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muSIzIereN gegeN demeNz?

Im Dokument Training bei Demenz (Seite 46-50)

Nachdem also positive Effekte des Musizierens auf Denkfertigkeiten nachgewiesen wurden, stellt sich nun die wichtige Frage, ob Musizieren einer Demenz vorbeugen kann. Diesbezüglich konnte in einer im angesehenen „New England Journal of Medicine“ veröffentlichten Langzeit-studie überzeugend nachgewiesen werden, dass gemeinsames Musizieren sich hinsichtlich der

kognitiven Leistungsfähigkeit von Senioren po-sitiv auswirkt (Verghese et al. 2003). Dazu wur-den 469 Menschen, die älter als 75 Jahre waren untersucht und über durchschnittlich 5 Jahre begleitet. In dieser Zeit entwickelten 125 Men-schen Demenz (27%). Allerdings erkrankten von denen, die mehrfach wöchentlich Musik mach-ten, nur 24% an einer Demenz. Noch effektiver in dieser Hinsicht erwiesen sich Schachspiel (16%) und Tanzen (17%).

Insgesamt reduzierte Instrumentalspiel das Risi-ko einer Demenzerkrankung um bis zu 70 Pro-zent. Das Musikmachen ist somit neben dem Schachspielen und dem Tanzen für das erfolgrei-che kognitive Altern eine außerordentlich för-derliche Aktivität. Hirnphysiologische Hinter-gründe für diesen Effekt dürften in neuroplasti-schen Anpassungen liegen, wie sie oben auch beim Erlernen des Jonglierens gezeigt wurden Wie steht es nun mit den Auswirkungen des Musizierens bei Patienten, die bereits unter einer Demenz leiden? Häufig hört man die Auffassung, dass Menschen mit Alzheimer- Demenz besonders sensitiv auf musikalische Stimulation reagierten und dass bei ihnen die musikalischen Gedächtnisfunktionen über-durchschnittlich lange erhalten bleiben. In der Musiktherapie wird darüber hinaus die positive Auswirkung des Musikhörens auf allgemeine Gedächtnisfunktionen, auf Wohlgefühl und emotionale Stabilität von Alzheimerpatienten betont. Erstaunlicherweise gibt es bislang wenig fundierte experimentelle Untersuchungen zu diesem Themenkomplex. In einer gerade im Druck befindlichen Übersicht fassen Amee Baird und Séverine Samson die Befunde zusammen (2009). Sie unterscheiden dabei das explizite und das implizite musikalische Gedächtnis. Un-ter dem expliziten musikalischen Gedächtnis

wird die Fähigkeit verstanden, früher gehörte Lieder oder Musikstücke korrekt zu benennen (semantisches explizites Gedächtnis), sie als be-kannt zu erkennen oder zum Beispiel fehlerhaf-te Melodien zu bemerken. Auch die Fähigkeit, Lebensumstände, in denen diese Lieder eine wichtige Rolle spielten zu erinnern wird als epi-sodisches Gedächtnis zum expliziten Gedächt-nis gezählt. Das implizite GedächtGedächt-nis für Musik zeigt sich in „unbewusstem“ Behalten zuvor ge-hörter Melodien, oder in der Fähigkeit ein Mu-sikinstrument zu spielen.

Es zeigt sich bei Sichtung der veröffentlichten Fallberichte und der wenigen systematischen Studien zu diesem Thema, dass Alzheimer-Pati-enten deutliche Störungen des expliziten musi-kalischen Gedächtnisses aufweisen. Dies lässt sich neurobiologisch aus den typischen hirn-morphologischen Veränderungen bei der Er-krankung begründen. So beruht das explizite musikalische Gedächtnis überwiegend auf Funktionen des Schläfenlappens, die besonders früh von den neuropathologischen Veränderun-gen bei Alzheimer-Demenz betroffen sind. An-ders verhält es sich beim impliziten Gedächtnis.

Musiker, die an Alzheimer-Demenz erkranken sind oft noch erstaunlich lange in der Lage, ihr Instrument zu spielen. Es existieren sogar Fall-berichte, dass neue Stücke gelernt werden konn-ten. Für implizites Lernen von Melodien spricht auch die Tatsache, dass in einer Studie bei Alz-heimerpatienten der „Mere-exposure-effekt“ ge-funden wurde. Darunter versteht man das An-wachsen musikalischer Vorlieben durch das alleinige mehrfache Hören eines Musikstücks.

Unklar ist nach Baird und Samson (2009) bis-lang die Datenlage hinsichtlich der Verbesse-rung anderer Gedächtnisfunktionen durch das Hören von Musik bei Alzheimer-Patienten.

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./ teil 3.3 musizieren als neurostimulans – mit musik der Demenz vorbeugen?

In einer größeren Studie konnte gezeigt werden, dass Alzheimerpatienten autobiographische Inhalte besser erinnerten und auch positiver gestimmt waren, wenn Sie Musik hörten. Diese Effekte waren allerdings sehr klein und konnten nicht uneingeschränkt von anderen Wissen-schaftlern repliziert werden. Als Erklärung für die bessere Gedächtnisleistung wird die Indukti-on einer positiven Stimmung durch Musik herangezogen. So ist bei Gesunden bekannt, dass positive Bewertungen von Musik die Ge-dächtnisleistung leicht erhöhen kann (Eschrich et al. 2008).

Die strengsten Bewertungen von Therapien werden durch das „Cochrane-Netzwerk“ erstellt.

In diesem Netzwerk arbeiten Wissenschaftler, Ärzte, Statistiker, die Ergebnisse von Therapie-studien nach strengsten Richtlinien bewerten.

Im Jahr 2003 wurde als Zusammenfassung der Cochrane-Untersuchung zur Wirksamkeit von Musiktherapien bei Demenz folgender sehr er-nüchternde Satz formuliert: „Es gibt keine aus-reichenden Gründe, den Einsatz von Musik in der Pflege von älteren Demenzkranken zu emp-fehlen oder davon abzuraten.“ (Vink et al. 2004).

An dieser Stelle möchte ich dennoch eine Lanze für die Musiktherapie bei Demenzkranken bre-chen. Zunächst ist diese Studie zehn Jahre alt und neuere Untersuchungen zeichnen ein posi-tiveres Bild. Aber ein noch wichtigeres Argu-ment ist, daß viele Effekte sich einer strengen wissenschaftlichen Nachweisbarkeit entziehen.

So ist es zum Beispiel extrem schwierig, mit Demenzkranken den „Goldstandard“ wissen-schaftlicher Therapieforschung einzuhalten.

Dies würde bedeuten, daß eine große Gruppe Demenzkranker nach Zufall entweder mit einer standardisierten Musikintervention oder einer

„Kontrollintervention“ behandelt würden und daß vor und nach der „Intervention“

aussage-kräftige Meßgrößen zuverlässig erhoben wer-den, am Besten, ohne daß die Auswerter wissen, wer von den Patienten in der Musikgruppe und wer in der Kontrollgruppe war. Die Probleme lie-gen auf der Hand: Zunächst ist jeder Demenz-kranke verschieden, und leidet meist auch noch unter anderen Alterskrankheiten. Die geistige Leistungsfähigkeit ist extrem tagesabhängig und schwankt sogar im Tagesverlauf, und jede musikalische Biographie ist ebenfalls einzigar-tig. Viele der Musik-Effekte sind dennoch in der individuellen Therapeuten-Patientenbeziehung ganz deutlich für die Behandler und für die An-gehörigen zu spüren. Dies hat auch Teppo Särkä-mö (2012) in seiner neuen Übersichtsarbeit zur Musiktherapie bei Demenzkranken festgestellt.

Zusammenfassung und Forschungsfragen Fasst man die dargestellten Ergebnisse zusam­

men, so kann man Folgendes feststellen:

1.) Auch in höherem Alter passt sich das Nerven-system an die neuen Anforderungen an, die mit dem Erlernen eines Instrumentes einher-gehen.

2.) Diese Anpassungsvorgänge können dem na-türlichen Altern des Nerven systems teilweise entgegenwirken.

3.) Musizieren stellt für die Menschen eine Situa-tion der „angereicherten Umgebung“ dar. Mit größter Wahrscheinlichkeit wird man bei Menschen die gleichen Veränderungen fin-den, die in Untersuchungen an Tieren bewie-sen wurden. Eine angereicherte Umgebung führt zu höherer Synapsendichte, zu ver-mehrtem Wachstum von Nervenzellfortsät-zen und zu einem höheren Gehirngewicht.

4.) Musizieren schützt möglicherweise bis zu nem gewissen Grade vor der Entwicklung ei-ner Demenz.

5.) Patienten mit Alzheimer Demenz haben auch deutliche Einbussen im expliziten musikali-schen Gedächtnis.

6.) Musik hören und Musizieren kann die Stim-mung von Alzheimer-Patienten positiv be-einflussen und über diesen Effekt allgemein zu verbesserten Gedächtnisleistungen bei-tragen.

Die neuro-musikologische Altersforschung steckt noch in den Kinderschuhen. Folgende drängen-de Forschungsfragen sollten in Angriff genom-men werden:

4Neurobiologische Forschungen sollten sich verstärkt der Aufklärung der Mechanismen der Neuroplastizität im höheren Alter wid-men. Hier werden neue Methoden der Hirn-vermessung durch kernspintomographische Spezialverfahren einen großen Stellenwert haben.

4Bislang ist noch sehr wenig über die Dynamik der plastischen Anpassungen bei Erwachse-nen bekannt. Überhaupt nicht untersucht ist, ob sich plastizitätsbedingte Anpassungen nach Beenden der musikalischen Aktivität wieder zurückbilden.

4Die Bedingungen plastischer Anpassungen im Alter sind nicht geklärt. Welche Rolle spielt sensomotorische Aktivität, welche Motivation, welche positive oder negative Emotion?

4Dringend benötigt werden langfristige – auf 20 bis 35 Jahre angelegte Studien an Erwach-senen, in denen die Auswirklungen von Frei-zeitaktivitäten auf das kognitive Altern und auf die Lebenszufriedenheit präzise doku-mentiert werden.

4Dringend benötigt werden Studien an musi-zierenden Erwachsenen, in denen „weiche Kriterien“, Sozialverhalten, emotionale Wahr-nehmung, subjektive und objektive Lebens-qualität als Zielvariabeln integriert werden.

4Dringend benötigt werden kontrollierte wis-senschaftliche Studien, in denen die Effekte des Musizierens und des Musik Hörens auf Demenz-Erkrankungen objektiv untersucht werden.

auTor

Univ. Prof. Dr. med. Eckart Altenmüller, Direk-tor des Institutes für Musikphysiologie und Mu-siker-Medizin der Hochschule für Musik und Theater Hannover. Medizinstudium in Tübin-gen, Paris und Freiburg/Breisgau und zeitgleich Musikstudium (Hauptfach Querflöte). Facharzt für Neurologie, Habilitation. Über 200 Arbeiten zum auditiven und sensomotorischen Lernen, zur Störung der Musikverarbeitung nach Schlag-anfällen und zur emotionalen Verarbeitung von Musik. Mitglied der Göttinger Akademie der Wissenschaften.

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