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Mehrdimensionales Therapiekonzept

Diesen Konzeptionen einer »Mehrebenenerklä­

rung« für das Auftreten funktioneller Psycho­

sen stehen auch polyvalente, mehrdimensio­

nale Therapieangebote gegenüber. Das thera­

peutische Gesamtkonzept bei affektiven und schizophrenen Erkrankungen im Jugendalter sieht medikamentöse, psychotherapeutische und soziotherapeutisch milieubezogene Hilfe­

stellungen vor (23). Der Stellenwert der einzel­

nen therapeutischen Maßnahmen im Gesamt­

behandlungsplan muß individuell entschieden werden.

Drei Therapiephasen mit fließendem Übergang sind zu unterscheiden.

Erste Therapiephase

Phase 1 zeigt eine deutliche Symptombezogen- heit. Ziel ist die Mitigierung der psychotischen Symptomatik, um die Kontaktfähigkeit des Pa­

tienten wiederherzustellen. Bei schizophrenen Patienten gilt es, durch Reizbeschränkung und Abschirmung die Irritation zu verringern, bis die Wahrnehmungsleistungen und Denkfunk­

tionen wieder so weit normalisiert sind, daß eine Realitätskontrolle möglich wird. Die neu­

roleptisch medikamentöse Therapie spielt da­

bei eine wichtige Rolle.

Bei affektiven Erkrankungen gilt es, im Falle der Depression eine Auflösung der Einengung, eine Verbesserung der Affizierbarkeit sowie eine vegetative Stabilisierung zu erreichen. Bei manischen Patienten soll die Getriebenheit ein­

gedämmt und eine vegetative, affektive und kognitive Stabilisierung bewirkt werden. Auch hier spielen die psychopharmakologischen In­

terventionen eine wichtige Rolle. Die Milieu­

bedingungen auf der Station sollen in dieser Phase 1 vorwiegend protektiv, streßverrin­

gernd, abschirmend und von wohlwollender Emotionalität getragen sein.

Zweite Therapiephase

Phase 2 ist durch Beziehungsaspekte gekenn­

zeichnet. Bei schizophrenen Patienten soll durch dosierte Beziehungsangebote bewirkt

Um eine neuro­

biologische En­

codierung zu verhindern, muß die Thera­

pie frühzeitig einsetzen

Reizbeschrän­

kung und Ab­

schirmung sol­

len die Irrita­

tion des schizo­

phrenen Patienten ver­

ringern

Erkrankangen bei Adoleszenten Fortbildung

In der zweiten Phase soll das Interesse an Kommunika­

tion wieder ge­

weckt werden

In der dritten Phase soll die Entwicklung des Patienten gefordert werden

werden, daß sie sich wieder auf eine soziale Realität einlassen können. Die Wiederherstel­

lung einer Kommunikationsbasis soll durch ei­

nen klaren eindeutigen Kommunikationsmo­

dus von seiten der Bezugspersonen erreicht werden. Therapeutische Zugänge haben das Ziel, in dialogischer Positivierung (3, 4) die dysfunktionalen affektiv-kognitiven Bereit­

schaften des Patienten (8) verändern zu lassen.

Eine Überstiegsfähigkeit (18) soll hergestellt und die Realitätskontrolle im interaktiven Kon­

text gestärkt werden.

In dieser Zeit beginnt eine psychotherapeuti­

sche Einzeltherapie mit dem Ziel der »Rück­

kehr in die Realität einer positiven Beziehung«, die es dem Patienten erlaubt, durch Identifika­

tionsprozesse das Repertoire an Beziehungs­

strukturen zu vergrößern und das Weltver­

ständnis zu verändern. Das Interesse an Kom­

munikation wieder zu wecken und zu fördern, hat in dieser Phase Priorität.

Bei affektiv erkrankten Patienten ist das Ziel, die Umtönung des Weltbildes des Patienten in einem Beziehungsfeld zu ermöglichen. Dys­

funktionale Selbst- und Objektrepräsentanzen (16) sollen im therapeutischen Kontext verän­

dert werden. Die Aufarbeitung von Verluster­

lebnissen und anderen Stressoren findet im Rahmen einer positiven Beziehung (»Holding function«) statt.

Dritte Therapiephase

Diese Therapiephase betont den Aspekt der Entwicklungsförderung. Über die Notwendig­

keit der Krankheitsverarbeitung und die Rolle der subjektiven Einstellung zu den eigenen De­

fiziten siehe 24, 26. In dieser Phase liegt der Schwerpunkt auf einer Eörderungsarbeit mit dem Ziel, die Eertigkeiten des Patienten zu ver­

bessern, den Selbstwert zu erhöhen, den Le­

bensstil abzuwandeln, Bewältigungsmechanis­

men und Streßvermeidungsstrategien zu erar­

beiten sowie eine Verbesserung des sozialen Netzwerkes zu erreichen.

Das therapeutische Milieu soll nun nicht mehr nur durch Akzeptanz getragen sein, sondern auch Anforderungen des Alltages und soziale Notwendigkeiten (Regeln) an den Patienten her­

antragen. Die Einzeltherapie bei Schizophrenen läßt nun zu, daß die Entwicklung der Psychose und der Anlaß vorsichtig-im Sinne einer Krank­

heitsverarbeitung - bearbeitet werden können, um in der Biographie des Patienten eine Kon­

tinuität - über die Bruchlinie der Psychose hin­

weg-wiederherzustellen (19). Bei Patienten mit affektiven Psychosen kann mit der Aufarbeitung des Anlasses schon früher (in Phase 2) begonnen werden. Entwicklungsprobleme, Entwicklungs­

ziele und familiäre Problemfelder werden nun zunehmend aufgegriffen.

Schluß

Die mehrdimensionalen Therapieansätze bei funktionellen Psychosen im Jugendalter unter Einsatz von Psychopharmaka, Psychotherapie und Soziotherapie sind nicht Ausdruck einer unkritischen Polypragmasie, sondern entspre­

chen einer wissenschaftlich fundierten Not­

wendigkeit: Der Stellenwert einzelner thera­

peutischer Zugänge ist im Verlauf der Behand­

lung - wie dargestellt werden konnte - unter­

schiedlich.

Psychotherapie bei funktionellen Psychosen im Jugendalter ist bei Anwendung des Vulnerabi­

litätskonzeptes und der von Post (22) festge­

stellten Hypothesen unumgänglich notwendig und kein Luxus. Verbesserungen des Selbst­

konzeptes, Veränderungen der Abwehrformen und des Anpassungsstils könnten auf diese Weise die Vulnerabilitätsspirale noch rechtzei­

tig unterbrechen.

Die Hilfe zur Rückkehr auf einen Platz in der Gesellschaft, die Möglichkeit der Wahrung ei­

gener Entwicklungschancen ist für den jugend­

lichen Patienten essentiell, da er ansonsten nach Abklingen der Psychose nicht nur durch die Probleme der Verarbeitung des Bisherigen, sondern auch noch durch Wiedereingliede­

rungsschwierigkeiten oder die Erfahrung der Ablehnung von seiten einer vorurteilsbelade­

nen Umwelt so belastet wird, daß er erneut in eine psychotische Daseinsform abgedrängt zu werden droht.

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Anschrift:

Prof. Dr. med. F. Resch

Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Heidelberg

Blumenstraße 8, 6900 Heidelberg Persönliche Daten:

Geboren am 3. Mai 1953 in Wien, verheiratet, zwei Kinder.

Beruflicher Werdegang:

Studium und Ausbildung an der Wiener Universitätskli­

nik. 1986 Ernennung zum Facharzt für Psychiatrie und Neurologie. 1990 zum Zusatzfacharzt für Kinder- und Jugendneuropsychiatrie. Seit 1991 Arzt für Psychothe­

rapie, seit 1993 Arzt für Psychosomatik. Absolvierung der Theorieausbildung der Österreichischen Gesell­

schaft zur Förderung der Verhaltensforschung und -the- rapie. Absolvierung einer Lehr- und Traininingsanalyse und ordentliches Mitglied beim Österreichischen Verein für Individualpsychologie. Erteilung der Lehrbefugnis als Universitätsdozent für Psychiatrie und Neurologie des Kindes- und Jugendalters 1991.

Jetzige Tätigkeit:

Berufung auf den Lehrstuhl für Kinder- und Jugendp­

sychiatrie der Universität Heidelberg 1993.

Arbeitsschwerpunkte:

Therapieforschung im Kindes- und Jugendalter, Ent­

wicklungspsychopathologie, Adoleszentenkrisen und Adoleszentenpsychosen.

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Abt. für Neuro- psychiatrie des Kin­

des- und Jugend­

alters, Klinik für Neurologie und Psychiatrie der Medizinischen Hochschule Erfurt

Fortbildung