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Ergebnisse und Kritik

Im Dokument Der Fallanalytiker im Strafprozess (Seite 47-51)

Teil 1. Methoden der Operativen Fallanalyse

A. Methoden in den USA

II. Ergebnisse und Kritik

Kritik an den Methoden des Profilings in den USA ergibt sich aus mehreren Gesichtspunkten.

Sehr bedenklich sind bereits die Einflüsse, die auf das Profiling insgesamt einwirken. So geht der Pionier Ressler, der die Methoden mitentwickelt und Jahrzehnte später noch ganz entscheidend beeinflusst hat, davon aus, dass die Lehren von Kretschmer und Sheldon über die Körperbautypologie noch gelten. Ernst Kretschmer, ein deutscher Psychiater, behandelte 1921 erstmals in seiner bekannten Monographie „Körperbau und Charakter“ auch den Zusammenhang zwischen Konstitution und Verbrechen.53 Er unterschied aufgrund von Beobachtungen in einem psychiatrischen Krankenhaus drei Körperbautypen, den Leptosomen, den Pykniker und den Athletiker.54 Er versuchte damit, Menschen anhand ihres Körperbaus in Charaktertypen einzuordnen. Es ging bei den Untersuchungen auch um den

52 Vgl. Hoffmann/Musolff, a.a.O., S. 254.

53 Kretschmer, Körperbau und Charakter, S. 322 ff.

54 Ders., a.a.O., S. 20.

Unterschied der Körperkonstitution von als Straftäter erfassten Personen im Vergleich zu

„Nichtstraftätern“.55 William Sheldon baute bei seinen Untersuchungen auf der Körperbautypologie Kretschmers auf und entwickelte sie fort.56 Die Annahmen Kretschmers und Sheldons gelten heute als völlig überholt und nicht mehr vertretbar. Der Hauptkritikpunkt ist dabei, dass Kretschmer bei seiner Typologie von drei Idealtypen ausging, die in der Bevölkerung nur zu 10% vertreten sind. 90 % der Bevölkerung bezogen auf Kretschmers Typologie sind damit atypisch. Über diese Personen können daher auch keine Aussagen getroffen werden. Dazu meint Ressler57 jedoch: „Die immerhin 50 Jahre alte Lehre von den Körpertypen gilt bei heutigen Psychologen als veraltet – zu Unrecht, wie ich glaube. Meiner Meinung nach hat sie sich in der Mehrheit der Fälle als zutreffend erwiesen. Zumindest hat sie mich bei meinen Überlegungen über den Körperbau eines geisteskranken Serienmörders oft auf die richtige Spur gebracht.“ Nach Ausführungen von Hoffmann und Musolff58 allerdings sollen bei den wissenschaftlich-empirischen Profilforschungen in den USA Konstitutionstypologien nicht berücksichtigt werden. Es kann also nicht ausgeschlossen werden, dass die Sympathie für die Lehre Kretschmers und Sheldons der Einzelperson Ressler zugesprochen werden muss. Dennoch ist zu bedenken, dass Ressler mit seiner Meinung auf die Entwicklung der Profiling-Methoden in den USA ganz entscheidenden Einfluss genommen und selbst viele Täterprofile erstellt hat.

Ein weiterer Kritikpunkt ist der Umstand, dass bei den aus dem CPRP gezogenen Schlüssen für das Profiling insgesamt die Stichprobe von nur 36 Tätern, auf der die Auswertungen beruhen, hoch selektiv ist. Ein Großteil der untersuchten Population besteht aus Serienmördern (nämlich 29 von 36). Da aber die meisten Tathergangsanalysen und Täterprofile aufgrund der Auftretenshäufigkeit nicht für diese seltene Täter-Gruppe erstellt werden, stellt sich dringend die Frage nach der Übertragbarkeit der Erkenntnisse aus dieser Studie auf Einfachtäter.59

Auch die Einordnung der Täter in bestimmte Tätertypologien ist abzulehnen, da sie nicht die Besonderheiten des Einzelfalles beachtet.60

Allgemein wird Kritik auch an der mangelnden Methodentransparenz geübt. Sowohl die Erhebung der Daten als auch deren Verarbeitung sind weitgehend unklar, so das BKA.61

55 Eisenberg, Kriminologie, S. 963.

56 Schneider, Kriminologie, S. 375.

57 Ressler/Schachtman, Whoever fights monsters, S. 5.

58 Vgl. Hoffmann/Musolff, a.a.O., S. 57.

59 Siehe näher zur Kritik am CPRP insgesamt Teil 4, A., I., 3. sowie zur Übertragbarkeit der Ergebnisse Teil 4, B., II..

60 Siehe hierzu näher: Teil 4, A., II., 3..

Möglicherweise liege das nach Baurmann62 daran, dass das FBI bewusst zu einem deutlich pragmatischen Ansatz stehe, der „irgendwie“ funktioniere und dessen Funktionsweise bisher kaum überprüft wurde. Ein solcher Ansatzpunkt kann aber nicht Grundlage einer fundierten Methodik sein.

Falsch ist auch die vom FBI angenommene Dichotomie von organisiertem und unorganisiertem Täter. Die bekannte Zweiteilung des FBI wurde ursprünglich vorgenommen, um den Polizei- und anderen Strafverfolgungsbeamten eine Charakterisierung der verschiedenen Arten von Tätern liefern zu können, die nicht auf psychiatrischer Fachterminologie basierte. Entstanden ist aus dieser Intention jedoch ein sehr vereinfachtes Schema. Zwar konnte es von psychologisch ungeschulten Strafverfolgungsbeamten ohne großes Nachdenken angewandt werden, es lässt aber wenig Spielraum für eine differenzierte Betrachtungsweise des vielfältigen menschlichen Verhaltens. Darüber hinaus ist die vorgenommene Einteilung in dieser Vereinfachung schlichtweg falsch. Das entscheidende Argument gegen die vorgenommene Einteilung ist der Umstand, dass sich ein Großteil der Taten zwischen den Extremklassifikationen „organisiert“ und „unorganisiert“ bewegen.63 Dies scheint sogar unstreitig zu sein, bedenkt man, dass hierauf selbst im Crime Classification Manual (CCM)64 hingewiesen wird, dem Standardwerk des FBI für die Ableitung von Täterverhalten und Täterpersönlichkeit aus diesen beiden Tätertypen und welches von den Initiatoren dieser Dichotomie stammt. Trotz dieser Einlassung im CCM ist ein Profiler in den USA gezwungen, sehr komplexes menschliches Verhalten in ein grobes Schema zu zwängen, das lediglich zwei Möglichkeiten offen lässt. Ein weiteres Gegenargument ist, dass ein Tatort nicht auf einen Blick mit Hilfe eines für sich stehenden isolierten Konstrukts interpretiert werden kann. Wie einfach sich die Urheber dieser Dichotomie die Einschätzung eines Tatortes allerdings tatsächlich gemacht haben, zeigt ein Zitat von Ressler65 zu der Untersuchung eines Falles: „Nach dem Aussehen des Tatortes war es offensichtlich für mich, dass wir es mit einem disorganized Täter zu tun hatten, einer Person, die vollständig geisteskrank war.“ Eine solche Herangehensweise ist doch sehr bedenklich und lässt keine genaue Aufarbeitung des Falles oder eine gute forensische Rekonstruktion erkennen. Die

61 Vick, Methoden der Fallanalyse, Vorwort, S. 8.

62 Baurmann, Ablauf des Internationalen Symposiums zur Fallanalyse, in: BKA, Methoden der Fallanalyse, S.

299.

63 Dern weist in einem persönlichen Gespräch am 19.06.2009 in Wiesbaden auch darauf hin, dass der organisierte Serienmord der Normalfall sei.

64 Douglas u.a., CCM, S. 9. Im Original lautet dieses Zugeständnis: “It is more likely to be somewhere on a continuum between the two extremes of the orderly, neat crime scene and the disarrayed, sloppy one.“

65 Ressler/Shachtman, Ich jagte Hannibal Lecter, S. 13 (bzw. im amerikanischen Original: Whoever fights monsters, S. 5).

Fülle der Spuren muss vielmehr im Zusammenhang mit der Dynamik der Abfolge der Ereignisse betrachtet werden. Außerdem wird der Entwicklung des Täters im Laufe der Zeit nicht Rechnung getragen, wenn er in ein solch grobes Schema gezwängt wird. Täter können somit zunächst „unorganisiert“ sein und später zu einem „organisierten“ Täter werden und umgekehrt oder auch nur ein entsprechendes Bild des jeweiligen Typus, ob gewollt oder ungewollt, vermitteln. Als Beispiel sei der Serienmörder Ted Bundy genannt, der, zunächst Inbegriff des „organisierten“ Täters, durch die Verschlechterung seines Geisteszustandes und den Umstand, dass er sich immer sicherer fühlte, zu einem nach diesem Schema

„unorganisierten“ Täter wurde.66 Darüber hinaus macht die Dichotomie die Täterklassifikation an Erwägungen des Modus Operandi fest. Die Handschrift des Täters wird jedoch außer Acht gelassen.

Auch die Annahme des FBI, das Tatrisiko manifestiere sich ausschließlich in einem Täter- und einem Opferrisiko, deren Summe einen konstanten Wert ergebe und sich gegenseitig bedinge67, wurde aufgrund ihrer Fehlerhaftigkeit vom BKA verworfen. Die Annahme des FBI ist, dass der Täter ein hohes Risiko eingeht, wenn das Opfer ein geringes Risiko hat und umgekehrt. Dabei soll von dem Risiko des Opfers auf das des Täters geschlossen werden können, da das Risiko des Opfers leichter einzuschätzen und für die Ermittlungen eine Risikoeinschätzung des unbekannten Täters wichtig sei.Ein hohes Risiko könne der Täter nur dadurch minimieren, dass er einen Tatort wähle, der ihm vertraut sei.68 Ob dies der Fall ist, kann aber auch angesichts der Risikoeinstufung eines Opfers nicht festgestellt werden. Ist nämlich ein Opfer aufgrund seiner Lebensgewohnheiten in die Kategorie mit geringem Risiko eingestuft worden, hätte der Täter nach der These des FBI ein hohes Risiko eingehen müssen.

Lediglich dieser Schluss ist nach der Annahme des FBI, wonach das Risiken von Opfer und Täter einen konstanten Maximalwert bilden, zulässig. Würde man dem Täter nun aber aufgrund hoher Ortskenntnis ein geringeres Risiko zuschreiben, dann müsste das Opfer notwendig ein höheres eingegangen sein. Eine solche Einschätzung ist aber meist nicht möglich, auch wenn dies im Einzelfall - zufällig - zutreffen mag. Ob der Täter nämlich sein Risiko dadurch verringert hat, dass er eine hohe Ortskenntnis hatte, ist aufgrund des Tatortes oder anderer Merkmale oft nicht erkennbar. Wird aber nicht erkannt, dass der Täter aufgrund

66 Müller hat die beschriebene Veränderung des Ted Bundy in seiner Vorlesung „Kriminalpsychologie“ im Sommersemester 2002 an der Universität Wien dargestellt. Siehe auch Murakami/Murakami, Lexikon der Serienmörder, S. 249ff.. Gefasst wurde Bundy schließlich, weil er so unachtsam geworden war, dass er eine Bissabdruck auf einem seiner Opfer zurückgelassen hatte.

67 Siehe hierzu Teil 1, A., I., 1., a., cc..

68 Tatortanalyse im Fall Franz-Josef S., S. 24, siehe hierzu näher Teil 2., C., II..

einer hohen Ortskenntnis ein geringes Risiko einging und man dem Täter daher ein hohes und dem Opfer ein geringes Risiko unterstellt, entspricht dies nicht den Tatsachen und die Summe bildet auch keinen konstanten Wert. Insgesamt sind die einzelnen Umstände der Tat, die diese beeinflusst haben können, viel zu mannigfaltig, um über dieses grobe Schema eine richtige Einschätzung geben zu können. Das BKA nimmt an, dass sich das Tatrisiko letztlich bestimmt über Opfer-, Tatzeit- und Tatortauswahl. Diese Parameter sollen beleuchtet werden über die Natur des Tatentschlusses, nämlich ob es sich um eine Spontantat oder um eine Neigungstat gehandelt hat69, die Frage also, ob die Gelegenheit der Tat den spontanen Tatentschluss ausgelöst hat oder ein latent tatbereiter Täter sich situativ dazu entschieden hat, den (latenten) Tatentschluss in die Tat umzusetzen.

Im Dokument Der Fallanalytiker im Strafprozess (Seite 47-51)