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Kulturtransferforschung. Zur interdisziplinären Öffnung aktueller Theorieansätze

Im Dokument Literatur Kultur Verstehen (Seite 34-37)

Der Titel meines Beitrags erinnert an einen Einführungskurs im Grundstudium, wenn nicht in der Sekundarstufe eines Gymnasiums. Bei näherer Betrachtung wäre jedoch dieser Einführungskurs schwer in ein akademisches Fach einzuord-nen. Man könnte spekulieren, dass er im Institut für Kulturwissenschaften (oder viel schöner cultural studies) angeboten werden könnte, um der interdisziplinä-ren Öffnung des Faches Rechnung zu tragen.

Obwohl Kulturtransferforschung ein junger Forschungszweig ist, an dessen theoretischen Grundlagen noch viel ‚gebastelt‘ wird, existieren bereits einige Grundpositionen. Im vorliegenden Beitrag möchte ich den Versuch unterneh-men, ein Grundlagenwissen im Bereich der Kulturtransferforschung zu umrei-ßen, um dann die zentralen Begriffe wie „Kultur“ und „Transfer“ sowie ihre gegenseitige Verzahnung im Kontext der Kulturtransferforschung aufzuzeigen.

Konkret werde ich, ausgehend von der Erörterung des Kulturbegriffs, die Ent-wicklungsschritte der Kulturtransfer-Theorie bis hin zum Resultat des Transfers kultureller Elemente und dadurch der Modifikation von Sinnzuschreibungen und Zuordnungen nachgehen und dabei öfter diskutierte Begrifflichkeiten, wie z. B. ‚kulturelle Elemente‘, ‚Blockierung und Zirkulation‘ und die Metapher des

‚Dritten Raums‘, unter die Lupe nehmen. Dadurch soll im Wirrwarr der theo-retischen Ansätze ein roter Faden sichtbar werden, der disparat aufzufindende Begriffe zum Zweck der Erläuterung der Argumentationen um das Entstehen des Kulturtransfers aufzeigt. Mein Erkenntnisinteresse ist dabei, den hohen Ab-straktionsgrad der „gemeinsamen Sprache“ (Espangne 2003, 9) vieler Fächer für die Entwicklung der Kulturtransferforschung durch weitgehend lebensnahe Beispiele aus dem Alltag zu reduzieren.

‚Kultur‘ und ‚kulturelle Elemente‘

Um den Kulturbegriff zu umreißen, hatte ich bereits in meiner Studie „Interkul-turalität als Dynamik“1 (Blioumi 2001) Erkenntnisse und Begriffszuweisungen

1 Meine Studie hatte ich in der Zeitspanne zwischen 1995-2000 angefertigt, also in je-ner Zeit, in der imagologische und/oder Alteritätsfragen im Sinne des Fremden und des Eigenen dominierten. Meine Arbeit war somit eine der ersten, die im Feld der literarischen Interkulturalität einen bescheidenen Beitrag leistete. Ich erwähne dies deshalb, weil ich mich damals hauptsächlich auf deutschsprachige Ansätze berief. Im vorliegenden Beitrag soll die Weiterentwicklung dieser Konzepte auch aus

angloame-einem interdisziplinären Fundus (vornehmlich der Literatur- und der Kulturwis-senschaften) entnommen. Es versteht sich von selbst, dass die schlichte, jedoch schwierige Frage ‚Was ist Kultur?‘ mehrere interdisziplinäre Betrachtungswei-sen oder besser eine vergleichende Sichtung vieler Vorschläge erfordert. Als wichtige Kristallisationspunkte hatten sich folgende vier Aspekte herausgebil-det:

a) Die Dominante Natur vs. Kultur, b) der kulturelle Kompromiss,

c) Die Unterscheidung der Begriffe Ethnie, Volk, Nation und d) die Prozesshaftigkeit, also ‚Dynamik vs. Statik‘.

Diese Aspekte sollen hier kurz erwähnt werden, denn sie verdeutlichen die Kon-stitution eines ‚dynamischen Kulturbegriffs‘, mit dem schließlich auch die Kul-turtransferforschung operiert.

Ein Abstecher in die Geschichte des Begriffs ‚Kultur‘ zeigt, dass eine kon-stitutive Komponente für die Etablierung des Kulturbegriffs die Kopplung der Kultur an die Natur gewesen ist (vgl. Hansen 1995, 20). Voltaire propagierte die Kultivierung der Menschheit durch Vernunft, Rousseau und Montaigne die Rückkehr zur Natur. Durch die kulturkritische Argumentation ging allerdings die Trennschärfe zwischen Natur und Kultur verloren und der Naturbegriff ver-wandelte sich in ein Instrumentarium metaphysischer Spekulation (Blioumi 2001, 83).

Einen bedeutenden Schritt zur Abschaffung der Konstruktion einer objektiv existierenden Kultur, die nun nicht als das jenseits vom Menschen Existieren-de Existieren-definiert, sonExistieren-dern aus interpersonalen Kommunikationsakten Existieren-der wahrneh-menden Personen erklärt wird, leistet Max Weber. Er definiert Kultur als die Fähigkeit des Menschen zur Sinnstiftung. Individuum und Kollektiv stehen in einem dialektischen Verhältnis, wobei sich beide Größen gegenseitig bedingen.

Der Aspekt des kulturellen Kompromisses schlägt sich in Verhaltensangeboten nieder, deren Befolgung den einzelnen Subjekten frei steht. Durch deren Befol-gung oder nicht BefolBefol-gung hält wiederum das einzelne Subjekt den kulturellen Kontext aufrecht oder entwickelt ihn weiter.

Der dritte Aspekt, das Verhältnis von Nation und Kultur, besteht darin, dass die beiden Begriffe nicht identisch sind. Nation ist pauschal als politisches Ge-bilde zu verstehen und kann als Oberbegriff aufgefasst werden, der mehrere Kulturen einspannt. Nach Brinker-Gabler sei die Nation eine Erfindung, eine fa-brizierte homogene Gemeinschaft, die vereinigt, d. h. Unterschiede vereinnahmt

rikanischer Sicht skizziert und eventuelle Ähnlichkeiten oder Divergenzen konstatiert werden.

oder ausklammert. Die zugrunde liegende Arbeit des Verbindens und Vereini-gens sei eine Struktur kultureller Macht (Brinker-Gabler 1998, 83).

Schließlich bezieht sich der letzte Aspekt der Prozesshaftigkeit der Kultur auf die Tatsache, dass es sich um keine naturwüchsige, statische Gegebenheit handelt, sondern um einen sich wandelnden Prozess. Diese Einsicht geht mit der Relativität von Werten und Zuschreibungen einher und schafft Offenheit für Einflüsse, Austausch und Transformationen. Im Gegensatz dazu ist der Begriff der Kultur als Ist-Zustand geprägt worden. Kultur als Ist-Zustand tritt in einer essentialistischen Auffassung zutage, in der die Personenimmanenz keine wich-tige Rolle spielt. Kultur wird als ein in der Vergangenheit entstandenes Gebil-de verstanGebil-den, das auf die Angehörigen eines Kollektivs übertragen wird. Das Stereotyp ‚Die geizigen Schotten‘ unterstellt einem Kollektiv wesenhafte, im Laufe der Zeit unwandelbare Eigenschaften. Stereotype implizieren deswegen einen statischen Kulturbegriff, weil sie vermeintliche wesenhafte Charakteris-tika verabsolutieren und den Gedanken der Prozessualität verhindern (Blioumi 2002, 29).

Um das oben Ausgeführte zusammenzufassen: Ein moderner, dynamischer Kulturbegriff akzeptiert den Wandel und den Prozess innerhalb eines kulturellen Gebildes, klammert dagegen essentialistische Zuschreibungen aus. Der Wandel z. B. durch den Wechsel der Generationen und das Zurückweisen von nationa-len Stereotypen sind einige Beispiele, die einen dynamischen Kulturbegriff zum Ausdruck bringen.

Interdisziplinäre Bestrebungen nach einer theoretisch-methodischen Vertie-fung der Transferproblematik haben zur Kulturtransferforschung innerhalb der Geistes- und Sozialwissenschaften geführt, wobei die Untersuchung der Akzen-tumstellungen, die bei jeder Übertragung stattfinden, das zentrale Forschungs-interesse beansprucht (Espagne 2003, 7). Kulturtransferforschung zielt auf das Dazwischenliegende, auf die Verbindungslinien, das Fluide von Kulturen ab und erforscht, „wie und auf welche Weise Informationen, Elemente zwischen kultu-rellen Kontexten ausgetauscht werden“ (Mitterbauer 2003, 54). Kulturtransfer als Begriff und Forschungsfeld wurde von Espagne und Werner etabliert (vgl.

Celestini 2003, 44).

Kultur wird innerhalb dieses Diskurses als (de-)konstruktivistisch und an-tiessentialistisch definiert (Suppanz 2003, 21). In Anlehnung an Homi Bhabha, den Hauptvertreter der postkolonialen Theorie und wichtigsten Repräsentanten von Hybriditätsthesen, ist dem Kulturverständnis das Offene und Prozesshafte inhärent. Kultur wird demzufolge als ‚Netzwerk‘ aufgefasst, „in dem Symbole und Bedeutungszuschreibungen in jeweils unterschiedlicher Dichte und Kohä-renz vorkommen“ (ebd., 27f.).

In diesem Zusammenhang spielen die ‚dynamischen kulturellen Elemente‘

eine zentrale Rolle. Laut Suppanz entspricht ‚Kulturtransfer‘ der Ausbreitung kultureller Elemente in diesem Netzwerk (ebd., 28). Der etwas vage Begriff

‚kulturelles Element‘ kann mit Hilfe des von David Schneider und Umberto Eco geprägten Begriffs der ‚cultural unit‘ beschrieben werden: In jeder Kultur ist eine Einheit alles, was kulturell als Entität aufgefasst werden kann. Dies könne eine Person, ein Ort, ein Ding, ein Gefühl, ein Sachverhalt, ein Phantasiegebilde, eine Hoffnung oder eine Idee sein (vgl. Celestini 2003, 44). Derart verstandene Elemente „befinden sich innerhalb von kulturellen Kontexten und sind aufgrund der jeweils herrschenden Konventionen als ‚cultural units‘ ins semiotische Netz der Kultur eingebunden. Indem kultureller Transfer in der Übertragung von Ele-menten von einem kulturellen Kontext in einen anderen besteht, kann er prinzi-piell als Kontextwechsel aufgefasst werden“ (ebd.).

Kulturelle Elemente als Träger von symbolischen Ordnungen wirken erst in einem kulturellen Kontext. Zum Beispiel wurde die ‚cultural unit‘ „Klarinet-te“ im vorigen Jahrhundert vom ‚nordischen‘ Europa nach Griechenland ein-geführt. Bei seiner Übernahme hat jedoch das Element seinen ursprünglichen Stellenwert im Bereich der Klassischen Musik verloren und ist seitdem als Gut der Volksmusik, die identifikatorische Auswirkungen für die Bevölkerungen auf dem Festland angenommen hat, tradiert worden. Die Dynamik der ‚cultural unit‘

bestehe also in dessen Umdeutung im veränderten Kontext. Je nach Kontext werden kulturelle Elemente zu unterschiedlichen Signifikantenträgern, lassen demzufolge keine fixen Deutungen zu. In einer historischen, linearen Sichtwei-se, bedeut dies, dass „die ursprünglichen Elemente nicht mehr zurückverfolgbar, nicht mehr rekonstruierbar sind“ (Suppanz 2003, 25).

Im Dokument Literatur Kultur Verstehen (Seite 34-37)