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Merkmale und Aufgaben von familialen Generationenbeziehungen

2 THEORETISCHER HINTERGRUND

2.1 Generationenbeziehungen in Familien

2.1.2 Merkmale und Aufgaben von familialen Generationenbeziehungen

Unkündbarkeit und Unterstützung. Familiale Generationenbeziehungen sind generell unkünd-bar. Obwohl ein kompletter Kontaktabbruch zwischen Eltern und Kindern möglich ist und in der Realität nicht selten vorkommt, bleibt ein Mensch doch stets Kind seiner Eltern und um-gekehrt. Eltern sind aber auch ihrerseits Kinder von Eltern, d.h. Generationen sind in Genera-tionenketten eingebunden. Ein weiteres Merkmal familialer Generationenbeziehungen ist im allgemeinen Verlässlichkeit und gegenseitige Unterstützung sozialer und materieller Art bis hin zum Pflegen einerseits und Erben andererseits (vgl. Lettke, 2002a, Lettke & Lüscher 2003). Hier spielen Solidarität und zunehmende Reziprozität mit zunehmendem Alter der Kinder, bzw. abnehmende Reziprozität mit zunehmendem Alter der Eltern eine große Rolle.

Für die Beziehungsgestaltung ist außerdem der Kontakt zwischen Eltern und Kindern wichtig, dessen Häufigkeit und Qualität bestimmt, wie eng die Beziehung empfunden wird.

Bindung. Die Grundannahme der Bindungstheorie von Bowlby (1969) ist, dass die erste Be-ziehung, die ein Neugeborenes erlebt, durch eine spezifische Form der Bindung charakteri-siert ist und der einmal auf diese Weise erworbene Bindungsstil die Gestaltung aller folgen-den engen sozialen Beziehungen beeinflusst und ein Leben lang beibehalten wird. Der Bin-dungsstil ist von zentraler Bedeutung für die Bewältigung von individuellen Entwicklungs-aufgaben. Man unterscheidet zwischen sicherem, vermeidendem und unsicher-ambivalentem Bindungsstile. Eine sichere, stabile Bindung ist die Vorrausetzung für Explora-tionsverhalten und die Entwicklung zur Selbstständigkeit beim Kind. Sie entwickelt sich über verlässliches und berechenbares Verhalten der primären Bezugsperson gegenüber dem Säug-ling und Kleinkind („Secure Base“, Bowlby, 1988), die die Signale des Kindes sensitiv deutet (Ainsworth et al., 1978) und seine Bedürfnisse angemessen befriedigt. Bindungsstile, die in der Kindheit erworben wurden und für die Eltern-Kind-Beziehung funktional waren, können in der Jugend dysfunktional werden, da diese Entwicklungsphase den Umgang mit Autono-mie und Abhängigkeit besonders erfordert. Unter Umständen kann der dysfunktional

gewor-dene Bindungsstil die Entwicklungsaufgabe behindern und einen Risikofaktor für psychische Krankheit darstellen (Becker-Stoll, 2002).

Fürsorgepflicht und Erziehung. Eine weitere Besonderheiten familialer Generationenbezie-hungen ist, dass Eltern ihren Kindern gegenüber eine Fürsorgepflicht und einen Erziehungs-auftrag haben. Die Beziehungsgestaltung hat somit immer mit Vorstellungen und Überzeu-gungen der Eltern vor ihrem eigenen individuellen Erfahrungshintergrund zu tun. Daneben wird das Generationenverhältnis um die Dimension der Macht und der Kontrolle erweitert, das die Beziehungsgestaltung zwischen Eltern und Kindern maßgeblich bestimmt.

Rollen. Die Beziehungsgestaltung innerhalb von Familien wird einerseits von individuellen Faktoren, andererseits von sozialen Rollen moderiert. Familiale Rollen sind eng mit Gender-rollen verbunden. Das Rollenbild der Frau hat in vergangenen Jahrzehnten eine enorme Wandlung erfahren, während das der Männer vergleichsweise unverändert blieb (Sorensen, 1990). Dennoch sind Frauen auch heute noch diejenigen, die sich für die Pflege verwandt-schaftlicher Beziehungen verantwortlich zeigen (Lüscher & Liegle, 2003). Trotz des Un-gleichgewichtes gab es in den letzten Jahrzehnten auch bei Männern Veränderungen, so dass heute vom ‚neuen Vater’ die Rede ist (siehe Matzner, 2004). Obwohl ihre Beteiligung am Haushalt trotz der stark angestiegenen Frauenerwerbstätigkeitsquote nach wie vor gering ist (Holz, 2000), beteiligen sich Väter doch in zunehmendem Maße an der Kindererziehung. Dies gilt allerdings vorwiegend für den Tätigkeitsbereich, der mit Lustgewinn verbunden ist, wie spielen, rumtoben etc.. Selbst in Partnerschaften mit oder ohne Kindern, in denen Frauen voll erwerbstätig sind, übernehmen diese zuhause den Großteil an Hausarbeit. (Holz, 2000).

Entwicklungsaufgaben. Aus dem normativen Verlauf ihres Zusammenlebens über die gesamte Lebensspanne ergeben sich für die Familie als Gesamtheit verschiedene Aufgaben, die sie in verschiedenen Phasen der familienzyklischen Veränderungen zu bewältigen hat.2 Nicht nur für Kinder ist die Familie wichtigste Sozialisationsinstanz, sondern ebenso für die Eltern; die Familie ist ein sich dynamisch entwickelndes Gefüge, das sich immer wieder an veränderte Bedingungen der verschiedenen normativen Entwicklungsphasen anpassen muss. Eltern von Jugendlichen müssen z.B. lernen, diese allmählich ihr Leben nach eigenen Prioritäten gestal-ten zu lassen und sich wieder mehr auf sich selbst zu konzentrieren. Die Anpassung leistet die

2 In Anlehnung an die Entwicklungsaufgaben des Menschen in verschiedenen Lebensphasen von Havighurst (1953) wurden in der Familienforschung unterschiedliche normative Stufen der Familienentwicklung entworfen.

In den 1970iger und 1980ziger Jahren wandelte sich die Auffassung von einer stufen- in eine prozessorientierte Entwicklung der Familie (siehe Kreppner, 2000).

Familie in labilen Übergangsphasen von einer stabilen Phase in eine andere‚ die als ‚Transiti-onsphasen’ (Kreppner, 1991) bezeichnet werden.

Eine Transitionsphase ist durch strukturelle Veränderungen und damit einhergehende spezifi-sche Aufgaben gekennzeichnet, die die Familie bewältigen muss, um ein neues Gleichgewicht zu finden. In der Übergangsphase muss eine Neuorganisation der Familienstruktur, der Bezie-hungsgestaltung zwischen den Familienmitgliedern, der Familienregeln etc., stattfinden. Ü-bergangsphasen stellen Krisen für die Familie dar, deren Bewältigung maßgeblich von den Copingfähigkeiten der Individuen und der Qualität der einzelnen dyadischen Beziehungen abhängen (siehe Kreppner, 2000), wobei die Entwicklung der Kinder nicht nur von der Eltern-Kind-Beziehung abhängt, sondern ebenso von der Paarbeziehung der Eltern (vgl. von Klit-zing, 1998). Neben der Übergangsphase von der Partnerschaft zur Elternschaft mit Kleinkin-dern sowie der Übergangsphase mit alten Eltern in der Familie, ist die Familienphase mit ju-gendlichen Kindern eine kritische Transitionsphase (Kreppner, 1991). Die Ablösung der er-wachsen werdenden Kinder von den Eltern, der Übergang von der Abhängigkeit in die Selb-ständigkeit, wird besonders durch den Auszug aus dem Elternhaus markiert (siehe Hilden-brandt, 1991; Liebau, 1997).

Generational Stake. Eltern schätzen die Beziehung zu ihren Kindern systematisch besser ein, als Kinder ihre Beziehung zu ihren Eltern. Dieser Effekt wird in der Literatur als ‚Generatio-nal Stake’ bezeichnet (Bengtson & Kuypers, 1971; Giarusso, Stallings & Bengtson, 1995).

Als Gründe hierfür werden u.a. die abnehmende Zahl enger Beziehungen mit zunehmendem Alter diskutiert und, dass Eltern mehr in die Familie investieren, als Kinder. Kinder haben zwar immer Eltern, aber Erwachsenen nicht immer Kinder. Elternschaft ist etwas Besonderes, wogegen die Existenz der eigenen Eltern selbstverständlich ist; entsprechend kritischer mag die Beziehung betrachtet werden können. Entspricht das Kind den entwicklungstypischen Normen, verstärkt es bei den Eltern die identitätsstiftende Überzeugung, eine gute Mutter, ein guter Vater zu sein, was wiederum zu einer positiven Beziehungseinschätzung führt. Dagegen spielt für Kinder bis ins Erwachsenenalter die Abgrenzung von den Eltern eine identitätsstif-tende Rolle.

Fazit. Zusammenfassend kann man festhalten, dass die obengenannten verschiedenen Merk-malen der familialen Generationenbeziehungen in sich Konfliktpotenzial bergen. Einerseits stellt die Zugehörigkeit zu einer Familie eine große Nähe zwischen Eltern und Kindern her, andererseits betont die Generationenzugehörigkeit die Unterschiede.

Unterschiedliche Rollen sowie Entwicklungsaufgaben beeinflussen das gemeinsame Gestalten des Familienlebens, das ein Ausbalancieren und Aushandeln verschiedener Interessen unter den einzelnen Individuen beinhaltet.

Eltern sollen für ihre Kinder sorgen, sie beschützen und ihnen helfen; gleichzeitig ist es ihre Aufgabe, sie zur Selbstständigkeit zu erziehen. Der Übergang von der elterlichen Verantwor-tungsübernahme für das Kind zur wachsenden Eigenverantwortung des Kindes vollzieht sich in kleinen Schritten, bei denen immer wieder Zweifel aufkommen. Alte Zustände werden nicht von heute auf morgen aufgegeben, man nähert sich neuen Möglichkeiten vielmehr lang-sam durch Zweifel am Bestehenden und Neugier auf Neues in einem dialektischen Prozess an. Vielen Entscheidungen innerhalb Generationenbeziehungen geht Ambivalenz voraus.

Man könnte vielleicht sogar sagen, ohne Ambivalenz gäbe es keine Veränderung. ‚Ist das Kind alt genug, um den Schulweg allein zu gehen?’, ‚Kann man den Jugendlichen allein in Urlaub fahren lassen?’ sind Fragen, die die Eltern bewegen. Auf der anderen Seite drängen die Kinder bei manchen Dingen in die Eigenverantwortung, manche möchten länger behütet sein, als es den Eltern lieb ist. Diese generationalen Perspektiven können zwischen den Eltern und Kindern zu Spannungen in der Gestaltung des Familienlebens führen.