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März 2004 hatte die Univer- Univer-sität Zürich die Ehre, Gastgeberin eines

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Neu im Verlag Pestalozzianum

Vom 21.–24. März 2004 hatte die Univer- Univer-sität Zürich die Ehre, Gastgeberin eines

bildungswissenschaftlichen Grossereig-nisses unter dem Titel «Bildung über die Lebenszeit» zu sein. Erstmals hatten die vier Fachgesellschaften, die Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE), die Österreichische Gesellschaft für Forschung und Entwicklung im Bil-dungswesen (ÖFEB), die Schweizerische Gesellschaft für Bildungsforschung (SGBF) und die Schweizerische Gesellschaft für Lehrerinnen- und Lehrerbildung (SGL) gemeinsam zu einem internationalen Kongress geladen.

Während dreier Tage wurde den rund 1300 Fachleuten und pädagogisch Interessierten ein breit gefächertes wissenschaftliches Programm geboten; 10 Parallelvorträge, 21 Symposien, 43 Arbeitsgruppen, 8 Roundta-bles, 40 Posters und 4 Veranstaltungen zum Schwerpunkt Lehrerbildung, boten Einblick in den neuesten Stand wissen-schaftlicher Erkenntnis und aktueller pädagogischer und bildungspolitischer Debatten.

Bildung über die Lebenszeit – Life-Long Learning

Allein am Titel des Kongresses liessen sich schon zahlreiche Fragen und Debatten anknüpfen: Ist lebenslanges Lernen tat-sächlich eine Erfindung der Moderne oder bildet es nicht vielmehr eine grundsätzli-che, menschliche Erfahrung, ist also eine historische Grösse – und wird nun, im 21.

Jahrhundert, als neues Bildungskonzept verkauft? Stellt die Forderung nach Bildung über die Lebenszeit nicht eher einen ver-änderten Anspruch an die institutionali-sierte Bildung als an das sich weiterbil-dende Individuum? Und was soll oder darf überhaupt unter dem Begriff «Bildung»

verstanden werden?

Reinhard Fatke vom Pädagogischen Institut der Universität Zürich eröffnete den Kongress und brachte zunächst die gegenwärtige öffentliche Bildungsdiskus-sion treffend auf den Punkt: «Bildung ist

heute in aller Munde», und alles, was damit zusammenhänge habe Konjunktur.

Allerdings werde beim Begriff Bildung allzu häufig ausschliesslich oder überwie-gend an Schule gedacht, nicht aber an die vielen anderen Orte, in denen sich das Leben auch noch abspiele und in denen sich nicht-institutionalisierte Bildung ereigne. Ausserdem werde auf Kindheit und Jugendalter fokussiert, die vorange-hende und die lange, nachfolgende Le-bensphase dabei aber weitgehend ausser Acht gelassen.

Ziel des Kongresses war, diesen einge-schränkten Rahmen zu sprengen und sich in das weite Feld von «Bildung über die Lebenszeit» mit seinen zahlreichen Aspek-ten zu begeben und diese auch kontrovers zu thematisieren. Der Fülle an Veranstal-tungen und darin gesetzter Akzente kann man an dieser Stelle inhaltlich denn auch nicht gerecht werden. Wohl aber scheint mir das Eröffnungsreferat, das eine ganze Denktradition um den Begriff «Bildung»

kritisch beleuchtete, die Intention der Ver-anstalter zu kennzeichnen, weshalb ich darauf etwas detaillierter eintreten möchte.

In seinem Vortrag «Von der Bildung zur Bildungskrise. Zur Geschichte eines Phäno-mens» zeichnete Michael Naumann, He-rausgeber und Chefredakteur der Zeit, die Geschichte des spezifisch deutschen Bil-dungsbegriffes nach – und bot damit eine pointiert formulierte Vorlage für eine grundsätzliche Diskussion unseres Bil-dungsbegriffes und -verständnisses.

Herkunft des deutschen Bildungsbegriffs Naumann präsentierte die deutsche Debatte um Bildung und um Bildungskrise als eigentlich typisch deutsches und letzt-lich hausgemachtes Problem. Die deutsche Sprache kennt als einzige europäische einen zweiten Begriff neben Erziehung, eben Bildung. Dessen Ursprünge lägen in

«bildunge», «überbilden», «in sich bilden», Begriffe, die eine mittelalterliche mysti-sche Erfahrung der Gottesebenbildlichkeit des Menschen beschrieben. Der

Bildungs-akt strebte die Annäherung, ja sogar Eins-werdung mit Gott an. Die deutschen Idea-listen hätten dann den Begriff, mit dem sich ein Erlösungsgedanke verband, «auf die Erde» geholt und statt mit Individuum und Gott neu mit Individuum und Staat verbunden. Statt über eine Revolution wie in Frankreich oder durch eine republikani-sche Verfassung wie in den Vereinigten Staaten sollte Bildung in Form von ästheti-scher Bildung das deutsche Volk zur Frei-heit führen und zum künftigen idealen Vernunftstaat befähigen. Oder mit den Worten Friedrich Schlegels (1772–1829):

«Gott werden, Mensch sein, sich bilden sind Ausdrücke, die einerlei bedeuten.»

Die Abgrenzung vom «welschen Zivilisa-tionsbegriff» der Nachbarn und Entwick-lung des eigenen, deutschen Kulturbegriffs sei ein weiterer Ausdruck des deutschen Überlegenheitsgefühles und -strebens.

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts, so Nau-mann weiter, wurde die geisteswissen-schaftliche Bildung durch die naturwis-senschaftlichen Studien in ihrer Bedeu-tung immer mehr zurückgedrängt – der Abbau musischer Schulfächer steht damit in einer längeren Tradition. «Bildung»

sollte nun das Bürgertum stärken und ein politisch, wirtschaftlich und kulturell gebil-detes Elite-Volk hervorbringen. Die Her-kunft des Bildungsbegriffs ist heute ver-gessen. Die überhöhte Bildungsvorstellung des Idealismus, die konkret schwer zu fas-sen und damit praktisch nicht einzulöfas-sen ist – und es nie war – schwingt aber ge-wissermassen immer noch als Erbe im Begriff mit und löst heute die Vorstellung einer Bildungskrise aus. Diese Argumenta-tion wäre ein Ansatz zur Erklärung der aufgeregten Nach-PISA-Diskussion und ein für die Pädagogik wichtiger Denkanstoss, ihre zentralen Begriffe «Lernen», «Wissen»,

«Bildung» auf ihren eigentlichen Gehalt – und damit auch auf ihre Verwertbarkeit für die Praxis zu prüfen.

Dieser wie auch zahlreiche andere Im-pulse liessen den Kongress zu einem be-fruchtenden disziplinären Austausch wer-den und darauf hoffen, dass «Bildung über die Lebenszeit» erst den Auftakt bildete zu einer kontinuierlichen Reihe solcher inter-nationaler Bildungsveranstaltungen.

Sandra Aebersoldstudiert Pädagogik an der Universität Zürich und arbeitet als studenti-sche Mitarbeiterin am Institut für Historistudenti-sche Bildungsforschung Pestalozzianum.

« B i l d u n g ü b e r d i e L e b e n s z e i t »

Der DGfE-Kongress in Zürich

Von Sandra Aebersold

«Kann man sich die religiöse Bildung ersparen?» So fragte Pierre Bühler, Dekan der Theologischen Fakultät der Univer-sität Zürich, im Hinblick auf den Beschluss des Zürcher Bildungsrates, wel-cher die Angebotspflicht für das Fach biblische Geschichte an der Volksschule, den so genannten B-Unterricht, aus Spar-gründen aufgehoben hat. Wie kann Unterricht in Religionssachen Kindern und Jugendlichen in einer pluralisti-schen Gesellschaft gerecht werden?

Im Auftrag des Bildungsrates des Kantons Zürich wird von einer Kommission ein obligatorisches Fach «Religion und Kultur»

vorbereitet, das auf der Oberstufe den bis-herigen Konfessionell-Kooperativen Reli-gionsunterricht ablösen soll. An einer Tagung Universität Zürich und der Pädago-gischen Hochschule Zürich (PHZH) kom-mentierten Fachleute das vorliegende Kon-zept der bildungsrätlichen Kommission.

Matthias Pfeiffer von der PHZH stellte das Zürcher Vorhaben eines Faches «Reli-gion und Kultur» an der Sekundarstufe vor.

Im Zentrum steht eine Kompetenz im Umgang mit religiösen Fragen: Sensibilisie-rung, OrientieSensibilisie-rung, Verständigung mit Menschen anderer Kulturen sowie elemen-tares Wissen und Verstehen. Grundlegende Aspekte der Weltreligionen sollen histo-risch-deskriptiv erarbeitet und mit Fragen und Anliegen Jugendlicher in Beziehung gesetzt werden. Jugendliche sollen sich auch auf einer gemeinschaftsorientiert-politischen Ebene mit Fragen von Religion und Gesellschaft auseinandersetzen kön-nen. Schliesslich sollen sie eine existen-tielle Ebene in den Religionen erkennen.

Bemerkenswert ist, dass sich die verschie-denen Religionsgemeinschaften im Kanton Zürich an der inhaltlichen Vorbereitung beteiligen. Pfeiffer sieht das neue Fach als lohnende Gratwanderung, wenn es auch die gesellschaftlichen Probleme nicht lösen könne: Grundsätzliche Fragen wie die Komplexität des Themenbereichs müs-sen in der Ausbildung zur Sprache kom-men (vgl. auch den Beitrag auf S. 45).

Zur Rechtslage des Obligatoriums

Cla Famos erläuterte die Rechtslage eines obligatorischen Religionsunterrichts und unterstrich die Notwendigkeit verlässlicher institutioneller Sicherungen über blosse Absichtserklärungen hinaus, was Aufsicht, Anstellungen und Ausbildung betrifft.

Karl Ernst Nipkow, Professor für Reli-gionspädagogik und Allgemeine Pädagogik an der Universität Tübingen, stellte vier Kriterien zur Beurteilung von Organisa-tionsmodellen religiöser Bildung vor: indi-viduelle Freiheit der Schülerinnen und Schüler, rechtlich eingeräumte Mitbestim-mung der Religionsgemeinschaften, Er-möglichung interreligiösen und interkultu-rellen Lernens sowie Einhaltung weltan-schaulich-religiöser Neutralität des Staates.

Mitunter polemisch griff er in die Debatte um das Fach «Religion und Kultur» im Kan-ton Zürich ein; es gelte, die Jugendlichen Ernst zu nehmen und ihre Fragen nicht ein-fach durch eine vergleichend-objektivie-rende Betrachtungsweise auszuschliessen.

Unterricht gegen religiöse Halbbildung Eindringlich warnte Nipkow vor scheinbar objektiver «religiöser Halbbildung». Kinder stellen direkte Fragen und lernen über Per-sonen. Lehrpersonen dürfen sich nicht hinausstehlen und den Erfahrungsschatz der Religionen draussen lassen. Neutralität der Lehrpersonen sei weder lerntheore-tisch noch bildungstheorelerntheore-tisch haltbar.

In die ähnliche Richtung zielte Fried-rich Schweitzer, ebenfalls Professor für Religionspädagogik in Tübingen. Verschie-dene Länder öffnen den Religionsunter-richt für alle Schülerinnen und Schüler.

Am weitesten entwickelt gilt die Inter-faith-Education in Schottland und Wales.

Die Evaluation habe allerdings gerade dort trotz ernsthafter Bemühungen nieder-schmetternde Resultate ergeben. Die Schwierigkeiten und Spannungen des The-mas Religion lassen sich nicht wegrationa-lisieren, meinte Schweitzer. Kritische Urteilsfähigkeit ist an eigene Erfahrungen gebunden; sonst stellt sich Langeweile ein.

Glaubensüberzeugungen von

Jugend-lichen werden heute mehr individuell als durch die Zugehörigkeit zu einer Religions-gemeinschaft geprägt. Es gilt, auf die je-weiligen Lebensphasen und vorausgehen-den Erfahrungen zu achten. Im Bereich der religiösen Bildung könne es keine glatten Lösungen geben, auch nicht mit einem Obligatorium.

Wissen die Behörden, was sie tun?

Für Schweitzer ist es unglaublich, dass die oberste Bildungsbehörde im Kanton Zürich den biblischen Unterricht an der Primar-schule kurzweg streicht. Dies erfolge gegen die Interessen und sogar die Rechte von Kindern und Eltern und gefährde das Gelingen des geplanten Faches auf der Oberstufe! Ein religionskundlicher Unter-richt ohne Grundlagen auf der Primarstufe läuft Gefahr, für Pubertierende irrelevant zu bleiben und gängige Vorurteile eher noch zu verstärken.

Ein Hamburger Weg

Folkert Doedens und Marlitt Gress berichte-ten als Verantwortliche für den evangeli-schen Religionsunterricht von der Entwick-lung in Hamburg, die von einem interreli-giösen Gesprächskreis befördert wird. Der Hamburger Religionsunterricht für alle ver-folgt weniger die Ausrichtung an den Welt-religionen als die Orientierung in der kon-kreten Lebenswelt der Jugendlichen mit allem, was diese religiös und quasireligiös prägt. Gerade deshalb sind Lehrkräfte, die sich mit den Jugendlichen und ihren Fra-gen und MeinunFra-gen engagiert ausei-nandersetzen, im Religionsunterricht wich-tig.

Religiöse Bildung ohne Illusionen Religiöse Bildung für alle bleibt auch im Kanton Zürich ein Prüfstein für die Offen-heit der Schule. Entscheidend wird sein, dass Jugendliche das neue Fach als Ort der produktiven Selbst- und Weltdeutung erfahren und Lehrkräfte den Unterricht in einem verlässlichen Rahmen gestalten.

Mut dazu machte Claudia Zielke, eine Hamburger Lehrerin. Sie relativierte allzu hohe Ansprüche und umschrieb die Chan-cen ihrer Rolle als Klassenlehrerin in einem offenen Religionsunterricht mit interreligiösem Horizont ohne Illusionen, aber mit erkennbarem Engagement.

Hans Ruedi Kilchspergerist Dozent für Reli-gion und Kultur an der PHZH.

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Tagung der Universität Zürich und der Pädagogischen Hochschule Zürich 30./31.1.2004 Von Hans Ruedi Kilchsperger

Aus der Praxis für die Praxis und mit Köpfchen geschrieben! – Es liegt ein Buch vor uns, das sich viele Schulkinder wün-schen und das auch uns Erwachsene in die spannende Welt der Mathematik führt. Damit ist es eben kein Rechen-buch, sondern eine ideale Mischung aus spannenden mathematischen Geschich-ten und konkreGeschich-ten Anregungen zu eige-nem mathematischen Tun und Denken.

Dem breit erfahrenen Autor gelingt es, seine Freude und seine Faszination an der Mathematik und am entdeckenden Lernen auf den Leser und die Leserin zu übertra-gen. Das Buch handelt nicht vom Rechnen, sondern von Mathematik und das ist ein riesiger Unterschied! Hier gibt es viel zu staunen, zu lachen und zu entdecken, und alles hat dabei mit Mathematik zu tun. Es warten geheimnisvolle Erläuterungen, spannende Erzählungen und witzige Kost-barkeiten auf Kinder und Erwachsene.

Die quirlige Mathilde führt die Wachen und Interessierten in die wunderschöne Welt der Mathematik. Dabei merken alle schnell, dass rechnen nur ein kleiner Teil davon ist und andere Bereiche viel wichti-ger sind. Zunächst zeigt Mathilde anschau-lich, wie vergangene Kulturen mathemati-sche Systeme aufgebaut haben, die zum Teil bis heute nachwirken. Anschliessend veranschaulicht sie den Betrachtern, dass Mathematik in unserem Umfeld allgegen-wärtig ist: Überall sind Muster zu erken-nen. Jeder Tannzapfen, jede Blume, jede Schnecke beinhaltet interessante mathe-matische Geschichten, die alle von dahin-ter liegenden universalen Musdahin-tern erzäh-len. Besonders spannend die Begegnung mit einem Grossen der Mathematik:

Mathilde trifft Leonardo Pisano, genannt Fibonacci, der schon vor 800 Jahren erkannt hatte, welche immense Bedeutung der Null zukommt. So erfährt man auch, was es mit dem «Goldenen Schnitt» auf sich hat und ergreift Schönheit, die der Mathematik innewohnt. Abschliessend führt Mathilde die Leser zu zahlreichen Spielen, Tricks und Geschichten, die viel

Spannung und Unterhaltung versprechen.

So gewinnt man diesem Fach gegenüber ein ganz neues Gefühl und erkennt auf spielerische Weise, welche Fülle hier zu entdecken ist! Mathematik wird als etwas Lustvolles, Schönes und Spannendes über-mittelt.

Das Buch ist für alle Kinder, kleine und grosse, geeignet und vermittelbar. Es kann als Schulbuch oder (mathematisches) Lese-buch dienen. Mit der übersichtlichen und selbstinstruierenden Darstellung ist es ein willkommener Farbtupfer im schulischen und privaten Alltag. Sehr schön illustriert und gut konzipiert bildet dieses Buch selbstverständlich auch eine ideale Ergän-zung und Bereicherung für den Mathema-tikunterricht auf der Primar- und Sekun-darstufe.

Der Autor macht mit dem alternativen Buch einen Brückenschlag zwischen der Arithmetik und der Mathematik. Wir hal-ten ein Buch in der Hand, welches uns im praktischen Unterrichtsalltag helfen wird, die gängigen Lehrmittel echt zu berei-chern. Geht es um erweiterte Lehr- und Lernformen, um Individualisierung oder um Begabungsförderung, so bietet dieses kleine Werk eine Fundgrube. Anstelle der allgemeinen «Überei» im Rechenunterricht ist es für viele Schulkinder unbedingt wichtig, dass sie ihre Entdeckungen im mathematischen Bereich mit geeigneten Mitteln selbst machen können. Das ist ech-tes Lernen und dafür eignet sich dieses Denkbuch ausserordentlich. – Wie hat doch ein Schüler, der das Buch immer wie-der zur Hand nimmt, gesagt: Es sei «voll der Hammer»!

Schweingruber, Thomas.

Auf zum MATHer-horn: Spannende Mathematik für Kinder.

Zürich: Verlag Pestalozzianum/

Oberentfelden:

Sauerländer, 2004.

96 S., CHF 49.–

A u f z u m M AT H e r h o r n

Spannende Mathematik für Kinder

Von Thomas Rüegg

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Von Daniel Ammann 0000000000222

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Sicher gehören Sie zu den aufmerksamen Leserinnen und Lesern. Sie haben ein paar Bücher auf dem Nachttisch, die Regale quillen über und wenn Sie unter-wegs sind, dürfen Zeitung oder Zeitschrift und ein Taschenbuch in Ihrem Gepäck nicht fehlen.

Sie wissen es womöglich nicht – und werden es auch gleich vehement abstrei-ten: Sie sind leseabhängig. Oder zumindest stark gefährdet.

Nein!, sagen Sie. Ich doch nicht. Ich kann ganz gut ohne Lesestoff sein. Ich kann jederzeit damit aufhören.

Gut, dann legen Sie diesen Text jetzt sofort weg.

Sehen Sie? – Dieser Satz ist schon zu viel. Und jetzt bloss keine Ausflüchte von wegen «nur noch bis zum Ende der Seite». Hören Sie auf, solange es noch geht.

Schauen Sie einfach weg. Der Frühling ruft. Geniessen Sie den Wald, bevor die Bäume der Papier verarbeitenden Industrie zum Opfer fallen.

Hiess es nicht schon immer, Lesen ruiniere die Augen? Wurde das je glaubhaft dementiert? Schwächung unseres Sehvermögens und negative Auswirkungen auf die Körperhaltung gehören dabei noch zu den kleinsten Übeln. Weitaus ver-heerender ist die gnadenlose Invasion unseres Innenlebens. «Achtung! Lesen kann Ihre Wahrnehmung verändern», warnte letztes Jahr der Appenzeller Verlag auf der Titelseite seines Programms.

Lesen infiziert unsere Gedanken, schreibt uns vor, wie wir uns sprachlich auszu-drücken haben. Wir reden ja nur noch in Zitaten. Hinzu kommen all die irrigen Realitätsvorstellungen. Autoren haben erwiesenermassen gar keine Zeit für die wirkliche Welt. Die nehmen alles aus Büchern und setzen es neu zusammen.

Bundesrat Leuenberger gestand in derNZZ am Sonntag, warum er wenig Romane lese: «Ich begebe mich nicht gerne in die Hände von jemandem, der mich ver-führen oder gar manipulieren will, ich muss einfach noch selber atmen oder denken können oder wenigstens meinen, es sei so.»

Es wird also höchste Zeit, die breite Öffentlichkeit auf die Risiken des Lasters Lesen hinzuweisen. Während lebhaft diskutiert wird – so stand es in den Zeitun-gen –, ob Raucherinnen und Raucher durch abschreckende Bilder auf den Ziga-rettenpäckchen von ihrer Sucht und Leidenschaft abzubringen seien, wagt kaum jemand, gegen die Lese-Lobby anzutreten und auf die Gefahren von Büchern und anderen Lektürestoffen hinzuweisen. Für einmal sollten wir uns an der Tabak-industrie ein Beispiel nehmen. Nebst Deklaration des Inhalts gehört auf jeden Buchumschlag eine unmissverständliche Warnung gedruckt – am besten in Form eines Piktogramms, damit man das nicht auch noch lesen muss.

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