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M.: In diesem Zusammenhang ent- ent-steht auch die Frage, wo man ein

Im Dokument  Eine andere Welt ist möglich (Seite 73-76)

Albert Schweitzers Individualethik in einer organisierten Welt

P. M.: In diesem Zusammenhang ent- ent-steht auch die Frage, wo man ein

Verant-wortungsgefühl verankert. Aus welchem Teil der menschlichen Persönlichkeit entspringt so etwas wie Initiative zu ethischem Handeln? Für Schweitzer war

das weniger die Frage einer politischen Einstellung oder eines allgemeinen Be-wusstseins für gesellschaftliche Zusam-menhänge. Schweitzer nimmt Bezug zur Gesinnung des Einzelnen und sagt, dass eine solche nicht von juristischen Institu-tionen geschaff en wird, „dies vermag nur der ethische Geist“. Ist solch ein Glaube heute überhaupt noch realistisch?

Schmidt: Auch das spricht eine weit verzweigte Debatte innerhalb der ethi-schen Diskussion an, die sich um die konfrontative Gegenüberstellung von Gesinnungsethik und Verantwortungse-thik rankt. So gesteht man dem Gesin-nungsethiker zu, dass er das Gute will, zugleich wird aber behauptet, dass er an der „grausamen Realität“ oft schei-tern müsse. (Und Schweitzer ist inhalt-lich und mit seiner „neukantianischen Herkunft“ auch geistesgeschichtlich ein klassischer Gesinnungsethiker.) Der rei-ne Verantwortungsethiker rei-neigt hinge-gen dazu, das normativ Wünschenswerte bzw. Gesollte auf das Machbare zu redu-zieren. Auch in dieser Frage besteht die meines Erachtens einzige Lösung darin, das eine (Gesinnung) zu tun, ohne das andere (Realisierbarkeit) zu lassen. Man muss also in verantwortungsethischer Weise die realen Umstände mitbeden-ken, ohne jedoch die eigene Gesinnung im harten Alltagsgeschäft zu verlieren.

Erst wenn man beide Seiten vereint, wird es überhaupt möglich, bestehende, oft

unmoralische Zustände tatsächlich und (!) unter ethischen Gesichtspunkten zu verändern.

Das philosophisch grundlegendere Pro-blem besteht freilich noch darin, inwie-weit aus im Denken gewonnener Ein-sicht Motivation zum Handeln entstehen kann, mit anderen Worten, ob so etwas wie eine „Einheit von Denken und Han-deln“ existiert. Dass Einsicht auf unsere Motivation durchschlagen kann, ohne sie zu determinieren – und dies tatsächlich auch immer wieder tut – , ist ein Punkt, in welchem ich mich ganz mit Schweitzer wähne.

P.M.: Auch das Th ema dieses Rundbrie-fes, die nachhaltige Entwicklung, benö-tigt einen ethischen Boden, etwa wenn es darum geht, die zukünftigen Gene-rationen in unser Denken und Handeln einzubeziehen. Nun ist eine solche Zu-kunftsverantwortung nichts rein Abs-traktes oder ausschließlich auf spätere Generationen bezogen, sondern wird in unseren schon heute lebenden Kindern und Jugendlichen ganz konkret. Welche Angebote könnte man ihnen unterbrei-ten, sich auch als aktiv gestaltender Teil in und vielleicht auch für unsere(r) Welt fühlen zu können?

Schmidt: Vorab möchte ich eine allge-meine, persönliche Sicht auf die ethische Bildung werfen. Hier fällt meine Bilanz unterm Strich durchaus positiv aus, weil

sich in den letzten Jahrzehnten viele not-wendige gesellschaftliche Diskurse ver-ankern konnten, die ohne einen Bezug zu ethischen Fragen gar nicht denkbar gewesen wären – und der Diskurs über Nachhaltigkeit ist einer davon. Dies war wohl nur deshalb möglich, weil auf eine hinreichend große Resonanz in der Gesellschaft gebaut werden konnte, die erst einmal herzustellen war und in der ökologischen Frage vor 1970 so noch nicht bestand. Dass es hierzu noch bes-ser gehen könnte und dass in den letzten Jahren eher ein abfl auendes Engagement ausgemacht wird, möchte ich nicht be-streiten. Blickt man jedoch auch auf die Herausforderungen, die in den letzten Jahren mit der Globalisierung allgemein und für Deutschland insbesondere her-vorgebracht worden sind (oder auch nur in den Köpfen der Menschen existieren), dann sehe ich noch immer erstaunlich viel guten Willen, der das Handeln vie-ler Menschen antreibt. Die in den letzten Jahren deutlich an Anzahl und Bedeu-tung gestiegenen NGOs (Nichtregie-rungsorganisationen) – die in den meis-ten Fällen auch zu begrüßen sind – sind ebenso ein gutes Anzeichen dafür, wie über neue, innovative Ansätze, oft auch

„Graswurzelbewegungen“ genannt, der Einzelne sich in aktuelle Th emen ein-bringen kann. Diese vorhandenen Ent-wicklungen gilt es politisch zu stärken und ethisch zu orientieren, um immer neue Wege der richtigen „Arbeitsteilung“

zwischen staatlichen Institutionen und zivilgesellschaftlichen Initiativen zu fi n-den. Freilich kann man sich auf einmal Erreichtem nicht ausruhen, schließlich muss jede Generation, ja jeder einzelne Mensch neu an die Herausforderungen herangeführt werden. Und: Weder der Erfolg der Bemühungen noch das stetige Ansteigen ihrer Früchte sind gewiss und dennoch sind wir darauf verpfl ichtet.

Ein besonders interessantes Projekt scheint sich mir mit dem „Dialog-Pro-jekt“ von Tomaso Carnetto anzubahnen.

Soweit ich bislang Einblick hatte, sehe ich in der Th ematisierung von ethischer Orientierung und dem eigenen lebens-weltlichen Hintergrund der teilnehmen-den Kinder und Jugendlichen einen sehr fruchtbaren und konkreten Ansatz. Hier kann nämlich die Verbindung zwischen individueller Umwelt und allgemeinen bzw. universalen ethischen Überlegungen (und umgekehrt!) erfahren werden. Das beste an diesem Vorhaben scheint mir aber zu sein, dass dies nicht nur in der Form „klassischer Bildungsmaßnahmen“

gleichsam „von oben herab“, sondern im Dialog, d.h. im konkreten Miteinan-der-Reden geschieht und daher von den Teilnehmenden auch wirklich angeeignet oder auch verinnerlicht werden kann. In-sofern stellt dieses Projekt ebenfalls eine hervorragende Antwort auf die vorange-gangene Frage dar, weil hier ein Weg auf-gezeigt wird, wie „ethische Gesinnung“

entstehen kann. Weiter so!

P.M.: Werfen wir noch einen Blick auf

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