• Keine Ergebnisse gefunden

Mediale Zugänge zum Rechtsextremismus

Übersicht 5.3: Zielgruppen der Forschung und Prävention/Geschlechter- Prävention/Geschlechter-reflektierende Ansätze

5.4 Mediale Zugänge zum Rechtsextremismus

Eine zentrale Frage, die sich Forschung angesichts der zunehmenden Ver-breitung rechtsextremer Medieninhalte zu stellen hat, bezieht sich darauf, in welcher Weise sie von ihren Konsument/innen rezipiert werden und wel-che Rolle die Medien für die Ausprägung rechtsextremer Orientierungen spielen. Musik mit entsprechenden ideologischen Inhalten38 ist vielfach die Funktion einer „Einstiegsdroge“ für Jugendliche in die rechte Szene zu-geschrieben worden; doch gibt es nur wenige belastbare Analysen über den Zusammenhang von Konsum rechter Medien und der Ausprägung einer rechtsextremen Ideologie. Von den meisten Autor/innen wird der Musik ein – wenn auch nicht exakt festzulegender – Stellenwert als „nied-rigschwelliges Medium der Annäherung an rechtsextreme Szenen“ zuge-schrieben (Elverich/Glaser/Schlimbach 2009: 9). Elverich et al. können allerdings keine initiatorische Wirkung von Musik ausmachen, sondern ge-stehen ihr lediglich im Zusammenhang mit ihrer Attraktivitätswirkung eine subjektive Bestätigungsfunktion eigener Vorurteile und Erlebnisse sowie eine soziale Integrationsfunktion zu. Musik habe durchaus einen strukturell unterstützenden Einfluss für den Szenezugang und fungiere als Kontakt-medium zu Gleichgesinnten. Sie wird von den Autorinnen also stärker in ihrer Funktion betrachtet, als dass ihrer Wirkung ausschlaggebende Kraft beigemessen wird (Elverich/Glaser/Schlimbach 2009). Auch könne kons-pirativen Konzertveranstaltungen, die im Geheimen ausgerichtet werden, keine „ködernde“ Funktion für den Szeneeinstieg zugeschrieben werden, da in Interviews mit Besucher/innen rechter Szenekonzerte diese Besu-che als eine äußerst hochschwellige Angelegenheit dargestellt werden, die eine verankerte Position in der Szene voraussetzen (Elverich/Glaser/

Schlimbach 2009: 58).

Möller und Schuhmacher (2007a) kommen auf der Grundlage biogra-fisch-narrativer Interviews, die mit jugendlichen Skins geführt wurden, zu der Einschätzung, dass insbesondere Musik eine wichtige Rolle für die An-näherung an die Skinhead-Szene spielt:

„Mediale Einflüsse sind für den politischen Affinitätsaufbau der meisten Befragten von hoher, gerade in der Kontextualisierung mit kulturellen Einflussfaktoren sogar von zentraler Bedeutung. Einen Schwerpunkt bildet dabei Musik, die im sozialen Erleben der Jugendlichen eine nach-haltige Rolle spielt bzw. im Prozess der Affinisierung zu spielen beginnt.

Andere Medien sind durch alle Muster und Stadien der Affinisierung hin-durch vergleichsweise unwichtig, was angesichts des allgemein hohen Verbreitungsgrades des Internets (und natürlich auch des Fernsehens) überraschend genannt werden kann, vielleicht sogar Rückschlüsse auf diesbezügliche materielle und kulturelle Versorgungsdefizite zulässt“

(Möller/Schuhmacher 2007a: 197).

In der Binnenperspektive der Skinhead-Gruppe fungiert Musik als kollekti-ves Verständigungsmedium dahingehend, dass sich die Gruppenmitglieder ihrer Einvernehmlichkeit und gemeinsamen ideologischen Ausrichtung

ver-38. In der Forschung herrscht weitgehend Konsens darüber, dass es keine eigentlich „rechtsext-reme Musik“ gibt, sondern dass vielmehr Musikelemente aus verschiedenen Jugendkulturen verwendet und mit entsprechenden ideologischen Gehalten angereichert werden. So werden rechtsradikale Inhalte in Musikstile verpackt, die bis hinein in den als links geltenden HipHop reichen. Bisweilen erlauben nur rechtsextreme Einstellungen der Sänger/innen oder Produzent/

innen oder das Aufgreifen von „gesellschaftspolitische[n] Themen unter Rückgriff auf eine eth-nisierende oder kulturalistische Bestimmung einer Ei-gengruppe […] und zur Lösung von Pro-blemen eine Ausgrenzung bzw. ein Ausschluss von ‚Fremden‘ bzw. ‚Nichtidentischen‘“ in den Liedtexten letztlich die entsprechende Verortung (Brunner/Gründer 2011: 4).

sichern können und rechtsextreme Orientierungen durch Rechtsrock kul-turell abgesichert und fundiert werden (Möller/Schuhmacher 2007a: 200).

Rechtsrock führt auch eher unpolitische Jugendliche subtil an rechte Inhal-te heran. Das Prinzip des niedrigschwelligen Einstiegs machen sich neona-zistische Organisationen gezielt zunutze, indem in einem Verlinkungs-Ef-fekt rechtsextreme Inhalte durch die Kopplung an HipHop, Popmusik, Hardcore-Punk usw. mittlerweile auch in früher als links wahrgenomme-nen Jugendszewahrgenomme-nen konsumiert werden (vgl. Brunner/Gründer 2011: 3ff.).

Über das Internet findet darüber hinaus mithilfe von rechtsextremer Musik eine Vernetzung von Gruppen und Organisationen in ansonsten unpoliti-sche Foren, Musik-Sharing-Plattformen etc. hinein statt; sie zieht sich wie ein „braunes Band“ durch das Netz und ermöglicht mit einem Klick den Zugang zum ganzen Spektrum rechtsextremer Seiten (Wörner-Schappert 2007: 104). So sind rechtsextreme Bands und Musiktitel auch bei nicht dezidiert rechtsorientieren Jugendlichen bekannt und tauchen in Playlists oder unpolitischen Foren auf.

Glaser/Schneider (2012) weisen auf das Lockpotenzial von Musik in sozi-alen Foren hin, wo rechtsextreme Verlinkungen zur „Schulhof-CD“ über einen Mausklick zugänglich werden. Es ergeben sich in diesen Foren und über Verlinkungen niedrigschwellige Möglichkeiten, mit ideologisch gefes-tigten Rechtsextremen in Kontakt zu treten. Das Potenzial für die Schaf-fung von Identifikationsangeboten hat sich durch das Internet deutlich erhöht, da politische Beteiligung im rechtsextremen Spektrum bereits bei einem „like“ für eine Anti-Kinderschänder-Seite auf Facebook beginnen kann – die allenfalls auf den zweiten Blick als rechtsextrem erkennbar ist.

Es werden allgemein-gesellschaftliche Themen besetzt (z. B. Kindesmiss-brauch) und in Diskussionsforen mit rechtsextremen Ideologiefragmenten („Über-fremdung“, Bedrohung) angereichert. Zunehmend erlangen auch Strategien des „Guerilla Marketing“ an Bedeutung, beispielsweise auf der Internet-Plattform YouTube, in die rechtsextreme Videos unter vielfach gesuchten Titeln aktueller Hollywoodfilme eingestellt werden, welche auch ohne aktive Suche in der Trefferliste landen. Auch durch die Mani-pulation so genannter QR-Codes werden Internet-Nutzer/innen auf Seiten mit rechtsextremen Inhalten im Netz geleitet.

Bislang gibt es nach unserer Erkenntnis weder genaue Analysen zum Ge-fährdungspotenzial (z. B. durch empirische Nutzer/innenbefragungen) noch zu Mechanismen der Affinisierung an rechtsextreme Orientierun-gen durch die Nutzung entsprechender Medienangebote. Entsprechende Informationen stützen sich vielfach auf Berichte von Praktiker/innen aus Jugendschutz und Sozialarbeit. Vorliegende medienpädagogische Nut-zerstudien belegen, dass – je nach Altersstufe – bereits mehr als 25 Pro-zent aller jugendlichen Internet-Nutzer/innen bereits mit Hass, Gewalt und rechtsextremen Inhalten im Netz konfrontiert wurden (Glaser/Schneider 2012: 40). Rückmeldungen aus der sozialpädagogischen Praxis belegen wiederum, dass rechtsextrem orientierte Jugendliche zunehmend schwie-riger über die bisherigen Zugangswege, wie etwa Aufsuchende Jugend-sozialarbeit, zu erreichen sind. Jugendcliquen und ähnliche Formen sub-kultureller Jugendkultur (Skinheads etc.) bilden vermutlich bereits heute nicht mehr die dominierende Szene auf dem Feld rechtsextremer Orien-tierungen. In der Prävention werden daher neue Methoden der Ansprache notwendig, die aber zugleich eine Fundierung durch ein Mindestmaß an abgesicherter Forschung benötigen.

Gegenwärtig ist der Bestand an empirischer Forschung zu Wirkungsana-lysen schmal und beschränkt sich im Themenfeld Musik auf die bereits ge-nannten Veröffentlichungen von Elverich/Glaser/Schlimbach (2009) und Möller/Schuhmacher (2007a). Koch/Pfeiffer (2009) streifen die Wirkung von Musik für die Hinwendung zu rechtsextremen Orientierungen bei ih-ren Befragungen am Rande. Für eine genauere Analyse der Wirkungen rechtsextremen Musikkonsums fehlt nach Einschätzung von Elverich et al.

(2009) zudem die notwendige Anbindung an Erkenntnisse der allgemei-nen Forschung zur Musikrezeption sowie der Gewaltforschung. Letztlich bleibt die Einschätzung einer gewaltfördernden Wirkung des Konsums rechtsextremer Musikinhalte gegenwärtig umstritten (dazu im Detail El-verich/Glaser/Schlimbach 2009: 30f.). Keine Rückschlüsse sind aufgrund mangelnder Daten auch auf geschlechterspezifische Wirkungen der Musi-krezeption möglich. So wird die sozialisatorische Wirkung des Rechtsrock, der gezielt junge Männer anspricht und Frauen tendenziell als abwertend präsentiert, nicht thematisiert. Daraus könnten jedoch Rückschlüsse auf die Männerbündigkeit der Szene und ihren Männlichkeit idealisierenden Charakter gezogen werden.

Defizite existieren also im Hinblick auf die Aktualität und die Forschungszu-gänge. Forschungsbedarf besteht vor allem im Hinblick auf Längsschnitt-untersuchungen; Forschungsdesigns mit Kontrollgruppen könnten, wie in allen Aspekten rechtsextremer Orientierungen, auch hier aufschlussreich sein. Der bislang dominierende deskriptive Fokus der Forschungen soll-te zugunssoll-ten eines stärker präventions- und wirkungsorientiersoll-ten Fokus verlegt werden. Auch der pädagogische Blick auf die rechtsextreme Be-einflussung durch Medien bleibt bisher noch oberflächlich (siehe Glaser 2007). Häufig bleiben die pädagogischen Ansätze auf eine Zusammen-fassung und subjektive Ein-schätzung partikularer Erfahrungen im Feld beschränkt – sie werden nicht durch empirische Studien oder gezielte Nachfragen unterlegt. Zwar liegen mittlerweile Handreichungen und Ar-beitsmaterialien zur pädagogischen Auseinandersetzung mit rechtsex-tremer Musik vor, doch gibt es bislang keine systematische Erhebung der Erfahrungen, die mit der Umsetzung dieser Ansätze gemacht wur-den (Elverich et al. 2009: 81). Auszudehnen wäre die Forschung selbst-verständlich auch auf den gegenwärtig noch kaum bearbeiteten Bereich der Internet-Nutzung und sozialen Netzwerke. Für eine künftige präven-tionspädagogische Forschung könnte dabei die Studie von Elverich et al.

(2009) aufgrund ihrer Kombination verschiedener Untersuchungsmetho-den durchaus wegweisend sein.

Die Funktion rechtsextremer Musik als ein initiatorisches Element für den Anschluss an rechte Gruppen wird in der vorhandenen Forschung relativiert; unbestritten ist jedoch, dass sie eine wesentliche stabilisierende Funktion für den Zusammenhalt innerhalb rechter Jugendszenen besitzt. Eine gewaltfördernde Wirkung durch den Konsum rechtsextremer Musik gilt in der Forschung als umstritten und kann bislang nicht eindeutig belegt werden.

Es muss von einem hohen „Lockpotenzial“ rechter Musik in den sozialen Internet-foren ausgegangen werden. Darüber hinaus erweist sich insgesamt der Zugang zu rechten Inhalten im Internet als sehr niedrigschwellig.

Exakte Analysen zum Gefährdungspotenzial durch rechtsextreme Medienangebote sowie zu den dadurch wirksamen Mechanismen der Annäherung fehlen bislang völ-lig. Gleiches gilt auch für eine wissenschaftlich gestützte Auseinandersetzung mit medienpädagogischen Ansätzen in der Prävention. Angesichts der hohen Relevanz medialer und virtueller Zugänge zum Rechtsextremismus erscheint hier eine zügige und empirisch fundierte Forschung dringend geboten.

Studie Methodik Thema/

Musik wird in erster Linie nach dem Stil, dann erst nach dem Text beurteilt.

Musikkonsum wird durch den lebensweltlichen Bezug sowie durch Bildung bestimmt: Kon-sumpräferenz ist schichtspe-zifisch. Entsprechend ist bei zunehmendem Bildungsgrad und milieubedingt eine Distanz zum lebensweltlichen Bezug rechtsextremer Musik feststell-bar.

Busch 2005 Analyse von Verlin-kungsaktivitäten,

Vernet-zung im InternetDie realen Vernetzungsaktivi-täten innerhalb der rechtsext-remen Szene sind sehr gering.

Eine transnationale Nutzung besteht lediglich bei jüngeren Bewegungs- und

Keine initiatorische Wirkung von Musik; stattdessen subjek-tive Bestätigungsfunktion für die eigene Orientierung sowie soziale Integrationsfunktion innerhalb der Szene.

Musik hat die Funktion eines Kontaktmediums zu Gleich-gesinnten; indem sie jugend-kulturelle Interessen bedient, wirkt sie unterstützend auf den Szenezugang.

Rechte Musik wirkt nach dem Ausstieg durchaus noch ge-fährdend.

Entwicklung einer Strategie der Musiksubstitution in der pädagogischen Arbeit. im Internet auf den Zu-gang zu rechtsextremen Inhalten

Es ist ein relativ geringes Vorwissen notwendig, um rechtsextreme Inhalte im Netz aufzufinden und Gate-keeping-Mechanismen zu um-gehen. Gefährdungspotenzial durch das Netz wird als real eingeschätzt.

Übersicht 5.4: Zielgruppen der Forschung und