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Mittelbare Effekte alternativer Mindestlöhne auf das (künftige)

Im Dokument Arbeit und Soziales (Seite 81-88)

4 Mindestlohn und Grundsicherungsniveau

4.3 Mittelbare Effekte alternativer Mindestlöhne auf das (künftige)

Mit Tabelle 15 wird der Blickwinkel von den Beschäftigten unter den Alleinstehenden wieder auf die Gesamtheit der Alleinstehenden, aus der die Referenzgruppe für die Regelbedarfsermittlung der Erwachsenen gebildet wird, erweitert. Dabei beschränken wir uns auf die Teilgruppe unterhalb des gruppenspezifischen Median der Haushalts-nettoeinkommen, da nur in diesem Einkommenssegment nennenswerte Einkommens-effekte der alternativen Mindestlöhne zu beobachten sind. Die Tabelle weist Quantils-grenzen vor und nach Mindestlohneinführung aus. Der Median (letzte Zeile in Tabelle 15) im Status quo fällt mit 1.538 € um 97 € geringer aus als der entsprechende Wert bei den Beschäftigten unter den Alleinstehenden (Tabelle 14). Die darunter liegenden Quantilsgrenzen im Status quo vermitteln – differenzierter als Tabelle 5a in Kapitel 3.2 – einen Eindruck über die Streuung im unteren Einkommensbereich. Die Obergren-ze der unteren 5 % der bereinigten Grundgesamtheit liegt bei weniger als der Hälfte (46 %), die der unteren 10 % bei etwas mehr als der Hälfte (53 %) des gruppenspezi-fischen Median der Haushaltsnettoeinkommen. Mit einem Höchsteinkommen von 901

€ bzw. 990 € der untersten 15 % bzw. 20 % – d. h. der Referenzgruppen nach neuer bzw. alter Definition – werden 59 % bzw. 64 % des Medianeinkommens erreicht. Auch die beiden folgenden Dezilsgrenzen unterschreiten mit 76 % bzw. 87 % den Median noch erheblich, so dass für die untere Hälfte der Alleinstehenden keine Konzentration nahe des Medianeinkommens, sondern ein mehrheitlich weites Zurückbleiben festge-stellt werden kann.

Tabelle 15: Quantilsgrenzen unterhalb des jeweiligen Median im Status quo und bei al-ternativen Mindestlöhne (M1 und M2) für die bereinigte Grundgesamtheit der Alleinste-henden

– EVS 2008, Ausklammerung von Zirkelschlusshaushalten nach neuem Verfahren –

Status quo Mindestlohn Veränderung durch

8,50 € (M1) 9,50 € (M2) M1 M2

1 Quantile bezogen auf das Haushaltsnettoeinkommen; Hochrechnung der Personen mit dem Haushalts-Hochrech-nungsfaktor.

Quelle: FDZ der statistischen Ämter des Bundes und der Länder, EVS 2008, eigene Berechnun-gen (kontrollierte Datenfernverarbeitung).

Die Quantilsgrenzen der kontrafaktischen Haushaltsnettoeinkommen der Alleinste-henden nach Einführung der alternativen Mindestlöhne (mittlerer Block in Tabelle 15) spiegeln die Einkommen von strukturell gegenüber dem Status quo veränderten Quan-tilen (vgl. unter e) in Kapitel 4.2.2). Sie ergeben sich als Folge von Auf- und Abstiegen in der Einkommenshierarchie – Begünstigte des jeweiligen Mindestlohns „tauschen“

die Rangplätze mit Haushalten, die nicht unselbständig beschäftigt sind oder einen oberhalb der Mindestlohnschwelle liegenden Lohnsatz bei geringerer Arbeitszeit be-ziehen, wobei diese Wechsel teilweise innerhalb der Quintile des Status quo, teilweise

„grenzüberschreitend“ sind. Die sich so ergebenden fiktiven Einkommensobergrenzen würden allerdings die entsprechenden Beträge im Status quo von 2008 nur mäßig über-steigen (rechter Bereich von Tabelle 15). Der Median liegt im Falle eines Mindestlohns von 8,50 € um lediglich 26 € bzw. 1,7 %, bei einem Mindestlohn von 9,50 € um 42 € bzw.

2,7 % über dem faktischen Betrag von 1.538 €. Dies war zu erwarten, da laut EVS 2008 nur 7,1 % bzw. 9,0 % der Alleinstehenden zu einem Lohnsatz unter 8,50 € bzw. 9,50 € gearbeitet haben (vgl. Tabelle 12). Der Effekt ist am geringsten an der Grenze der un-tersten 5 %, nimmt dann bis zur Obergrenze des zweiten Dezils zu, um danach – wenn die Häufigkeit von Niedriglöhnen abnimmt – wieder zurückzugehen. Die Einkommen-sobergrenze der Referenzgruppe gemäß RBEG (untere 15 %) würde sich um 35 € (3,9

%) bzw. 40 € (4,4 %) nach oben verschieben. Der somit auch hier geringe Effekt war angesichts der gruppenspezifischen Struktur nach sozialen Stellungen und Altersgrup-pen der faktischen Referenzgruppe zu erwarten – das Ausmaß der möglichen Wechsel

in der Rangfolge ist wegen des großen Anteils der Nichterwerbstätigen beschränkt.90 Wenn – wie vor 2011 – bei der Regelbedarfsermittlung auf das unterste Quintil Bezug genommen würde, wäre mit einem stärkeren Mindestlohneffekt von immerhin 50 € bzw. 60 € auf die Einkommensobergrenze zu rechnen.

Der geschätzte Mindestlohneffekt auf das Durchschnittseinkommen der – neu gebil-deten fiktiven – Referenzgruppe ist noch geringer als der Grenzeinkommenseffekt.

Wie aus der ersten Zeile von Tabelle 16 hervorgeht, fiele im Falle eines Mindest-lohns von 8,50 € das Durchschnittseinkommen um knapp 21 € bzw. 2,9 %, bei einem Mindestlohn von 9,50 € um knapp 23 € bzw. 3,2 % höher als im Status quo 2008 (716 €) aus. Demgegenüber ergibt sich beim Durchschnitt der Konsumausgaben ein stärkerer Anstieg um etwa 32 € bzw. 3,8 % und 37 € bzw. 4,4 % beim höheren Mindest-lohn – dies entspricht der relativen Zunahme des Grenzeinkommens. Offensichtlich ist die Relation zwischen Konsumausgaben und Haushaltsnettoeinkommen, also die individuelle Konsumquote, bei den Begünstigten des jeweiligen Mindestlohns91, die in der Referenzgruppe verbleiben, sowie bei den „Absteigern“ in die Referenzgruppe vergleichsweise groß, teilweise vermutlich über 1 (overspending). So erklärt sich der Unterschied zwischen den Veränderungen von Durchschnittseinkommen und Durch-schnittskonsum – obwohl Letzterer auf individueller Basis proportional zu Ersterem angepasst wurde.

Auch die Veränderungen der einzelnen Ausgabenkategorien sind sehr unterschiedlich, was auf spezifische Konsumstrukturen der in der Referenzgruppe verbleibenden Be-günstigten des jeweiligen Mindestlohns und der „abgestiegenen Neulinge“ in die Re-ferenzgruppe hinweist. Die absolut stärkste Erhöhung ergibt sich im Bereich Wohnen, Energie, Instandhaltung und Renovierung (Kategorie 4) – der zum überwiegenden Teil nicht regelbedarfsrelevant ist –, die relative Zunahme ist mit 4,2 % bzw. 4,5 % aber kaum höher als die der Konsumausgaben insgesamt. Gleiches gilt für das kontrafak -tische Mehr an Ausgaben für Nahrungsmittel, alkoholfreie Getränke, alkoholische Ge-tränke und Tabakwaren (1) von 3,8 % bzw. 4,6 %, während die Ausgaben beispielsweise für Bekleidung und Schuhe sowie Nachrichtenübermittlung etwa konstant bleiben, die für Verkehr sogar niedriger ausfallen würden. Auf der anderen Seite sind die Zuwächse bei den Ausgaben für Innenausstattung etc (5), Gesundheit (6), Freizeit, Unterhaltung, Kultur (9), bei den sonstigen Gütern und Dienstleistungen und Mitgliedsbeiträgen mit

90 29,7 % der aktuellen Referenzgruppe der Alleinstehenden (untere 15 % nach Ausklammerung der Zirkel-schlusshaushalte, neues Verfahren) waren 65 Jahre oder älter (in der Gesamtgruppe der Alleinstehenden lag der Anteil noch etwas höher bei 32,8 %), 16,1 % waren 55 bis 64 Jahre alt (gegenüber 14,4 % dieses Haushaltstyps insgesamt). Bei der Gliederung nach sozialen Stellungen ergibt sich für die bereinigte Grundgesamtheit der Al-leinstehenden, dass nur 23,7% überwiegend erwerbstätig waren; 20,3 % waren arbeitslos, 37,9 % Rentnerinnen/

Renter aus eigener Erwerbstätigkeit, 11,3 % Studierende und 6,8 % aus sonstigen Gründen nichterwerbstätig (Hausmann/-frau, Rentenbezug nur aus abgeleiteten Ansprüchen) (FDZ der statistischen Ämter des Bundes und der Länder, EVS 2008, eigene Berechnungen (kontrollierte Datenfernverarbeitung)). (Ergebnisse vom 28.08.2013, out31b_2008_G_neu_grenzen_oBAföG.spo)

91 Nur für die Begünstigten des Mindestlohns wurden entsprechend proportional erhöhte fiktive Konsumausgaben berechnet, die Konsumausgaben aller anderen Haushalte wurden konstant gesetzt.

meist etwa 8 % überproportional. In der infolge der Mindestlohnerhöhung veränderten Referenzgruppe sind also – unter der Annahme konstanter Konsumstrukturen auf Haushaltsebene – moderat erhöhte Ausgaben insbesondere für Gesundheit und sozi-ale Teilhabe sowie relativ etwas weniger erhöhte Ausgaben für Grundbedürfnisse zu erwarten, während in anderen Bereichen, für die im unteren Einkommensbereich auf individueller Ebene ein hoher Fixkostenanteil anzunehmen ist (Nachrichtenübermitt-lung, Verkehr, aber auch Bekleidung und Schuhe), keine Ausgabenzuwächse anfallen würden.

Tabelle 16: Durchschnittliche Haushaltsnettoeinkommen und Konsumausgaben der Re-ferenzgruppe der Alleinstehenden im Status quo und bei alternativen Mindestlöhnen (M1 und M2)1

– EVS 2008, Ausklammerung von Zirkelschlusshaushalten nach neuem Verfahren –

Kategorie

(Nr. der Gütergruppe in EVS)

Status

1 Hochrechnung mit dem Haushalts-Hochrechnungsfaktor.

2 Für die Haushalte der fiktiven Referenzgruppen nach Einführung eines Mindestlohns, die davon profitieren würden, wurden die faktisch angegebenen Konsumausgaben insgesamt wie auch die einzelnen Güterpositionen proportional zum jeweiligen (fiktiven) Einkommenszuwachs erhöht. Die Konsumstrukturen wurden auf der Mikroebene also als konstant angenommen, veränderte Konsumstrukturen auf der Gruppenebene ergeben sich lediglich infolge der gegen-über dem Status quo veränderten Zusammensetzung der Referenzgruppe.

Quelle: FDZ der statistischen Ämter des Bundes und der Länder, EVS 2008, eigene Berechnun-gen (kontrollierte Datenfernverarbeitung).

Knapp die Hälfte des mindestlohnbedingten Ausgabenzuwachses würde sich in der Regelbedarfsstufe 1 niederschlagen, wie aus der letzten Zeile von Tabelle 17 hervor-geht. Das somit beträchtliche (gerundete) Plus für das Jahr 2008 von 14 € (3,9 %) bei einem Mindestlohn von 8,50 € bzw. 16 € (4,4 %) bei einem Mindestlohn von 9,50 € hät-te entsprechend der aktuellen Fortschreibungsregeln (+8 % zum Januar 2014) zu einem

Regelbedarf für Alleinstehende und Alleinerziehende von 406 € bzw. 408 € Anfang 2014 – statt 391 € – geführt.

Hinsichtlich der regelbedarfsrelevanten Erhöhungen bei den einzelnen Gütergruppen fällt auf, dass sie im Bereich Nahrungsmittel etc. noch stärker ausfällt als bei der Gü-tergruppe 1 insgesamt (Tabelle 16). Dies ist auf etwas geringere durchschnittliche Aus-gaben für die nicht regelbedarfsrelevanten alkoholischen Getränke und Tabakwaren in den beiden Referenzgruppen nach Mindestlohneinführung zurückzuführen. Im Be-reich Freizeit, Unterhaltung, Kultur ist die mindestlohnbedingte Erhöhung der regelbe-darfsrelevanten Güter mit 2,61 € bzw. 2,82 € aber viel schwächer als insgesamt (6,74 € bzw. 7,72 €); der für die kontrafaktischen Referenzgruppen ermittelte Mehrbetrag ist also zum größeren Teil auf die nicht regelbedarfsrelevanten Güter zurückzuführen.92

Tabelle 17: Regelbedarfsrelevante Ausgaben der Referenzgruppe der Alleinstehenden im Status quo und bei alternativen Mindestlöhnen (M1 und M2)

– EVS 2008, Ausklammerung von Zirkelschlusshaushalten nach neuem Verfahren –

Kategorie

(Nr. der Gütergruppe in EVS)

Status

1 Hochrechnung mit dem Haushalts-Hochrechnungsfaktor.

Quelle: FDZ der statistischen Ämter des Bundes und der Länder, EVS 2008, eigene Berechnun-gen (kontrollierte Datenfernverarbeitung).

92 Zum Beispiel entfielen von den durchschnittlichen Mehrausgaben für die Gütergruppe 9 der Referenzgruppe nach Einführung eines Mindestlohns von 8,50 €

0,18 € auf Foto-, Filmausrüstungen etc., 1,19 € auf Pauschalreisen,

0,41 € auf Gartenerzeugnisse etc., 0,54 € auf Schnittblumen etc., 0,32 € auf Haustiere etc., 0,84 € auf Rundfunk- und Fernsehgebühren, von denen Grundsicherungsbeziehende befreit sind, 0,65 € auf Glücksspiele.

Quelle: vgl. Tabelle 17.

4.4 Zwischenfazit

Angesichts der Bedeutung der Verteilungsentwicklung für das Grundsicherungsniveau wurde der Frage nachgegangen, welchen Effekt die Einführung eines Mindestlohns hätte. Dabei wurden alternative Lohnuntergrenzen, die verbreiteten Gerechtigkeitsvor-stellungen entsprechen, zugrunde gelegt – zum Einen 8,50 €, die aus der Pfändungs-freigrenze abgeleitet wurden, zum Anderen die auf Basis der EVS 2008 errechnete Niedriglohnschwelle (zwei Drittel des Medianlohns) von 9,50 €. Aufgrund der quar-talsbezogenen Daten der EVS unterliegen die Stundenlohnberechnungen zwar mehre-ren Unschärfen, und für einen Teil der Personen mit Einkommen aus unselbständiger Arbeit können wegen fehlender Angaben zur Arbeitszeit keine Lohnsätze berechnet werden. Dementsprechend ist mit einer Unterschätzung der Zahl der potenziell durch die alternativen Mindestlöhne Begünstigten und mit einer Überschätzung des Effekts in einzelnen Fällen zu rechnen. Dennoch sind die errechneten Niedriglohnquoten mit 16 % unter der Grenze von 8,50 € und 20,4 % unter der Grenze von 9,50 € nicht allzu weit von den Ergebnissen anderer Studien entfernt.

Die Simulationen ergeben zunächst als unmittelbare Effekte hohe Begünstigungen für die Betroffenen unter der jeweiligen Niedriglohnschwelle im Status quo. Bei einem Mindestlohn von 8,50 € würde sich das durchschnittliche Bruttolohn- bzw. Bruttoge-haltseinkommen der Begünstigten um 438 € erhöhen – das entspricht einem Zuwachs von 50 %. Im Gesamtdurchschnitt aller unselbständig Beschäftigten macht dies aber nur 70 €, im Durchschnitt der beschäftigten Alleinstehenden 50 € monatlich aus. Dem-entsprechend sind die mittelbaren Effekte bei der Regelbedarfsermittlung begrenzt – zumal nur etwa ein Viertel der aktuellen Referenzgruppe der Alleinstehenden im Befragungsquartal überwiegend beschäftigt war. Infolge der Mindestlohneinführung würden

die Nettoeinkommensgrenze der untersten 15 % der bereinigten Grundgesamtheit um 35 € (Mindestlohn 8,50 €) bzw. 40 € (Mindestlohn 9,50 €),

das Durchschnittseinkommen der neu gebildeten Referenzgruppe um etwa 21 € bzw. 23 €,

die durchschnittlichen Konsumausgaben insgesamt um 32 € bzw. 37 €

und der regelbedarfsrelevante Konsum entsprechend der normativen Setzungen des RBEG um ungefähr 14 € bzw. 16 €

höher ausfallen als in der Referenzgruppe im Status quo. Es zeigt sich also, dass der für die fiktive Referenzgruppe nach Mindestlohneinführung ermittelte Mehrbetrag der Konsumausgaben zum größeren Teil auf die nicht regelbedarfsrelevanten Güter zu-rückzuführen ist. Die kontrafaktische Einkommensverteilung nach Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns würde dennoch zu einer merklichen, wenn auch modera-ten Erhöhung des Grundsicherungsniveaus führen. Mittelbare fiskalische

Mehrbela-stungen durch höhere Grundsicherungsausgaben und Steuermindereinnahmen infolge der Auswirkungen auf den Grundfreibetrag bei der Einkommensteuer würden die un-mittelbaren entlastenden Mindestlohneffekte – Steuer- und Beitragsmehreinnahmen und verminderte Transferausgaben – nicht aufwiegen.

5 Einfluss veränderter Berechnungsregeln des Regelbe-darfsermittlungsgesetzes auf das Grundsicherungsniveau

5.1 Fiktiver Regelbedarf 2008 nach früheren Berechnungsregeln im

Im Dokument Arbeit und Soziales (Seite 81-88)