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Die in den bisherigen Ausführungen skizzierten Interessenlagen untemehmensintemer und -externer Akteure und deren Einfluß auf die Konstruktion und Umsetzung des personalpolitischen Begleitprogramms werden nachfolgend in einer systematischen Weise zusammengestellt, um abschließend die Kooperationsstruktur und zugrundelie­

genden Nutzenabwägungen im Akteursnetzwerk zu verdeutlichen.

7.1 Der Betriebsrat...

Der im Frühsommer 1990 gewählte Betriebsrat der SKET SMM GmbH stand vor einem Berg brennender Probleme und befand sich als "betriebliche Feuerwehr" an mehreren Stellen gleichzeitig im Einsatz. Die Mitglieder mußten sich nicht nur in ihrer neuen Rolle organisieren und sich in das völlig unbekannte (westdeutsche) Arbeitsrecht im allgemeinen und vor allem das Betriebsverfassungsgesetz und die einschlägigen Be­

stimmungen des Montan-Union-Vertrags im besonderen einarbeiten. Sie mußten auch ad hoc die Rolle des Arbeitnehmer-Interessenvertreters in einem politischen und wirt­

38 Diese Überlegungen wurden am Abend des GISE-Geburtstages in privater Runde mit Landespoliti- kem und Ministerialbeamten des BMA diskutiert. Die BA wurde beauftragt, ebenfalls in diese Richtung Überlegungen anzustellen. Die Koinzidenz zwischen dem Inhalt dieses Gesprächs und den im August 1992 bekanntgewordenen Novellierungsvorschlägen für das AFG durch das BMA - Stichwort "Umwelt-ABM" - ist augenscheinlich.

schaftlichen Strukturbruch einnehmen, der mit unvergleichlicher Dynamik auf das Un­

ternehmen einbrach.

Angetrieben von einer Mischung aus Verantwortungsbewußtsein vor den Kollegen, von denen man gewählt worden war, und einer Art "politischem Trotz", das bisher unbe­

kannte Schicksal der Arbeitslosigkeit nicht einfach als naturgegeben oder, besser ge­

sagt, marktwirtschaftsbedingt zu erdulden, wurde unmittelbar nach Amtsantritt der al­

lerdings noch diffuse und nicht kollektiv zustandegekommene Standpunkt formuliert, mit den Einflußmöglichkeiten einer Arbeitsnehmervertretung drohende Entlassungen zu verhindern bzw. durch aktive arbeitsmarktpolitische Maßnahmen sozialverträglich zu gestalten. Diffus deswegen, weil zu diesem Zeitpunkt noch niemand so recht wußte, welche Möglichkeiten aktiver betrieblicher bzw. staatlicher Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung standen und folglich auch nicht, wie man sie konzeptionell aufeinander be­

ziehen konnte. Nicht kollektiv, weil ebenso wie die Mehrheit der Bevölkerung auch die­

ses Gremium zu großen Teilen auf die Kräfte des Marktes vertraute und davon ausging, diese würden alles wie von selbst und mit "unsichtbarer Hand" in die neuen Bahnen lenken. Es war vor allem die Spitze des Betriebsrates, die dieser passiven Haltung ve­

hement widersprach und sich explizit für die Konzipierung aktiver begleitender Maß­

nahmen einsetzte.

Daran wird deutlich, daß in dieser institutioneilen Um- und Aufbauphase keinesfalls be­

reits ein ausdifferenziertes Organisationsverständnis unterstellt werden kann in dem Sinne, daß Arbeitnehmervertreter für Arbeitnehmerargumente gleichsam institutionell bedingt aufgeschlossen sein müssen. Es war viel eher zu beobachten, daß zahlreiche Betriebsräte überhaupt nicht die Vorstellungskraft besaßen, eigene Konzepte zu entwic­

keln, geschweige denn, diese auch gegenüber einer Unternehmensleitung durchzuset­

zen.39 Wenn jedoch institutionell geformte Meinungsbilder und Rollenklischees (noch)

39 Scheinbar hat man in dieser Zeit die Lebenserfahrungen aus den DDR-Verhältnissen - auch dort gab es Arbeiter, Unternehmen und Unternehmensleitungen, auch dort gab es Hierarchieunter­

schiede, es gab sogar einen "Arbeiterstaat'' - vielfach bewußt verdrängt und sich imkritisch dem lange gehegten Wunsche hingegeben, nicht nur westliche Waren zu konsumieren, sondern auch ein westliches gesellschaftliches Verhalten in einer ideologischen Reinform zu praktizieren. Dabei wurde übersehen, daß die Struktur der Wirtschaft in Westdeutschland und den übrigen Industriena­

tionen nicht mehr bzw. noch nie allein in dem Modell Marktwirtschaft abgebildet werden konnte.

Die weit verbreitete Vorstellung der vielzitierten "invisible hand", die ökonomische Einzelaktionen letztlich in der Vermehrung des Wohlstands aller kumulieren läßt, ist denn auch keineswegs mit ih­

rer empirischen Validität zu begründen, sondern ihr Charme liegt viel eher in ihrem simplen Auf­

bau und der daraus folgenden Modelleleganz. Zwei Jahre später hat sich die Stimmung zugunsten

tionsfähigkeit Einzelner ein umso größeres Gewicht.

Zeit zu gewinnen war für den Betriebsratsvorsitzenden rückblickend der zentrale Beweggrund seines starken Engagements. Es konnte nicht darum gehen, aus einer organisationsspezifisch zwar idealtypischen, aber angesichts der Situation geradezu naiven Haltung heraus die Neuorganisation der Beschäftigungsstruktur gänzlich bloc­

kieren zu wollen. Vielmehr sollte die Einrichtung von Überbrückungsmaßnahmen die Orientierung in einer völlig neuen Umwelt erleichtern. Die Beschäftigten hätten lange überhaupt nicht begriffen, was vor sich gehe. Während vorher alles "von der Wiege bis zur Bahre durchgeplant und vorbestimmt" gewesen sei und sich keiner um seine Exi­

stenz zu sorgen brauchte, verlange nun das Leben Eigeninitiative. "Aber Mobilität, ge­

dankliche Flexibilität kann man nicht von heute auf morgen erlernen. Deswegen soll durch ein Konzept den Menschen Zeit eingeräumt werden, sich zu orientieren".40 Hinzu kommt die Tatsache, daß Arbeitslosigkeit trotz staatlicher Sozialtransfers zu Einkom­

mensverlusten führt, die, so wurde unterstellt, in den alten Ländern kurzfristig durch private Ersparnisse aufgestockt werden können. In Ostdeutschland hätten hingegen keine größeren Ersparnisse existiert. Die Beschäftigten einfach in die Arbeitslosigkeit zu schicken wäre gleichbedeutend gewesen mit dem Entzug großer Teile ihrer materiel­

len Lebensgrundlage.

einer ernüchterten und differenzierteren Sicht gewandelt, was sich empirisch sowohl an dem geänderten Konsumverhalten - zurück zu Ostprodukten - als auch am deutlichen Wandel in den Politik- und Parteipräferenzen ablesen läßt - deutliches Absacken der CDU als die Partei, deren Vorsitzender die neuen Länder in höchstens fünf Jahren in blühende Landschaften verwandeln wollte -. Mitte August 1992 kommt selbst dieser Vorsitzende und Bundeskanzler nicht mehr umhin, die ostdeutsche Bevölkerung um etwas mehr Geduld bitten zu müssen, weil auch er sich bei der Einschätzung der Entwicklung "im Zeitmaß getäuscht" habe (vgl. SZ, 10.08.1992:1).

40 Über 60 Prozent der Ostdeutschen sind erst nach Gründung der DDR geboren und somit in einer Umwelt aufgewachsen, in der durch umfassende Reglementierung und allgegenwärtige Vorgaben Engagement aus eigenem Antrieb weitgehend verkümmert war. Für viele ging die Wende daher mit einer Erschütterung ihres Werte- und Orientierungssystems einher, die weit über die hier betrach­

tete betriebliche Sphäre hinausreichen, und führte zu Selbstzweifeln und Unterlegensangst. In der Sprache der Psychologie erzeugen Phasen, in denen alte Normen nicht mehr gelten und frühere Re­

geln des Zusammenlebens nicht mehr funktionieren, die "Angst vor Kontrollverlust". Darunter wird das Gefühl verstanden, keinen Einfluß mehr auf sein Schicksal zu haben (externe Kontrollerwar­

tung), und zwar unabhängig vom eigenen Verhalten. Dies führt solange zur Passivierung, bis im Laufe der Zeit eine neue Orientierung erlernt wurde (vgl. Methfessel 1992: 44). Aus der Perspek­

tive der politischen Psychologie wird die Vereinigung ausführlich behandelt von Klinge- mann/Fuchs/Schöbel 1991.

Der Betriebsratsvorsitzende hat im Sommer 1990 nicht nur im eigenen Unternehmen, sondern darüberhinaus im Magdeburger Raum und in Sachsen-Anhalt in zahlreichen Gesprächen und öffentlichen Diskussionen dafür geworben, möglichst landesweit und in einer gewissen Koordination betriebswirtschaftlich notwendige Entlassungen perso­

nalpolitisch zu begleiten; die Resonanz war jedoch gering. Analog zur gespaltenen Si­

tuation in der Arbeitnehmervertretung bei SKET traf er immer wieder auf ein geradezu ungetrübtes Marktvertrauen und die Auffassung, Entlassene müßten dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.

Trotz der internen Meinungsunterschiede schätzt sich der SKET-Betriebsrat innerhalb des Unternehmens als durchsetzungsstark ein. Dies hängt zum einen damit zusammen, sich schnellstmöglich erfolgreich in die neue Arbeitsmaterie eingearbeitet zu haben und zum zweiten mit dem nicht zuletzt daraus resultierenden engagierten Einsatz der Betriebsratsspitze auch in Bereichen, die über die originäre Betriebsratsarbeit hinausge­

hen und durchaus Aspekte der allgemeinen Untemehmensführung und -entwicklung tangieren. So hat der Betriebsrat erheblichen Einfluß auf die zukünftige Struktur des Unternehmens genommen und beispielsweise in Zusammenarbeit mit der THA die Pläne der alten Geschäftsführung, SKET in Einzelteile zu zerlegen, diese zu privatisie­

ren und anschließend wieder in einer Holding zusammenzufassen, verhindern können.41 Die Summe dieser beiden Punkte kumulierte schließlich drittens in der Haltung der Ge­

schäftsführung, die Arbeitnehmervertreter als einflußreichen Partner zu akzeptieren, mit dem man "nicht in Krach liegen wollte". Die Unsicherheit einiger Mitglieder der Leitungsebene, die ebenfalls neu in ihrem Metier waren und sich durch eine falsche Be­

handlung sensibler Themen wie Entlassungen nicht noch zusätzliche Probleme ver­

schaffen wollten, unterstützte die Verfestigung dieser Ansicht. Mit besonderer Vehe­

menz hat sich der Betriebsrat jedoch in alle Personalfragen eingeschaltet. Er versicherte, bei Abstimmungen zu diesem Themenbereich werde im Aufsichtsrat von den Vertretern des Arbeitgeber-Lagers nicht gegen seine Auffassungen gestimmt.

41 Eine Zerlegung und Kleinsanierung wäre gleichbedeutend mit der freiwilligen Preisgabe der politi­

schen Bedeutung von SKET, die das Unternehmen schlicht auf Grund seiner Größe und Geschichte besitzt. Mit diesem Pfund müßte nach Ansicht des Betriebsrates viel stärker gewuchert werden; es müßten dem Unternehmen viel eher neue Finnen von den THA zugeordnet werden, um den Industriestandort wirklich konkunenzfähig zu machen. Hierzu fehle aber eine industriepolitisches Konzept entweder vom Bund oder vom Land.

auszuhandelnden Sozialplans: Qualifizierung, Fortbildung und die Schaffung von befri­

steten Ersatzarbeitsmöglichkeiten sollten gegenüber einer bloßen Abfindung deutlich in den Vordergrund gerückt werden. Dabei war klar, daß der Geltungsbereich des Sozial­

plans und weiterer Betriebsvereinbarungen so weit wie möglich gesteckt und nicht nur auf die verbleibende Kembelegschaft focusiert werden sollte. Von Seiten der Beschäf­

tigten hat es anfänglich heftige Kritik gegeben, als bekannt wurde, daß die schlichte materielle Komponente in Form von Abfindungszahlungen in dieser Konzeption ver­

gleichsweise benachteiligt werden sollten. Abfindungen sind nur für diejenigen vorge­

sehen, denen innerhalb des Begleitprogramms keine Auffang-Maßnahmen angeboten werden können.42

Obwohl es in den Verhandlungen mit der Unternehmensleitung gelegentlich Schwierig­

keiten gab, "diese gedanklichen Konzeptionen auf den Punkt zu bringen", hat es nach übereinstimmender Meinung keine ernsthaften Konflikte gegeben. Dennoch wurde hart um einzelne Formulierungen gerungen. Anfänglich wollte man "jede Kleinigkeit" ex­

plizit festhalten, was mit dem historisch bedingten Mißtrauen gegenüber der Leitungs­

ebene und den leidvollen Erfahrungen, daß Zugeständnisse selten eingelöst wurden, be­

gründet wurde: "Wir sind von Natur aus mißtrauisch und mit Vertrauen nicht großge­

worden". Mittlerweile können sich die Akteurs gruppen einschätzen und auf mündliche Absprachen verlassen. Ein Umstand, der den Verhandlungsprozeß nunmehr vereinfacht und beschleunigt, der aber nicht naturgegeben ist, sondern als Resultat vorangegangener Auseinandersetzungen und nicht zuletzt durch den vertrauensbildenden Einfluß des Ar­

beitsdirektors gesehen werden muß.

Nachdem alle Beteiligten die Grundzüge eines personalpolitischen Begleitprogramms sukzessive nachvollzogen haben und die lange unsichere Finanzierung des Sozialplans geklärt war, sicherten alle Seiten ihre weitere Unterstützung für die zukünftige Konkretisierung und Umsetzung des oben ausführlich dargestellten Personal-Konzepts zu.

42 Die Höhe der Abfindungszahlungen richtet sich nach Dauer der Betriebszugehörigkeit: Ab dem sechsten Jahr werden 400 DM/Jahr gezahlt; daß Maximum hegt bei 12.000 DM.