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Literatur und Architektur

Im Dokument Intermedialität in der Komparatistik (Seite 43-49)

-teiligt sind. Dem so entstehenden Text sind, gewissermaßen als weiteres Widerlager, Bezug nimmt, die ihn daher sowohl auf der inhaltlichen als auch der poetologischen Ebe-ne aus eiEbe-nem bildhaften Anderen heraus kommentieren. Und nicht zuletzt, so schließt auf etwas anderes als das in ihm Dargestellte verwiesen: Zur Zeit, während derer Bora Ćosić hier seine Kindheit verbringt, heißt die Stadt längst nicht mehr Agram, sondern seit mehr als 15 Jahren Zagreb – in den Stadt-Text ist, so lässt sich daraus schließen, nicht nur mit der biographischen Figur des zurückschauenden Dichters eine Zukunft, sondern im Kürzel des Namens diskret und zugleich programmatisch auch die Historie als ein temporales Differenzial eingebracht, das ihn über die beschriebene Raumstruktur hinaus ein weiteres Mal zugleich ausweitet und verdichtet.

Über eine solchermaßen komplexe Figuration von Zwischenräumen und Vektoren und entlang der Achsen zwischen den subtil angelegten Widerlagern treibt der Text über das personale, zeitliche und mediale Differenzial, also inter personas, inter tempora und inter media seinen Ort hervor: das Agram des Bora Ćosić.

Literatur und Architektur

Vor allem um das Verhältnis zwischen Architektur und Sprache scheint es Bora Ćosić in der Rückschau auf seine Kindheit zu gehen. Was den Text für eine dem Forschungsfeld Fragestellung interessant macht, sind indes weniger die Zagreber Architekturen und ihre intermediale Transposition in das Medium der Spra-che, nachdrücklich verweigert Ćosić Ekphrasis als die Beschreibung eines vorgefundenen Ganzen, sonderen das dynamische, generative und remedialisierende Verhältnis zwischen

Sprach- und Medientheorie vorantreibt. Im Fokus seines Buches und damit auch die-ser Studie steht nicht die Integration einer der außerliterarischen „anderen Künste“ in den Text, sondern einerseits das Transfergeschehen zwischen ihnen und andererseits die gewissermaßen prä- und multimedialen Erfahrungsbedingungen eines Kindes, die von einer „Urszene“ der Wahrnehmung aus über die Begegnung mit Sprache und Architektur das Mediale an sich erfahrbar machen. Wahrnehmend erzeugt das Kind die Distinktionen zwischen den Medien und erfährt sie zugleich als etwas Vorgängiges.

Gerade die Schwerpunktsetzungen der jüngeren Intermedialitätsforschung kommen solchen Fragestellungen entgegen. Indem sie nach dem Kategorialen der Medien fragt, muss sie die maximale Differenz zwischen Literatur und Architektur nicht nivellieren, sondern kann sie eben als solche produktiv machen. Das von der postmodernen Ar-chitekturtheorie verkündete Postulat der „Architektur als Sprache“ (z.B. Venturi/Scott Brown/Izenour; Jencks), das schnell zum Slogan geworden war, hat den wechselseitigen Zugang so gesehen möglicherweise lange Zeit eher verstellt als geöffnet. Nun scheinen

Auch die, angesichts digitaler Medien und ihrer virtuellen Räume, dringend nötige Frage nach den realen Gegenständen wie z.B. Architekturen als physischen Körpern wird auf diese Weise neu gestellt. Solche Umbewertungen, vor allem aber auch ein neuer Fokus auf Transmedialität, sowie Fragen nach epistemischen Strukturen der Architektur haben Schöttker schon 2006 von einem architectural turn sprechen lassen.

Transmedialität

In der Betonung von Differenzen, Fugen, Brüchen, Grenzziehungen und Grenzüber-(seit ihrer Konzeption bei Walzel 1917 „noch kaum entwickelt“ – Meyer/Simanowski/Zeller 2006, 9) neue Anstö-ße: Uwe Wirth konzipiert sie im Paradigma des Hypertextes, der seiner Meinung nach als „dezentrales Netz ohne totalisierende Fluchtpunkte“ (Wirth 2006, 20) von höchstem interdisziplinären und literaturwissenschaftlichen Interesse ist. Er sieht darin entschei-dende neue Anstöße für die Diskussion um eine intermediale Literaturwissenschaft und eine Herausforderung für deren Kernkompetenzen des „close reading“ und historischen Verständnisses auch in Bereichen jenseits des geschriebenen Textes. Die Positionen Saussures, Peirces, Bachtins und Kristevas aufnehmend fasst er den Zeichenprozess als

medialen Vermittlungsprozess, der das Zeichen als „Trägermedium“ berücksichtigt. „Im Rahmen der ,mediating representation‘ wird eine Transformation vollzogen, die die Relatio-nierung des Zeichens mit seinem Objekt in die RelatioRelatio-nierung des Zeichens mit seinem Interpretanten übersetzt.“ (Wirth 2006, 30, Herv.i.O.) Transmedialität verortet er in seiner praktikablen Gliederung von „weicher“ und „harter“ Intermedialität (cf. Wirth 2006) im Bereich der harten Intermedialität, also der Medien-Kopplung, die er als integrieren-der integrieren-der Akzent auf dem Ergebnis integrieren-der vollzogenen Verbindung liegt. Insofern als harte Intermedialität technisches Wissen und ein Bewusstsein für die mediale Differenz der Medien voraussetzt, kommt bei transmedialen Prozessen hingegen der Übergang selbst in den Blick, der über Interferenzen, Schnittstellen und indexikalische Hyperlinks läuft und damit Rahmungssignale setzt. Dabei ist es gleichgültig, ob der Wechsel zwischen verschiedenen semiotischen Systemen oder zwischen unterschiedlichen Präsentations-technologien erfolgt.

Medienphysik

zuallererst reale Körper und als solche wirksam sind, ist auch ihr physischer Aspekt me-dientheoretisch erfassbar zu machen (cf. Unsicheres Wissen der Literatur 2012, 8). Wei-terführend scheint hier der Vorschlag Walter Seitters, der nicht ohne Provokation eine

„Physik“ der Medien fordert, die er vom antik-kosmologischen Körperbegriff her denkt.

Mein Plädoyer für das Ernstnehmen alter Medien geht von einer Medienphy-sik aus, die gegenüber physiologischen, psychologischen, diskurstheoretischen und konstruktivistischen Ansätzen eine gewisse Skepsis walten lässt, sofern darin die Denkhaltung einer humanistischen Allmachtsphantasie zum Aus-druck kommt, welche den Medien kein autonomes Sein und Wirken zuge-steht. (Seitter 2011, 28)

Man kann dem Physiker Seitter vorhalten, er wende die von den Medienwissenschaf-ten entwickelMedienwissenschaf-ten Konzeptualisierungen auf Objekte zurück, die vor den Gegenständen

-ser Vorwurf zu kurz. Seine Überlegungen lassen sich auch als Versuch verstehen, über

die Physik die Medien-Terminologie – auch über begriffsgeschichtliche Argumente – zu dekonstruieren und aufzuklären. Anhand der Karriere zweier Kern-Termini zeigt er, wie sich den Begriffen „Information“ (in der Physik das Gegenteil von Entropie) und

„Kommunikation“ – nicht zuletzt durch die Leistungen des Presse- und Funkwesens und die Zahl und Dichte der Massen-Kommunikation – Vorstellungen angelagert haben, die Leistungen, Ansprüche, „supponierte Bedürfnis- oder Wunschsituation bei den Adressa-ten“ (Seitter 2011, 29), Wunscherfüllungsfantasien und Erwartung höchsten technischen Fortschritts umfassen. Ein Begriffsapparat, der sich kontrastiv seine Präsuppositionen – Anschlussfähigkeit zurück. Es scheint Seitter weniger um Fragen der Hierarchisierung oder um terminologische Provenienzforschung zu gehen, sondern um den heuristischen Gewinn seiner Herangehensweise und darum, das Funktionsspektrum elastisch zu

hal -tionen einfacher physikalischer Körper zufriedenstellend erfassen. Das ermöglicht es, etwa ein Möbelstück als „Mittelkörper“ zu denken: „Leistet [es] etwa das, was man heut-zutage von einem Medium verlangt – nämlich Speicherung, Verarbeitung, Übertragung von Information? Nein und ja. Seine Leistung geht in diese Richtung – aber sie ist noch radikaler und elementarer.“ (Seitter 2011, 8) Die Leistung eines Tisches etwa „liegt in Präsentierung – verstanden als Präsentmachung oder vielmehr Präsenthaltung. Und diese Präsentierung ist sozusagen ein Radikal von Information, von Kommunikation.“ Der Tisch ermöglicht „Schubverkehr“ der Gegenstände auf ihm, „Luftverkehr“ und Sicht-Sitztisch – „zum Medium bestimmter Präsentierungen von Menschen“ (Seitter 2011, 21).

Er führt seine Argumentation an anderen Beispielen weiter und stellt schließlich fest:

Die Medienphysik versucht eine andere Begriffspolitik, indem sie die Funkti-on der Medien kFunkti-onsequent nüchtern und sachlich und vielleicht sogar trivial benennt. Als Leistungen des Transports, des Verkehrs, des Präsentierens in all seinen Funktionen – allerdings auch als Leistungen, in die unvermeidli-cherweise Vorstellungen, Verdeckungen und Absentierungen eingehen. Ihre Funktionsanalysen verbindet sie mit der Beschreibung der mehr oder weniger dinglichen Medien. (Seitter 2011, 30)

Nicht nur die Architektur-Theorie oder -Soziologie gewinnt von dem durch diesen An-satz angemahnten Produktiv-Machen der konkreten Verkörperung (Lyotard) und

Ver-oder das Fernsehen, neben ihren (formal-)ästhetischen und imaginationsbildenden auch dispositionelle Aspekte haben, die Räume, die Besetzung von Raum und Verhalten im Raum erzeugen und organisieren und auf diese Weise als mediatisierte Präsentations-, Kommunikations- und Verkehrsformen beschreibbar werden. Damit wird Architektur nicht nur als eine der „anderen Künste“, sondern als Medium erfasst, wie das auch Ćosić in seinem Buch tut, indem er ihre medialen Funktionen in Erinnerung bringt. Gleich-zeitig erzeugt er beständig ein irritierendes „Dazwischen“, das nach dem Medialen als solches fragen lässt.

Medialität

Schon 1998 hat Wilhelm Füger im Zusammenhang mit einer Abgrenzungsfrage, nämlich der, ab wann von transmediierenden Prozessen gesprochen werden könne, bewusstseins-verarbeitende Prozesse als „Ur-Medien“ und ein „Prämediales“ problematisiert (Füger).

Nunmehr stellt die jüngere Forschung eine kategoriale Medialität ins Zentrum ihrer Fra-gestellungen. Zum Schwerpunktthema werden damit mediale Dynamik und Transfor-mationen sowie die Frage nach der Unhintergehbarkeit der Medien: Georg Tholen hat darauf hingewiesen, dass jeder Begriff des Mediums „auf den kategorialen Status eines

,Dazwischen

-ses „eigensinnige“ Dazwischen als „Mitte, Mittel, Vermittlung oder Milieu“, das zugleich trennt und verbindet, „wären weder Medien zu unterscheiden noch Medienumbrüche zu eine gegenüber den Medien selbst sich distanzieren-de Voraus-Setzung, als Vor-weg-Nahme medienvermittelter Welterschließung“. (Tholen 2012, 43;

kursive Hervorhebung von U. S.-F.) Der heuristisch erschlossene aber noch unausge-lotete Begriff des Dazwischen bildet demnach den Ansatzpunkt für eine allgemeine Wissenschaft der Medien, die angesichts des sich ubiquitär verbreitenden Computers als Medium der Medienintegration „den epistemischen Ort medialer Welterschließung Damit lösen diskurs- und medienanalytische Fragestellungen die rein ideengeschichtli-chen ab. Anhand von Überlegungen unter anderem zur Medialität als Zäsur in der Wahr-nehmung konstatiert Tholen WahrWahr-nehmung als stets historisch variabel und zwischen Verbergen und Entbergen immer medial verfasst. Auch Michael Wetzel spricht in seiner Studie zur Übersetzung von einer ,Urszene‘ der Übersetzung, „so wie alles Reden

im-deshalb die Rehabilitation der „Materialität, Performativität und Aisthetik von Zeichen- und Mediensystemen“ (Jäger 2012, 26, Herv.i.O.) fordert, Zeichen als Diskursort der „Sinn-produktion“, in deren Vermittlung stets semantische Konstitutionsprozesse eingeschrie-ben sind.

Medienarchäologie und Medienanthropologie

Mit dieser Neusituierung sind eine Medienarchäologie und eine Medienanthropologie verbunden, wie sie auch Seitter moniert (cf. Seitter 2011), der in diesem Zusammen-hang auf Régis Debrays „Mediologie“ und deren Fokus auf Methoden der Transmis-und Müllers (cf. Müller 1998) nunmehr erneut bei Müller, der das größte Potenzial der Intermedialitätsforschung in ihrer historischen Dimension sieht, „in einer intermedialen Archäologie der Medien innerhalb der Netzwerke kultureller und technologischer Serien“ (Müller 2008, 45, Herv.i.O.). Vom Grundgedanken Deleuzes und Hickethiers ausgehend, dass

„in der Mitte der Medienrelationen das Subjekt steht“, verweist Volker Roloff auf die Theoriebildungen einer neuen Anthropologie, die „von der brüchig gewordenen Souve-ränität des modernen Subjekts ausgehen und Anthropologie prinzipiell als einen Prozess der ,Medialisierung‘ ansehen“ (Roloff 2008, 17).

Kognitive Multimedialität, Synästhesie

Die in der Intermedialitätsdebatte früh erkannten aber selten thematisierten Phänomene der Doppelbegabung, der Synästhesie oder einer ursprünglichen multimedialen Wahr-nehmung werden damit aufs Neue relevant. In seiner Darstellung einer „transformati-onalen“ Intermedialität hat Jens Schröter auf deren ontologische Implikationen hinge-wiesen, die die Bestimmung wesentlicher Differenzen zwischen den Medien notwen-dig machen – erst sie machen beschreibbar, was „displaced“ wurde – um schließlich festzustellen: „Vielleicht bedeutet dies alles, anzuerkennen, [...] dass die Intermedialität ursprünglich ist und die klar von einander abgegrenzten ,Monomedien‘ das Resultat ge-zielter und institutionell verankerter Zernierungen, Einschnitte und Ausschlußmechanis-men sind.“ (Schröter 1998, 149) Paech hat „das perzeptive ZusamAusschlußmechanis-menspiel von Medien der Wahrnehmung zur kognitiven Rekonstruktion der Realität als erkenntnistheoretische

Intermedialität“ (Paech 1998, 18f.) als eine der Untersuchungsebenen der Intermediali -zierter Form in einer Reihe von neuen Studien (cf. Jäger/Fehrmann/Adam 2012).

Auch weil Ćosić das erste Kennenlernen des Medialen in einer Situation multimedialer

„Überschwemmung“ bzw. prämedialer Konturlosigkeit beginnen lässt, ist sein Buch auf erstaunliche Weise ein literarischer Beitrag zu solchen Intermedialitätsdebatten.

Im Dokument Intermedialität in der Komparatistik (Seite 43-49)