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Gesicherte Erkenntnisse im Forschungsfeld

Kapitel 6: Erträge der bisherigen Forschung

6.2 Gesicherte Erkenntnisse im Forschungsfeld

fremdenfeind

-lichkeitund gruppenbezogene menschenfeind

-lichkeit

Übereinstimmend wird festgestellt, dass Arbeitslosigkeit keinesfalls eine eindeutig fördernde Bedingung für Fremdenfeindlichkeit und rechtsext-reme Orientierungen ist; umgekehrt bietet die Einbindung in Arbeit oder Ausbildung keinen hinreichenden Schutz vor rechtsextremen Orientierun-gen. Weniger die objektive Lebenslage bestimmt darüber, ob Rechtsex-tremismus fördernde Einstellungen (Abwertung anderer Gruppen) und Handlungsdispositionen (Aggressions- und Gewaltbereitschaft) ausge-prägt werden, als vielmehr die Art und Weise, wie diese Lebenslage von den Betroffenen selbst wahrgenommen und gedeutet wird. In keiner der ausgewerteten Studien wurde die These der ökonomischen Prekarisierung als Ursache für den Einstieg in rechtsextreme Zusammenhänge bestätigt.

Der Einfluss, den die Familienverhältnisse auf die Ausprägung rechtsex-tremer Orientierungen nehmen, bleibt mehrdeutig. Familiäre Erziehung spielt in der Herausbildung fremdenfeindlicher und rechtsextremer Ori-entierungen eine Rolle, doch ist diese differenziert zu betrachten. „Bro-kenhome“-Konstellationen (Scheidungsfamilien, Einelternfamilien) spielen als Verursachungsfaktor eine deutlich nachrangige Rolle. Entscheidend ist vielmehr die Beziehungsqualität innerhalb der Familie. Ein wichtiges Mo-ment der Prävention ist die diskursive Auseinandersetzung innerhalb der Familie, wenn Kinder eine Annäherung an rechtsextreme Ideologie oder Szenen zeigen. Stabile emotionale Bindungen in der Familie sowie die argumentative Auseinandersetzung mit politischen Orientierungen der Kinder bilden offenbar einen wichtigen Schutz gegen rechtsextreme Ori-entierungen. Eine stabile innerfamiliäre Kommunikation und Interaktion leistet einen wesentlichen Beitrag zum Abbau rechtsextremer Orientie-rungen und für eine Distanzierung von der rechtsextremen Szene. Erfolg-versprechend erscheint dies vor allem dann, wenn zugleich professionelle Hilfsangebote von den Eltern oder anderen Familienmitgliedern genutzt werden können.

Auffallend ist der Einfluss, den die Großeltern auf die Hinwendung zum Rechtsextremismus nehmen können. Einzelne Studien weisen darauf hin, dass dort, wo die Eltern einen geringen Einfluss auf ihre Kinder haben, den Großeltern, und insbesondere den Großvätern, ein prägender politischer Einfluss zukommt. Dies betrifft in besonderer Weise die rückblickende Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus; familiäre Verstrickun-gen werden verharmlost, eiVerstrickun-gene Verantwortung zurückgewiesen.

Anhand der Forschungsergebnisse lässt sich belegen, dass die schulische Integration bei rechtsextrem orientierten Jugendlichen zumeist proble-matische Aspekte aufweist. Dieser Befund betrifft nicht einseitig nur Leis-tungsaspekte, d. h. die besuchte Schulform und das individuelle schulische Leistungsniveau, sondern umfasst auch Aspekte der sozialen Einbindung in Gleichaltrigengruppen sowie die Art und Weise, wie Schule als ein Er-fahrungsraum für selbstwirksames Handeln erlebt wird.

Bislang gibt es keine fundierte Einschätzung dazu, inwieweit rechtsex-treme Orientierungen lediglich ein Problem von Personen mit geringer Schulbildung sind. Es liegen keine neueren Erkenntnisse dazu vor, welche Formen von Vorurteilsbereitschaft sich bei Schüler/innen höherer Schul-formen finden. Die gegenwärtig repräsentativste Studie zu Rechtsextre-mismus bei Jugendlichen identifiziert Fremdenfeindlichkeit und rechts-extreme Orientierungen besonders häufig bei Haupt- und Förderschüler/

innen (Baier et al. 2009). Möglicherweise muss hier der soziale Status und

soziale

weniger die Schulform an sich als Erklärungsfaktor herangezogen werden:

Ein vermuteter Zusammenhang liegt darin, dass herkunftsbedingt höhere kognitive Kompetenzen, ein besserer sozialer Status und weniger konfor-mistische Wertorientierungen in bürgerlichen Herkunftsmilieus eine sol-che Ausprägung abschwäsol-chen.

Wenig Forschung liegt bislang dazu vor, wie durch die Sozialisations-agentur Schule die Entstehung rechtsextremer Orientierungen verhindert werden kann. Die Chancen, durch curricularen Geschichts- und Sozialkun-deunterricht die Entstehung von rechtsextremen Orientierungen verhin-dern zu können, sind gering, da dieser Unterricht nur wenig Bezüge zu den aktuellen Erscheinungsformen des Rechtsextremismus herstellt. Der pädagogische Umgang mit rechtsextrem orientierten Schüler/innen erfor-dert eine spezifische Qualifizierung der Lehrenden, die in der regulären Lehrerausbildung nicht geleistet wird.

Die Bedeutung der sozialen, familiären und schulischen Einflussfaktoren wird auch durch die Beobachtung relativiert, dass rechtsextreme Ge-walttäter, die über ein verfestigtes ideologisches Weltbild verfügen, vor-wiegend aus intakten kleinbürgerlichen oder bürgerlichen Elternhäusern stammen und einen Hauptschul- oder sogar Realschulabschluss sowie ei-nen festen Arbeitsplatz bzw. eiei-nen Ausbildungsplatz aufweisen.

Rechtsextreme Orientierungen benötigen eine irgendwie geartete Mili-euanbindung, um subjektiv und kollektiv wirksam zu werden; diese dient wesentlich der Bestätigung dieser Orientierungen. Die Clique verspricht Gemeinschaft und Zugehörigkeit und erfüllt damit eine soziale und emoti-onale Kompensationsleistung für solche Jugendliche, die keinen Anschluss in anderen Kontexten finden. Auch die Szenekultur mit gemeinsam ge-teilter Musik und Symbolen übt eine starke Attraktivität auf Einsteiger/

innen aus. Hingegen spielen politische Inhalte eine eher geringe Rolle für den Einstieg; eine Politisierung im Sinne einer rechten Ideologie erfolgt nachträglich, bei manchen Jugendlichen in der Szene auch gar nicht. Ju-gendliche in rechten Cliquen verfügen über keine soziale Einbindung in

„nicht-rechte“ Zusammenhänge (Vereine, zivilgesellschaftliche Aktivitä-ten außerhalb der rechAktivitä-ten Szene).

Rechtsorientierte Jugendcliquen existieren in unterschiedlicher Aus-prägung in allen Teilen der Republik, wobei überall kleinräumliche Ver-dichtungen festzustellen sind. Sie sind bei weitem kein Spezifikum der ostdeutschen Bundesländer. Besonders dominierend sind rechte Jugend-cliquen in solchen (ländlichen) Regionen, in denen die Regelangebote der Jugendarbeit ausgedünnt wurden oder gar nicht mehr existieren. Es gibt verschiedene Hinweise auf Verflechtungen zwischen dem organisierten Rechtsextremismus und rechten Jugendmilieus, doch sind diese nicht sys-tematisch erforscht.

Zu kontroversen Ergebnissen gelangt die Forschung in der Frage, ob rechtsextrem grundierte Gewalt (insbesondere fremdenfeindliche Gewalt) ein stationäres Phänomen der Adoleszenz darstellt (Stichwort: Jugend-gewalt) oder ob sie Ausdruck einer manifesten Hasskriminalität ist. Die Entstehungsbedingungen für Aggressions- und Gewaltbereitschaft, so ein übereinstimmender Forschungsbefund, sind in der frühen Kindheit zu su-chen. Fremdenfeindliche Jugendgewalt lässt sich nicht auf eindeutig zu definierende Ursachenfaktoren zurückführen: Je nach Tätertypus können

rollevon cliquenund subkulturellen jugendmilieus

gewaltakzeptanz undgewaltbe

-reitschaft

diese unterschiedlich sein. Familiäre Problemkonstellationen, schulische Probleme sowie der Anschluss an rechtsextrem orientierte Peergroups sind tendenziell als Risikofaktoren auszumachen, liegen jedoch nicht in al-len Fälal-len einer rechtsextremen Orientierung vor. Eigene Gewalterfahrung in der Kindheit bildet jedoch einen gewichtigen Risikofaktor, später selbst (fremdenfeindliche) Gewalt auszuüben. Als wenig empirisch gesichert gilt der vermutete Zusammenhang zwischen einer hohen Vorurteilsbereit-schaft und GewaltbereitVorurteilsbereit-schaft.

Frühe Prävention zur Vermeidung von Vorurteilsausprägungen und zur Affektregulierung kann sich hinsichtlich ihrer Wirksamkeit auf eine hohe Plausibilität berufen; eine gesicherte Wirkungsforschung liegt bislang aber nicht vor.

Je nach Definition dessen, was als rechtsextrem bzw. rechtsextrem ori-entiert aufgefasst wird, gelangen verschiedene Untersuchungen zu un-terschiedlichen Einschätzungen hinsichtlich des Grades, in dem Jungen und Mädchen in den Rechtsextremismus involviert sind. Untersuchungen, die Gewaltakzeptanz in der Definition von Rechtsextremismus stärker ge-wichten, gelangen zu der Einsicht, dass rechtsextreme Orientierungen bei männlichen Jugendlichen weitaus stärker ausgeprägt sind als bei weib-lichen (Baier et al. 2009); Untersuchungen, die primär auf Einstellungen rekurrieren und die Handlungsdisposition zurückstellen, stellen fest, dass sich beide Geschlechter im Hinblick auf rechtsextreme Einstellungen kaum unterscheiden (Birsl 2011).

Für Mädchen und junge Frauen bietet das rechtsextreme Spektrum durch-aus vielfältige Rollenbilder und politische Betätigungsmöglichkeiten an;

allerdings bewegen sich diese Entwürfe immer im Rahmen einer als dicho-tom aufgefassten Geschlechterordnung. Eigene Gewalterfahrungen von Mädchen und jungen Frauen in der Familie und im sozialen Umfeld bilden vermutlich einen wichtigen Anstoß für die Hinwendung zur rechten Szene.

Männliche Jugendliche erleben in der rechten Szene eine betont insze-nierte Männlichkeit, die mit Normen der Heterosexualität, der körperlichen Durchsetzungsfähigkeit und der Zugehörigkeit zur „weißen Rasse“ ver-bunden ist.

Der Konsum rechtsextremer Medienerzeugnisse ist keine eindeutige Ursa-che für die Ausprägung rechter Orientierungen und für den Anschluss an die Szene. Als gesichert gilt jedoch, dass rechtsextreme Musik und Sym-bolformationen eine wesentliche stabilisierende Funktion für den Zusam-menhalt innerhalb rechter Jugendszenen besitzen. Eine gewaltfördernde Wirkung durch den Konsum rechtsextremer Musik gilt in der Forschung als umstritten und kann bislang nicht eindeutig belegt werden.

Mittlerweile existieren vielfältige niedrigschwellige Zugänge zu rechtsex-tremen Inhalten im Internet. Exakte Analysen zum Gefährdungspotenzial durch rechtsextreme Medienangebote sowie zu den dadurch wirksamen Mechanismen der Annäherung an die rechte Szene fehlen bislang völlig.

Gleiches gilt auch für eine wissenschaftlich gestützte Auseinandersetzung mit medienpädagogischen Ansätzen in der Prävention.

geschlechter

-spezifische aspektedes jugendlichen rechtsextremis

-mus

musik/internet

Anknüpfend an die dargestellte Forschungslage soll an dieser Stelle re-sümiert werden, welche präventiven Ansätze aus wissenschaftlicher Sicht als vielversprechend einzustufen sind, um rechtsextremen Orientierungen bei Jugendlichen entgegenwirken zu können. Die Rahmenbedingungen der Präventionsforschung wurden in Kapitel 4.5 diskutiert. Dabei ist fest-zustellen, dass die Forschung zur Genese rechtsextremer Orientierun-gen und die Präventionspraxis bislang wenig aufeinander bezoOrientierun-gen sind.

Die praktische Arbeit mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen kommt weitgehend ohne Theoriebezug aus.39 Aber auch die Forschung selbst fin-det überwiegend ohne den Austausch mit Praktiker/innen der Präventi-onsarbeit statt.

Für die sekundärpräventive Arbeit mit rechtsextrem orientierten Jugend-lichen existieren verschiedene pädagogische Ansatzpunkte. Für die Ziel-gruppe der Jugendlichen selbst ist dies primär das Konzept der Akzeptie-renden Jugendarbeit. Dieses Konzept wurde nach vielfach umstrittenen Anfängen mittlerweile weiterentwickelt und um den Ansatz der gerech-tigkeitsorientierten Jugendarbeit erweitert (siehe Kapitel 4.5.2). Auch die Integrationspädagogik, in der über Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus hinaus weitere Formen der Menschenfeindlichkeit bear-beitet werden und die auch Jugendliche unterschiedlicher nationaler und kultureller Herkunft einbezieht, ist als eine Erweiterung des ursprüngli-chen Ansatzes der Akzeptierenden Jugendarbeit zu werten (Rieker 2009:

101). Konfrontative Pädagogik wiederum hebt darauf ab, rechtsextrem orientierte Jugendliche mit den Grenzen und Folgen ihres Handelns zu konfrontieren und sie dadurch zu einer aktiven Auseinandersetzung mit ihrer Orientierung zu bewegen. Mit Blick auf diese Zielgruppe gibt es da-rüber hinaus auch Überschneidungen mit der Primär- wie auch mit der Tertiärprävention. So werden rechtsextrem orientierte Jugendliche in der Praxis auch in Angebote politischer Bildung, des interkulturellen Lernens etc. einbezogen; Berührungspunkte mit tertiärpräventiven Maßnahmen ergeben sich darüber hinaus beispielsweise dann, wenn eine Teilnahme an Anti-Aggressions-Trainings stattfindet.40 Wissenschaftliche Evaluationen dieser Ansätze liegen, wie in Kapitel 4.5.3 dargestellt, nur in Ausnahme-fällen vor.

6.3 Was bewährt sich im pädagogischen Umgang mit rechtsextrem