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MINDESTSICHERUNG IN ÖSTERREICH AKTUELL: RELEVANTE RECHTSQUELLEN, ASPEKTE UND

RELEVANTE

R

ECHTSQUELLEN

, A

SPEKTE UND

R

ECHTSPRECHUNG 4. 1. Charakteristika

Grundsätzlich sind die sozialen Risiken durch ein Versicherungssystem abgedeckt. Leistungen, die nicht von einer Versichertengemeinschaft erbracht werden, sondern aus den allgemeinen Steuermitteln, entspringen dem Versorgungssystem. Leistungen, die auf die Bedürftigkeit des

126 Vgl Adamovich/Funk/Holzinger/Frank, Staatsrecht Rz 41.074.

127 Vgl Wiederin, Soziale Grundrechte in Österreich?, in Österreichische Juristenkommission (Hg), Aktuelle Fragen des Grundrechtsschutzes. Kritik und Fortschritt im Rechtsstaat. Band 26 (2006) 153 (154) und Vgl Damjanovic, Soziale Grundrechte, in Heißl (Hg), Handbuch Menschenrechte (2009) 516 (524 ff).

128 Vgl Holoubek, Struktur 507.

Einzelnen abstellen, fallen unter ein drittes Sicherungssystem, nämlich unter die Fürsorge bzw Sozialhilfe. Diese Mechanismen greifen nur, wenn andere Hilfsmöglichkeiten nicht (mehr) zur Verfügung stehen und die lebensnotwendigen Bedürfnisse nicht selbst durch den Einzelnen ausreichend gedeckt werden können.129

Burger/Mair/Wachter130 erkennen die im Folgenden angeführten Strukturmerkmale der BMS, so wie sie in der Bund-Länder-Vereinbarung festgelegt wurden.

Das wesentlichste ist wohl die Subsidiarität. Da die BMS als letztes soziales Netz dienen soll, kann nur eine Person eine solche beziehen, die ihre Grundbedürfnisse nicht bzw nicht ausreichend weder durch eigenen Mittel- und Krafteinsatz noch durch Drittleistungen sichern kann.

Weiters wichtig ist das Kriterium der individuellen Hilfeleistung. Wird ein Leistungsbezug aus der Mindestsicherung gewährt, wird die individuelle Situation und Bedürftigkeit geprüft. Die genaue Höhe der Leistung ist nicht von vornherein fixiert.

Das Selbsthilfeprinzip bedeutet, dass die BMS primär den/die Bezieher*in dazu befähigen soll, ihren/seinen Lebensunterhalt alsbald möglich wieder selbstständig abzusichern. Die Leistung soll dazu die Voraussetzungen schaffen, hingegen so wenig wie möglich auf die Lebensverhältnisse der Bezieher*innen Einfluss nehmen.

Durch das Anspruchsprinzip besteht ein Rechtsanspruch auf Sicherung der Grundbedürfnisse.

Das Finalitätsprinzip schließlich besagt, dass es für die Gewährung der BMS unerheblich ist, weshalb diese bezogen werden muss.

Die Finanzierung der BMS erfolgt aus dem Steueraufkommen und wird zur Gänze von den Ländern ausbezahlt.131

Durch die Bund-Länder-Vereinbarung war 2010 bis 2016 eine bundesweit einheitliche Mindesthöhe der BMS festgelegt. Trotz der fehlenden Erwerbstätigkeit werden Mindestsicherungsbezieher*innen in die gesetzliche Krankenversicherung miteinbezogen.132 Arbeitsfähige Personen werden zudem durch das AMS betreut. Nicht das gesamte Vermögen der Leistungsbezieher*innen muss verwertet werden und auch bei späterem Erwerbseinkommen gibt es keine Rückzahlungspflicht der bezogenen BMS.133

129 Vgl Brodil/Windisch-Graetz, Sozialrecht in Grundzügen8 (2017) 18.

130 Vgl Burger/Mair/Wachter, Sozialrecht 270.

131 Vgl Burger/Mair/Wachter, Sozialrecht 270; Tomandl, Sozialrecht6 (2009) Rz 366 und Pfeil, Sozialrecht 157 f.

132 Sie erhalten außerdem die e-card, was der früheren Stigmatisierung durch Erhalt spezieller Sozialhilfekrankenscheine, die zum Sachleistungsbezug berechtigten, entgegenwirken soll.

133 Vgl Burger/Mair/Wachter, Sozialrecht 270.

Dimmel ergänzt diese Merkmale noch um allgemeine Grundsätze, die gemeinsam ein menschenwürdiges Leben ermöglichen sollen. Sie begründen keine Rechtsansprüche, sollten aber bei der Vollziehung der Ansprüche Berücksichtigung finden. Es handelt sich um Prävention, Krisenintervention, Nachsorge, Familiengerechtigkeit, Faktizität (tatsächlich verfügbares Einkommen und vorliegende Lebensumstände) und Bedarfsdeckung in der gegenwärtigen Notlage.134

4. 1. 1. Soziale Notlage

㤠2 TMSG - Begriffsbestimmungen (1) In einer Notlage befindet sich, wer

a) seinen Lebensunterhalt, seinen Wohnbedarf oder den bei Krankheit, Schwangerschaft und Entbindung sowie für ein einfaches Begräbnis auftretenden Bedarf (Grundbedürfnisse) nicht oder nicht in ausreichendem Ausmaß aus eigenen Kräften und Mitteln oder mit Hilfe Dritter decken kann oder

b) außergewöhnliche Schwierigkeiten in seinen persönlichen, familiären oder sozialen Verhältnissen nicht oder nicht in ausreichendem Ausmaß selbst oder mit Hilfe Dritter bewältigen kann. (…)“135

Die Erhebung der Studie EU-SILC136 2017 ergab für Österreich eine Armuts- und Ausgrenzungsgefährdung137 von 18,1 Prozent der Bevölkerung. Der EU-Durchschnitt betrug 22,5 Prozent.138 Die Armutsgefährdungsschwelle wird mit 60 Prozent des Median-Einkommens festgelegt. Sie beträgt aktuell für einen Ein-Personen-Haushalt 1.259 Euro monatlich. Dieser Grenzbetrag wird bei weiteren Erwachsenen oder Kindern im Haushalt um einen gewissen Faktor erhöht.139

Va Erwerbslose und Alleinerziehende befinden sich vermehrt in der Notlage Mindestsicherung beziehen zu müssen. Generell können für die Armutsgefährdung einige Risikogruppe konstatiert werden, nämlich alleinerziehende Haushalte, kinderreiche Familien, Migrant*innen bzw Personen

134 Vgl Dimmel, Recht haben und Recht kriegen. Arbeitsbuch Sozialhilfe und Bedarfsorientierte Mindestsicherung (2011) 51 f.

135 LGBl 2010/99 idF 2019/15.

136 Abkürzung für “Statistics on Income and Living Conditions”.

137 Die EU-SILC betitelt jene Personen als armuts- oder ausgrenzungsgefährdet, die mindestens eines der folgenden Merkmale erfüllen: Armutsgefährdung, erhebliche materielle Deprivation oder Leben in einem Haushalt mit keiner oder sehr niedriger Erwerbsintensität.

138 Statistik Austria, STATISTICS Brief – Oktober 2018. Armut (2018) 1. (abrufbar unter

http://www.statistik.at/wcm/idc/idcplg?IdcService=GET_PDF_FILE&dDocName=119464, Stand: 08.08.2019).

139 Vgl http://www.armutskonferenz.at/armut-in-oesterreich/aktuelle-armuts-und-verteilungszahlen.html (Stand: 11.08.2019).

mit Nicht-Europäischer Staatsbürgerschaft, Langzeitarbeitslose, Menschen mit einer körperlichen Behinderung oder psychischen Erkrankung, Menschen mit maximal Pflichtschulabschluss und Personen mit einem diskontinuierlichen Arbeitsverhältnis oder einem prekären Beschäftigungsverhältnis, wie freie Dienstverträge, neue Selbstständige, geringfügig oder fallweise Beschäftigte.140

4. 1. 2. Mindestsicherung und Erwerbsarbeit (Aktivierungspolitik)

„§ 1 TMSG - Ziel, Grundsätze

(1) Ziel der Mindestsicherung ist die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung. Sie bezweckt, den Mindestsicherungsbeziehern das Führen eines menschenwürdigen Lebens zu ermöglichen und ihre dauerhafte Eingliederung bzw. Wiedereingliederung in das Erwerbsleben weitest möglich zu fördern. (…)“141

Die Teilnahme am Erwerbsleben stellt die gesellschaftliche Norm (auch im konservativen Wohlfahrtsstaatsregime142) dar. Angesichts dessen entziehen sich andere Lebensformen weitgehend jeder Legitimation. Jedoch hängt die Chance, eine Erwerbsarbeit annehmen zu können nicht nur von den individuellen Fähigkeiten, Qualifikationen und Motivationen einer Person ab, sondern ebenso von der Konkurrenzsituation am jeweiligen Arbeitsmarkt und institutionellen Regelungen und Unterstützungsmaßnahmen.143 Aktivierungspolitik umfasst im engeren Sinn die schnelle Integration von Einzelpersonen in den Arbeitsmarkt. Im weiteren Sinne auch den Umbau der sozialen Sicherungssysteme hin zu einer Konzentration auf die Erwerbsarbeitsmarktintegration breiterer Gesellschaftsgruppen, die Arbeits- und Sozialhilfeleistungen, Pensionssysteme sowie sämtliche andere soziale Umverteilungsleistungen.144

140 Vgl Tálos, Vom Siegeszug zum Rückzug. Sozialstaat Österreich 1945-2005 (2005) 56 f; Stanzl,

Mindestsicherung 205; Schenk, Sozialhilfe: Geld oder Leben? Probleme im unteren sozialen Netz und monetäre Armutsbekämpfung, in Pfeil/Wöss (Hg), Bedarfsorientierte Mindestsicherung. Gesetze und Kommentare (2011) 49 (49 f) und Statistik Austria, STATISTICS Brief – Oktober 2018. Armut (2018) 1 (abrufbar unter

http://www.statistik.at/wcm/idc/idcplg?IdcService=GET_PDF_FILE&dDocName=119464, Stand: 08.08.2019).

141 LGBl 2010/99 idF 2019/15.

142 Noch mehr in liberalen Staatssystemen.

143 Vgl Riesenfelder, Von der Sozialhilfe in die Erwerbsarbeit? Erwerbspotenziale von SozialhilfebezieherInnen in Wien, in Dimmel/Schenk/Stelzer-Orthofer (Hg), Handbuch Armut in Österreich (2014) 723 (723).

144 Vgl Leibetseder/Woltran, Aktivierung – ein zentrales Element in der Sozialhilfe und Bedarfsorientierten Mindestsicherung, in Pfeil/Wöss (Hg), Bedarfsorientierte Mindestsicherung. Gesetze und Kommentare (2011) 65 (65).

Aktivierungsmaßnahmen der Mindestsicherung für eine Reintegration auf dem Erwerbsarbeitsmarkt können nicht immer greifen. Zahlreiche Bezieher*innen befinden sich außerdem in der Problemlagen, die das Risiko auf eine soziale Notlage erhöhen. Dazu zählen Menschen ohne verwertbare berufliche Ausbildung, mit gesundheitlichen Einschränkungen, mit Pflege- und Betreuungspflichten und Personen mit privaten und Wohnproblemen. Diese Personengruppen bräuchten spezifische Unterstützungs- und Betreuungsangebote. Somit ist es nicht verwunderlich, dass einfache und kurzfristige Aktivierungsmaßnahmen für Reintegration in die Erwerbsarbeit wenig Erfolge verbuchen können.145

Erwerbstätige werden gegen das Eintreten der sozialen Risiken Krankheit, Unfall, Alter und Arbeitslosigkeit versichert. Somit gilt die Integration in den Erwerbsarbeitsmarkt als Grundvoraussetzung für den Leistungsbezug aus der Sozialversicherung. Dadurch bleibt ein als beachtlich zu erfassender Teil der Bevölkerung von einer eigenständigen Sozialversicherung ausgeschlossen und wird nur als Mitversicherte*r miteinbezogen, so Ehepartner*innen, die familiäre Arbeit leisten und Kinder. Von manchen Teilbereichen wohlfahrtsstaatlicher Leistungen, bspw Mindestsicherung, Familienbeihilfe und Pflegegeld, wird hingegen die gesamte Wohnbevölkerung umfasst. Außerdem kann sich theoretisch jede Person freiwillig selbst, va in der Krankenversicherung, versichern. Die Orientierung an der Erwerbsarbeit im System der Sozialversicherung korreliert ebenso mit dem Äquivalenzprinzip. Das bedeutet, dass die Höhe der tatsächlichen finanziellen Sozialleistungen mit der Beitragsleistung zusammenhängt146, was mit dem Ziel der materiellen Statussicherung begründet wird. Dabei wird sowohl die Einkommensungleichheit als auch die ökonomische und soziale Ungleichheit im Sozialversicherungssystem reproduziert.147

Melinz formuliert dazu treffend:

„Armutspolitik hat übrigens noch nie die Aufgabe der Armutsbekämpfung gehabt. Es ging zum einen stets um (Lohn-)Arbeitsbereitschaft, somit um die Integration in den kapitalistischen Arbeitsmarkt, zum anderen ging es für bestimmte Gruppen um die notdürftige Unterstützung und im Falle außerordentlicher Massennotstände um die möglichst kostengünstige Verwaltung der Armut.“148

145 Vgl Riesenfelder, Sozialhilfe 734 f.

146 Dies gilt va bei Geldleistungen in der Krankenversicherung, beim Bezug von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe sowie bei der Alterspension.

147 Vgl Tálos, Siegeszug 23 f.

148 Vgl Melinz, Almosen 857.

4. 1. 3. Problemstellen des österreichischen Wohlfahrtssystems

Schenk sieht eine Reihe von fehlerhaften Entwicklungen und Tendenzen im System des österreichischen Sozialstaates, aufgrund derer er Armutsrisiken identifiziert. Zum einen gehe das Netz der sozialen Sicherheit immer noch von der Annahme eines männlichen Ernährerhaushaltes aus. Diese habe in der Konsequenz ein hohes Armutsrisiko für Alleinerzieherinnen zur Folge und erkläre, warum ein Drittel aller Frauen nur Mindestpension beziehen. Als zweite als allgemeingültig erachtete Norm nennt er das Normalarbeitsverhältnis, das zur Prekarisierung der working poor149 und zum sozialen Absturz von Arbeitslosen führe. Als dritte überholte Vorannahme erkennt er die Vorstellung einer kulturell homogenen Bevölkerung, die aufgrund der Staatsbürgerschaft zusammengefasst werden könne. Dieser jahrelange Fokus auf die Herkunft schaffe soziale Ausgrenzung und mangelnde Aufstiegsmöglichkeiten für Migrant*innen. Letztlich habe Österreich außerdem für einen entwickelten Sozialstaat eine sehr geringe intergenerationale soziale Mobilität. Mit der Evolution der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft habe Bildung an enormer Bedeutung gewonnen. Ein sozial selektierendes Bildungssystem, das zu homogenen Gruppen tendiert, blockiere soziale Aufstiegschancen. Um auf all diese sozialen Herausforderungen Antworten zu finden, bedarf es eines umfassenden multidimensionalen Förderungsprogrammes auf der Basis einer Neuverteilung von Erwerbs- und Reproduktionstätigkeiten, erwerbsunabhängige Grundsicherungselemente, Etablierung tatsächlich gleicher Rechte mit sozialen Aufstiegschancen unabhängig der Herkunft und ein Bildungssystem, das heterogene Gruppen individuell fördert.150

4. 2. Grundsätzliche Anspruchsberechtigung

Die BMS kann von Menschen bezogen werden, die nicht selbst in der Lage sind ihren Lebensunterhalt (dazu zählen Nahrung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, angemessene soziale und kulturelle Teilhabe) und Wohnbedarf (Miete, Strom, Heizung, Abgaben) zu decken.151 Das bedeutet, dass ihr Einkommen unter dem Mindestsicherungssatz liegt.152

Anspruchsberechtigt gemäß § 3 TMSG sind alle österreichischen Staatsbürger*innen, die ihren Hauptwohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Tirol haben. Gleichgestellt sind nach

149 Auch Erwerbsarmut genannt, beschreibt also Personen, die zwar einer Erwerbsarbeit nachgehen, aber trotzdem in einem Haushalt unter der Armutsgrenze leben. Die Armutsgefährdungsschwelle beträgt 60 Prozent des Median-Einkommens. 2018: 1.259 Euro für einen Ein-Personen-Haushalt. (siehe:

armutskonferenz.at/armut-in-oesterreich/aktuelle-armuts-und-verteilungszahlen.html, Stand: 08.08.2019).

150 Vgl Schenk, Sozialhilfe 59 f.

151 Vgl Burger/Mair/Wachter, Sozialrecht 271 und Pfeil, Sozialrecht 160.

152 Näheres zur Leistungshöhe Unterkapitel 4.4.

fremdenrechtlichen Vorschriften aufenthaltsberechtigte Unionsbürger*innen, EWR-Staaten-Angehörige und Schweizer*innen sowie deren Familienangehörige (Ehegatt*in, eingetragene Partner*in, Verwandte und Verwandte des/der Ehegatt*in oder des/der eingetragenen Partner*in in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres und darüber hinaus und ebenso in gerade aufsteigender Linie, falls ihnen Unterhalt gewährt wird), Fremde, die aufgrund von Staatsverträgen Österreicher*innen gleichgestellt sind oder Familienangehörige sind und Personen, die gemäß Asylgesetz 2005 den Status eines/einer Asylberechtigen oder subsidiär Schutzberechtigten haben.

4. 3. Überblick über das Verfahren

Innerhalb jedes Bundeslandes sind die Bezirksverwaltungsbehörden grundsätzlich für die Gewährung der Leistungen aus der Mindestsicherung zuständig. Wobei in Tirol der Landesregierung die Entscheidung über die Gewährung der Hilfe zu Pflege obliegt und den Gemeinden über die Entscheidung zur Betreuung in Form der stationären Pflege.153 In den Bezirksverwaltungsbehörden zuständig ist das Sozialamt. Allenfalls eingelangte Anträge bei der Gemeinde, in der der/die Antragsteller*in seinen/ihren Hauptwohnsitz hat, sind ohne unnötigen Aufschub an die zuständige Bezirksverwaltungsbehörde weiterzuleiten. Dabei hat die Gemeinde Gelegenheit zur Abgabe einer Stellungnahme.154 Spätestens drei Monate nach Einlangen des Antrages ist schriftlich mittels Bescheid zu entscheiden, falls die Leistung nicht oder nicht vollständig gewährt wird oder der/die Antragsteller*in eine Ausfolgung mittels Bescheid begehrt.155

Der Instanzenzug ist grundsätzlich zweistufig gegliedert. Gegen Entscheidungen der Bezirksverwaltungsbehörden besteht die Möglichkeit einer Bescheidbeschwerde an das Landesverwaltungsgericht. Gegen ein Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts kann binnen sechs Wochen Revision beim VwGH oder Bescheidbeschwerde beim VfGH eingelegt werden.156

153 § 27 Abs 3 und 4 TMSG, LGBl 2010/99 idF 2019/15.

154 § 29 Abs 2 und 3 TMSG, LGBl 2010/99 idF 2019/15.

155 § 30 Abs 1 und 2 TMSG, LGBl 2010/99 idF 2019/15.

156 Vgl Resch, Sozialrecht 8 und Burger/Mair/Wachter, Sozialrecht 274.

4. 4. Bemessung der Leistungshöhe

㤠4 TMSG - Form und Arten der Mindestsicherung

(1) Mindestsicherung wird in Form von Geldleistungen oder Sachleistungen gewährt. Sie umfasst Leistungen zur Sicherung der Grundbedürfnisse (Grundleistungen) und Leistungen zur

Bewältigung außergewöhnlicher Schwierigkeiten in den persönlichen, familiären oder sozialen Verhältnissen (sonstige Leistungen).

(2) Zu den Grundleistungen zählen:

a) die Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes, b) die Hilfe zur Sicherung des Wohnbedarfes,

c) der Schutz bei Krankheit, Schwangerschaft und Entbindung und d) die Übernahme der Bestattungskosten.

(3) Zu den sonstigen Leistungen zählen insbesondere:

a) die Hilfe zur Erziehung und Erwerbsbefähigung, b) die Hilfe zur Arbeit,

c) der Hilfeplan,

d) die Hilfe zur Betreuung, e) die Hilfe zur Pflege und f) die Zusatzleistungen. (…)“157

Die Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes erfolgt mittels der Gewährung pauschalierter monatlicher Geldleistungen. Dabei wird ein Mindestsatz herangezogen und je nach Haushaltssituation (Alleinstehende, Alleinerzieher*innen mit/ohne Bezug der Familienbeihilfe, Wohngemeinschaften) ein Prozentanteil davon gewährt.158 Gewisse Personengruppen (ua Alleinerzieher*innen, Minderjährige, Personen mit einem Grad von Behinderung von mindestens 50 Prozent, Menschen mit einer schweren psychischen Erkrankung) erhalten gemäß § 5 Abs 3 TMSG vier Mal jährlich eine Sonderzahlung in der Höhe von neun Prozent des Ausgangsbetrages.

Den Mindestsatz legt die Landesregierung mittels Verordnung für jedes folgende Kalenderjahr fest. Dabei hat sie den Auslagenrichtsatz gemäß §293 Abs 1 ASVG159 zu beachten.160 Der geltende Ausgangsbetrag für das Jahr 2019 beträgt in Tirol 885,48 Euro.161

157 LGBl 2010/99 idF 2019/15.

158 § 5 TMSG, LGBl 2010/99 idF 2019/15.

159 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz, BGBl 1955/189.

160 § 9 Abs 2 TMSG, LGBl 2010/99 idF 2019/15.

161 Verordnung der Landesregierung vom 17. Dezember 2018, mit der der Anpassungsfaktor für das Jahr 2019 festgesetzt wird, LGBl 2019/2.

Eine volljährige alleinstehende oder alleinerziehende Person erhält zB dementsprechend einen Mindestsatz von 664,11 Euro an Mindestsicherungsleistung (75 Prozent des Ausgangsbetrages) und als Alleinerzieher*in zusätzlich eine vierteljährliche Sonderzahlung von 79,69 Euro.

Dieser Mindestsatz alleine, exklusive der Hilfe zur Sicherung des Wohnbedarfs, beträgt sohin nur circa die Hälfte der derzeitigen Armutsgefährdungsschwelle (1.259 Euro).

Bevor Mindestsicherung gewährt wird, hat der Hilfesuchende seine eigenen Mittel aus Einkommen und Vermögen einzusetzen. Als etwaiges Einkommen angerechnet werden bspw Lohn/Gehalt, Pension, Notstandshilfe, Mietzinsbeihilfe, Arbeitslosen- oder Krankengeld.

Ausdrücklich nicht berücksichtigt werden die Familienbeihilfe, Pflegegeld, Freibeträge des Arbeitseinkommens, freiwillige Unterstützungen Dritter, die die Hälfte des Mindestsatzes nicht überschreiten, Ersparnisse bis zum Fünffachen des Ausgangsbetrages (2019: 4.427,35 Euro), ebenso Schüler*innen- und Lehrlingsbeihilfen des Landes Tirol.162

Die Hilfe zur Sicherung des Wohnbedarfs erfolgt durch Geldleistungen für nachgewiesene Mietkosten, Betriebskosten, Heizkosten und Abgaben. Es gibt ein Höchstausmaß für die Gewährung, welches ebenso mittels Verordnung von der Landesregierung festgelegt wird. Dabei wird auf den Immobilienpreisspiegel der Wirtschaftskammer Österreich und andere relevante statistische Daten Bedacht genommen.163 Somit ergeben sich für Tirol je nach Wohnungsgröße und Bezirk unterschiedliche Höchstgrenzen für Mieten. Bei einer den Höchstbetrag übersteigenden tatsächlichen Miete muss der Rest vom Lebensunterhalt bestritten werden.164 Dabei normiert § 6a TMSG zusätzlich:

„Sicherung des Wohnbedarfes als Sachleistung

(1) Die Hilfe zur Sicherung des Wohnbedarfes kann auch in Form einer Sachleistung durch Zuweisung einer Wohnung oder sonstigen Unterkunft an den Hilfesuchenden gewährt werden, sofern sich dieser im Zeitpunkt der Antragsstellung nicht bereits drei Monate hindurch

ununterbrochen in einem aufrechten Mietverhältnis befindet. (…)“165

Zusätzliche Kosten bei Krankheit, Schwangerschaft und Entbindung werden in gewissem Ausmaß übernommen sowie die nachgewiesenen Bestattungskosten für ein einfaches Begräbnis, sofern dieses nicht aus dem Vermögen des Verstorbenen gedeckt werden kann oder von Dritten

162 § 15 TMSG – Einsatz der eigenen Mittel.

163 § 6 Abs 1 und 3 TMSG, LGBl 2010/99 idF 2019/15.

164 Festlegung von Höchstsätzen sowie Pauschalbeträgen als Bemessungsgrundlage für Selbstbehalte im Zusammenhang mit Leistungen der Mindestsicherung zur Sicherung des Wohnbedarfes, LGBl 2018/76.

165 LGBl 2010/99 idF 2019/15.

übernommen wird. Nähere Details sind in § 7 und 8 TMSG geregelt, die Gewährung spezieller sonstiger Leistungen im 3. Abschnitt in den §10 bis 14a TMSG.

Darüber hinaus ist vor der Gewährung der Mindestsicherung der/die arbeitsfähige Hilfesuchende verpflichtet, seine/ihre Arbeitsbereitschaft zu zeigen bzw sich um eine zumutbare Erwerbstätigkeit zu bemühen.166 Mindestsicherungsbezieher*innen, die den Status Asylberechtige oder subsidiär Schutzberechtigte haben, sind gemäß § 16a TMSG verpflichtet, den Erwerb von Deutschkenntnissen bis einschließlich Niveaustufe A2 oder den erfolgreichen Besuch eines mindestens achtstündigen Werte- und Orientierungskurses als Maßnahmen für eine bessere Integration vorzuweisen.

4. 5. Anspruch von Unionsbürger*innen

Durch Art 18 AEUV167 gilt der Gleichheitssatz auch für Unionsbürger*innen. Differenzierungen zwischen Österreicher*innen und EU-Staatsangehörigen bedürfen dementsprechend einer sachlichen Rechtfertigung.168

Unions- oder EWR-Bürger*innen und Schweizer*innen sind gemäß § 3 Abs 2 TMSG österreichischen Staatsbürger*innen gleichgestellt, wenn sie nach fremdenrechtlichen Vorschriften zum Aufenthalt im Inland berechtigt sind. § 3 Abs 4 TMSG konkretisiert, dass diese Personen jedenfalls keinen Anspruch auf Leistungen der Mindestsicherung haben, wenn ihre Einreise zum Zweck des Bezuges erfolgt ist (lit a), ihnen keine Arbeitnehmer*innen- oder Selbstständigeneigenschaft zukommt in den ersten drei Monaten ihres Aufenthaltes (lit b) oder sich das drei Monate übersteigende Aufenthaltsrecht nur aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt (lit c).

Unionsbürger*innen haben grundsätzlich das Recht auf Aufenthalt in einem Mitgliedstaat für bis zu drei Monaten, dafür müssen sie lediglich in Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses sein.169 Nach drei Monaten greifen die Bestimmungen des 4. Hauptstückes des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG)170, die in Umsetzung der RL 2004/38/EG

166 § 16 TMSK verweist hinsichtlich Arbeitsfähigkeit und Zumutbarkeit der Beschäftigung zu denselben Kriterien wie jene bei Gewährung der Notstandshilfe oder des Arbeitslosengeldes.

167 „Nichtdiskriminierung und Unionsbürgerschaft: Unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge ist in ihrem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten.“ (ABl 2012 C 326/01).

168 Vgl Mayer/Muzak, B-VG Art 2 StGG Vorb: 1.

169 Art 6 Abs 1 RL 2004/38/EG, Richtlinie über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, ABl 2004 L 158/77.

170 BGBl 2005/100.

(Unionsbürgerrichtlinie) erlassen wurden. So wurde einer portugiesischen Staatsangehörigen, die aufgrund ihrer Erkrankung seit ihrer Einreise im April 2014 zu keinem Zeitpunkt erwerbstätig war, in Tirol der Mindestsicherungsbezug verwehrt. Darüber erkannte das Landesverwaltungsgericht Tirol171, dass dies rechtmäßig war, da auch Art 7 Abs 1 lit b) der Unionsbürgerrichtlinie vorschreibt, dass jede*r Unionsbürger*in das Recht auf einen den Zeitraum von drei Monaten übersteigenden Aufenthalt in einem Mitgliedstaat hat, wenn er oder sie über ausreichende Existenzmittel verfügt und keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmestaates in Anspruch nehmen muss.

Der EuGH judizierte bereites in der Rechtssache Dano172, dass ein Aufnahmemitgliedstaat nicht verpflichtet ist, anderen Personen als Arbeitnehmer*innen oder Selbständigen während der ersten drei Monate oder während eines länger dauernden Aufenthalts zur Arbeitssuche Anspruch auf Leistungen der sozialen Sicherheit zu gewähren.

4. 6. Umgang mit Asylwerber*innen und subsidiär Schutzberechtigten:

Relevante Rechtsquellen und jüngste Rechtsprechung

Angehörige von Drittstaaten, die in Österreich einen Asylantrag stellen, sind bis zum rechtskräftigen Abschluss ihres Asylverfahrens Asylwerber*innen. Im Asylverfahren werden die Voraussetzungen für einen Anspruch auf internationalen Schutz geprüft. Wird ihnen Asyl gewährt, werden sie als Flüchtlinge oder Asylberechtigte bezeichnet.

Drittstaatsangehörige, denen kein Asyl gewährt wurde, die aber trotzdem nicht in ihren

Drittstaatsangehörige, denen kein Asyl gewährt wurde, die aber trotzdem nicht in ihren