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Wie bereits in den vorausgehenden Kapiteln dargestellt, stellt die Muskelarchitektur einen wichtigen Einflussfaktor für die mechanischen Eigenschaften der Muskulatur dar. Die dyna-mischen Veränderungen der Geometrie, die während der Kontraktion auftreten, beeinflussen direkt Kraft und Geschwindigkeit der Kontraktion. Eine grundlegende Eigenschaft pennater Muskulatur ist, dass die Muskelfasern aufgrund ihres konstanten Muskelvolumens (BASKIN &

PAOLINI 1967), bei Verkürzung zu einem größeren Faserwinkel rotieren (AZIZI &ROBERTS

2013). Durch diese Änderung der Faserorientierung ist die Verkürzung der einzelnen Fasern geringer als die Verkürzung des gesamten Muskels. Die Vergrößerung des Faserwinkels trägt demnach zu einer Verkürzung des Muskels bei (Abb. 2.10) und führt dazu, dass die Ge-schwindigkeit der Kontraktion des Muskelbauchs die KontraktionsgeGe-schwindigkeit der Faser übersteigt (AZIZI et al. 2008; RANDHAWA et al. 2013; AZIZI & ROBERTS 2014; ENG et al.

2018). Der Geschwindigkeitsvorteil, der aus den dynamischen Änderungen des Faserwinkels resultiert, wird über das Verhältnis von Muskelgeschwindigkeit zu Fasergeschwindigkeit, der so genannten „Architectural Gear Ratio (AGR)“ (BRAINERD &AZIZI 2005), charakterisiert.

Muskel Faser

AGR v

v (6)

Das Muscle Gearing beschreibt entsprechend das Verhalten des Muskels während der Kon-traktion in Abhängigkeit von der erforderlichen KonKon-traktionskraft und der Geschwindigkeit.

Muskelgeometrieveränderungen zu größeren Faserwinkeln begünstigen die Verkürzungsge-schwindigkeit des Muskels und bedeuten hohe AGR-Werte (> 1.2), wohingegen niedrige Werte (< 1.2) mit hoher Kraftproduktion einhergehen (AZIZI et al. 2008). Der Wert der AGR hat einen substantiellen Effekt auf die Verkürzungsgeschwindigkeit des Muskels relativ zur Verkürzungsgeschwindigkeit der Faser. Ein Wert von 1.4, wie er für Kontraktionen mit ge-ringer Kontraktionskraft bestimmt wurde, bedeutet, dass die Muskelgeschwindigkeit um 40 %

größer ist als die Fasergeschwindigkeit, wohingegen bei hohem Kraftlevel die Geschwindig-keiten in etwa gleich sind (AGR ≈ 1) (AZIZI et al. 2008). AZIZI et al. (2008) haben gezeigt, dass bei Kontraktionen mit niedriger Kraft und hoher Geschwindigkeit die Muskelfasern stär-ker rotieren und größere Faserwinkel hervorgerufen werden, wobei Kontraktionen mit hoher Kraft und geringer Geschwindigkeit Faserrotationen eher verhindern. Die Veränderung der Muskelgeometrie variiert entsprechend mit der Kontraktionsintensität, um entweder die Kon-traktionsgeschwindigkeit zu begünstigen oder die Kraftproduktion zu unterstützen. Dement-sprechend ist auch die AGR für einen bestimmten Muskel nicht konstant.

Abb.2.11: A: Eine Komponente der Faserkraft (Ffiber) führt zu einer Kompression der Muskeldicke (Fthickness weiße Pfeile). B: Querschnitt des Muskels und einer einzelnen Faser, der die Interaktion der Kraftkomponenten Fradial

(schwarze Pfeile) und Fthickness bei der Formveränderung des Muskels während der Kontraktion (oben entspannt;

unten kontrahiert) verdeutlicht (aus ENG et al. 2018, mit Genehmigung von OXFORD UNIVERSITY PRESS).

Die Änderungen der Muskelgeometrie bedingen Formveränderungen des gesamten Muskels.

Die Muskelkontraktion führt zu einer Kompression der Myofilamente (WILLIAMS et al. 2013).

Aufgrund der Volumenkonstanz der Muskelfasern (BASKIN &PAOLINI 1967) und unkompri-mierbarer Flüssigkeit innerhalb des Muskels (ENG et al. 2018), entstehen Zwangskräfte, die bei Faserverkürzung gleichzeitig eine radiale Ausdehnung der Fasern in ihre Querrichtung bewirken (NAMBURETE et al. 2011; ENG et al. 2018) und in variablen Formveränderungen resultieren. Der Muskel nimmt in der Dicke (Abstand zwischen den beiden Aponeurosen), der Breite (Abstand orthogonal zur Dicke) oder auch in beide Richtungen zu.

In Abbildung 2.11 ist diese Ausdehnung der Fasern in radialer Richtung während der Kon-traktion dargestellt. Diese Ausdehnung erfordert die Rotation der Fasern zu größeren Faser-winkeln, um auch das Volumen des Muskels (nahezu) konstant zu halten (DICK &WAKELING

2017). Eine weitere wirkende Kraft ist die Komponente der Faserkraft in pennater Muskula-tur, die den Muskel in Richtung der Muskeldicke komprimiert (ENG et al. 2018). Diese Kraft steigt mit zunehmender Kontraktionskraft an (Abnahme der Muskeldicke/niedrige AGR).

Den Zusammenhang zwischen der Änderung der Muskelgeometrie, der Formveränderung des Muskels und der AGR je nach Kontraktionsanforderung zeigt Abbildung 2.12.

Abb.2.12: Unterschiedliche Muskelformveränderung bei gleicher Faserver-kürzung. A1: Mittlere AGR: Gleichbleibende Muskeldicke bei größerem Faserwinkel θ; A2: Hohe AGR: Große Faserrotation führt zu großem Fa-serwinkel und großer Kontraktionsgeschwindigkeit mit zunehmender Mus-keldicke und großer Muskellängenänderung ΔLm; A3: Niedrige AGR: Mus-keldicke verringert sich bei kleinem Faserwinkel, geringer Kontraktionsge-schwindigkeit und geringer Muskellängenänderung. B: Faserwinkel- und C:

Muskellängenänderung in Abhängigkeit der Faserlänge Lf und der variablen Muskelgeometrie (Faserausgangslänge (Lf0)) (aus ENG et al. 2018, mit Ge-nehmigung von OXFORD UNIVERSITY PRESS).

Entscheidend für die AGR ist das Ausmaß der Veränderung des Faserwinkels während der Kontraktion (BRAINERD & AZIZI 2005). Bei einer moderaten AGR bleibt die Muskeldicke nahezu konstant aufgrund einer geringen Vergrößerung des Faserwinkels (Abb. 2.12 A1). Die Muskeldicke nimmt bei hoher AGR hingegen deutlich zu, da die Fasern stark rotieren und sich der Faserwinkel erheblich vergrößert. Dies begünstigt eine hohe Muskelverkürzungsge-schwindigkeit und eine große Muskelverkürzung (Abb. 2.12 A2). Bei niedriger AGR (Abb.

2.12 A3) hingegen nimmt die Muskeldicke ab und der Muskel verkürzt sich nur in einem sehr geringen Ausmaß. Dafür steht die Kraftproduktion im Fokus (ENG et al. 2018).

Die Ausdehnung von Muskel und Fasern hängt auch mit den Eigenschaften des sie umgeben-den Bindegewebes zusammen. Nach ENG et al. (2018) wird das Gearing der Muskulatur durch die dynamische Interaktion von kontraktilen Elementen und dem elastischen Verhalten des intramuskulären Bindegewebes bestimmt. Bei der Faserverkürzung führt das Zusammen-spiel aus komprimierenden Faserkräften und dem Widerstand des Bindegewebes und der

Aponeurosen zu dynamischen Formveränderungen innerhalb des Muskels (AZIZI et al. 2008;

NAMBURETE et al. 2011; HOLT et al. 2016; ENG &ROBERTS 2018).

Zusammengefasst ist pennate Muskulatur in der Lage zwischen schnellen Kontraktionen und hoher AGR und kraftvollen, langsamen Kontraktionen bei niedriger AGR zu variieren (AZIZI

et al. 2008), um so einen sehr breiten Bereich an Einsatzmöglichkeiten für Bewegung abzude-cken. Veränderungen von Faserwinkel- und Muskeldicke sind die Haupteinflussfaktoren des Muscle Gearings und bedingen die Verkürzung des Muskels und damit die Kontraktionsge-schwindigkeit (AZIZI et al. 2008; WAKELING et al. 2011). Dabei spielt insbesondere die Ver-änderung der Muskelform eine entscheidende Rolle. Durch die Kombination aus Faserverkür-zung und Faserrotation während der Kontraktion arbeiten die meisten pennaten Muskeln mit einer AGR größer 1 (AZIZI et al. 2008; WAKELING et al. 2011; RANDHAWA et al. 2013; AZIZI

&ROBERTS 2014; HOLT et al. 2016; DICK &WAKELING 2017).

Die obigen Ausführungen und zahlreiche Untersuchungsergebnisse (u.a. ZUURBIER &HUIJING

1992; HERBERT &GANDEVIA 1995; MAGANARIS et al. 1998; HODGSON et al. 2006; AZIZI et al. 2008; SHIN et al. 2009; WAKELING et al. 2011; RANDHAWA et al. 2013; DICK &WAKELING

2017) dokumentieren die Veränderungen in der Muskeldicke bei Kontraktion und widerlegen die weitreichende Annahme in Muskelmodellierungen, dass die Muskeldicke während der Kontraktion konstant bleibt (u. a. OTTEN 1988; ZAJAC 1989; DELP &LOAN 1995; MAGANARIS

et al. 1998; MAGANARIS &BALTZOPOULOS 1999; VAN DEN BOGERT et al. 2011).

Darüber hinaus zeigen die Untersuchungen zum Muscle Gearing, dass auch die Annahme eines konstanten Muskelfaserwinkels in Muskelmodellen überholt ist (Kapitel 2.2).

1 Es wird auf vorliegende Daten des Arbeitsbereichs für GAL/SOL zurückgegriffen. Für GAL/SOL wurden keine Ultra-schallmessungen bei 100 % MVC durchgeführt. Für GAM wurde die Untersuchung dahingehend verbessert.