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6 Ermittlung von typbezogenen hydromorphologischen Effizienzkriterien

6.3 Auswertung der Projektdatenbank

6.3.3 Methoden

6.3.3.1 Konzept

Der ökologische Zustand eines Gewässerabschnittes wird nicht allein von den lokalen Habitat-bedingungen bestimmt. Abiotische Prozesse und die Lebensgemeinschaften benachbarter Ge-wässerstrecken beeinflussen die lokale Zönose in starkem Maße. Ein entscheidender Faktor ist dabei die passive und aktive Mobilität vieler aquatischer Organismen: Drift sowie Wanderun-gen geWanderun-gen die Fließrichtung führen zu einem permanenten Individuenaustausch im

Längsver-lauf des Gewässers. Ein Fließgewässerabschnitt, dem ein guter ökologischer Zustand attestiert wurde, muss daher nicht zwangsläufig allen erforderlichen Referenzarten ausreichende Habi-tatbedingungen bieten. Die Präsenz von Einzelindividuen oder großen Individuengruppen kann beispielsweise auf einer „Organismen-Lieferung“ aus der unmittelbaren oder entfernteren Nachbarschaft beruhen (positive Fernwirkung, Abbildung 6.1).

Abbildung 6.1: Schematische Darstellung der positiven Fernwirkung eines strukturell guten Gewässerabschnitts (Kernlebensraum), dessen Lebensgemeinschaft einen guten ökologischen Zustand aufweist, auf ei-nen benachbarten, strukturell stark beeinträchtigten Gewässerabschnitt (Aufwertungslebensraum).

Ebenso gibt es negative Fernwirkungen von Nachbarabschnitten mit ungünstigen Habitatbe-dingungen. Diese können sowohl biotischer Natur sein, z.B. fehlendes Wiederbesiedlungspo-tenzial, als auch abiotischer Natur (z.B. Eintrag von Feinsedimenten, veränderte Wassertempe-ratur). Vor diesem Hintergrund ist die alleinige Analyse der Beziehung zwischen Gewäs-serstruktur und ökologischem Zustand auf lokaler Ebene nicht zielführend, um Orientierungs-werte für das Erreichen des guten ökologischen Zustands abzuleiten. In welchem Maße der in einer einzelnen Messstrecke festgestellte ökologische Zustand durch denjenigen der angren-zenden Gewässerstrecken beeinflusst wird, ist schwer abschätzbar, da infolge der spärlichen Anzahl von Untersuchungsstrecken innerhalb eines Wasserkörpers der ökologische Zustand der Nachbarabschnitte in der Regel unbekannt ist.

Die im Folgenden beschriebene Auswertung beruht daher auf einem indirekten Ansatz, in dem die potentiell positive Fernwirkung strukturell guter Teilabschnitte auf Bereiche geringer ge-wässermorphologischer Qualität abgeschätzt wurde. Folgende Hypothesen liegen diesem An-satz zugrunde:

• Liegt in einem strukturell stark veränderten Gewässerabschnitt (GSG > 5) ein guter oder sehr guter ökologischer Zustand vor (Aufwertungslebensraum), ist dies auf eine positive Fernwirkung mindestens eines benachbarten Abschnitts (Kernlebensraum) zurückzufüh-ren (Abbildung 6.1).

• Ein Aufwertungslebensraum kann nur dann in einen guten Zustand aufgewertet wer-den, wenn ein benachbarter Kernlebensraum selbst einen guten Zustand aufweist.

• Ein Abschnitt mit einer positiven Fernwirkung ist ausreichend lang, um eine leitbildna-he Lebensgemeinschaft aufzuweisen und wird durch „Individuenverlust“ an schlechtere

• Die Distanz zwischen Aufwertungs- und Kernlebensraum ist nicht zu groß, um eine posi-tive Fernwirkung zu ermöglichen.

Ausgehend von diesen Hypothesen lassen sich aus der Analyse der Daten der Projektdatenbank Orientierungswerte für die Gewässerstrukturgüte, die Mindestlänge und die maximalen Ab-stände von Gewässerstrecken mit gutem ökologischem Zustand (Kernlebensräume) ableiten.

Hierzu wurden für jede Messstelle im Rahmen der Zuordnung der Strukturparameter sekundä-re Strukturkenngrößen ermittelt. Dies geschah über Abfrageroutinen bis zu einer Entfernung von 15 km stromauf und stromab (Abbildung 6.2). Folgende Kenngrößen wurden berücksich-tigt.

• Distanz des nächstgelegenen Teilabschnitts mit einer Gewässerstrukturgüte von 5 oder besser (Efirst)

• Der Mittelwert der Distanzen aller benachbarten Teilabschnitte mit einer Gewässerstruk-turgüte von 5 oder besser (EMW)

• Abschnittslänge des nächstgelegenen Teilabschnitts mit einer Gewässerstrukturgüte von 5 oder besser (Lfirst)

• Summe der Abschnittslängen aller nächstgelegenen Teilabschnitte mit einer Gewäs-serstrukturgüte von 5 oder besser

Mit Hilfe dieser Strukturkenngrößen werden die Ausdehnung und die räumliche Verteilung aller Gewässerstrecken mit einer Gewässerstrukturgüte der Kategorien GSG ≤2, ≤3, ≤4 und ≤5 im Umkreis von 15 km stromauf und stromab um eine Probestelle mit bekanntem ökologi-schem Zustand quantitativ beschrieben.

Abbildung 6.2: Schematische Darstellung der genutzten Strukturparameter für die Detektion positiver Fernwirkun-gen; Distanz (Efirst) und Länge (Lfirst) des nächstgelegenen, potenziellen Kernlebensraums (dunkel-grün) sowie die mittlere Entfernung (EMW) und die Summe der Streckenlängen (LSum) aller nächsten, potenziellen Kernlebensräume (dunkelgrün) im Oberlauf bis zu einer Distanz von 15 km von der Pro-bestelle (blau).

6.3.3.2 Ermittlung von Grenzwerten für den guten ökologischen Zustand

Für die Abschätzung des Grenzwertes der Gewässerstrukturgüte zum Erreichen des guten öko-logischen Zustands wurden „random forest“-Analysen (RF, siehe Erläuterungen zu den Metho-den in Anhang 2) durchgeführt. Die Effekte der Strukturkenngrößen der Nachbarabschnitte, der Landnutzungsparameter sowie der physikalisch-chemischen Parameter (unabhängige Vari-ablen) auf den ökologischen Zustand (abhängige Variable) wurden untersucht. Als relatives Ausschlusskriterium für die Relevanz einer Variable wurde eine sprunghafte Reduktion des Maßes „Mean decrease Gini“ im entsprechenden RF-Plot genutzt (vgl. Abbildung 2 in Anhang 2).

Die Anzahl der Probestellen, in deren Umkreis sich Abschnitte mit einer Strukturgüte von zwei und besser befanden, war so gering, dass die Strukturkenngrößen für die beiden Strukturquali-tätsklassen „gut“ und „sehr gut“ nicht in die Analysen einbezogen werden konnten.

Die Festlegung des Strukturgüte-Grenzwertes erfolgte auf Basis folgender Konventionen:

• Befindet sich in den RF-Ergebnissen unter den unabhängigen Variablen mit hoher Be-deutung eine Gesamtstrukturgüte-Kenngröße, bestimmt die von ihr repräsentierte schlechteste Strukturgüteklasse den Grenzwert.

• Befinden sich in den RF-Ergebnissen unter den unabhängigen Variablen mit hoher Be-deutung nur Einzelstrukturparameter-Kenngrößen, bestimmt die jeweils beste Struktur-güteklasse aller relevanten Parameter den Grenzwert.

• Befinden sich in den RF-Ergebnissen unter den unabhängigen Variablen mit hoher Wichtigkeit mehrere Einzelstrukturparameter-Kenngrößen, die den gleichen Einzel-strukturparameter beschreiben (z.B. Bewertung Querbänke), sich aber auf unterschiedli-che Strukturgüteklassen beziehen, bestimmt die jeweils schlechteste Strukturgüteklasse den Grenzwert für diesen Einzelstrukturparameter.

6.3.3.3 Grenzwerte für die erforderliche Streckenlänge ökologisch guter Abschnitte und der Distanzen einer positiven Fernwirkung

Die Grenzwerte der Gewässerstrukturgüteklasse bildeten die Grundlage für die folgende Ablei-tung von Grenzwerten für die Mindeststreckenlänge ökologisch guter Abschnitte und deren maximalen Abstand für eine positive Fernwirkung. Hierbei kamen „Boosted Regression Tree“-Analysen (BRT, siehe Anhang 2) zum Einsatz. Als abhängige Variable fungierten die zwei öko-logischen Zustandsklassen:

• Ökologisch gute Abschnitte (ökologischer Zustand ≤ 2) und

• Ökologisch mäßige bis schlechte Abschnitte (ökologischer Zustand ≥ 3).

Nach Identifikation der Variablen, die einen relativen Einfluss von mindestens einem Prozent auf die erklärte Gesamtvarianz des BRT-Modells aufwiesen, wurden deren Schwellenwerte be-stimmt.

Die Mindeststreckenlänge für einen Kernlebensraum ist unabhängig von der Richtung seiner Fernwirkung. Die Grenzwerte repräsentieren daher die minimale Streckenlänge pro Gewässer-typ und Qualitätskomponente, bei der eine positive Fernwirkung feststellbar war.

Die Entfernung, über die eine positive Fernwirkung erfolgt, ist aufgrund der natürlichen Aus-breitungsmöglichkeiten der Organismen (z.B. Drift, aktive Wanderung) als richtungsabhängig einzuschätzen. Bei der Schwellenwertableitung wurde daher in diesem Fall zwischen der

Wir-kung stromab und stromauf unterschieden. Dem jeweiligen typspezifischen Schwellenwert liegt der jeweils strengere Wert der beiden Qualitätskomponenten zugrunde.