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Von der Metapher des ‚Dritten Orts‘

Im Dokument Literatur Kultur Verstehen (Seite 38-44)

Unter ‚Dritter Ort‘ oder ‚Dritter Raum‘ oder auch ‚Zwischenraum‘ ist nach Homi Bhabha jene Kontaktzone zu verstehen, die sich aus der Überlagerung von hybriden Kulturen ergibt. Der ‚Dritte Ort‘ ist auf keinen Fall geographisch verortbar, sondern bildet den diskursiven Rahmen der stetigen Konstruktion von

Bedeutungen und Zuschreibungen (vgl. Mitterbauer 2003, 57). Der ‚Dritte Ort‘

ist also als Kontaktzone zu verstehen, in der es zu kulturellen Veränderungen kommen kann (vgl. Wolf 2003, 154), er ist der ‚Ort der Hybridisierung‘ (Sup-panz 2003, 25), wo die ursprünglichen kulturellen Elemente nicht mehr zurück-verfolgbar und rekonstruierbar sind.

Eben jener Dritte Raum konstituiert, obwohl „in sich“ nicht repräsentier-bar, die diskursiven Bedingungen der Äußerung, die dafür sorgen, dass die Bedeutung und die Symbole von Kultur nicht von allem Anfang an einheitlich und festgelegt sind und dass selbst ein und dieselben Zeichen neu belegt, übersetzt, rehistorisiert und gelesen werden können. (Bhabha 2000, 57)

Homi Bhabha weist darauf hin, dass Hybridisierung ein stetiger Prozess ist, der nicht zwingend außerhalb des Eigenen stattfindet. Auch innerhalb einer Gesell-schaft kursieren Elemente, die nicht nur zum Austausch und zur Übernahme führen, sondern ebenso zur Neudefinition und gar zur Definition des Eigenen.

Hybridisierung besteht folglich sowohl in der Übernahme neuer Zeichen als auch in der Veränderung der Bedeutung vorhandener Elemente. Dieser Prozess der Hybridisierung wird in Homi Bhabhas Vokabular als De-Platzierung (dis-placement) bezeichnet, wobei sich die Bedeutung von Zeichen und kulturellen Elementen als kontextabhängig erweist (vgl. Suppanz 2003, 24). Als Beispiel erinnert Suppanz an das Tragen des Trachtenanzugs im Zeichenrepertoire der Volkskultur und dessen Übernahme in der Oper als Ort der bürgerlichen Hoch-kultur (ebd., 23). Ein zeitgenössisches Beispiel ist meines Erachtens die Identi-tätskonstitution des heutigen Menschen. Üblicherweise wachsen viele Europäer in einem Nationalstaat auf, doch trotz der noch existierenden nationalen Prägung wird ihre Identität von externen Zeichenkomplexen beeinflusst, wie z. B. die Prägung durch den american way of life, das Fernsehen, das Internet samt seiner weltweiten Vernetzung aller Lebensbereiche etc. Generationskonflikte bestäti-gen aubestäti-genscheinlich diesen ‚internen‘ Wandel. Deswebestäti-gen ist gerade heute die Frage nach der nationalen Identität deplaziert und z. B. eine Antwort auf die Frage ‚Was ist deutsch?‘ kaum beantwortbar.

Für den Kulturtransfer-Diskurs ist bezeichnend, dass der Begriff der ‚In-terkulturalität‘ vollkommen vermisst wird. Dagegen hat sich der Begriff im deutschsprachigen Raum fest eingebürgert. Über erkenntnistheoretische und hermeneutische Kategorie hinaus bezeichnet er heutzutage ganze Disziplinen, wie Interkulturelle Germanistik, Interkulturelle Erziehungswissenschaft, Inter-kulturelle Philosophie, InterInter-kulturelle Religionswissenschaft etc.

Konkret im Rahmen der Literaturwissenschaft ist die Rede von „interkul-tureller Literatur“, wobei es sich um einen diffusen Begriff handelt. Nach Es-selborn enthält „interkulturelle Literatur“ mehrere Bezugssysteme „in enger

Verbindung oder Vermischung in sich, teils in Gegenüberstellung und kommen-tierender Reflexion, teils im ästhetischen Spiel mit stereotypen Antithesen und in sprachlicher Dialogizität oder hybrider Mischung” (Esselborn 2003, 20). Trotz-dem ist im Horizont der Literaturwissenschaft der Begriff der „interkulturellen Literatur“ kaum etabliert und die genaue Bedeutung jeweils erklärungsbedürf-tig. Darüber hinaus wird er nicht mit der Kulturtransferforschung in Verbindung gesetzt, obwohl m. E. die Kulturtransferforschung ein interessanter Impulsgeber für die Hermeneutik interkultureller Texte sein könnte.

Ebenso im Horizont der Literaturwissenschaft ist die Rede von ihrer kultur-wissenschaftlichen Öffnung. Diese Öffnung sei als ein methodisches Verfahren, als ein work in progress zu verstehen, das sich an vorhandenen poststrukturalis-tisch und anthropologisch inspirierten Modellen wie z. B. Diskursanalyse, New Historicism, Cultural Studies, anthropologische Literaturwissenschaft, Sys-temtheorie, feministische Literaturwissenschaft u. a. orientiert (Blioumi 2007).

Doch auch innerhalb dieser Diskussion ist der mögliche Beitrag der Kulturtrans-ferforschung bislang noch nicht ausgelotet.

Abschließend ist als wesentliche Erkenntnis der Kulturtransfertheorien die kontextabhängige Vorstellung von Kultur herauszustellen. In der entsprechen-den Diskussion wird mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass die ‚eigene‘

und ‚fremde‘ Kultur kontextabhängig und Ergebnis von Zuschreibungen ist.

McDonald‘s zum Beispiel sei je nach Kontext Ausdruck US-amerikanischer Kultur, globaler Kultur oder auch der Jugendkultur, was eben seine Mehrfach-kodierbarkeit ausmacht (vgl. Suppanz 2003, 27). Gerade diese Mehrfachkodie-rungen lösen die Vorstellung der Kultur als geschlossene Einheit auf und ermög-lichen den dynamischen Kulturtransfer.

Schlussbetrachtung

In welchem diskursiven Verhältnis stehen also Kultur und Kulturtransfer zuein-ander? Welche Entwicklungsschritte vermögen den Kulturtransfer zustande zu bringen? Ausgehend vom dynamischen Kulturbegriff ist Kultur als ein unend-liches Netzwerk aufzufassen, innerhalb dessen kulturelle Elemente miteinan-der interagieren. Instanzen, Werte, Verhaltens- und Erkenntnisraster blockieren die freie Zirkulation kultureller Elemente, vermögen aber diese nie aufzuhalten.

Semiotisch gesprochen sind Kulturelemente permanente Konstruktionen, die durch kontextabhängige Bedeutungszuschreibungen zustande kommen. In der Überlappung kultureller Elemente eröffnet sich der ‚Dritte Raum‘, in dem Hy-bridisierungsprozesse stattfinden, die zur Veränderung aller Beteiligten führen sowie dazu, dass die ursprünglichen Elemente nicht mehr zurückverfolgbar sind.

Somit wird das jeweilige ‚Eigene‘ und ‚Andere‘ als Konstrukt aufgefasst und

Kultur als Resultat von Sinnzuschreibungen und Mehrfachkodierungen begrif-fen. Diese gedankliche Linie von der Kultur bis hin zu den Mehrfachkodierun-gen beschreibt schließlich den Kulturtransfer, wie er im Kontext der interdiszip-linären Kulturtransferforschung skizziert wird.

Literaturverzeichnis

Bhabha, Homi K.: Die Verortung der Kultur. Übersetzt von Michael Schiffmann und Jürgen Freudl, Tübingen 2000.

Blioumi, Aglaia: Interkulturalität als Dynamik. Ein Beitrag zur deutsch-griechi-schen Migrationsliteratur seit den siebziger Jahren, Tübingen 2001.

Blioumi, Aglaia: Kultur als textuelle Konfiguration. Perspektiven für eine ‚Po-etik der Kultur‘. In: Willi Benning / Katerina Mitralexi / Evi Petropoulou (Hg.): Das Argument in der Literaturwissenschaft, Oberhausen 2007, S.

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Brinker-Gabler, Gisela: Vom nationalen Kanon zur postnationalen Konstellati-on. In: Renate von Heydebrand (Hg.): Kanon-Macht-Kultur. Theoretische, historische und soziale Aspekte ästhetischer Kanonbildung (DFG-Sympo-sion; Bd. 19, 1996), Stuttgart, Weimar 1998, S. 76-96.

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Espagne, Michael: Vorwort. In: Federico Celestini / Helga Mitterbauer (Hg.):

Ver-rückte Kulturen. Zur Dynamik kultureller Transfers, Tübingen 2003, S. 7-9.

Esselborn, Karl: Deutschsprachige Minderheitenliteraturen als Gegenstand einer kulturwissenschaftlich orientierten “interkulturellen Literaturwissen-schaft”. In: Manfred Durzak / Kuruyazici Nilüfer (Hg.): Die andere Deut-sche Literatur. Istanbuler Vorträge, Würzburg 2004, S. 11-22.

Greenblatt, Stephen: Wunderbare Besitztümer. Die Erfindung des Fremden: Rei-sende und Entdecker. Übersetzt von Robin Cackett, Berlin 1998.

Hansen, P. Klaus: Kultur und Kulturwissenschaft. Eine Einführung, Tübingen, Basel 1995.

Holzer-Kernbichler, Monika: Das Konzept des kulturellen Transfers aus kunst-historischer Sicht. In: Federico Celestini / Helga Mitterbauer (Hg.):

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Mitterbauer, Helga: „Acting in the Third Space“ Vermittlung im Spannungsfeld kulturwissenschaftlicher Theorien. In: Federico Celestini / Helga Mitter-bauer (Hg.): Ver-rückte Kulturen. Zur Dynamik kultureller Transfers, Tü-bingen 2003, S. 54-66.

Suppanz, Werner: Transfer, Zirkulation, Blockierung. Überlegungen zum kultu-rellen Transfer als Überschreiten signifikatorischer Grenzen. In: Federico Celestini / Helga Mitterbauer (Hg.): Ver-rückte Kulturen. Zur Dynamik kultureller Transfers, Tübingen 2003, S. 21-33.

Suppanz, Werner: Die Konstruktion der „österreichischen Kultur“ als Resultate von Zirkulation und Blockierung. In: Federico Celestini / Helga Mitter-bauer (Hg.): Ver-rückte Kulturen. Zur Dynamik kultureller Transfers, Tü-bingen 2003b, S. 227-251.

Wolf, Michaela: Triest als „Dritter Ort“ der Kulturen. In: Federico Celestini / Helga Mitterbauer (Hg.): Ver-rückte Kulturen. Zur Dynamik kultureller Transfers, Tübingen 2003, S. 153-173.

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