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der Zwischenkriegszeit

Im Dokument Jahrbuch für Antisemitismusforschung 16 (Seite 139-163)

Der Großteil der Arbeiten zur Judenfeindschaft beschränkt sich noch immer auf eine länderspezifische Erforschung des Phänomens. Ereignisse in den Nachbarlän-dern und deren Einfluss auf nationalstaatliche Entwicklungen bleiben dabei häufig unberücksichtigt. So kann etwa der Antisemitismus im Frankreich der 30er-Jahre nicht angemessen untersucht werden, wenn nicht auch die „Judenpolitik“ des natio-nalsozialistischen Deutschland als Einflussfaktor in Betracht gezogen wird. Für die Antisemitismusforschung bietet der Vergleich den Vorzug, der Judenfeindschaft als transnationalem Phänomen gerecht zu werden. Dennoch soll hiermit keiner apolo-getischen Tendenz Vorschub geleistet werden, da ein komparativer Ansatz nicht mit einem Gleichsetzen unterschiedlicher historischer Gegebenheiten zu verwechseln ist. Vielmehr können nur mit Hilfe des Vergleichs die jeweiligen nationalstaatlichen Besonderheiten herausgearbeitet werden. Wie aber sollte man ohne derartige Per-spektive von einer spezifischen Entwicklung des Antisemitismus in Deutschland sprechen können? Nur im Vergleich zu seinen Nachbarländern kann zwischen deutschen Besonderheiten und einer „gemeineuropäischen“ Geschichte der Juden-feindschaft getrennt werden.1

1 Michael Mayer, Antisemitismus in NS-Deutschland und Vichy-Frankreich. Die Ministe-rialbürokratie und die „Judenpolitik“. Diss., München 2007, erscheint 2008 in der Reihe

„Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte“. In der Regel werden in scheinbar kompa-rativen Arbeiten nur Sachverhalte parallel dargestellt. Der eigentliche Vergleich bleibt dem Leser überlassen, der jedoch aufgrund der disparaten Ergebnisse kaum zu weitreichenden Schlussfolgerungen kommen kann. So etwa bei William W. Hagen, Before the „Final Solu-tion“. Toward a Comparative Analysis of Political Anti-Semitism in Interwar Germany and Poland, in: Journal of Modern History 68 (1996) 2, S. 351–381.

In diesem Aufsatz sollen Unterschiede und Ähnlichkeiten der Judenfeindschaft rechtsextremer Organisationen in der Weimarer Republik und im Frankreich der Zwischenkriegszeit herausgearbeitet werden. Dabei kann hier allerdings nur auf die Haltung der Führung der jeweiligen Organisationen eingegangen werden. Die sehr viel radikaleren Schläger- und Propagandatrupps, die es sowohl in Deutschland als auch in Frankreich gab, müssen unberücksichtigt bleiben. Dies gilt auch für die extrem judenfeindlichen Sektionen der Organisationen im Elsass und in Algerien (das zu dieser Zeit ein Departement Frankreichs war). Ebenso muss die bei sämtli-chen untersuchten Organisationen virulente Verbindung von Antisemitismus und Antikommunismus hier unberücksichtigt bleiben.

Für diese Studie wurden nicht nur die jeweils bedeutendsten rechtsextremen Parteien und Frontkämpferverbände, sondern auch die einflussreichsten antise-mitischen Gruppierungen ausgewählt. Dies ermöglicht vor allem auch der Frage nachzugehen, zu welchem Zeitpunkt die Entwicklung in Deutschland und Frank-reich die meisten Parallelen aufwies und worin die grundlegenden Unterschiede zwischen beiden Ländern bestanden.2 Grundsätzlich ist zu beachten, dass es sich bei dieser Arbeit teilweise um einen asynchronen Vergleich handelt. Die Radika-lisierung der Judenfeindschaft in Frankreich seit 1933 ist deshalb auch vor dem Hintergrund der Ereignisse in Deutschland zu sehen. Der indirekte Einfluss des deutschen „Vorbildes“ verschärfte sich noch dadurch, dass es seit der Machtüber-nahme der Nationalsozialisten zu einer massiven Einwanderung von deutschen 2 Vgl. als Überblicksdarstellung zur Forschungslage in den einzelnen Ländern, ohne dass dabei der Anspruch eines Vergleichs erhoben wird: Hostages of Modernization. Studies on Modern Antisemitism 1870–1933/39, Bd. 1: Germany – Great Britain – France, hrsg. v.

Herbert A. Strauss, Berlin/New York 1993, oder die Aufsätze von Ian Kershaw, Antisemi-tismus und die NS-Bewegung vor 1933; Philippe Burrin, Faschismus und AntisemiAntisemi-tismus in Frankreich, in dem Sammelband: Hermann Graml/Angelika Königseder/Juliane Wetzel (Hrsg.), Vorurteil und Rassenhaß. Antisemitismus in den faschistischen Bewegungen Europas, Berlin 2001; vgl. mit transnationalem Blick die Pionierarbeit von Ernst Nolte, Der Faschismus in seiner Epoche. Action française. Italienischer Faschismus. National-sozialismus, München/Zürich 91995. Mit einem ähnlichen Ansatz kürzlich auch Stefan Breuer, Nationalismus und Faschismus. Frankreich, Italien und Deutschland im Vergleich, Darmstadt 2005. Beide Arbeiten versuchen, dem Phänomen des Faschismus auf die Spur zu kommen, wobei aber sowohl Nolte als auch (trotz gegenteiliger Beteuerung) Breuer die einzelnen Bewegungen einander gegenüberstellen. Daneben besitzt der Antisemitismus in Frankreich für beide Autoren keinerlei Relevanz.

Juden in das Nachbarland gekommen war – 1933 allein etwa 20 000 Personen. Die-se Immigranten, die durch ihre Sprache und ihre kulturelle Prägung eindeutig als Deutsche erkennbar waren, wurden somit Opfer einer Mischung aus Germanopho-bie und Antisemitismus, die in Frankreich schon seit dem Ende des 19. Jahrhun-derts nachweisbar ist und in der Dreyfus-Affäre einen Höhepunkt fand.3

Rechtsextreme Organisationen in Deutschland und Frankreich

Für den Vergleich wurden für Deutschland der Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund (DVSTB), der Stahlhelm und die NSDAP untersucht. Der Deutschvöl-kische Schutz- und Trutzbund war am 18. Februar 1919 als dezidiert antisemitische Vereinigung gegründet worden. Dem Hauptgeschäftsführer Alfred Roth gelang es, bis Sommer 1922 160 000 Mitglieder, die zumeist dem protestantischen Mittelstand entstammten, anzuwerben. Somit war der DVSTB die bedeutendste antisemitische Sammlungsbewegung der Nachkriegszeit.4 Der Stahlhelm wurde am 13. Novem-ber 1918 von Franz Seldte ins Leben gerufen. Bis Ende der 20er-Jahre konnte die-ser mehr als eine halbe Million Mitglieder gewinnen, die meist dem Mittelstand angehörten. Es handelte sich hierbei um den mitgliederstärksten rechtsextremen Frontkämpferbund des Landes.5 Schließlich wurde für die vorliegende Arbeit die NSDAP untersucht, die ab etwa 1923 den überwiegenden Teil der antisemitischen Neugründungen in sich vereinigen und während der Weltwirtschaftskrise zur wich-tigsten Partei in Deutschland aufsteigen konnte.6

3 Vgl. etwa Andreas Wirsching, Vom Weltkrieg zum Bürgerkrieg? Politischer Extremismus in Deutschland und Frankreich 1918–1933/39. Berlin und Paris im Vergleich, München 1999, S. 500.

4 Allgemein zum DVSTB: Uwe Lohalm, Völkischer Radikalismus. Die Geschichte des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes 1919–1923, Hamburg 1970.

5 Zum Stahlhelm: Volker R. Berghahn, Der Stahlhelm. Bund der Frontsoldaten 1918–1935, Düsseldorf 1966.

6 Zur NSDAP: Martin Broszat, Die Machtergreifung. Der Aufstieg der NSDAP und die Zer-störung der Weimarer Republik, München 51994; Werner Maser, Die Frühgeschichte der NSDAP. Hitlers Weg bis 1924, Frankfurt a. M./Bonn 1965; Dietrich Orlow, History of the Nazi Party 1919–1933, Pittsburgh 1969.

Auf diese Weise lässt sich nicht nur ein weit gefächertes Spektrum antisemitisch geprägter Gruppierungen betrachten, diese Auswahl findet zudem ihre Rechtferti-gung durch die Entwicklung in Frankreich, wo sich aus einzelnen rechtsextremen Frontkämpferverbänden parteiähnliche Gebilde entwickelten. So wurde 1924 die

„Ligue des Jeunesses Patriotes“ von Pierre Taittinger gegründet. Dank der finanzi-ellen Unterstützung von Seiten der Industrie und der Banken gelang es ihr, bis 1929 über 100 000 meist kleinbürgerlich-mittelständische Mitglieder zu werben. Nach der Auflösung der außerparlamentarischen Kampfverbände durch die Volksfront-regierung im Jahr 1936 wurde die „ligue“ in „Parti Républicain National et Social“

umbenannt.7

Taittinger dominierte bis Anfang der 30er-Jahre das rechtsextreme Spektrum des Landes, doch sollte bald der Frontkämpferbund „Croix de feu“ tonangebend werden. Unter der Führung von Colonel François de La Rocque de Séverac konnte die Anzahl der Mitglieder von 5000 im Jahr 1929 auf 25 000 im Jahr 1932 gesteigert werden, wobei immer ein mittelständischer Charakter bewahrt wurde. Als Nachfol-ger fungierte ab 1936 eine politische Partei, der „Parti Social Français“, der – einen Legalitätskurs fahrend – in der Folgezeit erfolgreich an den Wahlen teilnahm. Der

„Parti Social Français“ hatte kurz vor Kriegsausbruch etwa eine Million Mitglie-der und war somit die größte politische Partei Mitglie-der Dritten Republik, größer noch als die Sozialisten (SFIO 200 000) und der „Parti Communiste Français“ (284 000) zusammen.8 Die französische rechtsextreme Landschaft wäre unvollständig, würde nicht auch die „Action Française“ (AF) einbezogen. Diese elitäre Vereinigung wur-de 1898 von Maurice Pujo und Henri Vaugeois als Reaktion auf die Dreyfus-Affäre ins Leben gerufen. Maßgeblich beeinflusst wurde sie jedoch durch den Theoretiker 7 Zu den „Jeunesses Patriotes“: Jean Philippet, Les Jeunesses patriotes et Pierre Taittinger.

Mémoire de maîtrise, Paris 1967; Robert J. Soucy, Centrist Fascism. The Jeunesses Patriotes, in: Journal of Contemporary History 16 (1981), S. 349–368.

8 Vgl. zu den „Croix de feu“: Philippe Rudaux, Les Croix de Feu et le P. S. F., Paris 1967; Garett Howlett, The Croix de Feu, the Parti Social Français and Colonel de La Rocque, Diss. Oxford 1985; Walter Sloan Robinson, Colonel François de la Rocque. His Croix de Feu and Parti Social Français, Denton/Texas 1991; Robert J. Soucy, French Fascism and the Croix de Feu.

A Dissenting Interpretation, in: Journal of Contemporary History 26 (1991), S. 159–188;

William D. Irvine, Fascism in France and the Strange Case of the Croix de Feu, in: Journal of Modern History 63 (1991), S. 271–295. Zu de La Rocque auch: Jacques Nobécourt, Le colonel de La Rocque 1885–1946 ou les pièges du nationalisme chrétien, Paris 1996.

Charles Maurras. Im Gegensatz zu allen anderen hier vorgestellten Gruppierun-gen war sie antiplebejisch ausgerichtet und verwendete aufgrund ihrer monarchi-schen Prägung kaum pseudodemokratische Mobilisierungselemente. Deshalb gelang es ihr in den 20er-Jahren nicht mehr, mit den aktionistischen „ligues“ mitzuhalten, die mit ausgefeilten Propagandatechniken zu Massenbewegungen wurden. 1926 etwa zählte die „Action Française“ nur mehr 60 000 Mitglieder. Dennoch gehörte ihre antisemitische Zeitung „L’Action Française“ mit einer Auflage von 100 000 Exempla- ren zur Standardlektüre der rechten Intellektuellenzirkel. Der Einfluss der „Action Française“ gerade auf die elitärsten Kreise des Landes war deshalb immer noch groß oder, wie der Historiker Richard Millman schreibt: „Die Action Française ist die einflussreichste judenfeindliche Strömung ihrer Zeit.“9

Rechtsextreme Organisationen und Juden in Deutschland und Frankreich

Juden war die Mitgliedschaft in allen dezidiert antisemitischen Vereinigungen, so dem Schutz- und Trutzbund, der NSDAP und der „Action Française“, untersagt.10 9 Richard Millman, La question juive entre les deux guerres. Ligues de droite et

antisémi-tisme en France, Paris 1992, S. 93. Allgemein zur Action française: Eugen Weber, L’Action française, Paris 1985; Nolte, Faschismus S. 61–190; Breuer, Nationalismus und Faschismus, S. 61–95; Victor Nguyen, Aux origines de l’Action Française. Intelligence et politique à l’aube du XXe siècle, Paris 1991; Edward R. Tannenbaum, The Action française. Diehard Reac-tionaries in Twentieth-Century France, New York 1962; Jacques Prevotat, L’antisémitisme de l’Action Française: Quelques répères, in: De l’antijudaïsme antique à l’antisémitisme contemporain, hrsg. v. Valentin Nikiprowetzky, Lille 1975–1976, S. 247–275. Die „affaire Dreyfus“ stellte den Beginn der Judenfeindschaft Maurras’ dar: „Paris betrachtete sich: Die jüdischen Salons waren seine Herrscher. Die Zeitungen, die es öffnete, waren jüdische Zei-tungen. Man bildete sich ein, dass das Judentum nur das Geld besäße. Das Geld jedoch hatte ihm alles ausgeliefert: Einen wichtigen Bereich der Universität, einen entsprechen-den Bereich in der Rechtsverwaltung, einen kleineren aber entsprechen-dennoch beachtlichen bei der Armee.“ Charles Maurras, Au signe de flore. Souvenirs de vie politique, Paris 1931, S. 54.

10 Zum DVSTB: Alfred Roth, Unser Wollen – unsere Arbeit. Eine Antwort auf die Frage nach Zweck und Ziel des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes, Hamburg 1921, S. 5 f.;

zur NSDAP: Gottfried Feder, Das Programm der NSDAP und seine weltanschaulichen Grundgedanken, 41.–50. Aufl., München 1931, S. 19, 30, sowie zur Action française: Mill-man, Question juive, S. 71.

Ungleich schwieriger stellte sich die Situation bei den Frontkämpferverbänden dar.

Für die Gründer des Stahlhelm etwa spielten Herkunft, Klasse oder Glaubensbe-kenntnis keine Rolle, der Dienst an der Front war die einzige Bedingung für die Aufnahme in den Bund, weshalb ihm eine Reihe ehemaliger Soldaten jüdischen Glaubens angehörten.11 Ebenso veröffentlichten die „Jeunesses Patriotes“ in ihrem Presseorgan „La Liberté“ einen Aufruf an alle Teile der Bevölkerung, also auch an die französischen Juden, sich der neu gegründeten Gruppierung anzuschließen.12 Ähnlich waren der „Croix de feu“ jüdische Mitglieder willkommen. Es gehörten ihr mehrere Rabbiner an, darunter der spätere Großrabbiner von Frankreich, Jacob Kaplan.13 Alle Frontkämpferverbände waren somit der Ansicht, dass Juden, die ihren Beitrag im Weltkrieg „geleistet“ hatten, als national „zuverlässig“ anzusehen seien. Das Gemeinschaftsgefühl, das im Schützengraben erlebt worden war, wirkte hier noch nach.14

In Deutschland währte diese Solidarität jedoch nur kurz. Schon auf dem Frontsoldatentag des Stahlhelm im Jahr 1922 wurde die „Judenfrage“ offiziell auf die Tagesordnung gesetzt. Hier konnte sich aber die gemäßigte Gruppe um den Bundesführer Seldte durchsetzen, für die es „nicht Juden oder Nichtjuden, son-dern [nur] Stahlhelmleute“ gab.15 Nach langen Diskussionen musste sich Seldte im März 1924 schließlich dem Druck des radikalen Flügels fügen und der Formel

„Juden können nicht in den Stahlhelm aufgenommen werden“ zustimmen. Dem 11 Vgl. Berghahn, Stahlhelm, S. 66; Peter Fritzsche, Rehearsals for Fascism. Populism and

Political Mobilization in Weimar Germany, Oxford 1990, S. 179.

12 Artikel vom 22. 3. 1925.

13 Howlett, Croix de Feu, S. 283–291; Philippe Machefer, Le Parti social français, in: La France et les Français en 1938–1939, hrsg. v. René Rémond/Janine Bourdin, Paris 1978, S. 307–326 und Millman, Question juive, S. 221.

14 Burrin, Faschismus und Antisemitismus, S. 124 f., hält die Aufnahme von Juden in fran-zösische Frontkämpfervereinigungen für einen Hinweis auf die Schwächung des Antise-mitismus im Lande und stellt diese Tatsache in einen Gegensatz zu Deutschland, ohne die dortige Entwicklung zu beachten. Würde man hier das „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“

in die Analyse einbeziehen, so wären die Ähnlichkeiten mit dem Nachbarland noch frap-pierender. Vgl. Jacob Toury, Jewish Aspects as Contributing Factors to the Genesis of the Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, in: Yearbook Leo Baeck Institute 37 (1992), S. 235–257;

Walter Grab, Die jüdische Antwort auf den Zusammenbruch der deutschen Demokratie 1933, Berlin 1988.

15 Zitiert bei Berghahn, Stahlhelm, S. 66.

„Verbalantisemitismus“ folgten allerdings keine entsprechenden Taten. Zu einer

„Reinigung“ des Verbandes kam es nicht, wenngleich viele jüdische Mitglieder einen Austritt vorzogen. Ebenso verzichtete der Stahlhelm in der Praxis darauf, Prüfungen über die „Abstammung“ von Neumitgliedern vorzunehmen.16

Ungleich verwirrender war die Entwicklung bei den französischen Frontkämp-ferbünden, wo es zu keinem formellen Beitrittsverbot für Juden kommen sollte.

Einzelne Juden hatten etwa bei den „Jeunesses Patriotes“ in den 20er-Jahren bedeu-tende Posten erreicht, so André Bach als Leiter des „comité de propagande“ der Pariser Region. Sein Nachfolger wurde im Jahr 1931 jedoch bezeichnenderweise der Antisemit Émile Bergeron, der ab 1937 im „comité central“ sitzen sollte. 1933 verließ der letzte Jude, Jacques Kahn, das Leitungsgremium. 1935 traten schließlich auch Henri de Kérillis und Abbé Hénocque, die sich während der 20er-Jahre für eine Verständigung mit den Juden eingesetzt hatten, aus der Vereinigung aus. Im Gegenzug wurden 1937 die Antisemiten Xavier Vallat und Philippe Henriot Vize-präsidenten der Nachfolgeorganisation der aufgelösten „Jeunesses Patriotes“, des

„Parti Républicain National et Social“. Vallat sollte 1941 zum „Commissaire Général aux Questions Juives“ ernannt werden. Henriot, in den letzten Monaten des Vichy-Regimes zum „Secrétaire d’État à l’Information et à la Propagande“ bestimmt, wurde am 28. Juni 1944 von der Résistance als Kollaborateur ermordet. Aus Rache hierfür tötete die rechtsextreme „milice“ kurz darauf den prominenten konservati-ven Juden Georges Mandel.17 Mit dem Anwachsen des Antisemitismus in den 30er-Jahren war es somit zu einer „stillen Arisierung“ der „Jeunesses Patriotes“ durch den Austritt der meisten jüdischen Mitglieder und dem gleichzeitigen Aufstieg von antisemitischen Aktivisten in führende Positionen gekommen. Die „Ligue“ befand sich deshalb spätestens ab 1936 „im antisemitischen Lager“.18

16 Ebenda, S. 66 f. Der Bundeskämmerer Groß sagte während der Nürnberger Prozesse zum Antisemitismus des Stahlhelm aus: „Wir hatten im Stahlhelm viele Juden, weil wir nicht die radikale Rassentheorie der [nationalsozialistischen] Partei uns zu eigen gemacht hat-ten.“ IMG, Bd. XXI, S. 131.

17 Millman, Question juive, S. 118 f., 131, 216. Zu Vallat: Laurent Joly, Xavier Vallat (1891–1972).

Du nationalisme chrétien à l’antisémitisme d’Etat, Paris 2001. Zu Henriot: François-René Nans, Philippe Henriot, Paris 1996. Zu Mandel: Bertrand Favreau, Georges Mandel, ou La passion de la République, Paris 1996; Nicolas Sarkozy, Georges Mandel. Le moine de la politique, Paris 1994.

18 So Millman, Question juive, S. 123, 128.

Die „Croix de feu“ zeichneten sich durch ihre Ambivalenz gegenüber den Juden aus. So nahmen ihre führenden Persönlichkeiten an gemeinsamen Gedenkgottes-diensten zusammen mit Juden teil, während militante Anhänger zusammen mit der

„Action Française“ schon 1931 gegen die Juden protestierten. Mitglieder der „Croix de feu“ waren sowohl Rabbi Kaplan als auch der Wortführer der Pariser Antisemi-ten und spätere „Commissaire Général aux Questions Juives“, Louis de Darquier de Pellepoix. Letzterer forderte 1938 – als prominentes Mitglied der „Croix de feu“ – die Einführung eines „Judenstatuts“.19 De La Rocque distanzierte sich jedoch nicht von den Antisemiten, um nicht auf einen beachtlichen Teil seines Anhangs verzichten zu müssen. Der Führer der „Croix de feu“ kann aber – soweit es sich um jüdische Frontkämpfer handelte – nicht als Antisemit bezeichnet werden. 1935 betonte er etwa in einem Interview: „Eine antisemitische Welle wäre für unser Land genauso verheerend wie es einst die Religionskriege gewesen waren.“20

Die Beteuerungen de La Rocques, dass seine Organisation nicht judenfeindlich eingestellt sei, hinderten seine Anhänger nicht daran, sich antisemitisch zu betäti-gen.21 Während einer Veranstaltung 1936 zeigte sich hingegen die Ambivalenz de La Rocques, als er die jüdischen Frontkämpfer lobte und den Antisemitismus ver-dammte, um dann judenfeindliche Vorurteile aufzugreifen, indem er „die zwei oder drei typischen Israeliten, in direkter Verbindung zu bestimmten internationalen Finanzmächten, die einen Krieg planen“, kritisierte.22

Der Stahlhelm, die „Jeunesses Patriotes“ sowie die „Croix de feu“ weisen insofern deutliche Ähnlichkeiten auf, als sie zum Zeitpunkt ihrer Gründung als Frontkämpfervereinigungen allen Weltkriegskämpfern – unabhängig von ihrer Religion – offen standen. Auch wenn der Stahlhelm ab 1924 keine Juden mehr auf-nahm, belegt doch ein Vergleich seiner gemäßigten Anhänger mit dem Gros der 19 Vgl. zum Gesetzesvorhaben Darquiers den Bestand der Archives Nationales in Paris:

AN-72AJ 592, zum folgenden Prozess gegen ihn: AN-72AJ 266. Zu Darquier: Laurent Joly, Darquier de Pellepoix et l’antisémitisme français, Paris 2002.

20 Le Journal vom 28. 11. 1935.

21 Millman, Question juive, S. 258; Robert Soucy, French Fascism. The Second Wave, 1933–1939, New Haven 1995, S. 156.

22 Le Temps vom 18. 3. 1936; auch Soucy, Second Wave, S. 154; Philippe Machefer, La Rocque et le problème antisémite, in: La France et la question juive, 1940–1944. Actes du colloque du Centre de documentation Juive Contemporaine (10 au 12 mars 1979), hrsg. v. Georges Wellers/André Kaspi/Serge Klarsfeld, Paris 1981, S. 95–100.

Anhänger der „Jeunesses Patriotes“ oder der „Croix de feu“, dass in allen diesen Verbänden ein Unterschied zwischen den „guten“ Juden, die im Weltkrieg gekämpft hatten und als Kameraden gesehen wurden, und den „schlechten“ (d. h. linken oder ausländischen) Juden, die als Feinde des Landes galten, gemacht wurde.

Entwicklungsphasen

Deutschland in der Weimarer Republik

In beiden Ländern spiegelte die Entwicklung des Antisemitismus innerhalb der Gruppierungen getreu dessen „Konjunkturen“ wider. So hatte die Judenfeind-schaft in der Weimarer Republik nach dem Ende des Ersten Weltkrieges aufgrund der Niederlage, der innenpolitischen Radikalisierung und der Einwanderung von

„Ostjuden“ einen neuen Höhepunkt erreicht. In dieser Zeit entstanden dezidiert antisemitische Vereinigungen wie etwa der Deutschvölkische Schutz- und Trutz-bund, der – so hieß es in seiner Satzung – „in dem unterdrückenden und zersetzen-den Einfluss des Juzersetzen-dentums die Hauptursache des Zusammenbruchs“ sah.23 Der Schutz- und Trutzbund plädierte deshalb dafür, dass Juden unter „Fremdenrecht“

gestellt und ihnen somit ein inferiorer Status in der Gesellschaft zugewiesen werden sollte.24 Der Antisemitismus war also für die Ideologie des Schutz- und Trutzbun-des konstitutiv.

Der Bund versuchte, in seinem Kampf gegen die parlamentarische Demokratie auch in Wahlen einzugreifen, als er etwa seinen Mitgliedern anlässlich der ersten Reichstagswahl 1920 empfahl, die „Judenfrage“ als das ausschlaggebende Kriterium bei der Stimmabgabe zu betrachten und keine Listen, die „Juden, Judenabkömm-linge oder jüdisch Versippte“ aufwiesen, zu wählen. Hier zeigten sich jedoch die Grenzen des politischen Einflusses des Schutz- und Trutzbundes, der keinem sei-ner für die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) aufgestellten Funktionäre ein Reichstagsmandat verschaffen konnte. Ebenso hatte es der Bund nicht vermocht, 23 Roth, Unser Wollen, S. 3.

24 Die „Forderungen zur Judenfrage“ finden sich ebenda, S. 5 f.

den Antisemitismus als relevantes Wahlkampfthema zu präsentieren. Die Anträge zum Ausschluss der Juden aus der DNVP, die die Anhänger des Schutz- und

den Antisemitismus als relevantes Wahlkampfthema zu präsentieren. Die Anträge zum Ausschluss der Juden aus der DNVP, die die Anhänger des Schutz- und

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