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Auf das Leiden anderer reagieren

Im Dokument Intermedialität in der Komparatistik (Seite 78-84)

-schreibungen entzieht und vielmehr zu einem kontrastierenden Moment des Narrativier- und Vorstellbaren wird.

Dieser Behauptung nachgehend, nehmen wir nun Judith Butlers Auseinandersetzung den Blick, die auch den konkreten Rahmen bereitstellt, in dem wir die anschließende Dis-kussion um den politischen Gebrauchswert des Intermedialitätsbegriffs verorten wollen.

Auf das Leiden anderer reagieren

Wenn Butler in Frames of War

-rastern diskutiert, dann tut sie das sowohl unter Berücksichtigung der stabilisierenden

wie auch der subversiven Dimension affektiver Mobilisierung: Da Hegemonien immer nur die Illusionen von Totalität sind und ihre Logik eben nicht rationalen Mustern folgt, sondern gerade auf affektiven Einstimmungen basiert, lässt sich keine endgültige Aus-formung denken. Vielmehr legt die affektive Struktur von Bedeutungsräumen nahe, dass es keine Garantie für das Bestehen einer solchen Verhaftung gibt, denn keine Übertra-gung des Begehrens nach Vollständigkeit wird diese jemals herstellen können. In diesem Sinn entspricht die Logik der Hegemonie dem Lacanschen „petit objet a“ (Objekt klein Begehren nach vollkommener Fülle. (Cf. Laclau 2007, 33)

sich dabei die Frage, inwiefern diese Fotos uns etwas über die Normierungen verraten können, denen unser Wahrnehmungshorizont unterliegt. Warum kämpfen derartige Bil-der gegen diese Regulierungen an? – Und das tun sie ohne Zweifel, nicht zuletzt, weil sie zum Auslöser einer ernsthaften Protestbewegung gegen die US-amerikanische Re-gierungspraxis wurden. Es wäre zu einfach, zu behaupten, die Fotos „dokumentierten“

Unrecht, das durch ihr Öffentlichwerden offensichtlich würde, gerade weil wir beim Be-trachten eines derart transparenten Bildes immer nur den bestehenden Wahrnehmungs-horizont reproduzieren; andernfalls ließe sich nicht von Transparenz oder Eindeutigkeit sprechen. Wir sehen also immer das – wie sich in Rekurs auf Assmann formulieren lässt –, was wir (zumindest in Hinblick auf ein moralisches Bewertungskriterium) wissen. In diesem Dilemma der Unentscheidbarkeit über den Wert eines dokumentarischen Bildes bzw. den Wert der Dokumentation eines einzigen Inhaltes, verortet Butler ihre Ausein-andersetzung, wobei sie sich an Susan Sontags eigenem Dilemma abarbeitet, eben dieser Unsicherheit ausgeliefert zu sein. Dabei lässt sich Sontags Verunsicherung insbesondere daran festmachen, dass Fotos uns keine Deutung liefern könnten, da wir immer auf schriftliche Korrektive angewiesen seien, um zu einem Verständnis zu gelangen: Egal

nachhaltigen ethischen oder politischen Wirkungen hervorrufen.

Es ist insbesondere das Oszillieren zwischen dem Glauben an die Beweiskraft von exemplarisch für ihre scheinbar ausweglose Situation erweist. In ihrem in der New York Times veröffentlichten Text über die Folterungen in Abu Ghraib schreibt Sontag, dass es erst das Bekannt-werden der Fotos war, das diesen Vorgängen Realität verlieh. (Cf.

Sontag 2004) Denn vor dieser Veröffentlichung gab es lediglich Worte, die leicht geleug-net, unterdrückt werden konnten. Die dokumentierte Sichtbarkeit als Beweismaterial ließ sich nicht einmal mehr durch die umfassenden Regulierungsmaßnahmen der US-Regie-rung leugnen, auch wenn die Versuche nicht abbrachen, die Interpretation zu steuern;

beispielsweise als Donald Rumsfeld auf der Einordnung des Abgebildeten als „abuse“

(Missbrauch) bestand und sich gegen die Bezeichnung „torture“ (Folter) verwehrte.

Diese dokumentarische Beweiskraft, die Sontag in On Photography (1977) noch vertei-Regarding the Pain of Others (2003) eindeutiger Skepsis: In On Photography begründet Sontag ihre -niger als die Aufzeichnung einer Emanation ist (also Lichtwellen, die von Gegenständen nie gerecht werden kann. (Cf. Sontag 2005, 120) Von daher bestehe der Vorteil der me-Wirklichem. Verstärkt wird die Beweiskraft für Sontag dann noch durch die Anwesenheit der Fotograf_innen, die in dem Moment, in dem sie die Fotos aufnehmen, die Wirklich-so aufgezeichnete und beglaubigte Wirklichkeit, indem sie sie für weitere Betrachter_in-nen verfügbar macht – Gräueltaten wie die von Abu Ghraib tauchen im allgemeiBetrachter_in-nen Wissenshorizont auf und werden erst dann real. (Sontag 2005, 3)

Der Glaube, Fotos könnten „bedeuten“, stellt für sie nunmehr eine Form der Naivität dar, die vor allen Dingen auf der gesellschaftlichen Überzeugung beruht, dass Fotos eben nicht andeuten, sondern zeigen. Wo es um Fotos geht, scheint sich Sontag selbst zu kritisieren, werden wir zu „Buchstabengläubigen“. (Sontag 2003, 39)

An dieser Stelle bricht Sontags nachhaltige Überzeugung herein, dass Fotos nicht für sich selbst sprechen können, dass sie in Bezug auf ihre Bedeutsamkeit immer auf sprach-liche Kontexte angewiesen sind, die sie selbst nicht liefern. Dabei untermauert sie diese Überzeugung noch mit dem Beispiel, dass während des Balkankrieges auf kroatischer wie serbischer Seite dieselben Bilder von toten Kindern zu Propagandazwecken instru-mentalisiert wurden: Das Ändern der Bildunterschrift genügte damals – wie Sontag fest-hält – um die Fotos für die jeweils eigene Sache nutzbar zu machen. (Cf. Sontag 2003, 11) das dann politische Aktivität erzeugt, markiert eine entscheidende Spaltung zwischen

-gründet: Um politisch zu mobilisieren, d.h. „wirksam zu kommunizieren“, müssen Fotos eine „transitive Funktion“ erfüllen, die sich als direktes Einwirken auf die Urteilsbildung kann zwar transitiv wirken, allerdings ist eine derart auf Affekten aufbauende Kraft für -ten haben insbesondere in Kriegszei-ten einen gegenteiligen, abstumpfenden Effekt. (Cf.

Butler 2009, 68) In On Photography

-geln, indem sie behauptet, dass die visuelle Repräsentation von Leid zu einem Klischee

Bildes vermindert. (Cf. Sontag 2005, 137ff.)

In Regarding the Pain of Others nimmt Sontag eine ambivalentere Haltung ein: Auch habe bzw. dass der Schock selbst zu einem Klischee geworden sei, räumt sie ein, dass genommen kann und muss sie das laut Sontag sogar tun, da durch die visuelle Vermittlung die Vorstellung von Nähe und Distanz ins Wanken gerät und damit die Möglichkeit er-öffnet wird, über globale Entfernungen hinweg mit anderen zu fühlen. (Cf. Butler 2009, 68) Die so erzeugte Nähe zu Krieg, Hungersnöten und Zerstörungen in Gebieten, die in uns hervorrufen und ethische Ansprechbarkeit befördern.

-zeugen, während sich der Pathos, der über Erzählungen vermittelt werde, nicht abnutze.

dem Bild an sich (mit einer regulierten Ästhetik) und nicht mit dem damit verbundenen Ereignis. (Cf. Butler 2009, 70)

Textes umzuwerten. Das Hereinbrechen des Gefühls erscheint dann als melancholische Verinnerlichung eines nicht-fassbaren Zustands: „Narratives can make us understand:

photographs do something else. They haunt us.“ (Sontag 2003, 72) Es ist diese

uneigent-liche Ansprechbarkeit, die für Butler das Modell von Verstehen, dem Sontag vertraut, werden, bei Sontag sogar in einem ausgesprochenen Spannungsverhältnis zu unserer Fähigkeit zu denken und zu verstehen. Indem sie sich dafür ausspricht, dass uns die zu beurteilen, wie wir uns Ereignissen in der Welt gegenüber verhalten sollen, suggeriert sie damit auch, dass die so herausgebildeten Gefühle das Denken selbst vereiteln. Was reaktiver Gefühle, die in ihrer Unmittelbarkeit über das Denken triumphieren. (Cf. Butler 2009, 69) Aber können wir nicht viel eher davon ausgehen – so lässt sich Butlers Strategie Sontag gegen Sontag zu lesen paraphrasieren – dass die Bedrohung, die diese Gefühlsre-gungen zu implizieren scheinen, unser Verstehen an sich in Zweifel zieht und damit eine

Anders lässt sich für Butler auch nicht das Phänomen des „embedded journalism“2 und insbesondere Donald Rumsfelds Reaktion auf die Fotos von Abu Ghraib erklären:

In dem Moment als Rumsfeld sagte, dass eine öffentliche Präsentation dieser Bilder be -tungsverschiebung; er sprach damit den Bildern die Macht zu, nationale Identitäten zu konstruieren. (Cf. Butler 2009, 72) Und offensichtlich fürchtete er genau das, was Sontag -sichten zu verändern und die gesetzte Legitimität der Kriegshandlungen zu unterlaufen.

Wenn Sontags Behauptung zuträfe, dass ein Foto selbst keine Bedeutung hat, dann ist eine solche Reaktion nicht nachvollziehbar. Die gescheiterten Versuche, durch Re-gulierungsmaßnahmen die Verbreitung der Bilder einzuschränken, stehen für Butler als eindeutiges Indiz dafür, dass anders lautende Interpretationen (wie sie eben von der US-amerikanischen Regierung eingebracht wurden) es nicht vermochten, die bereits im Foto enthaltenen Deutungen vollständig zu eliminieren. (Cf. Thonhauser 2011)

Was Butler fasziniert und ihre Einschätzung des Gefühls als konstitutives Element für die Ausbildung von Verständnis an sich bestärkt, ist weniger Sontags Einlenken, dass

-2 Das Phänomen des „eingebetteten“ Journalismus versteht sich als Übereinkunft zwischen den Journalist_innen und dem Militär, nur dann Zugang zu Kriegsschauplätzen zu erlangen, wenn versichert wird, ausschließlich aus der von den Regierungsbehörden vorgegebenen Perspektive (narrativ wie visuell inszeniert) zu berichten.

scher Gebrauchswert eingeräumt werden muss, als das augenscheinliche Hereinbrechen nicht kontrollierbarer Gefühle in Sontags eigenen Verstehenshorizont: „In an emotional, almost exasperated outcry, one that seems quite different from her usual measured ratio-nalism, Sontag remarks: Let the atrocious images haunt us.“ (Butler 2009, 96)

-sofern als politisches Instrument wahrgenommen werden kann, als sie die Verletzlichkeit menschlichen Lebens selbst begreifbar macht und damit eine Motivation darstellt, die ihres Einlenkens gelingt es Sontag selbst nicht, der negativen Aura, die diese Heimsu-chung für sie bedeutet, zu entkommen. Wieder ist es der nicht-narrativierbare Charakter, wie sich das übertragene Gefühl in eine konkrete politische Handlung transformieren

Möglichkeit verwirft, tatsächlich auf das Leid anderer zu reagieren. (Cf. Butler 2005, 826) Butlers Beobachtung, dass das Gefühl Sontag selbst übermannt, wenn sie gegen die

der Butler an dieser Stelle und im Vergleich zu ihren weiteren Thematisierungen von Gefühlspolitiken nicht so viel Beachtung schenkt: Sontag gerät über das unbestimmbare sie ihre Legitimität als solche in Zweifel und kratzt damit in einer anderen, unbestimm-ten Weise – gewissermaßen unwillentlich – an den Fundamenunbestimm-ten des Wahrheitsregimes.

Wenn Sontag über das Leiden anderer wie auch über ihre eigene Frustration schreibt, dann vergisst sie ein wichtiges Moment, nämlich, dass sie, indem sie diese in Relation zur Sprache bringt, in einen Urteilsdiskurs eintritt, der sich im gleichen Moment von der

3

In diesen Momenten der Selbst-Dislokation wird das möglich, was mit Butler als un-gehorsamer Akt des Sehens beschreibbar wird. Er bezeichnet eine Analyse des Rahmens, der uns zum Sehen blendet. (Cf. Butler 2009, 100) Denn das „Nicht-sehen“ im „Modus des Sehens“ verteidigt eine Sichtweise, die nicht nach den Konstitutionsbedingungen

3 Siehe hierzu insbesondere Butlers Auseinandersetzung mit Foucaults Qu’est-ce que la critique? (Was ist Kritik, 1978) in What is Critique? An Essay on Foucault’s Virtue (2004).

des Sichtbaren fragt, durch die alle anderen Möglichkeiten das Bild zu erweitern und mit zusätzlicher Bedeutung zu versehen mit der Rahmung verloren gingen. (Cf. Butler 2009, 8) In diesem Sinn wiederholt eine derartige Perspektive die visuelle, nationale Norm.

Deutung in sich trägt, denn auch das transparenteste aller dokumentarischen Bilder ist gerahmt, und zwar zu einem bestimmten Zweck, den diese Bilder in ihrem Rahmen transportieren und durch ihren Rahmen füllen. Der Inhalt des Sichtbaren beinhaltet be-dem entspricht, was sich als konstitutives Außen begreifen lässt, das die Begrenzung der durch die Kamera initiierten Perspektive erzeugt. Im Fall der Fotos von Abu Ghraib wird die konstitutive Rolle der Kamera besonders deutlich: Auf zahlreichen Bildern ist zu Vieles deutet darauf hin, dass die Folterungen zumindest zu einem gewissen Grad für die Kamera vollzogen wurden. (Cf. Thonhauser 2011)

Die Beweiskraft der Fotos liegt folglich im Spannungsverhältnis von Rahmen und Inhalt, in der Möglichkeit, die Muster der implizierten Deutung von Wirklichkeit zu er-kennen. Zu „verstehen“, heißt dann – wie sich Butlers Folgerungen interpretieren lassen – an die Grenzen des Begreifbaren zu gehen, dorthin, wo sich die Narrativierbarkeit er-schöpft, denn die unmögliche Frage nach der Erweiterung des Bildausschnitts zu stellen, bringt in entscheidender Weise unser Verständnis von Realität durcheinander.

Um zu einem besseren Verständnis dieser Position zu gelangen, ist es hilfreich, die vo-rangegangene Diskussion auf eine abstrakte Ebene zu führen. Hierbei erweist sich insbe-sondere der Begriff der Intermedialität als brauchbares Instrument, dem Spannungsfeld von Totalisierung und Destabilisierung in der Text-Bild-Relation zu begegnen.

Im Dokument Intermedialität in der Komparatistik (Seite 78-84)