oder funktionelle Magnetresonanz‐Tomographie), die es ermöglichen, die bei einer prospektiven Gedächtnisaufgabe stattfindenden Prozesse direkt „online“ zu erfassen.
Auf die Zusammenhänge zu anderen kognitiven Funktionen wurde bereits in Kapitel II 2.5 eingegangen. Wie hierbei deutlich wurde, ist das prospektive Gedächtnis insbesondere mit exekutiven Funktionen assoziiert, welche wiederum als Frontalhirnfunktionen angesehen werden (z.B. Baddeley, 1996; Kane & Engle, 2002; Luria 1966; Shallice, 1982; siehe jedoch auch z.B. Andres, 2003 für eine differenziertere Perspektive). Dementsprechend wird das prospektive Gedächtnis auf Basis der Korrelationen mit den exekutiven Funktionen dem frontalen Kortex zugeordnet.
Auch die Befunde der physiologischen Messungen legen nahe, dass bei prospektiven Ge‐
dächtnisleistungen insbesondere Regionen des frontalen Kortex beteiligt sind. Studien, in denen anhand von Positronen‐Emissions‐Tomographie die an prospektiven Gedächtnisleis‐
tungen beteiligten Hirnregionen ermittelt wurden, stützen diese Annahme (Burgess, Quayle
& Frith, 2001; Okuda et al., 1998). Beispielsweise verglichen Okuda und Mitarbeiter (1998) die Hirnaktivität während einer Baseline‐Bedingung (nur Füllaufgabe) mit der Hirnaktivität während einer prospektiven Gedächtnisaufgabe (Füllaufgabe und ereignisbasierte prospek‐
tive Gedächtnisaufgabe). Sie fanden unter anderem einen erhöhten Blutfluss im rechten dorsolateralen präfrontalen Kortex, der üblicherweise mit Arbeitsgedächtnisprozessen asso‐
ziiert ist. Den Prozess des Aufrechterhaltens der Intention schreiben sie jedoch insbesonde‐
re zwei anderen Regionen zu, in denen sich insgesamt die deutlichste Zunahme der Hirnak‐
tivität zeigte: dem ventrolateralen präfrontalen Kortex und dem linken frontalen Pol (BA10).
Eine erhöhte Aktivität im linken parahippocampalen Gyrus assoziieren sie mit dem Prozess, dargebotene Reize auf ihren Hinweischarakter zu überprüfen. Eine erhöhte Aktivität im me‐
dialen Frontallappen reflektiert ihrer Ansicht nach die Aufmerksamkeitsteilung zwischen Füllaufgabe und prospektiver Gedächtnisaufgabe. Burgess und Mitarbeiter (2001) nahmen
zwar etwas andere Interpretationen vor, fanden aber Aktivitätsmuster, die weitgehend mit denen von Okuda und Mitarbeitern (1998) übereinstimmen. Interessant ist in ihrer Studie auch der Vergleich von zwei verschiedenen prospektiven Gedächtnis‐Bedingungen: Die eine Bedingung beinhaltete eine übliche ereignisbasierte prospektive Gedächtnisaufgabe, in der auf bestimmte Zielreize in einer vorgegebenen Weise reagiert werden musste (execution‐
Bedingung). In der anderen Bedingung wurde die gleiche Instruktion gegeben, aber die rele‐
vanten Hinweisreize wurden nicht präsentiert (expectation‐Bedingung). Durch dieses Para‐
digma wollten Burgess und Mitarbeiter die Hirnregionen identifizieren, die bei der Umset‐
zung einer Intention, nicht aber bei ihrer Aufrechterhaltung beteiligt sind. Sie fanden zwi‐
schen den beiden Bedingungen in zwei Hirnregionen Unterschiede in der Aktivität: Die zu‐
sätzliche Umsetzung einer Intention ging mit einer erhöhten Aktivität im Thalamus sowie einer reduzierten Aktivität im rechten dorsolateralen präfrontalen Kortex einher. Sie disku‐
tieren insbesondere die Rolle des Thalamus und benennen drei Prozesse, die in diesem Kon‐
text relevant sein könnten: 1. eine allgemeine Modulation von Aufmerksamkeit und Arousal, 2. Abrufprozesse, die bei der Itemrekognition beteiligt sind und 3. Kontrolle von selbstgene‐
rierten Aktionen. Während die bisher beschriebenen Studien ausschließlich ereignisbasierte Aufgaben nutzten, konnten Okuda und Mitarbeiter (2007) in einer aktuellen Studie zeigen, dass bei ereignis‐ und zeitbasierten Aufgaben unterschiedliche Aktivitätsmuster auftreten.
Auch klinische Studien stützen weitgehend die Zuordnung des prospektiven Gedächtnisses zum frontalen Kortex. So beschrieben beispielsweise Bisiacchi (1996) und Cockburn (1995) sowie Shallice und Burgess (1991) Defizite des prospektiven Gedächtnisses bei Patienten mit fokalen präfrontalen Läsionen. Shapiro, Shapiro, Russel und Alper (1998, zitiert nach Kliegel, Eschen & Thöne‐Otto, 2004) fanden, dass Patienten mit präfrontalen Läsionen schlechtere prospektive Gedächtnisleistungen zeigten als Patienten mit posterioren Läsionen (vgl. aller‐
dings Daum & Mayes, 2000 für abweichende Befunde).
Abschließend sei allerdings angemerkt, dass prospektive Gedächtnisleistungen natürlich nicht ausschließlich von den präfrontalen Arealen des Kortex abhängig sind. Wie bereits beschrieben, lassen sich beim prospektiven Gedächtnis zwei Komponenten unterscheiden:
eine retrospektive Komponente (Inhalt der Absicht speichern) und eine prospektive Kompo‐
nente (zur richtigen Zeit an die Umsetzung der Absicht denken). Beide Komponenten wer‐
den unterschiedlichen neuronalen Korrelaten zugeordnet. Während die prospektive Kom‐
ponente im präfrontalen Kortex angesiedelt zu sein scheint, ist die retrospektive Komponen‐
te mit den medialen Temporallappen und dem Hippocampus assoziert (vgl. Palmer & Mc‐
Donald, 2000; Umeda, Nagumo & Kato, 2006). Obgleich die retrospektive Komponente eine wichtige Voraussetzung bei prospektiven Gedächtnisleistungen ist, so ist doch die prospek‐
tive Komponente als spezifisches Charakteristikum des prospektiven Gedächtnisses anzuse‐
hen, so dass die Zuordnung des prospektiven Gedächtnisses zu den frontalen Hirnarealen gerechtfertigt scheint.