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Nationalismus versus Pangermanismus

Im Dokument Jahrbuch für Antisemitismusforschung 16 (Seite 195-200)

Nicht nur der Großteil der norwegischen Bevölkerung, sondern auch die offizielle Geschichtsschreibung hat die Kollaboration in Norwegen während der deutschen Besatzungszeit vor allem mit der Partei Nasjonal Samling und dem Putschver-such ihres Parteichefs Vidkun Quisling identifiziert. Quisling hatte die deutsche Okkupation Norwegens am 9. April 1940 zum Anlass genommen, sich selbst zum Ministerpräsidenten auszurufen und den König sowie die Regierung für abgesetzt zu erklären. Auch wenn er nach wenigen Tagen dem Druck der deutschen Seite nachgeben und wieder zurücktreten musste, so hat dieses Bild die norwegische Historiografie über Jahrzehnte hinweg geprägt. Aufgrund der starken Emotiona-lisierung des Themas Kollaboration wurde eine differenzierte Auseinanderset-zung mit der Rolle der Nasjonal Samling während der BesatAuseinanderset-zungszeit weitgehend verhindert.

Als die Partei am 17. Mai 1933, dem norwegischen Nationalfeiertag, gegrün-det wurde, verstand sie sich in erster Linie als Sammlungsbewegung. Dement-sprechend heterogen war auch die Zusammensetzung ihrer Mitglieder. Neben kirchlichen und bürgerlich-konservativen Vertretern standen Anhänger des Faschismus, eines neuheidnischen Rassismus, jugendliche Aktivisten und traditio-nelle Nationalisten. Abgesehen von der vagen Vorstellung einer anzustrebenden nationalen Wiederauferstehung sowie der Ablehnung von Marxismus und Par-lamentarismus gab es keine gemeinsame ideologische Grundlage. Die einigende Führergestalt war Vidkun Quisling, der sich langfristig jedoch nur bedingt als Identifikationsfigur eignete. Bereits unmittelbar nach ihrer Gründung wurde die neue Partei als Kopie der deutschen NSDAP verstanden, wohingegen Quisling die

Originalität der Nasjonal Samling betonte.1 In der Folge kam es zu diversen internen Konflikten, vor allem zwischen dem gemäßigten christlichen Flügel, der eine Radi-kalisierung der Partei in Richtung Faschismus und Nationalsozialismus ablehnte, und den pangermanischen Gruppen, die eine stärkere Annäherung an Deutschland wünschten und Quisling nicht als „Fører“ anerkennen wollten. Nach dem katastro-phalen Abschneiden mit nur 1,84 Prozent bei den Parlamentswahlen 1936 existierte die Nasjonal Samling bis zur Okkupation Norwegens nur noch als politische Sekte.2

Nachdem die Versuche des von Hitler eingesetzten Reichskommissars Josef Terboven, im Verlauf des Sommers 1940 eine funktionstüchtige Regierung zu etab-lieren, gescheitert waren, erklärte dieser am 25. September 1940 die „Neuordnung“

der norwegischen Gesellschaft. Alle Parteien, mit Ausnahme der Nasjonal Samling, wurden verboten und ein Kommissarischer Staatsrat eingerichtet, der zum überwie-genden Teil aus Mitgliedern der Nasjonal Samling bestand. Quisling selbst erhielt zunächst kein Regierungsamt; erst am 1. Februar 1942 wurde er vom deutschen Reichskommissar zum Ministerpräsidenten ernannt und mit der Bildung einer eigenen „nationalen“ Regierung beauftragt.

Der Historiker Øystein Sørensen hat mit seinem 1989 erschienenen Werk „Hit-ler el„Hit-ler Quisling“ (Hit„Hit-ler oder Quisling) nachgewiesen, wie sehr die ideologischen Strömungen in der Nasjonal Samling während der Besatzungszeit divergierten.3 Die Okkupation führte nicht nur zu einer Verschärfung der bisherigen Gegensätze, sondern schuf darüber hinaus neues Konfliktpotenzial. Auch wenn die Streitigkei-ten ausschließlich hinter den Kulissen stattfanden, so ist die Vorstellung, die Nasjo-nal Samling habe zumindest während der Okkupation ihre internen Machtkämpfe beigelegt, falsch. Eine Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen innerpartei-lichen Strömungen zeigt, welchen Differenzen sich die Quislingpartei durch die Zusammenarbeit mit dem deutschen Reichskommissariat ausgesetzt sah und wie dieser innerparteiliche Machtkampf sich auf die Kollaboration auswirkte.

1 Christhard Hoffmann, Die reine Lehre einer politischen Sekte. Antisemitismus in der nor-wegischen „Nasjonal Samling“, in: Hermann Graml/Angelika Königseder/Juliane Wetzel (Hrsg.), Vorurteil und Rassenhass. Antisemitismus in den faschistischen Bewegungen Europas, Berlin 2001, S. 253–273.

2 Hans Olaf Brevig, Ivo de Figueiredo, Den norske fascismen. Nasjonal Samling 1933–1940, Oslo 2002, S. 76–102.

3 Øystein Sørensen, Hitler eller Quisling. Ideologiske brytninger i Nasjonal Samling 1940–

1945, Oslo 1989.

Ideologische Strömungen in der Nasjonal Samling

Schon in der Anfangsphase der Nasjonal Samling hatten sich neben den diversen ideologischen Richtungen zwei zentrale Spannungsfelder, der Nationalismus und der Pangermanismus, herauskristallisiert, die auch in der Besatzungszeit die Kern-punkte der innerparteilichen Auseinandersetzungen bildeten. Für beide Seiten stell-te sich ab 1940 die Frage, welche Rolle Norwegen im „Neuen Europa“ einnehmen sollte. Während die Vertreter des Nationalismus weiterhin für ein selbstständiges Norwegen eintraten, das eng mit Deutschland und dem „Neuen Europa“ zusam-menarbeitete, schwankten die Anhänger des Pangermanismus zwischen der Auf-lösung des norwegischen Nationalstaates und der „Sammlung aller Germanen“ in einem Reich und einer engen pangermanischen Union.

Von Beginn an war es für die Nasjonal Samling problematisch, dass in den pangermanischen Vorstellungen von einem germanischen, nationalsozialistischen Führerstaat eigentlich kein Platz für einen nationalen und unabhängigen Führer – im Prinzip also kein Platz für Quisling – war. Um die Einheit seiner Partei, vor allem aber seine eigene Integrität zu wahren, bekannte sich Quisling klar zum Nati-onalismus. Dementsprechend bestand auch das Programm der Nasjonal Samling aus rein nationalistischen Elementen, wie auch die Partei selbst bis zur Besetzung Norwegens überwiegend nationalistisch geprägt war.4 Dennoch ließ sich der Pan-germanismus zu keinem Zeitpunkt vollständig unterdrücken. Mit der deutschen Okkupation Norwegens erlangte er schließlich eine immer größere Bedeutung und wurde zur ernsthaften Bedrohung der etablierten nationalistischen Ideologie. Den übergreifenden weltanschaulichen Rahmen bildete der Nationalsozialismus, zu dem sich ab der „Neuordnung“ der norwegischen Gesellschaft alle Mitglieder der Nasjonal Samling bekannten. Folglich stimmten sie offiziell auch vollständig mit der Politik des Dritten Reiches und des Reichskommissariats überein, weshalb jede Form von innerparteilichem Konflikt oder Streit verhindert werden sollte.5 Dass es sich hierbei allerdings um ein hoffnungsloses Unterfangen handelte, zeigen nicht nur die zahllosen Unstimmigkeiten innerhalb der Partei, sondern auch zwischen 4 So heißt es in dem Parteiprogramm von 1934: „Nationale Einheit ohne

Klassenunterschie-de und Parteien, eine solidarische norwegische Volksgemeinschaft.“ Riksarkivet Oslo(RA), PA Vidkun Quisling, eske F–10.

5 Sørensen, Hitler eller Quisling, S. 12–19.

der Nasjonal Samling und den deutschen Besatzern, die kennzeichnend für die gesamte Okkupationszeit waren. Traten ideologische oder politische Uneinigkeiten nach außen, wurden sie als Einzelfälle deklariert. Das Ergebnis war, dass die ver-feindeten Fraktionen in der Nasjonal Samling nach verdeckten Möglichkeiten oder Nischen suchten, um ihrer Kritik Ausdruck zu verleihen.6

Nationalismus und Pangermanismus stehen exemplarisch für die diversen innerparteilichen Auseinandersetzungen, die die Vorstellung von der Quislingpar-tei als einem einheitlichen Block während der Besatzungszeit widerlegen. Zwar gibt die Untersuchung dieser beiden Hauptströmungen unter Aussparung anderer in der Partei vertretener Weltanschauungen wie dem Sozialismus und dem Kapita-lismus nur ein reduziertes Bild wieder. Gleichzeitig erlaubt aber die Tatsache, dass die Widersprüche in der Nasjonal Samling in keinem anderen Bereich so sehr zu Tage traten wie in dem offenkundigen Antagonismus zwischen Nationalismus und Pangermanismus, einen weit reichenden Einblick in die internen Parteistrukturen während der Kollaboration.

Nationalismus

Im Parteiprogramm der Nasjonal Samling von 1934 war ein radikaler Nationa-lismus festgeschrieben. Dies manifestierte sich auch in einer Betonung nationaler Symbolik. Bereits mit dem Gründungstag der Partei am 17. Mai 1933, dem norwe-gischen Nationalfeiertag, war die Absicht verbunden, sich in den Kontext nationaler Tradition zu stellen.7 Auch die Wahl des „Olavsbanners“ als Parteiflagge zählte zu den Versuchen, Assoziationen mit der Glanzzeit der Wikinger und des Mittelalters zu erzeugen.8 Lediglich die Forderung, Norwegen müsse in seiner Außenpolitik

6 Ebenda, S. 80 ff.

7 Am 17. Mai 1814 rief die Versammlung von Eidsvoll die erste selbstständige Verfassung Norwegens aus und hoffte so, den Grundstein für Norwegens Unabhängigkeit zu legen.

Obwohl Norwegen erst 1905 seine vollständige Selbstständigkeit erlangte, gilt der 17. Mai 1814 bis heute als Ausgangspunkt für die norwegische Souveränität.

8 Das „Olavsbanner“ war die Flagge des Wikingerkönigs Olav des Heiligen, der für die Chris-tianisierung Norwegens gekämpft hatte. Das Banner, in den altnorwegischen Königsfarben gold auf rotem Grund gehalten, zeigt das germanische Sonnenkreuz.

verstärkt die Verbindung zu rasse-, kultur- und interessenverwandten Völkern suchen, ging über reinen Nationalismus hinaus und bildete einen der Ausgangs-punkte für die spätere Kollaboration mit der deutschen Besatzungsmacht.9

Der bedeutendste Vertreter des Nationalismus in der Partei war der Kommis-sarische Staatsrat und Chef des Ministeriums für Kultur- und Volksaufklärung Gul-brand Lunde. Als Propagandaleiter war er einer der wenigen erfolgreichen Politiker der Nasjonal Samling vor 1940, der einen beachtlichen Einfluss innerhalb der Par-teiführung erlangen konnte.10 Seine Vision von einem freien und selbstständigen Norwegen, die er mit Beginn der Okkupation des Landes bis zu seinem Tod im Jahr 1942 propagierte, war konsequenter und repräsentativer als jede andere in der Partei und bildete den Kernpunkt der nationalistischen Ideologie. Folglich betonte Lunde bereits wenige Monate nach der deutschen Okkupation, dass Norwegen „frei von fremder Macht“ sein müsse.11

Zunächst sah er jedoch in der Besetzung Norwegens keinen unbedingten Widerspruch zu dem von ihm propagierten Nationalismus. Im Gegenteil, anfäng-lich bemühte sich Lunde, die deutsche Okkupation in seine Geschichtstheorie von der Wiederauferstehung der Nation zu integrieren. So wollte er den Tag der Okkupation Norwegens als Tag der Befreiung verstanden wissen, der den Beginn einer neuen nationalen Ära unter der Herrschaft der Nasjonal Samling markiere.

Dementsprechend interpretierte er die Absetzung des Königs und der Regierung Nygaardsvold durch die Nationalsozialisten als einen nationalen revolutionären Akt, an dessen Spitze die Nasjonal Samling stehe. Entscheidendes Kriterium für die Wiederauferstehung der Nation sei nun, dass die Nasjonal Samling norwegisch blei-be und weiterhin auf nationale Eigenart setze. Den Inblei-begriff des Norwegischen sah er in Vidkun Quisling, der – im Gegensatz zu einem Ausländer wie Terboven – die wirklichen Bedürfnisse der norwegischen Bevölkerung kenne. So erklärte Lunde, dass ein „Führer von norwegischem Blut auf ganz andere Weise als ein Ausländer den rechten Ausdruck dafür finden kann, was die Ziele und Bedürfnisse des Volkes sind, und versteht, was sich im Volk bewegt“.12

9 RA, PA Vidkun Quisling, Parteiprogramm der Nasjonal Samling.

10 Hans Fredrik Dahl/Bernt Hagtvet/Guri Hjeltnes (Hrsg.), Den norske nasjonalsosialismen.

Nasjonal Samling 1933–1945 i tekst og bilder, Oslo 1990, S. 133.

11 Gulbrand Lunde, Kampen for Norge, Bd. I, Oslo 1941–1943, S. 119.

12 Ebenda, S. 131.

Nach der Schaffung des Kommissarischen Staatsrates verband er die Hoffnung auf ein selbstständiges Norwegen mit der alleinigen Herrschaft der Nasjonal Sam-ling, betonte aber zugleich die Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen dem norwegischen Volk und Deutschland.13 Wie auch Quisling sah er die politische Koo-peration mit dem Dritten Reich als selbstverständlich an und stellte die Vormacht-stellung Deutschlands bei der „Neuordnung Europas“ nicht in Frage.14 Allerdings ging Lunde vorrangig von einer wirtschaftlichen Einheit mit zentral gelenkter Öko-nomie sowie regionaler und nationaler Arbeitsteilung aus, die die nationalen Werte und Eigenarten nicht beinträchtigen sollte.15 So befürwortete er zwar den Ausbau der politischen Beziehungen zwischen den einzelnen Staaten Europas, lehnte aber eine Auflösung der Nationalstaaten und Eingriffe in die nationale Selbstständigkeit Norwegens ab.

Im Unterschied zum Pangermanismus hatte Lunde somit keine rassisch-ger-manische, sondern eine ökonomisch-kulturelle Gemeinschaft vor Augen, in der das typisch Norwegische erhalten bleiben sollte.16 Bis zu seinem Tod blieb die Nation die zentrale Kategorie seines Denkens. Erst nach Lundes Tod traten die Gegensätze zwischen dem Nationalismus und dem Pangermanismus offen zu Tage. Die entschei-dende Rolle sollte hierbei sein Nachfolger Jørgen Fuglesang spielen, der zum Haupt-verfechter der nationalistischen Bewegung in der Nasjonal Samling avancierte.

Pangermanismus

Als ideologisches Schlagwort hatte der Pangermanismus ab dem 19. Jahrhundert auch in Norwegen Verbreitung gefunden, wurde aber als radikale Strömung inner-halb des Nationalsozialismus vor allem mit dem Dritten Reich verbunden und blieb auch innerhalb der Nasjonal Samling größtenteils an den nationalsozialistischen Lehrsätzen orientiert. Wie auch bei den deutschen Pangermanen beeinhaltete die politische Konsequenz des Rassedenkens die Einigung der „germanischen Ras-se“ in einem Reich, das als „Stor-Germania“ [Großgermanien] oder „Germania“

13 Ebenda, S.129.

14 RA, eske 9130 Utenriksdepartementet, 39 Krigen i Norge, Nasjonal Samling IA.

15 Lunde, Kampen for Norge, Bd. II, S. 154.

16 Ebenda, S. 230.

Im Dokument Jahrbuch für Antisemitismusforschung 16 (Seite 195-200)