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5 Interpretation und Schlussfolgerungen

5.1 Medienkritikfähigkeit der Stichprobe

Die Interpretation der Performanz der Stichprobe im MKF-Test orientiert sich an der im Kapitel 2.1.3 erfolgten Definition und Dimensionalisierung der MKF. Davon ausgehend ist es möglich abzuleiten, welche Aspekte der MKF die Jugendlichen der Stichprobe be-reits gut oder nur mangelhaft beherrschen und ob bzw. inwiefern sie deshalb als gesell-schaftlich handlungsfähige Subjekte eingeschränkt sind.

Gemäß den in Kapitel 4.1 dargelegten Ergebnissen lässt sich feststellen, dass die Test-leistung der Jugendlichen mit durchschnittlich 4,95 von 14 möglichen Punkten und damit die ermittelte Höhe ihres MKF-Niveaus besorgniserregend niedrig scheint. Die Differen-zierung in unterschiedlich medienkritikfähige Gruppen bekräftigt diesen Eindruck, da sich 75 % der Probanden im unteren Feld bewegen, d.h. eine sehr geringe (20%), geringe (20%) oder eher geringe (35 %) MKF aufweisen. Dass es sich hierbei um ein unterdurch-schnittliches Ergebnis zu handeln scheint, wird im Vergleich mit den Ergebnissen der Studie von Klimmt et al. (2015) besonders deutlich, in der die Jugendlichen im Durch-schnitt knapp 7 von 14 Punkten erreicht haben. Hier bewegen sich nur 43 % der Proban-den im unteren Feld (4% sehr gering, 11 % gering und 28 % eher gering medienkritikfä-hig) und deutlich mehr Probanden erreichen einen Testwert, der ihnen eine mittlere (29

%) und eher hohe bis sehr hohe (30%) MKF bescheinigt (s. Anhang 14). Das schlechte Testergebnis der untersuchten Stichprobe deutet folglich darauf hin, dass die

Jugendlichen größtenteils eine nur rudimentär ausgeprägte MKF besitzen und somit nur bedingt fähig sind, Medienprodukte und -inhalte kritisch-bewusst hinsichtlich ihrer Aus-sagen, Qualität, anzunehmenden Produktionsumstände und/oder gesellschaftlicher bzw.

normativer Implikationen zu analysieren, zu interpretieren und zu bewerten.

Jedoch muss – wie in Kapitel 3.4 dargelegt – bei der Interpretation des Testergebnisses berücksichtigt werden, dass sich darin nicht gezwungenermaßen (nur) das Niveau an MKF wiederspiegelt, sondern auch Faktoren, die sich mit Demotivation, fehlender Kon-zentration oder mangelndem Interesse umschreiben lassen. Hier können ergänzend die während der Testdurchführung gemachten Beobachtungen herangezogen werden (vgl.

3.2.2), z.B. wurde vielfach beobachtet, dass sich die Schüler häufig ablenken ließen oder z.T. sehr schnell mit der Bearbeitung des Tests abgeschlossen haben. Daneben ist eben-falls denkbar, dass sich eine fehlende sprachliche Ausdrucksfähigkeit auf das Testergeb-nis ausgewirkt hat. Schwächen vieler Schüler bei eigenen Formulierungen im Rahmen der offenen Aufgabenformate legen diese Vermutung nahe (vgl. 4.4).

Diese Aspekte sind bei der Deutung des Testergebnisses zu berücksichtigen. Unter der Annahme, dass die Testwerte trotzdem Rückschlüsse auf die MKF der Schüler zulassen, wird mit Blick auf die Kritikfähigkeit in den einzelnen Inhaltsbereichen deutlich, wo die Stärken und Schwächen der Schüler liegen und dass die Schwächen überwiegen:

Mit Blick auf die kritische Einordnung medialer Informationsangebote zeigt sich, dass die Jugendlichen bereits bei der Auswahl gesellschaftlich relevanter Nachrichtenmeldun-gen Schwierigkeiten haben. Zudem wird deutlich, dass die JuNachrichtenmeldun-gendlichen zwar in der Lage sind, zu erkennen, ob ein Nachrichtentext verschiedene Blickwinkel enthält, jedoch ge-lingt ihnen dann die Beurteilung der Transparenz, die begründete Einschätzung der Aus-gewogenheit von Pro- und Kontra-Argumenten und die Differenzierung zwischen dem Material von Nachrichtenagenturen und von redaktionseigenen Journalisten nicht bzw.

nur bedingt.

Bei der Beurteilung der Achtung von Menschenwürde bei Informations- und Unterhal-tungsangeboten scheinen die Jugendlichen zwar weniger Probleme zu haben, jedoch wer-den abgesehen davon große Defizite hinsichtlich der kritischen Einschätzung von unter-haltenden sowie werbenden Inhalten offensichtlich. Vielen Jugendlichen fällt neben der Unterscheidung von Realität und Fiktionalität die Entschlüsselung der wahren Intention hinter Dating-Shows schwer. Ebenso ist die kritische Einschätzung der Glaubwürdigkeit von Werbesports sehr herausfordernd für einen Großteil der Schüler.

Die kritische Reflexionsfähigkeit im Umgang mit Inhalten der Nutzerkommunikation ist bei einigen Jugendlichen vorhanden, was darauf hindeutet, dass sie für den aus Daten-schutzperspektive ‚richtigen Umgang‘ mit Postings in sozialen Netzwerken (hier: Face-book) hinreichend sensibilisiert sind. Dennoch gibt es ebenfalls zahlreiche Jugendliche, die hinsichtlich der informationellen Selbstbestimmung nicht ausreichend kritikfähig sind. Auch haben mehrere Jugendliche größere Probleme bei der Unterscheidung zwi-schen Nutzerinhalten und professionell erstellten Inhalten im Netz.

Obwohl sich die Mediennutzung der Stichprobe (vgl. 4.2) überwiegend analog zu den in Kapitel 2.2.3 präsentierten Befunden darstellt, deuten die Defizite, die die Jugendlichen im Umgang mit den vier Arten von Medieninhalten zeigen, darauf hin, dass sie nur be-dingt fähig sind, Medien im privaten und gesellschaftlichen Bereich konstruktiv zu nut-zen. Dies hat vermutlich Auswirkungen darauf, ob und wie sie in der Lage sind, demo-kratische Rechte und Pflichten unter Verwendung von Medien wahrzunehmen. Folglich muss davon ausgegangen werden, dass die gesellschaftliche Autonomie, die soziale Par-tizipationsfähigkeit und auch die Lebensqualität der Jugendlichen eingeschränkt sind.

Laut Definition eines medienkritikfähigen Individuums gilt der Großteil der untersuchten Jugendlichen demnach als nicht bzw. nur ungenügend gesellschaftlich handlungsfähig.

Es ist anzunehmen, dass die in Kapitel 2.2.1 genannten aktuellen Entwicklungstendenzen der Medienlandschaft für die untersuchte Gruppe von Jugendlichen enorme Herausforde-rungen darstellen, auf die sie nur unzureichend reagieren können. Dementsprechend sind sie auch nur bedingt in der Lage, die in diesem Alter relevanten Entwicklungsaufgaben adäquat zu erfüllen und den Übergang ins selbstverantwortliche Erwachsenenalter zu meistern.

Insbesondere der rasante technologische Wandel, die Informationsflut, die ständig wach-sende Angebotsvielfalt und die Vermischung von Information, Fiktion und Unterhaltung stellt diese Jugendlichen vermutlich in Zukunft vor enorme Probleme. Fehlende Recher-che-, Orientierungs- und Selektionsfähigkeiten erschweren das Zurechtfinden in einer mediatisierten Welt und damit einhergehend die Entwicklung von Wertehaltungen, eige-nen Positioeige-nen und der Identitätsfindung. Verschärft wird diese Problematik dadurch, dass die Fähigkeit der Jugendlichen zur Einschätzung von Wahrheitsgehalten und Glaub-würdigkeit schwach ausgeprägt ist, sodass sie anfällig sind für Manipulationen durch Werbung und Unterhaltung sowie auf der Informationsebene. Die den meisten Schülern fehlende Fähigkeit zur Verknüpfung von analytischem Denken und reflexivem Rückbe-zug, wie in der Analyse der Freitextantworten deutlich geworden ist, lässt darauf

schließen, dass sie kaum in der Lage sind, die sozialen Konsequenzen der Medienent-wicklungen in ihren Urteilen zu berücksichtigen. Dies gewinnt v.a. an Bedeutung mit Blick auf die – durch die Konkurrenz auf dem Medienmarkt verstärkten – Bemühungen um die Gunst der Mediennutzer und den daraus resultierenden aufmerksamkeitserregen-den Darstellungen sowie aktuell brisanten medialen Phänomen wie Fake News, Social Bots oder Big Data. Von der schwachen Performanz im Test ausgehend ist zudem anzu-nehmen, dass die Jugendlichen auch in anderen Medienkompetenzdimensionen Defizite aufweisen und somit unter den gegebenen gesellschaftlich-technisch-kulturellen Kom-munikationsbedingungen (noch) nicht für einen souveränen, eigen- und sozialverantwort-lichen Medienumgang befähigt sind.

Unter Rückbindung an die Darstellung statusspezifischer Disparitäten (vgl. 2.2.5) und der Wissenskluft-Hypothese (vgl. 2.2.6) scheint sich für die untersuchte Gruppe Jugendlicher aus sozial benachteiligten Milieus zu bestätigen, dass – trotz eines äquivalentem techni-schen Zugangs zu Medien – das Aufwachsen unter benachteiligten Bedingungen und der daraus resultierenden unzureichenden Unterstützung im sozialen Umfeld negative Kon-sequenzen auf die Ausbildung von MKF hat. Folglich sind diese Jugendlichen in ihrer Teilhabe am beruflichen, kulturellen und gesellschaftlichen Leben eingeschränkt. Welche konkreten Entwicklungsbedarfe und Handlungsvorschläge daraus erwachsen, wird im letzten Kapitel der Arbeit dargestellt. Zunächst wird jedoch der Blick auf mögliche De-terminanten der MKF in der untersuchten Stichprobe gerichtet.

5.2 Zusammenhänge: Mögliche Determinanten der