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Methoden in Großbritannien

Im Dokument Der Fallanalytiker im Strafprozess (Seite 51-56)

Teil 1. Methoden der Operativen Fallanalyse

B. Methoden in Großbritannien

einer hohen Ortskenntnis ein geringes Risiko einging und man dem Täter daher ein hohes und dem Opfer ein geringes Risiko unterstellt, entspricht dies nicht den Tatsachen und die Summe bildet auch keinen konstanten Wert. Insgesamt sind die einzelnen Umstände der Tat, die diese beeinflusst haben können, viel zu mannigfaltig, um über dieses grobe Schema eine richtige Einschätzung geben zu können. Das BKA nimmt an, dass sich das Tatrisiko letztlich bestimmt über Opfer-, Tatzeit- und Tatortauswahl. Diese Parameter sollen beleuchtet werden über die Natur des Tatentschlusses, nämlich ob es sich um eine Spontantat oder um eine Neigungstat gehandelt hat69, die Frage also, ob die Gelegenheit der Tat den spontanen Tatentschluss ausgelöst hat oder ein latent tatbereiter Täter sich situativ dazu entschieden hat, den (latenten) Tatentschluss in die Tat umzusetzen.

Forscher auf dem Gebiet der Ermittlungspsychologie, die entscheidend durch ihn geprägt wurde.73 Sein Anliegen ist es, die Technik des Profilings auf ein wissenschaftliches Fundament zu stellen. Nach seiner Vorstellung soll auch die Ermittlungspsychologie eine wissenschaftliche Disziplin sein. Die Beratung durch die IPU basiert auf systematischen Untersuchungen und statistischen Verfahren, nicht aber auf subjektiver Intuition. Die Polizeibeamten, die hiernach vorgehen, müssen einen Kurs in Ermittlungspsychologie an einer Universität belegen. Die Abteilung stützt sich auf psychologische Prinzipien, rigorose empirische sozialwissenschaftliche Methoden der Statistik sowie auf die Erstellung und Entwicklung von Modellen zur Erklärung von Verhaltensmustern.

Aus diesem Grund führten die Forscher vom IPU auch keine persönlichen Gespräche mit inhaftierten Delinquenten, sondern werteten ausschließlich Informationen und Falldaten aus polizeilichen Ermittlungsakten aus.74

I. Die „Facettentheorie“

Ausgehend von dem Fall des Serienvergewaltigers „Railwail Rapist“, hat die Canter-Gruppe sich vor allem mit dem Verhalten von Serienvergewaltigern auseinandergesetzt. In einer Studie75 untersuchten die Forscher die Verhaltensfacetten dieser Tätergruppe. Datenbasis waren 27 überführte Täter, die jeweils mindestens zwei Vergewaltigungen begangen hatten, insgesamt lagen der Untersuchung als Datenbasis 66 Taten zugrunde.

Herausgearbeitet wurden die folgenden acht Verhaltensbereiche, die wiederum insgesamt 33 Variablen beinhalteten:

- Annäherung an das Opfer

- Die Methode, das Opfer zu kontrollieren

- Die Reaktion des Täters auf das Verhalten des Opfers - Die Art der Kommunikation mit dem Opfer

- Formen der Gewalt

- Die angestrebte Beziehung zum Opfer - Das Sexualverhalten

- Die dem Angriff nachfolgenden Handlungen des Täters

73 Alison/Salfati, a.a.O., S. 125.

74 Siehe Robak, Profiling, S. 128.

75 Siehe hierzu Hoffmann/Musolff, Fallanalyse und Täterprofil, S. 109.

.

Die 33 Verhaltensvariablen wurden dann auf die 66 Vergewaltigungsdelikte derart angewandt, dass statistisch festgehalten werden konnte, ob die jeweilige Variable vorlag oder nicht.

Ergebnis dieser Untersuchung war die sogenannte „Facettentheorie“. Ausgangspunkt war, dass die 33 Variablen in einem imaginären Raum in der Art dargestellt wurden, dass der Abstand zwischen ihnen je geringer war, desto öfter sie zusammen auftraten.

Die Verhaltensweisen wurden dann aufgeteilt in die fünf Bereiche:

- Sexualität - Gewalt - Unpersönlich - Kriminell - Intimität

Man zog später auch aus den Verhaltensweisen am Tatort Rückschlüsse auf den Lebensstil des Täters und den Täter selbst.

Fünf Verhaltensweisen sollen aufgrund ihrer Auftretenshäufigkeit sozusagen das Wesen einer Vergewaltigung mitbeschreiben. Dies sind vaginaler Verkehr (in 83 % aller untersuchten Fälle), keine Verhaltensänderung bei Widerstand des Opfers (42 %), unpersönlicher Sprachgebrauch (70 %), Überraschungsangriff (67 %), sowie Entkleidung des Opfers durch den Täter (70 %). Dieses Verhaltensweisen sind auch häufig bei einer Tat gemeinsam aufgetreten, so ein Ergebnis der Studie.

Die Facettentheorie beinhaltet neben den statistischen Ansätzen auch theoretische Konzepte, die als Facetten bezeichnet werden. Die Facetten sind als eine Art von psychologischen Dimensionen konzipiert, die eine bestimmte Menge von Elementen, wie etwa Verhaltensweisen, Eigenschaften oder Personen beschreiben. Bei Straftätern werden unterschiedliche Facetten in Form von Verhaltensmustern vermutet, die verschiedene Gruppen von Tätern identifizierbar machen.76 Die theoretischen Konzepte und die statistischen Daten stehen dabei in einer Art Wechselwirkung zueinander und kontrollieren sich gegenseitig, denn beide Elemente müssen miteinander übereinstimmen.

Mittels einer weiteren Studie versuchten Canter und seine Kollegen ebenfalls anhand aufgeklärter Fälle zu bestimmen, ob eine Vergewaltigungsserie von einem oder mehreren

76 Hoffmann/Musolff, Fallanalyse und Täterprofil, S. 115.

Tätern begangen wurde.77 Das Tatverhalten wurde in einzelne Handlungselemente zerlegt.

Dann wurde für jede Vergewaltigung bestimmt, welches Handlungselement auftrat. Die Ergebnisse wurden dann mit verschiedenen statistischen Methoden untersucht. Als am besten geeignet stellte sich allerdings auch für die Frage der Tatserie die Facettentheorie heraus, indem man Verhaltensweisen, die als ähnlich berechnet dargestellt werden auch am ehesten Auskunft darüber gaben, ob es sich um den gleichen Täter handelte.

II. Die „Kreis-Hypothese“

Später entwarf Canter dann die sogenannte „Kreis-Hypothese“. Aus der Psychologie der kognitiven Landkarten stammt die Annahme, dass Menschen prinzipiell bevorzugt in ihnen vertrauten Gegenden agieren. Auch Kriminelle sollen ihre Taten oftmals in einer Umgebung begehen, die ihnen von ihrer Lebensgeschichte her vertraut ist.78 Ausgehend von dieser These, analysierten Canter und seine Kollegen insgesamt 251 Vergewaltigungen, die von 45 Serienvergewaltigern begangen wurden.79

Das von Canter anlässlich des „Railway Rapist“-Falles aus dieser Studie entwickelte prototypische Schema für das räumliche Verhalten von Serientätern gab an, dass zu Beginn einer Tatserie die Täter relativ nahe an ihrer Basis (Wohnung, Arbeitsplatz) Verbrechen begehen, da sie das Bedürfnis haben nach der Tat möglichst schnell wieder an einen sicheren Ort zu gelangen. Mit Fortschreiten der Tatserie erweitere sich der kriminelle Aktionsradius des Täters, da er an Sicherheit und Selbstvertrauen gewinne.80 Allerdings fand Canter auch heraus, dass es eine „Sicherheitszone“ um den Wohnsitz des Täters gab, also die unmittelbare Umgebung, in der keine Tat verübt wurde, wohl aus Angst des Täters erkannt zu werden.

Anhand der genannten Untersuchung stellte Canter fest, dass, wenn man bei einer Tatserie die beiden am weitesten auseinander liegenden Tatorte als Endpunkte des Durchmessers eines Kreises definiert, 87% der Täter innerhalb dieses Kreises wohnen81. Bei einer Untersuchung in Hamburg wohnten bei einer Stichprobe von 55 sexuelle motivierten Straftätern 73 % innerhalb des Kreises.82 In den USA konnte die Kreis-Hypothese bei einer Untersuchung mit 76 Serienvergewaltigern nicht bestätigt werden; nur 49% der Täter hatten ihren Wohnort innerhalb des Kreises.83

77 Canter/Heritage, A multivariate model of sexual offender behavior, S. 185ff..

78 Hoffmann/Musolff, Fallanalyse und Täterprofil, S. 109.

79 Canter/Larkin, The environmental range of serial rapists, S. 499, 502.

80 Hoffmann/Musolff, Fallanalyse und Täterprofil, S. 111.

81 Canter/Gregory, Indentifying the Residential Location of Rapists, in: Journal of the Forensic Science Society, 1994, S. 172.

82 Hoffmann/Musolff, Fallanalyse und Täterprofil, S. 112.

83 Rossmo, Geographic Profiling, in: Jackson/Bekarian, Offender Profiling, S. 159, 165.

Aus der Kreis-Hypothese leitete Canter dann die sogenannte Abstandshypothese ab. Danach besteht ein Zusammenhang zwischen den Abständen der Tatorte zueinander und den Abständen der Tatorte zum Wohnort des Delinquenten.

III. Unterstützende Computersysteme

Als Instrumente für die Zusammenführung von Deliktsserien gibt es neben der Anwendung von ViCLAS84 in Großbritannien auch zwei andere Systeme. Dies sind zum einen

“CATCHEM” (Central Analytical Team Collating Homicide Expertise and Management) und zum anderen “HOLMES“ (Home Office Large Major Enquiry System).

Darüber hinaus hat Canter an der Universität Liverpool das „DRAGNET-Programm“

entwickelt. Es dient für geographische Fallanalysen und ist das entsprechende System zur Kreis-Hypothese. Anhand des Programms kann nach Maßgabe dieser These der mögliche Wohnort des Täters ermittelt werden.

IV. Kritik

Kritik an der Kreis-Hypothese und der Abstands-Hypothese wird insofern geübt, als bei Seriendelikten nicht immer eindeutig die erste Tat identifiziert werden könne. Außerdem seien sie zu simpel, um Abweichungen miteinbeziehen zu können.85

Die Hypothesen können aber natürlich nicht in allen Fällen gelten. Die Kriminalpsychologie, sowie die Psychologie allgemein, erheben nicht einen Absolutheitsanspruch.

Im Vergleich zu der Entwicklung des Profilings in anderen Ländern, ging Canter einen anderen Weg. Er verwendete bei seinen Forschungen unter anderem sehr viele statistische Instrumente aus den Sozialwissenschaften. Die konsequente Anwendung solcher Methoden markierte einen Wendepunkt in der Täterprofil–Forschung, denn die Untersuchungen, die bis zu diesem Zeitpunkt durchgeführt worden waren, hatten einen relativ geringen mathematischen Hintergrund. Inzwischen sollen die verschiedenen statistischen Verfahren der Sozialwissenschaften zum festen Handwerkszeug der anspruchsvolleren internationalen Täterprofil-Forschung gehören.86

84 Siehe hierzu näher Teil 1., C., II., 1..

85 Hoffmann/Musolff, Fallanalyse und Täterprofil, S. 113.

86 Ders., a.a.O., S. 114.

Die allgemeinen Vor- und Nachteile statistischer Methoden sind hinreichend bekannt. Auch bei statistischen Aussagen kann es sich selbstverständlich nur um Wahrscheinlichkeitsaussagen handeln.

Mit seinem streng wissenschaftlichen Ansatz forscht die IPU aber nicht nur an neuen Erkenntnissen, sondern überprüft auch bereits vertretene Ansichten. So hat Canter in seinen Untersuchungen zum Beispiel herausgefunden, dass Täter und Opfer in Großbritannien häufig nicht derselben Ethnie angehören. Das FBI geht von dieser Annahme in seinen Analysen für die USA stets aus. Allerdings gibt es keinen Hinweis darauf, dass das FBI diese Annahme jemals wissenschaftlich überprüft hat.87

Im Dokument Der Fallanalytiker im Strafprozess (Seite 51-56)